Re: Fair use (was: Re: [ox] Rundschauartikel)
- From: Robert Gehring <zoroaster snafu.de>
- Date: Mon, 10 Dec 2001 21:25:42 +0000
Guten Abend allerseits,
ein paar Anmerkungen zum `fair use'-Problem.
mir ist nicht klar geworden, was "fair use" ist: Ein Umgehen mit dem
Copyright in der Hoffnung der Copyright-Owner m?ge Verst?ndnis haben?
Oder ein rechtliches Konstrukt?
Ein rechtliches Konstrukt in Urheberrrecht.
Besser so auszudrücken: _Fast_ alle Gesetze und (sonstigen) rechtlichen
Regularien zum Urheberrecht bzw. Copyright kennen sogenannte
`Schrankenbestimmungen'. Das sind Bestimmungen, die Ausnahmetatbestände
regeln, unter denen eine Nutzung eines urheberrechtlich geschützten Werkes
(bzw. von Teilen desselben) ohne Einholung der (ansonsten immer notwendigen)
Zustimmung des Urhebers/Rechteinhabers zulässig ist.
Schrankenbestimmungen am Beispiel des deutschen UrhG:
* Rechtspflege und öffentliche Sicherheit (§ 45)
* Ausbildung (§ 46, § 47)
* Information der Öffentlichkeit:
* Öffentliche Reden (§ 48)
* Zeitungsartikel, Rundfunkkommentare (§ 49)
* Bild- und Tonberichterstattung (§ 50)
* Zitate (§ 51)
* Öffentliche Wiedergabe zu sozialen Zwecken (§ 52)
* Vervielfältigung zum privaten und sonstigen eigenen Gebrauch (§ 53)
In allen anderen Fällen ist die Zustimmung des Urhebers/Rechteinhabers
einzuholen.
Leo Raskind stellt es in der Kommentierung zu Copyright in Peter G. Newman
(ed.): "The New Palgrave Dictionary of Economics and the Law" (1998, Vol. I,
pp 478-483) so dar:
<<Although there is wide variance among the statutes in stating a privilege
to make at least one copy of a protected work without liability for
infringement, a common position is expressed. A single copy, display, or
performance may be made for private use of textual material and a private
display of performance may usually be made without liability, for educational
or religious purposes. Multiple copies of educational materials may be made
for classroom instructional use, subject to limitations designed to prevent
the production of works supplanting the copyrighted work. Most copyright
statutes also grant exemption from infringement liability to libraries to
make a single copy of part or all protected work in the interest of providing
access to information as well as to meet their own archival needs to replace
deterioration or scarce materials.>>
[_Das_ ist `fair use'!]
Oder in der (Kurz-)Definition von Jessica Litman, aus ihrem Buch "Digital
Copyright" (2001), p. 199:
<<FAIR USE. Fair use is a long-standing legal privilege to make unauthorized
use of a copyrighted work for a good reason. Claims of fair use are evaluated
by courts on a case-by-case basis. There is no hard and fast rule setting
forth how much of a work may be used - despite popular perceptions, there has
never been a magic number of words one may quote or notes one may copy.>>
Summa summarum:
(1) Fair use umfaßt also viel mehr, als das Recht auf die Privatkopie.
Letzteres ist nicht in allen Urheberrechts-/Copyright-Gesetzen vorgesehen.
(2) Kontinentale Urheberrechtssysteme (droit d'auteur) kennen fixe Regeln für
Schrankenbestimmungen. Alle darüber hinausgehende Nutzung ist als
Urheberrechtsverletzung einzustufen.
(3) Anglo-amerikanisch orientierte Copyright-Systeme kennen `fair use' als
Fallrecht, d.h. die Ausnahmetatbestände w[u|e]rden von den Gerichten
festgelegt.
Wenn man der Musikindustrie Glauben schenken will, war Fair Use
nur solange ein Ausnahmetatbestand, solange es technisch nicht
m?glich war, das zu verhindern.
Das ist definitiv falsch und Propaganda der Musikindustrie.
Stimmt, ist alles Propaganda.
[Siehe dazu auch das Buch von Jessica Litman, worin sie diesem Mythos auf den
Grund geht.]
Im Grunde genommen ist es genau anders herum: Die Tatsache, daß es technische
Kopierschutzmaßnahmen etc. gibt, schafft die Schrankenbestimmungen, d.h. das
Recht auf `fair use' nicht ab. Das könnte nur durch entsprechende
Gesetzesbestimmungen erfolgen. Die Lobbies arbeiten heftig daran ...
Das habe ich neulich irgendwo
gelesen und leider nicht zur Hand, weil vergessen, wo. Hm. Ich
wei? nicht genau, ob Fair Use ?berhaupt und wenn, dann in
welchem konkreten Ausmass, wirklich einklagbar w?re. Wei? das
hier jemand?
Ja ;-)
[BTW: There is Google! --> http://www.google.com]
Ist einklagbar, wurde schon eingeklagt, d.h. es gibt Präzedenzfälle in den
USA. Auch für die Auslegung der dt. Schrankenbestimmungen gibt es div.
Präzedenzfälle, die in den einschlägigen Gesetzeskommentaren aufgeführt
werden.
Z.B. finden sich unter http://www.ivanhoffman.com/fair.html ein paar
allgemeine Aussagen zu Präzedenzfällen:
<<The United States Supreme Court, deciding a matter involving the band "2
Live Crew" and their usage of the song "Pretty Woman" held that under certain
circumstances even a commercial usage may fall within the protection of the
"fair use" provisions of the statute. On the other hand, when "The Nation"
magazine quoted between 300 and 400 words from the unpublished autobiography
of former President Ford, it was held liable to Harper and Row because such
use was deemed not to be fair use. The Court found that what they had used
was an essential element of the book and the passage.>>
Für Leute, die es ganz konkret wissen wollen:
http://caselaw.lp.findlaw.com/scripts/casesearch.pl?court=US&CiRestriction=fair+use
Dort erhält man eine Liste mit Urteilen des U.S. Supreme Court mit Bezug zu
`fair use', unter anderen den oben erwähnten Fall "HARPER & ROW v. NATION
ENTERPRISES, 471 U.S. 539 (1985)": http://laws.findlaw.com/us/471/539.html
Im hier auf der Liste diskutierten Fall der vollständigen Wiedergabe eines
publizierten Zeitungs-Artikels auf einer Mailingliste, die archiviert wird
und deren Archiv im Internet zugängig ist, würde ich denken, daß das eher als
urheberrechtlich unzulässig einzustufen ist und nicht von den
Schrankenbestimmungen gedeckt wird.
Den Artikel aus dem Archiv zu nehmen, könnte die Lage etwas verbessern. Aber
selbst dann könnte es schwierig sein, etwa auf zulässige Privatkopie zu
plädieren, da die Leute sich zum großen Teil nicht kennen. Und mit anderen
Schrankenbestimmungen sieht es zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch mau aus.
Vielleicht ändert sich das in den nächsten Jahren, aber bis dahin ...
Das heißt aber nicht, daß gegen das Posting jemand vorgehen würde. Das müßten
die Rechteinhaber abwägen, kostet schließlich Aufwand.
Ich würde dasselbe allerdings nicht mit Focus-Fakten, ..., pardon,
Focus-Artikeln probieren.
Gruß, Robert
Disclaimer: Das ist keine Rechtsberatung! Dafür wenden Sie sich bitte an
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Von/From: Dipl.-Inform. Robert Gehring
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