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Re: [ox] Zur Kritik der Freien Kooperation



Hi Stefan, Benni, Ralf, Liste!

Das folgende ist nochmal sehr ausführlich - zu ausführlich vielleicht.
Vielleicht sollte ich mich mehr auf das Produktive konzentrieren.

2 days ago Stefan Meretz wrote:
Na, dann schliesse ich mich tendenziell Benni an, weil ich auch
meine, dass ihr beide den Sinn der FK nicht verstanden habt.

Na, dann ist der Sinn vielleicht so gut versteckt, daß ihn nur
Eingeweihte verstehen. Aber in der Tat habe ich mich auf das verlegt,
was da zu lesen war - nicht auf das, was ich auch hätte verstehen
können, wenn ich nur das hätte verstehen wollen, was ich sowieso schon
weiß.

Stefan Merten wrote:
Ich hatte nämlich oft das
Gefühl, daß es bei Christophs Text *sehr* darauf ankommt, wie mensch
ihn liest. Ich habe ihn kritisch gelesen und konnte dann wirklich alle
paar Zeilen auf die Kritikpunkte stoßen, die ich angeführt habe. Aber
sicher kann das mit einer anderen Voreinstellung auch anders
interpretiert werden.

Dazu habe ich in dem Text, den ich gerade in der Mache habe, folgendes
geschrieben:

"-
Wir reden über die gleiche Welt in unterschiedlichen Sprachen. Diese
Sprachen vermögen je unterschiedliche Dinge besonders und andere weniger
gut sichtbar zu machen. Sie sind potenziell transformierbar, sicherlich
in Grenzen. Hätte ich früher die Unterschiede und Defizite
hervorgehoben, um die Schärfe und Stärke meiner eigenen Sprachwelt
hervorzuheben, so kann ich heute die Gemeinsamkeiten herausholen und
dadurch ein gemeinsames Lernen einleiten. Wenigstens bei mir.

Ja, ich hatte ja von Anfang an Christoph im `cc:'. Ich wünsche mir ja
auch eine Schärfung meiner Gedanken - klappt ja auch schon hier und
da - wenn auch bisher nur in unserem eigenen Sumpf.

Mir wird
dabei klar, dass der alte, abgrenzende Modus strukturell dem Modus der
warenproduzierenden Gesellschaft entspricht, in der sich der Einzelne
stets auf Kosten anderer behauptet. Ein integrierender Modus hingegen
guckt erst einmal auf die gemeinsame Schnittmenge, Er erfordert viel
mehr Anstrengung, die Übersetzung zu leisten, weil beim Übersetzen das
eigene Gedachte in einer anderen Weise herausgefordert wird, als in der
bloße Abgrenzung. Von dortaus werden auch die Unterschiede und Defizite
wesentlich deutlicher. Das ist der Modus einer Freien Gesellschaft, in
der die Entfaltung des Anderen die Voraussetzung für meine Entfaltung ist.
-"

Volle Zustimmung. Aber in diesem Fall mußte ich erstmal so einsteigen
- schon, weil ich mich so geärgert hatte.

Ich weiß jetzt nicht, ob das für jeden Text gilt, aber ich fand manche
Stellen sehr nebulös.

Es ist eine andere Sprache, eine andere Diskurs- und Theorieform. Btw
auch nicht die Meine. Wenn ich nur feststelle: Das ist nicht so, wie ich
es haben will ("nebulös": es ist kein scharf-analytischer Text), dann
habe ich nix davon.

Na ja, so ganz beliebig ist es nicht. Es macht mir schon ein Problem,
wenn ich überhaupt nicht mehr weiß, wovon eigentlich die Rede ist. Ich
phantasiere mir an den Leerstellen nicht gerne was zusammen, sondern
benenne sie lieber als Leerstelle.

Oft wurde einfach vorausgesetzt, daß die LeserIn
schon wissen wird, was gemeint ist - halt die wohlige allgemeine
Übereinstimmung.

An vielen Stellen ja, an anderen nicht. Das ist bei
"begrifflich-analytischen" (wenn das mal so nenne) Texten aber nicht
anders. Oder bei publizistisch-polemischen Texten wie dem aktuellen Text
von Robert Kurz zu den Bahamas-Ausfällen (vgl. http://).

But there are shades of grey...

Und BTW merke ich gewöhnlich ganz gut, wenn es sich einfach nur um ein
mir unvertrautes Sprachspiel handelt. Dies hier war mir sehr
vertraut...

Besonders drastisch fand ich:

S. 47:

An die Stelle
von offener formal-rechtlicher Apartheid tritt die Privilegisierung
eines bestimmten Modells von "Arbeit" und "Arbeitenden", das sich
als "formale Arbeit" bezeichnen lässt und in dem qualifizierte,

(...)

Selbstinterpretation. Formalarbeiter finden, dass sie alle anderen
ernähren und die eigentlich produktive Arbeit leisten, von der alle
anderen leben.

Soweit also die Definition. Ich versuche mir also ein Bild von dem zu
machen, was gemeint ist. Dann lese ich weiter:

S. 48:

Obwohl diese Selbstwahrnahme, mit eigener Hände
Arbeit das zu schaffen, wovon alle anderen leben, total drollig ist,
wenn wir sie mit der realen Tätigkeit von Lehrern, Anwälten,
Zahnärzten, Steuerberatern, Politikern, Aufsichtsräten und
Werbegrafikern vergleichen, ist sie gesellschaftlich ungebrochen
dominant.

Aha. Jetzt frage ich mich sofort, welche Gruppe da jetzt aufgezählt
ist. Die der FormalarbeiterInnen oder die der von diesen
Unterdrückten. Sorry, aber solche "Definitionen" hauen nur dann hin,
wenn das Feindbild von vorneherein feststeht.

Über diese Stelle bin ich auch gestolpert - schlicht, weil ich erst
nicht kapiert habe, was er meint. Das Problem für uns
marxistisch-infizierte LeserInnen ist die "eigentlich produktive
Arbeit":

Nicht für mich. Es haut einfach nicht hin.

Der gelöschte Ausschnitt war u.a.:

S. 47:

An die Stelle von offener formalrechtlicher Apartheid tritt die
Privilegisierung eines bestimmten Modells von "Arbeit" und
"Arbeitenden", das sich als "formale Arbeit" bezeichnen lässt und in
dem qualifizierte, privilegierte Lohnarbeit und unternehmerische
Arbeit sich annähern. Formale Arbeit findet auf "Arbeitsplätzen"
statt, d.h. sie basiert auf offiziellen, rechtlich garantierten
Verträgen, ist verhältnismäßig gut bezahlt, und schließt in hohem Maße
"unternehmerische" Aspekte von Arbeit mit ein, d.h. sie verfügt
ihrerseits partiell über andere Arbeit und fordert/erlaubt stärker die
Subjektivität des Arbeitenden in der Arbeit (Motivation, Engagement,
Kreativität etc.). Es ist die Arbeit, die weder prekär, noch
illegalisiert, noch monoton, noch minderbezahlt, noch biographisch
zerstückelt ist und deren Subjekte sich von den "Zumutungen" des
sonstigen Lebens und aller anderen Formen von Arbeit weitgehend
freihalten können.

Wo bitte trifft das denn zu auf Lehrer, Anwälte, Zahnärzte,
Steuerberater, Politiker, Aufsichtsräte und Werbegrafiker? Wo ist die
Arbeit eines Lehrers unternehmerisch? Es gibt keine minderbezahlten
Werbegrafiker? Steuerberater machen keine monotone Arbeit?
Aufsichtsräte haben keine zerstückelte Biographie? Und wer davon
behauptet eigentlich, daß er - Frauen kommen bei Christoph ja nur als
Feministinnen vor - die "eigentlich produktive Arbeit" macht? Die
Kriterien und die Liste sind einfach reichlich beliebig und das war
mein Problem.

Er will hier in negativer Spiegelung die Aufmerksamkeit auf den
größeren Teil der Tätigkeiten lenken, die scheinbar "unsichtbar" sind,
sozusagen die ganzen "informalen Arbeiten" ohne die nix läuft. Trotzdem
haben die (von Christoph sog.) "formalen Arbeiter" das Sagen, sie
bestimmen den öffentlichen Diskurs, sie vertreten die jeweiligen
Kooperationen nach außen.

Anwälte und Zahnärzte sind Freiberufler. Die haben nix außer sich
selbst und wenn's hochkommt ein bißchen Praxis, das sie nach außen
vertreten könnten. Politiker sind als Außenvertretung in diesen Job
gewählt worden. Werbegrafiker vertreten nix nach außen und Lehrer
genausowenig. Aufsichtsräte vielleicht. Aber die sind ebenfalls
explizit in diesen Job gekommen.

Warum, mit welcher Begründung?

Wenn überhaupt dann aus Gründen, die dem jeweiligen Berufsbild
entsprechen. Und warum auch nicht? Was ist denn das Problem an einer
spezialisierten Außenvertretung?

Dazu finde ich ganz anschaulich die Szene des Kinderladens aus dem
Alienbuch. Rekapituliere ich mal aus dem Kopf: Da gibt es viel zu tun,
damit der Laden läuft, und viele engagieren sich. Doch irgendwann setzt
sich jemand "an die Spitze", der den Laden nach außen repräsentiert.

Moment. Hier findet eine völlig unzulässige Verquickung statt, von der
mich gelinde gesagt schon ein bißchen erstaunt, wie du da
undifferenziert drüberbretterst.

Da "setzt sich jemand an die Spitze" *und* die selbe Person
"repräsentiert den Laden nach außen". Das ist aber beileibe kein
Automatismus. Eine Außenvertretung muß nichts mit "an die Spitze
setzen" zu tun haben.

Mit
guten Gründen, Effizienz, Geld verwalten und einwerben usw. Derjenige
putzt nicht mehr, kocht nicht mehr, betreut keine Kinder mehr

Dafür machen die anderen nicht (mehr) die Arbeit, die "an der Spitze"
nun mal erledigt werden muß. So what?

- ist aber
auf einmal super wichtig.

Wieso ist er superwichtig? Wieso auf einmal?

Das ist der "Formalarbeiter", in seiner Sicht
macht er "die ganze Arbeit".

Wieso macht er die ganze Arbeit? Wer entwickelt eine solche Sicht?

Faktisch verfügt er über die anderen in der
Kooperation, und das geht auch ohne (personale) "Unterdrückung".

Wieso verfügt er über die anderen wenn er sich an die Spitze setzt
oder gar nur eine Außenvertretung macht?

Es geht
nicht um "Feindbilder", sondern um ein Sichtbarmachen bestimmter,
ziemlich unsichtbarer Praxen in (erzwungenen) Kooperationen.

Nun verrate mir doch mal, was daran unsichtbar ist. Das ist doch alles
völlig offensichtlich und ich wette, daß die meisten Menschen das auch
sehr gut ausmachen können. Sind ja nicht alle völlig bescheuert.

Die sind in
praxi auch geschlechtlich sehr eindeutig verteilt.

Ach wie ich diesen feministischen Sexismus hasse... Nein, Frauen haben
qua Frausein keine Machtbedürfnisse. Frauen sind ja sowieso immer nur
Opfer... Oh, mir wird übel :-( ...

Btw: Dieses Kriterium finde ich auch für Oekonux ziemlich wichtig, wenn
wir einen Verein gründen. Es muß klar sein, dass der Verein nur ein
Vehikel ist, um bestimmten "formalen" Anforderungen zu genügen (wg. Geld
etc.), dass darüber aber keine "Poltik" gemacht, für andere gesprochen
wird o.dgl.

Sage ich seit einem Jahr konstant genau so.

Aber über die Frage von Maintainer wäre in der Tat auch nochmal zu
sprechen. Ich finde diese ganze Machtscheiße jedenfalls so dermaßen
unangebracht - siehe letzte Mail.

Die FK formuliert letztlich "nur", was
Praxis erfolgreicher Kooperationen ist, z.B. bei Freier Software.

Stefan, jetzt mach aber mal halblang. Freie Software - jedenfalls was
ich davon verstanden habe - könnte unter den Bedingungen der Freien
Kooperationen nicht entstehen. Spielen wir's doch mal durch. Ist ja
nicht schwer, da der einzig wirklich spannende Punkt an der Freien
Kooperation der Konfliktfall und da insbesondere der "vergleichbare,
mindestens aber zumutbare Preis" ist.

Wie sieht das denn aus, wenn in einem Freien-Software-Projekt eineR
EntwicklerIn/MaintainerIn, eine bestimmte Code-Entwicklung nicht mehr
zusagt? Sie wird argumentieren, Code liefern und irgendwann wird klar
sein, was sich durchsetzt. Sollte das nicht in ihrem Interesse sein,
dann wird sie sich fügen, trollen oder in seltenen Fällen einen Fork
machen. Das finde ich auch völlig ok so.

Wie ist das jetzt unter den Bedingungen der Freien Kooperation? Sobald
die EntwicklerIn/MaintainerIn feststellt, daß etwas nicht in ihrem
Sinne läuft, wird sie aufhören zu argumentieren und Code zu liefern.
Stattdessen wird sie - ganz "frei-kooperativ" - die anderen ultimativ
auffordern, ihren Wünschen zu entsprechen, ansonsten sie gehen würde.

Angenommen, die anderen lassen sich nicht erpressen, könnte sie dann
einen "vergleichbaren/vertretbaren" Scheidungspreis verlangen. Was,
wenn Ideen, die die EntwicklerIn/MaintainerIn in dem Freien Projekt
hatte, kommerziell verwertbar sind - z.B. patentierbar. Die
EntwicklerIn/MaintainerIn wird sich natürlich dieses Stück
rausschneiden wollen. Wer entscheidet, was vergleichbar/vertretbar
ist? Und wenn die anderen nicht über den Preis verhandeln wollen, dann
hat sie das Recht Gewalt einzusetzen - z.B. indem sie die Web-Site des
Projekts hackt.

Ich glaube, ich kann hier aufhören mit ausmalen, weil wir alle die
ekelhaften Schlammschlachten kennen, die sich in solchen Fällen
darbieten. Wichtiger aber noch, als ein solch unappetitliches Ende:
Ein solches mögliches Ende strahlt natürlich in den Prozeß selbst
hinein (negativ) aus. D.h. alle werden für den Fall der Scheidung
eifersüchtig darüber wachen, wer welche Claims absteckt.

Und so soll Freie Software entstehen? Bullshit! So entsteht vielleicht
schlechte proprietäre Software, Freie auf keinen Fall.

Neu an
der Sprache ist, dass mit Mitteln der "Alltagssprache" (im Ggs. etwa zu
einer Wissenschaftssprache) Theorie formuliert wird. Eine wichtige
Differenzierung ist die Aufnahme von Alltagspraxen in die
Theorieentwicklung. Das ist geradezu klassisch umgekehrt: Sonst wird
wissenschaftlich abgeleitet und dann kommt ein Beispiel zur Illustration
(wenn es gut läuft).

Wissenschaft ohne Realitätsbezug ist keine Wissenschaft - aber das
weißt du selbst. Und die Wissenschaft, die sich mit Alltagspraxen in
Christophs Lieblingsumfeld Familie befaßt heißt Psychologie - nur so
ganz BTW.

Hier wird eine Alltagsszene genommen und dann durch
Verdichtung anhand von Kriterien (der FK) das Wichtige herausgeholt und
verallgemeinert. Das ist nicht mein Herangehen, aber ich kann es
zunächst erstmal als ein mögliches Herangehen wahrnehmen und anerkennen.

Das ist oft mein Herangehen - nur ist es hier unredlich, weil es
"unzulässige" Verdichtungen macht. Unzulässig, weil sie m.E.
erhebliche und wichtige Teile ausblenden und daher zu falschen
Abstraktionen kommen.

Dummerweise habe ich bei der Freien Kooperation halt das Gefühl, daß
das nicht nur ein Problem alter Worte ist :-( .

Dem Gefühl geh mal wach nach. Kann es vielleicht was mit deiner Lesart,
deiner Erwartungshaltung, deinen Apriori zu tun haben?

Ich habe jedenfalls versucht, möglichst unvoreingenommen an den Text
ranzugehen. Und ich finde, daß in meinem Basisbeitrag auch einiges an
Argumentation steckt, was dieses Gefühl stützt. Erstaunlich BTW wie
auf vieles meiner Kritik gar nicht eingegangen wird... Ach so, ich
hab's nur nicht verstanden...

Die zweite Strategie finde ich - vielleicht - als Popularisierung
angebracht.

Gibt es die Trennung zwischen Popularisierung und Erkenntnisschöpfung?
Ist nicht _jeder_ Versuch, eine verhandene Erkenntnis neu oder anders zu
formulieren - egal, ob populär oder unpopulär -, wiederum
erkenntnisschöpfend? Geht es dir nicht auch so, dass dir Dinge im neuen
Licht reicher erscheinen, wenn du Bekanntes nochmal neu aufbereitest?

Nicht unbedingt. Wenn ich einen Vortrag über das halte, über was wir
hier sprechen, dann bin ich mittlerweile ziemlich hinter dem aktuellen
Diskussionsstand zurück - einfach, weil wir hier schon so viel eigene
Begriffs- und Fragenbildung haben, daß es nicht geht, das in einer 3/4
Stunde einem völlig unvorbereitetem Publikum sinnvoll darzulegen. Ich
versuche also das in eine verständliche Sprache zu bringen, was ich
und andere vor einem Jahr gedacht haben. Da ist für mich dann nur noch
begrenzt neue Erkenntnis drin und die Diskussionen sind auch nicht
immer mit riesigem Erkenntnisgewinn verbunden.

Ist nicht umgekehrt _jede_ Formulierung von Erkenntnis - egal in welcher
Sprache - eine Art Selbstpopularisierung?

Puh, jetzt dehnen wir auch noch den Begriff der Popularisierung...

S. 36:

Die Theorie der freien Kooperation ist die Forderung nach einer
paradigmatischen Wende; sie ruft dazu auf, die Probleme der Praxis
in einer anderen konzeptionellen Form zu rekonstruieren. Sie ist
ebensogut eine Geschichte, eine "story", wie alle anderen auch; aber
welche "story" man verwendet, hat Konsequenzen.(33) Weil sie sich
dessen bewusst ist und nicht auf die "bessere Repräsentation der
Wirklichkeit" beruft sondern darauf, eine bestimmte "magic in the
kitchen" zu befördern, ist sie eine postmoderne Utopie.

Und das teile ich nicht und darauf trifft meine obige Kritik.

Was teilst du nicht? Das Verweisziel oben kann ich nicht finden.

Sorry, war ein bißchen schwer zu zitieren. Ich teile nicht, die
(postmoderne? Ich hatte mal verstanden, daß das gar nicht postmodern
ist...) Beliebigkeit, die Christoph da vertritt.

Es gibt viele Wurzeln dieser Utopie. In allen neueren
Befreiungsbewegungen finden wir Praxisformen und Überlegungen, die
darauf hinwirken. Oder genauer gesagt, die auf etwas hinwirken, was
in diesem Punkt - der Utopie der freien Kooperation - einander
ähnlich und vergleichbar ist. Oder noch genauer gesagt, auf etwas
hinwirken, was ihnen anhand von Utopien der freien Kooperation als
vergleichbar vorkommt und was sie als ähnlich anerkennen können. Die
Politik der Anerkennung und des Verhandelns, die im italienischen
Feminismus formuliert wurde, bewegt sich ebenso in eine solche
Richtung, wie die Ideenwelt und Praxis der Zapatisten in Chiapas.
Viele andere tun das auch.

Zunächst wäre schon mal die Frage, ob das überhaupt stimmt. <polemik>
Aber in Christophs überaus analytischem Stil werden vermutlich alle
Bewegungen, die nicht in dieses Raster passen mal kurz nicht als
Befreiungsbewegungen zugelassen... </polemik>

Es gibt aber noch ein grundsätzlicheres Problem, das sich mit dem
Perspektivenproblem kreuzt: Befreiungsbewegungen haben aufgrund ihrer
ohnächtigen Situation einen gemeinsamen Hintergrund, bilden einen
eigenen Kosmos, ein eigenes Soziotop. Da ist es einerseits nicht
unwahrscheinlich, daß sich Gemeinsamkeiten finden lassen.

Andererseits - und das ist mir eigentlich der wichtigste Punkt -
kommen solche Gemeinsamkeiten eben genau aus der gemeinsamen
Situation. Ob sie in einer anderen Situation überhaupt Sinn machen ist
ja keineswegs ohne weiteres klar. Im Gegenteil ist das ein Problem
vieler Befreiungsbewegungen oder sonstiger revolutionärer Erhebungen
gewesen, daß sie nach ihrem Sieg überhaupt keine Perspektive mehr
hatten. Die russische Revolution kannst du als das historisch
vielleicht bedeutsamste solcher Entwicklungslinien nehmen (auch wenn
es Leute gab, die in diese Richtung dachten - Bucharin z.B. -, die
aber bald kaltgestellt wurden). Nachdem dem erfolgreichen Aufstand war
kein Konzept da.

Von daher halte ich diese (angebliche) Hochrechnung aus den
Befreiungsbewegungen für höchst problematisch.

Also das ist doch super vorsichtig formuliert. Das steht doch nicht mehr
als: es gibt Praxen, denen ähnliche Ideen zugrunde liegen. Da könnte
Oekonux drin auftauchen oder Freie Software.

Sorry, aber das lese ich genau andersherum, im Text klingt es an
anderer Stelle ähnlich und Benni hat ja meine Lesart auch nochmal
bestätigt.

Dies wird gepaart mit der Auswahl von Beispielen aus dem familiären
Bereich. Das Aufmacherbeispiel möchte ich hier komplett zitieren, da
es den gesamten Text durchzieht:

S. 5:

In einer Hütte lebten drei Bären, [...]

Zu dieser Geschichte, die eine spezifische Familiensituation spiegelt,
in der es in keiner Weise um den Typ Macht und Ohnmacht geht, den wir
in gesellschaftlichen Prozessen ausmachen können, zu dieser Geschichte
nimmt Christoph nun völlig einseitig Stellung:

Tatsächlich ist es eben genau Christophs These, dass Herrschaft auf den
unteren Ebenen und auf den oberen sehr wohl etwas gemeinsames hat und
auch
etwas miteinander zu tun hat.

Ja, nur daß es eben in der geschilderten Situation nur am Rande um
Herrschaft geht. Den Umgang mit Kindern ausschließlich durch die
Herrschaftsbrille zu sehen und dann auch noch in dieser einseitigen
Weise halte ich für zutiefst unmenschlich. Kinder brauchen Grenzen -
deutlich Wahrnehmbare zumal. Und Kinder testen Grenzen - besonders in
der Trotzphase. Wenn sie ihre Grenzen nicht aufgezeigt kriegen, dann
kriegen sie irgendwann großen Ärger, weil es nun mal reale Grenzen
gibt. BTW machen sich Kinder gegenseitig Grenzen auch sehr schnell
klar - ist das dann auch Herrschaft?

Ja, ganz eindeutig. Schon die Aussage "Kinder brauchen Grenzen" ist
ein Ideologem der "demokratischen Propaganda" wie Christoph das nennen
würde.

Ja, nach Christoph ist sogar die Aussage, daß Wasser naß ist
demokratische Propaganda:

S. 51:
und auch sonst hadern wir immer ein wenig mit der Naturgesetzen,
weil sich mit denen nicht verhandeln lässt.

Sorry, aber das kann ich nicht mehr ernst nehmen.

Es reproduziert herrschende Denkformen in familialen Situationen.
Ich behaupte das jetzt einfach so ohne es zu begründen, weil ich jetzt
nicht über Kindererziehung diskutieren will. Wichtig ist hieran doch
aber: Es gibt was zu diskutieren, es gibt vorgebliche "sakrosankte
Selbstverständlichkeiten" zu hinterfragen. Genau das ist die Leitidee
der Freien Kooperation.

Ab einem bestimmten Punkt ist das die Leitidee von EsoterikerInnen...

Und ihre Stärke ist, dass sie gerade solche
Bereiche wie Familie nicht ausnimmt.

Ihre Schwäche ist, daß sie alles vereinheitlicht. Oh Reißbrett, oh
Reißbrett, wie schön klein du doch sein kannst... Und nein, Benni,
auch diese dürren Regeln können eine Utopie konstituieren - auch wenn
du dich noch so dagegen wehrst.

Wie gesagt die Herrschaftskritik (wenn auch sicherlich keine "fundamentale
Kapitalismuskritik") findet sich im Alienbuch. Das ist allerdings vom Stil
her eher noch mehr an Funk- und Fernsehen angelehnt, wird Dir also
vermutlich noch weniger behagen.

Ich hatte es kürzlich mal in der Hand und habe zwei-, dreimal
reingeblättert. Nachdem ich auf diese Weise eine Stelle gefunden
hatte, nach der die Aliens sich am Genom(!) erkennen, habe ich es
lieber schnell zur Seite gelegt - sonst könnte ich wohl überhaupt
nicht mehr mitsprechen.

Dann hast du verpasst und nicht mitbekommen, dass es sich um Bilder
handelt.

Um gefährliche Bilder. Die "Flut der Asylbewerber" ist schließlich
auch nur ein Bild gewesen...

Und um die manchmal überraschende Erkenntnis, wie sich
gesellschaftliche Konflikte in populärer Kultur widerspiegeln.

Was ist daran überraschend? Warum sollten sie da ausgespart bleiben?

Sorry, aber diese Sorte Populismus erinnert
mich wirklich *zu* sehr an die anderes Seite des politischen
Spektrums. Hat nicht mal wer gesagt, daß es linken Populismus nicht
geben kann?

Populismus trifft es nicht, denn es wird hier nicht vereinfacht (also
de-sensibilisiert), sondern anders hingeguckt (damit sensibilisiert).

Ich versuch ja es zu sehen. Vielleicht ist für mich da einfach nur die
Vereinfachungsdosis zu hoch... Vielleicht gibt es ja auch einen Text,
den der Populismusvorwurf nicht treffen könnte? Wo es wirklich mal
analytisch zur Sache geht? Ehrlich gesagt: Das bezweifele ich. Außer
heißer Luft und linken Allgemeinplätzen ist da nix.

Deregulierung bedeutet nur, dass eine etwas veraltete Herrschaftsform durch
eine zeitgemäßere (traditioneller vs. progressiver Alienismus) abgelöst
wird.

Das ist die Lesart, wenn die Feindbilder geklärt sind. Versuch doch
mal, dich in die Aliens zu versetzen und die Freie Kooperation nach
ihren Interessen zu lesen.

Das erwähnt Christoph ausdrücklich, dass das möglich ist. Auch ein
wichtiger Hinweis: _Keine_ Theorie ist davor gefeit. Wenn wir von
Selbstentfaltung reden, wird uns das doch auch um die Ohren gehauen:
Alles neoliberaler Scheiss.

Ja, ja die Generalentschuldigung, die auch Christoph so gerne
verwendet. Again: There are shades of grey.

* Daß die Verhandelnden wechselseitig aufeinander angewiesen sind.

 Denn nur dann haben sie überhaupt ein Problem damit sich aus dem
 Staub zu machen. Ist einer der Verhandelnden angewiesen und die
 andere nicht: Was sollte die Unabhängigere davon abhalten ihre Sache
 allein zu machen?

Das ist tatsächlich ein Problem. Christoph formuliert das irgendwo (weiss
jetzt nicht wo, entweder in "Gleicher als Andere" oder im Alienbuch) als
Ausnahme. Ich finde, dass das als vierte Bedingung mit in die ursprüngliche
Definition gehört.

Das sehe ich nicht so. Es ist die gleiche Frage, die wir uns stellen:
Was sollte eine/n freien Softwareentwickler/in davon abhalten,
abzuzischen und ihr proprietäres Ding durchzuziehen? - Die Antwort nach
FK: In der Koop ist es besser als nicht drin. Das gilt auch für den/die
"Unabhängigere". Ein klares Kriterium.

Das gilt nur in einer selbstentfalterischen Kooperative in dieser
Allgemeinheit. Freie Kooperation zerstört aber Selbstentfaltung und
fordert stattdessen den permanenten Deal.

S. 23:

- die überkommene Verteilung von Verfügungsgewalt, Besitz, Arbeit und
die überkommenen Regeln nicht sakrosankt sind, ihnen also kein
"höheres Recht" zukommt, sondern sie vollständig zur Disposition
stehen, d.h. von den Beteiligten der Kooperation jederzeit neu
ausgehandelt werden können;

Im Zweifelsfall sind alle Regeln "überkommen" und stehen damit
automatisch zur Disposition. De facto gibt es mit der Freien
Kooperation keine übergeordneten Regeln.

Ja, so isses. "Und das ist gut so..." (ihh, ziemlich "überkommen"...)

Das merken wir uns für später...

Um's nochmal auf den Punkt zu bringen: Wo das allgemeine Verpissen und
die absolute Regellosigkeit gepaart mit der Forderung nach im
Zweifelsfall horrenden Scheidungspreisen zum Prinzip wird, ist das
Faustrecht die logische Konsequenz.

Die FK spricht doch nicht von "Regellosigkeit". Im Gegenteil: Es geht um
Regeln, aber eben solche, die zwischen den Beteiligten vereinbart werden
und nicht sakrosankt sind.

Alle Regeln sind jederzeit aufkündbar. Das heißt de facto, daß es
keine Regeln gibt. Was nutzt denn eine Regel, die morgen außer Kraft
gesetzt sein kann?

Hey, wenn die ganze Wertscheisse weg ist, haben wir exakt das Problem am
Hals!

Ja. Und ich habe gelernt, daß es die Freie Kooperation da nur
Sprengsätze liefert. Brauche ich nicht.

Diese Problem des "gerechten, mindestens aber zumutbaren Preises"
scheint mir fundamental. Christoph hat dies wohl als Rettungsanker
eingebaut, leider ist es im Rahmen der Freien Kooperation aber nur
eine gesellschaftliche Dynamitstange. Ich habe nicht das Gefühl, daß
dieser Defekt behebbar ist - ganz davon abgesehen, daß der Begriff
"Gerechtigkeit" nochmal zu klären wäre.

Natürlich ist der zu klären. Mit anderen Worten: Auszuhandeln unter den
Bedingungen freier Kooperation.

Wie soll das gehen? Wie willst du einen Preis aushandeln wenn du dich
gerade zerstritten hast und nur noch darauf aus bist, einen möglichst
großen Teil des Kuchens mitzunehmen? Mit keinem Wort gehst du darauf
ein außer einigen allgemeinen Bedingungen.

Das ist _vorher_ zu vereinbaren.

Und Freie Kooperation funktioniert genau da nicht mehr. Du kannst den
Scheidungspreis nicht nach den Bedingungen der Freien Kooperation
aushandeln, weil die Kooperation an dieser Stelle keine Freie mehr
ist. Dann wenn's spannend wird greifen die Bedingungen nicht - toll...

Vorher....

Und hier packen wir das gemerkte wieder aus. Nein, es gibt keine
geltenden Regeln, da diese dann sakrosankt wären und solche darf es ja
nicht geben. Also gibt es auch kein "vorher".

BTW: Ich bin gespannt, wie ihr euch aus diesem Problem rauswindet...

Nicht zufällig gerät das Konzept der Freien Kooperation in die
gleichen Schwierigkeiten wie auch der Liberalismus. Christophs Freie
Kooperation ist nämlich im Kern ein liberales Modell, das allerdings
ohne ein paar Sicherungen auszukommen versucht, die selbst die
Neoliberalen noch für notwendig halten.

"Libertär" statt Liberal würde es wohl eher treffen.

Willst du mich beleidigen? Ok, die AnarchokapitalistInnen oder
Libertarians hätten vermutlich auch wenig Schwierigkeiten mit der
Freien Kooperation. Aber wirkliche AnarchistInnen dürften sich wohl
(ähnlich mir) mit Grausen wenden...

Auch das Oekonux-Gerede ist ein liberales Modell - sagt man.

Aber nur teilweise ;-) .

Wo wir gerade da sind, doch schnell zu einer positive Alternative.
Gerade bei den AnarchistInnen ist eine Konsenskultur eine wichtige
Größe. Genau das wird mit den Bedingungen der Freien Kooperation
konsequent verhindert. Das allgemeine Verpissen ist Gift für jeden
Konsensprozeß. Die allgemeine Drohung "Ihr tut was ich will, oder ich
verpisse mich und nehme meinen Anteil - um den dann zu kämpfen sein
wird - mit" zerstört die kooperative Grundlage nachhaltig, die ein
Konsensprozeß braucht. Die Möglichkeit des gegenseitigen Aufrechnens
für den Fall einer Scheidung führt logisch dazu, daß das Aufrechnen
ein permanenter Prozeß ist, führt logisch dazu, daß alle Beteiligten
darauf schielen, auch ja nicht zu wenig abzukriegen.

Das sehe ich genau umgekehrt: Nur die Kooperation, die ich ohne
Beschädigung verlassen kann, will ich erhalten.

Wer nur Interaktionen erhält, aus denen er ohne Beschädigung abhauen
kann, kann sich z.B. nicht auf eine Liebesbeziehung einlassen. Diese
Versicherungsmentalität ist m.E. die Garantie für ein totlangweiliges,
spießiges und atomisiertes Leben mit festem Blick auf den eigenen
Bauchnabel.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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