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Re: [ox] Zur Kritik der Freien Kooperation



Hi Stefan und alle, die noch folgen können (ich bald nicht mehr...),

ich glaube, ich habe ansatzweise zu ersten Mal kapiert, was dich so
stört an der FK. Bei deinen anderen Mails hatte ich immer nur ein
komisches Gefühl ("worüber regt er sich eigentlich so auf"?), aber nicht
kapiert, was los ist. Ob ich das jetzt kapiert habe, werden wir sehen
bzw. du wirst es mailen.

Ich habe zwei wesentliche Punkte herausgelesen:
1. die Verwendung von Begriffen, die dir zu beliebig ist
2. die "Machtfrage" (wo ganz viele Begriffe reinfallen)

Ich picke aus deiner letzten Mail das IMHO jeweils zugehörige raus. Ich
sortiere also ein bisschen um.

1. Begriffsbeliebigkeit

> Aber in der Tat habe ich mich auf das verlegt,
> was da zu lesen war - nicht auf das, was ich auch hätte verstehen
> können, wenn ich nur das hätte verstehen wollen, was ich sowieso schon
> weiß.

Das habe ich auch getan - offensichtlich mit einem anderen Ergebnis.
"Was da zu lesen war" spricht offensichtlich nicht für sich. Hast du ja
auch betont. Trotzdem geht's doch um die gleiche, eine Welt. Also muss
die Differenz im Verständnis irgendwie sortierbar gemacht werden können.
Darum geht's mir.

>>Es ist eine andere Sprache, eine andere Diskurs- und Theorieform. Btw
>>auch nicht die Meine. Wenn ich nur feststelle: Das ist nicht so, wie
>>ich es haben will ("nebulös": es ist kein scharf-analytischer Text),
>>dann habe ich nix davon.
>
> Na ja, so ganz beliebig ist es nicht. Es macht mir schon ein Problem,
> wenn ich überhaupt nicht mehr weiß, wovon eigentlich die Rede ist. Ich
> phantasiere mir an den Leerstellen nicht gerne was zusammen, sondern
> benenne sie lieber als Leerstelle.

Diese Leerstellenbenennung, also dessen, wovon du nicht weisst, wovon
die Rede ist, habe ich nicht gefunden. Ich habe deine Kritiken in
Erinnerung (kram...), die waren in deiner ersten Mail:
- Kritik der Begriffsbildung
- Kritik am linken Populismus
- Kritik der Perspektive
- Kritik der Zweckmäßigkeit
- Kritik "Alter Wein in neuen Schläuchen"
- Fundamentalkritik

Die gehen von einem ziemlich dezidierten Verständnis aus. Von einer
bestimmten Lesart.

> Und BTW merke ich gewöhnlich ganz gut, wenn es sich einfach nur um ein
> mir unvertrautes Sprachspiel handelt. Dies hier war mir sehr
> vertraut...

Das liest sich wie: Es bestätigten sich deine Vorurteile.

<break>
Kann es sein, dass wir von verschiedenen Seiten der gleichen Sache
annähern? Du aus der - ich nenn es mal so - Frontalkritik (auch bei
Ralf, nur ohne Annäherung?), ich eher aus einem Anschluß mit Kritik und
Benni eher aus einer Affirmation? Mir kommt es nicht darauf an, was
jetzt "besser" ist, mir ist eher daran gelegen, uns der Sache noch
weiter anzunähern. Da gibt's was zu lernen!
</break>

Ein interessantes Beispiel ist der Abschnitt über die "formale Arbeit"
(ich will jetzt nicht wieder alles quoten):

>>>An die Stelle von offener formalrechtlicher Apartheid tritt die
>>>Privilegisierung eines bestimmten Modells von "Arbeit" und
>>>"Arbeitenden", das sich als "formale Arbeit" bezeichnen lässt und in
>>>dem qualifizierte, privilegierte Lohnarbeit und unternehmerische
>>>Arbeit sich annähern. Formale Arbeit findet auf "Arbeitsplätzen"
>>>statt, d.h. sie basiert auf offiziellen, rechtlich garantierten
>>>Verträgen, ist verhältnismäßig gut bezahlt, und schließt in hohem
>>>Maße
>>>"unternehmerische" Aspekte von Arbeit mit ein, d.h. sie verfügt
>>>ihrerseits partiell über andere Arbeit und fordert/erlaubt stärker
>>>die
>>>Subjektivität des Arbeitenden in der Arbeit (Motivation, Engagement,
>>>Kreativität etc.). Es ist die Arbeit, die weder prekär, noch
>>>illegalisiert, noch monoton, noch minderbezahlt, noch biographisch
>>>zerstückelt ist und deren Subjekte sich von den "Zumutungen" des
>>>sonstigen Lebens und aller anderen Formen von Arbeit weitgehend
>>>freihalten können.
>
> Wo bitte trifft das denn zu auf Lehrer, Anwälte, Zahnärzte,
> Steuerberater, Politiker, Aufsichtsräte und Werbegrafiker? Wo ist die
> Arbeit eines Lehrers unternehmerisch? Es gibt keine minderbezahlten
> Werbegrafiker? Steuerberater machen keine monotone Arbeit?
> Aufsichtsräte haben keine zerstückelte Biographie? Und wer davon
> behauptet eigentlich, daß er - Frauen kommen bei Christoph ja nur als
> Feministinnen vor - die "eigentlich produktive Arbeit" macht? Die
> Kriterien und die Liste sind einfach reichlich beliebig und das war
> mein Problem.

Die Beispiele illustrieren eine Minderheit. Natürlich gibt es auch
minderbezahlte Werbegrafiker usw. (deine Aufzählung), aber um die geht
es hier gerade nicht. Die Prekarisierung nimmt zu, die Fragmentierung
der Berufbiographien auf. _Darum_ geht es doch: Den öffentlichen Diskurs
bestimmen großenteils (nein, nicht "nur") diese von Christoph sog.
Formalarbeiter (ich finde den Begriff aus anderen Gründen nicht
glücklich gewählt). Guck dir die Medien an, die Unterhaltungsfilme, die
politischen Talkshows, ja sog. die Doof-Talkshows, in denen Leute
vorgeführt und erniedrigt werden, weil deren Leben genau an diesem
Mainstream-Diskurs gemessen wird.

>>Er will hier in negativer Spiegelung die Aufmerksamkeit auf den
>>größeren Teil der Tätigkeiten lenken, die scheinbar "unsichtbar" sind,
>>sozusagen die ganzen "informalen Arbeiten" ohne die nix läuft. >>Trotzdem
>>haben die (von Christoph sog.) "formalen Arbeiter" das Sagen, sie
>>bestimmen den öffentlichen Diskurs, sie vertreten die jeweiligen
>>Kooperationen nach außen.
>
> Anwälte und Zahnärzte sind Freiberufler. Die haben nix außer sich
> selbst und wenn's hochkommt ein bißchen Praxis, das sie nach außen
> vertreten könnten. Politiker sind als Außenvertretung in diesen Job
> gewählt worden. Werbegrafiker vertreten nix nach außen und Lehrer
> genausowenig. Aufsichtsräte vielleicht. Aber die sind ebenfalls
> explizit in diesen Job gekommen.

Jetzt hängst du dich an dem Wort "Außenvertretung" auf, das ist nur ein
Aspekt - "sie bestimmen den öffentlichen Diskurs" lautet oben mein
anderer Halbsatz. Und Tatsache, dass Menschen bestimmte Jobs explizit
machen, sagt doch nichts. Die Fragen sind: Welchen Diskurs betreiben
sie? Wie ist ihre Selbstwahrnehmung? Besitzen sie die aufgezählten
Privilegien, die ihnen die Verfügung über und Abwertung von anderen erlaubt?

Der Sinn des Abschnitts ist, die Forderung "Herrschaftsinstrumente
abbauen" (Überschrift) zu konkretisieren, was hier eben zu der Forderung
"Entpriviligierung der formalen Arbeit" führt. Eine Koop ist keine
freie, wenn es in ihr diese Privilegien gibt, die dazu benutzt werden,
über andere zu verfügen und sie abzuwerten etc. Finde ich völlig richtig.

Sie zielt gerade auch auf die Erfahrungen in linken Bewegungen oder etwa
den NGOs. Ein Gegenbeispiel die FS - ? Wenn die Gurus sprechen, tun sie
das immer als Personen. Am ehesten findet man das vermutlich in
FS-Firmen, also wie üblich.

Wie jede Illustration ist die mit den Werbegrafikern etc. beliebig, ja.

>>Dazu finde ich ganz anschaulich die Szene des Kinderladens aus dem
>>Alienbuch. Rekapituliere ich mal aus dem Kopf: Da gibt es viel zu tun,
>>damit der Laden läuft, und viele engagieren sich. Doch irgendwann etzt
>>sich jemand "an die Spitze", der den Laden nach außen repräsentiert.
>
> Moment. Hier findet eine völlig unzulässige Verquickung statt, von der
> mich gelinde gesagt schon ein bißchen erstaunt, wie du da
> undifferenziert drüberbretterst.
>
> Da "setzt sich jemand an die Spitze" *und* die selbe Person
> "repräsentiert den Laden nach außen". Das ist aber beileibe kein
> Automatismus. Eine Außenvertretung muß nichts mit "an die Spitze
> setzen" zu tun haben.

Das habe ich auch nicht geschrieben und gemeint. Es ist eine
Illustration, ein Fall. Nix muss da zwangsläufig so sein. Aber es ist
häufig in der Praxis so.

>>Mit
>>guten Gründen, Effizienz, Geld verwalten und einwerben usw. Derjenige
>>putzt nicht mehr, kocht nicht mehr, betreut keine Kinder mehr
>
> Dafür machen die anderen nicht (mehr) die Arbeit, die "an der Spitze"
> nun mal erledigt werden muß. So what?

Ich sag ja: Es gibt gute Gründe.

>>- ist aber
>>auf einmal super wichtig.
>
> Wieso ist er superwichtig? Wieso auf einmal?

Weil er auf die Dinge Zugriff hat, die ihm eine Verfügung über andere
Leute erlauben. Das ist nicht zwangsläufig, sondern in dem Beispiel so.

>>Das ist der "Formalarbeiter", in seiner Sicht
>>macht er "die ganze Arbeit".
>
> Wieso macht er die ganze Arbeit? Wer entwickelt eine solche Sicht?

Er macht sie ja gerade nicht, die ganzen anderen Arbeiten verschwinden
nur aus der Sicht. Aus seiner Sicht und der, was von außen wahrgenommen
wird, was in die Diskurse eingeht.

>>Faktisch verfügt er über die anderen in der
>>Kooperation, und das geht auch ohne (personale) "Unterdrückung".
>
> Wieso verfügt er über die anderen wenn er sich an die Spitze setzt
> oder gar nur eine Außenvertretung macht?

Weil es um Geld geht, um Arbeitszeiten, Absicherungen, etc. Das kennst
du doch auch alles, oder?

>>Es geht
>>nicht um "Feindbilder", sondern um ein Sichtbarmachen bestimmter,
>>ziemlich unsichtbarer Praxen in (erzwungenen) Kooperationen.
>
> Nun verrate mir doch mal, was daran unsichtbar ist. Das ist doch alles
> völlig offensichtlich und ich wette, daß die meisten Menschen das auch
> sehr gut ausmachen können. Sind ja nicht alle völlig bescheuert.

Sie sind nicht bescheuert, aber in erzwungenen Kooperationen eben in
einer Zwangslage. Schon, dass die polnische Putzhilfe nur 8 Mark
bekommt, weil sie keinen gesicherten Aufenthalt bekommt, ist dann bei
vielen nicht mehr "offensichtlich".

Frigga Haug, die die Rede zur Preisverleihung hielt, hat sich da ein
bisschen peinlich berührt an die eigene Nase gefasst: Ja, auch bei ihr
gibt's diese "unsichtbare Putzhilfe", die ihr die Bedingungen schafft.

>>Die sind in
>>praxi auch geschlechtlich sehr eindeutig verteilt.
>
> Ach wie ich diesen feministischen Sexismus hasse... Nein, Frauen haben
> qua Frausein keine Machtbedürfnisse. Frauen sind ja sowieso immer nur
> Opfer... Oh, mir wird übel :-( ...

Ägypten? Ich habe doch erstmal nur gesagt, was ist.

>>Btw: Dieses Kriterium finde ich auch für Oekonux ziemlich
>>wichtig, wenn
>>wir einen Verein gründen. Es muß klar sein, dass der Verein
>>nur ein Vehikel ist, um bestimmten "formalen" Anforderungen
>>zu genügen (wg. Geld
>>etc.), dass darüber aber keine "Poltik" gemacht, für andere gesprochen
>>wird o.dgl.
>
> Sage ich seit einem Jahr konstant genau so.

Finde ich auch gut:-)

> Aber über die Frage von Maintainer wäre in der Tat auch nochmal zu
> sprechen. Ich finde diese ganze Machtscheiße jedenfalls so dermaßen
> unangebracht - siehe letzte Mail.

Die Machtscheiße der Maintainer? Ich verstehe dich nicht....

Schnitt und Fazit 1. Begriffsbeliebigkeit: Es kommt sehr auf die Lesart
an. Ich möchte auch nicht länger auf dem Abschnitt der "formalen Arbeit"
rumreiten. Interessanter, weil näher an Oekonux dran, scheint mir

2. die "Machtfrage" (mit Begriffen wie Erpressung, Konkurrenz etc.)

>>Die FK formuliert letztlich "nur", was
>>Praxis erfolgreicher Kooperationen ist, z.B. bei Freier Software.
>
> Stefan, jetzt mach aber mal halblang. Freie Software - jedenfalls was
> ich davon verstanden habe - könnte unter den Bedingungen der Freien
> Kooperationen nicht entstehen. Spielen wir's doch mal durch. Ist ja
> nicht schwer, da der einzig wirklich spannende Punkt an der Freien
> Kooperation der Konfliktfall und da insbesondere der "vergleichbare,
> mindestens aber zumutbare Preis" ist.
>
> Wie sieht das denn aus, wenn in einem Freien-Software-Projekt eineR
> EntwicklerIn/MaintainerIn, eine bestimmte Code-Entwicklung nicht mehr
> zusagt? Sie wird argumentieren, Code liefern und irgendwann wird klar
> sein, was sich durchsetzt. Sollte das nicht in ihrem Interesse sein,
> dann wird sie sich fügen, trollen oder in seltenen Fällen einen Fork
> machen. Das finde ich auch völlig ok so.

Ich auch.

> Wie ist das jetzt unter den Bedingungen der Freien Kooperation? Sobald
> die EntwicklerIn/MaintainerIn feststellt, daß etwas nicht in ihrem
> Sinne läuft, wird sie aufhören zu argumentieren und Code zu liefern.
> Stattdessen wird sie - ganz "frei-kooperativ" - die anderen ultimativ
> auffordern, ihren Wünschen zu entsprechen, ansonsten sie gehen würde.

So passiert das auch - nur nicht in der "formalen Weise" wie es jetzt
hier skizzierst. Es findet vermutlich keine "ultimative Aufforderung"
statt, aber bei allen Versuchen, durch Argumente und Codebeiträge die
Richtung zu ändern, wird für alle Beiteiligten klar werden, was die
Alternativen sind: Anpassen, Rausgehen oder Fork. Damit sind auch die
Folgen ("Preise") absehbar: Verlust guter Coder etc.

> Angenommen, die anderen lassen sich nicht erpressen,

Das scheint mir ein Knackpunkt: Wie kommst du auf "erpressen"? Es werden
bestimmte Handlungsmöglichkeiten offenbar - mit unterschiedlichen Folgen
für die beteiligten Einzelnen und die Kooperation insgesamt. Nicht mehr
und nicht weniger. Da hat keiner die Möglichkeit zur Erpressung.
Erpressung gibt es nur in der erzwungenen Kooperation, weil man da eben
nicht "so einfach" raus kann, weil da Einzelne mehr Verfügung haben,
weil die Folgen ungleich wären bei einem Scheitern und Einzelne dies als
Erpressungsmittel nutzen könnten. Wenn Erpressung stattfinden kann, dann
ist es keine FK.

> könnte sie dann
> einen "vergleichbaren/vertretbaren" Scheidungspreis verlangen. Was,
> wenn Ideen, die die EntwicklerIn/MaintainerIn in dem Freien Projekt
> hatte, kommerziell verwertbar sind - z.B. patentierbar. Die
> EntwicklerIn/MaintainerIn wird sich natürlich dieses Stück
> rausschneiden wollen. Wer entscheidet, was vergleichbar/vertretbar
> ist? Und wenn die anderen nicht über den Preis verhandeln wollen, dann
> hat sie das Recht Gewalt einzusetzen - z.B. indem sie die Web-Site des
> Projekts hackt.

Wenn Verwertung reinkommt, wird es ätzend. Das kann nichts verhindern,
und das ist auch ein Punkt, der in der FK-Theorie blind ist. Meine
Kritik. Aber nehmen wir mal ein FS-Projekt mit GPL und ohne
Verwertungsanhang. Die Folgen der Scheidung sind klar geregelt durch die
GPL: Niemand kann sich den Code exklusiv unter den Nagel reissen. Die
Folgen sind für alle mehr oder minder gleich, und zwar nicht
unerheblich, da der Projekterfolg gefährdet wird. Andere Regeln können
dazu kommen wie die Vereinbarung, dass CVS verwendet wird, Mail im
Mail-Archiv stehen etc.

> Ich glaube, ich kann hier aufhören mit ausmalen, weil wir alle die
> ekelhaften Schlammschlachten kennen, die sich in solchen Fällen
> darbieten. Wichtiger aber noch, als ein solch unappetitliches Ende:
> Ein solches mögliches Ende strahlt natürlich in den Prozeß selbst
> hinein (negativ) aus. D.h. alle werden für den Fall der Scheidung
> eifersüchtig darüber wachen, wer welche Claims absteckt.

Komisch, wieso dir als erstes die Schlammschlachten einfallen und mir
die Praxis der FS.

> Und so soll Freie Software entstehen? Bullshit! So entsteht vielleicht
> schlechte proprietäre Software, Freie auf keinen Fall.

IMHO entspricht die Praxis von FS dem, was FK formuliert. Oder
andersrum: FK ist eine bestimmte abstraktive Fassung von bestimmten
Praxen. Ob sie das allerdings wirklich gut auf den Punkt bringt, frage
ich mich auch. Deine vehemente Intervention macht mich nachdenklich.
Meine Leitfrage ist also: Wo liegen die wesentlichen Unterschiede von FS
und FK? Ich würde weiterkommen - hier in unserer Diskussion - wenn es
uns gelänge, das herauszuholen. Bin ich FK-voreingenommen? Zeige es mir.

<snip>
Jetzt habe ich einen großen Teil herausgeschnitten, weil der sich wieder
mit dem Lesart-Problem befasst
<snap>

>>>Das ist die Lesart, wenn die Feindbilder geklärt sind. Versuch doch
>>>mal, dich in die Aliens zu versetzen und die Freie Kooperation nach
>>>ihren Interessen zu lesen.
>>>
>>Das erwähnt Christoph ausdrücklich, dass das möglich ist. Auch ein
>>wichtiger Hinweis: _Keine_ Theorie ist davor gefeit. Wenn wir von
>>Selbstentfaltung reden, wird uns das doch auch um die Ohren gehauen:
>>Alles neoliberaler Scheiss.
>
> Ja, ja die Generalentschuldigung, die auch Christoph so gerne
> verwendet. Again: There are shades of grey.

Wenn ich an die "IdiotInnen des Kapitals denke" oder an Sabines Kritik,
dann kann ich nur konstatieren: Damit müssen wir uns inhaltlich
auseinandersetzen. Das gilt eben auch für die FK. Generalvorwürfe
bringen gar nichts.

Es ist nicht einfach nur eine "Entschuldigung", sondern verweisst auf
ein sehr prinzipielles Problem, das wir ernst nehmen sollten. Das
Problem nämlich, dass jede emanzipatorische Theorie zunächst auf die
Denkformen im Alten verwiesen ist. Wenn sie sich denkt, denkt sie
notwendig das Alte auch mit. Das ist ein erkenntnistheoretisches Problem
jeder Theorie, die Neues will.

Die "Keimform-Hypothese" ist eine Weise des Umgehens mit diesem
Widerspruch. Die interne Krisis-Debatte geht da eher in eine andere
Richtung: Da jedes Denken in den Fetischformen befangen ist, gibt es
keine Anschlüsse im hier und jetzt, sondern nur die Negation. Das teile
ich nicht, aber die Kritik, die aus dieser Grundhaltung erwächst, nehme
ich sehr ernst.

Gefühlsmäßig würde ich auch sagen: Der Oekonux-Diskurs ist weiter als
die FK. Aber das muss auch bitte dargelegt werden, es muss erklärt
werden, in welcher Weise einige Denkansätze (es gibt ja nicht "den
Oekonux-Ansatz") die Theorie der FK überschreiten. Darum habe ich mich
in meinem Text bemüht. Dazu anderenmails mehr.

> Alle Regeln sind jederzeit aufkündbar. Das heißt de facto, daß es
> keine Regeln gibt. Was nutzt denn eine Regel, die morgen außer Kraft
> gesetzt sein kann?

Wieso heisst das, dass es keine Regeln gibt? Es kommt doch nicht der
heilige Geist daher und setzt Regeln ausser Kraft. Sondern Regeln - so
habe ich dich übrigens hier in der Liste verstanden - sind auch als
solche explizit notwendig, weil sie den Rahmen für den sozialen Prozess
bilden.

Wenn sie für die Koop funktional sind, sind sie auch stabil - siehe FS,
siehe Oekonux. Ausser Kraft setzen, also ersetzen durch andere, ist
trotzdem jederzeit möglich. Warum nicht, wenn andere Regeln besser sind?
Bestimmen oder beeinflussen tun das doch alle - und sei es indirekt über
die immer mögliche Aufkündigung der Koop (rausgehen). ESR beschreibt
diese Dynamik sehr gut. Wie wir aus der FS wissen, heisst das nicht,
dass es nicht Arbeitsteilung oder Chefs/Maintainer gäbe. Doch auch die
(gerade die!) haben ein Interesse, die freie Koop zu erhalten. So wie du
Oekonux.

>>Hey, wenn die ganze Wertscheisse weg ist, haben wir exakt das Problem
>>am Hals!
>
> Ja. Und ich habe gelernt, daß es die Freie Kooperation da nur
> Sprengsätze liefert. Brauche ich nicht.

Sie liefern keine Sprengsätze, sondern Mittel, damit umzugehen.

> Und hier packen wir das gemerkte wieder aus. Nein, es gibt keine
> geltenden Regeln, da diese dann sakrosankt wären und solche darf es ja
> nicht geben. Also gibt es auch kein "vorher".

Sakrosankt heisst doch nur, dass es keine Regeln gibt, die nicht
hinterfragt werden können. Natürlich gibt es immer Regeln vorher. Nur
sind sie eben in-Frage-stellbar. Nochmal: Es heisst nicht, dass sie
holterdipolter abgeschafft werden können - wer sollte das tun? Gerade in
stabilen FK, in denen die Regeln funktional sind, kann das sehr schwer
sein, kann also ein umgekehrtes Problem für Einzelne entstehen: Die
meisten finden es echt gut so, ich aber nicht.

>>>Wo wir gerade da sind, doch schnell zu einer positive Alternative.
>>>Gerade bei den AnarchistInnen ist eine Konsenskultur eine wichtige
>>>Größe. Genau das wird mit den Bedingungen der Freien Kooperation
>>>konsequent verhindert. Das allgemeine Verpissen ist Gift für jeden
>>>Konsensprozeß. Die allgemeine Drohung "Ihr tut was ich will, oder ich
>>>verpisse mich und nehme meinen Anteil - um den dann zu kämpfen sein
>>>wird - mit" zerstört die kooperative Grundlage nachhaltig, die ein
>>>Konsensprozeß braucht. Die Möglichkeit des gegenseitigen Aufrechnens
>>>für den Fall einer Scheidung führt logisch dazu, daß das Aufrechnen
>>>ein permanenter Prozeß ist, führt logisch dazu, daß alle Beteiligten
>>>darauf schielen, auch ja nicht zu wenig abzukriegen.
>>>
>>Das sehe ich genau umgekehrt: Nur die Kooperation, die ich ohne
>>Beschädigung verlassen kann, will ich erhalten.
>
> Wer nur Interaktionen erhält, aus denen er ohne Beschädigung abhauen
> kann, kann sich z.B. nicht auf eine Liebesbeziehung einlassen. Diese
> Versicherungsmentalität ist m.E. die Garantie für ein totlangweiliges,
> spießiges und atomisiertes Leben mit festem Blick auf den eigenen
> Bauchnabel.

Also ich brauche die Beschädigungsdrohung echt nicht, um ein spannendes
Leben und intensive Beziehungen zu haben. Richtig daran finde ich aber:
Bloß interaktive Beziehungen, wie etwa Liebesbeziehungen, sind keine
kooperativen Beziehungen. Das habe ich auch in meinem Dschungel-Text
randständig erwähnt.

Allgemeiner gesagt: Die Frage, was eigentlich Kooperation ist, und dann
welche Art, ist in der Tat in der Theorie der FK nicht geklärt. Deswegen
habe ich ja Vorschläge zur Klärung gemacht.

Ciao,
Stefan

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