Re: [ox] Re: Kooperation und den "Keimformen" auf der Spur
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Sun, 20 May 2001 22:01:26 +0200
Hallo Listige
Stefan Meretz schrieb:
Hi Johannes, Ralf und alle,
Danke für eure ausführlichen Bemerkungen (sowas auf einer Mailingliste -
ich bin begeistert)!
Wenn ich zu dir Johannes (zu Kooperation 1) nichts schreibe, dann
deswegen, weil ich weitgehend mit dir übereinstimme. Das Beispiel mit
der Zwölftonmusik konnte ich intuitiv nachvollziehen, auch wenn (oder
weil?) ich keine Ahnung davon habe.
Johannes, der unter anderem - auch meinerseits Zustimmung - geschrieben
hatte:
- gesellschaftliche Vermittlung hat stets einen "dynamischen Kern",
einen "selbstreproduktiven Fokus", ein "Auge des Hurrikans", einen
"Attraktor" (Begriff aus der Chaostheorie) - ich weiss nicht, wie
ich das Ding nennen soll. [Nein, Benni, nicht "Hauptwiderspruch"].
- dieser "dynamische Kern" - hier und heute die Verwertung von Wert
auf stets erweiterter Stufenleiter - "schafft sich" seine
gesellschaftliche Vermittlungsformen, die "er" für seinen Erhalt
braucht (heisst immer: die Menschen reproduzieren sich in diesen
Formen und reproduzieren damit gleichzeitig die Form selbst).
- was wir brauchen, ist ein "anderer dynamischer Kern", also andere
Vermittlungsformen, in denen sich die Menschen und die Form
reproduzieren können. [btw hat das nur sekundär mit den beliebten
'Eigentumsverhältnissen' zu tun: VEB nutzt gar nix, wenn die
Vermittlungsformen die gleichen bleiben - es ist aber auch nicht
egal wie die Freie Software zeigt]
Da reibe ich mich lieber noch ein bisschen mit dir, Ralf, obwohl wir da
über lange Strecken keine großen Differenzen haben - aber am
entscheidenden Punkt dann schon.
Und Stefan zitiert, was RalfKrae aol.com u. a. schrieb:
Neben der vom Kapital dynamisierten Wertvergesellschaftung, also ökon.
Tausch
als 1., gibt es als Modi der Vergesellschaftung weiterhin (zufällige
Reihenfolge):
2. unmittelbare Kommunikation und Kooperation (das ist ja nicht nur Utopie,
sondern findet in vielen Bereichen des Zusammenlebens durchaus statt, hat
aber seine Grenzen, allgemeine und im Kapitalismus noch besondere)
3. kulturell internalisierte Normen
4. Zwang, letztlich mit Gewalt sanktioniert (wobei wenn das von einem
demokratisch noch etwas kontrollierbaren Staat ausgeht, es allemal besser
ist als von einem diktatorischen Staat oder von irgendwelchen Banden oder
Einzelpersonen).
und antwortet:
Völlige Zustimmung, und mir fallen noch mehr ein.
Hi Stefan. Da warst Du aber sehr schnell sehr großzügig, und wie die gerade
einlaufenden Fortsetzungs-mails Eures Disputes zeigen, hat Ralf die
Schwachstellen, das vermeintlich Widersprüchliche schell aufgegriffen. Ob er
deswegen schon richtig liegt, möchte ich bezweifeln. Ich hätte ihm an dieser
Stelle ein deutliches - "Nein, seh ich ganz anders" - entgegengebracht.
"Der 'dynamische Kern' - hier und heute die Verwertung von Wert" (Johannes),
mit Ralfs Worten "vom Kapital dynamisierte Wertvergesellschaftung", ist
beiliebe nicht nur, wie Ralf so nebenbei dahinsagt, "ökonomisch Tausch" und
dieser Tausch dann auch nicht, wie es weiter heißt zunächst
symmetrisch und entspricht - Fetischismus hin oder her, das ist demgegenüber
zweitrangig, aus der Perspektive der Beteiligten selbst - Bedürfnissen
beider Beteiligter, die so Eigentum und damit Zugang zu etwas bekommen,
das sie brauchen und vorher nicht hatten und dafür etwas weggeben, was sie
nicht oder nicht so nötig brauchten.
Also. Was hat es so bedeutungsvolles mit dieser beliebigen Reihenfolge von den
nicht beliebig erweiterbaren "4 Modi der Vermittlungsform" auf sich? Was soll
dieses vermeintlich wichtige Wortgeklingel denn überhaupt heißen?
Mir klingen folgende 4 modi im Ohr:
1. eine ökonomistische Verkürzung des Begreifens und Begriffs von Verwertung;
2. ein Hauch von dem fragwürdigen Basis-Überbau Konstrukts m-ler Prägung;
3. eine unkritische Hinnahme warenförmig geprägter Bedürfnisstrukturen und
4. ein schöner Gruß an und die Hoffnung auf die "Vermittlungsform"
demokratischer (kontrollierter) Staat
Natürlich gibt es diese Bereiche, die Ralf als von den Verwertungsverhältnissen
mehr unabhängige "Modi", Stefan davon dominierte aber um viele zu ergänzende,
aber auch Eigengesetzlichkeiten folgende "Aspekte" nennt, und ich mit Krisis in
Anlehnung an Marx "Sphären" nennen würde. Dabei wird die wichtigste gar nicht
erwähnt: die geschlechtsspezifische nicht wertförmige abgespaltene Sphäre, die
die Grundvoraussetzung für die Arbeit wie für das Funktionieren des ganzen
warenproduzierende Systems ist, nämlich die der eigentlichen
"Reproduktionstätigkeiten", des Bereichs des Privaten und Sinnlichen, des
Weiblichen. Ein Moment der absurden quasi "ungesellschaftlichen
Vergesellschaftung", die wie von einem "selbstreproduktiven Fokus", einer
"invisble hand", einem "automatischen Subjekt" (wie immer wir es nenen wollen)
nach Selbstzweckinteresssen, aber nicht bewußt und sinnvoll nach
gesellschaftlichen und menschlichen Bedarf und Bedürfnisssen gelenkt wird. In
der die Totalität und die Organisiserung des notwendig gesellschaftlichen
menschlichen Lebens und Überlebens in getrennte, aber dennoch von dem
wertförmigen "Auge des Hurrican" grundlegend geprägte und um ihn kreisende
Sphären, auseiandergerisseen sind.
Wie prägend dieser "dynamische Verwertungskern" ist und ihm kein Modus
entfliehen kann, auch nicht die Nr.3, bekommt Ralf doch am eigenen Leibe zu
spüren. Er ist nun wahrlich ein Kritiker dieses kapitalistischen Systems.
Aber solche "kulturell internalisierten Normen", wie die, daß das
gesellschaftliche Leben nicht anders als mittels abstrakter Arbeit, Wert, Geld,
Markt und Staat geregelt werden könne, sind so stark, daß Ralf sich einen
Antikapitalismus nur bei Beibehaltung solcher kapitalistischen Mechanismen
denken kann. Der Wert und seine Wirkung reichen offenbar weit über das rein
Ökonomische und den Tausch hinaus. Vielleicht ist erst das unser eigentliches
Problem, denn die Wert-Ökonomie bricht auch ohne unser Zutun, nicht simpel
automatisch, aber letztendlich weitgehend zusammen. Ob und wenn, was dann und
daraus wird, liegt an uns und unserer Fähigkeit, wie wir ein "wertloses" aber
sinn- und auch lustvolles gesellschaftliches Leben in produktivem Müßigang
denken und auf den Weg bringen können. Die "Keimformen" dafür sind innerhalb
der negativen kapitalistsichen Vergesellschaftung durchaus schon angelegt.
Wobei ich beim 2. Thema wäre.
Was sagen die "Erfinder" der "Keinform"-Kategorie eigentlich?
Dem Trommelfeuer von Keimform-mails konnte ich nicht mehr folgen und fand und
finde auch keine Zeit, mich konkret auf dies und jenes beziehend einzumischen.
Ich weiß nicht, ob ich mich täusche, aber soweit ich die Debatte der
Systemkritiker im Lande und hier in dieser Liste und die Veröffentlichungen von
Oekonuxigen (Stefan Mz., Anette Schlemmm), die sich näher mit den Problem von
Produktivkraftentwicklung, Keimformen etc. auch in Publikationen beschäftigen,
ist diese Begrifflichkeit, die ich für das Problem der Aufhebungsmöglichkeiten
und -bewegung eine sehr treffende und auch zentrale halte, eine ureigenste
Ausgeburt der "Krisis-Gruppe". Dieses Moment spielte ja auch in der
Auseiandersetzung um Kurz' vermeintliche Abkehr vom Aufhebungskurs in
der partisan.net Forum-Debatte "Wege aus dem Kapitalismus" eine Rolle.
Insbesondere zwei Aufsätze in den Krisis-Heften 18 und 19 beschäftigen sich,
wie ich finde, sehr gründlich, und auch alle die in den Diskussionen hier
angesprochenen Fragen und Probleme genauer beleuchtend, mit der Thematik. Dabei
wird auch berücksichtigt was Marx und in seiner Folge der Marxismus in Hinblick
auf Produktivkraftentwicklung, Geschichtsdeterminismus, Geschichtsdialektik,
Potentialen und Aufhebungsmöglichkeiten innerhalb des warenproduzierenden
Systems usw. gesagt haben oder auch nicht.
Und noch wichtiger, in den sich erganzenden Texten, wird auch ganz konkret
versucht, anhand dieser kritischen Aufnahme Marxscher Gedanken, Kriterien für
eine nicht wertorientierte sozialökonomische Reproduktion zu formulieren und
theoretisch die Frage des Herankommens an eine Aufhebung der und von
Anknüpfungsmöglichkeiten in den herrschenden Verhältnisssen anzudenken. Dabei
wurde auch in ausdrücklicher Abgrenzung zur Biologie (wie wir ja inzwischen
erfahren haben, völlig ohne Not) der Begriff der "Keimform" als
sozialökonomische Kategorie entwickelt.
Zu einen geht es um den Artikel von Norbert Trenkle in Krisis 18:
"W e l t g e s e l l s c h a f t o h n e G e l d", in dem er "einige
Überlegungen zu einer gesellschaftlichen Reproduktion jenseits von Markt und
Staat anstellt. Er kritisiert das gängige Argument, das Geld sei als Medium
gesellschaftlicher Synthesis unverzichtbar und zeigt, dass gerade unter
Bedingungen hochentwickelter Produktivkraft neue Formen direkter
Vergesellschaftung nicht nur möglich, sondern vor allem auch notwendig werden.
In diesem Zusammenhang fragt der Autor zum einen nach positiven
Anknüpfungspunkten in den Konzepten zur Dezentralisierung von Stoffkreisläufen
im Umfeld der Ökologie- und Sustainability-Debatte. Zum anderen setzt er sich
mit den obsolet gewordenen marxistischen Planungsvorstellungen auseinander,
die, weil sie sich immer schon in den Kategorien von Arbeitsmengen, Ware und
Geld bewegten, notwendigerweise autoritär-zentralistischen Charakter annehmen
mussten. Dagegen wird der Gedanke einer enthierarchisierten vernetzten Planung
gesetzt, deren Ausgangs- und Bezugspunkt konsequenterweise weder die Einzelnen
in ihrer Unmittelbarkeit als "Konsumenten" noch die Einzelbetriebe als
"unmittelbare Produzenten" sein können, sondern stattdessen kommunitär
organisierte, lokale Grundeinheiten eines dezentralisierten
Gesellschaftszusammenhangs."
Zum zweiten um den Beitrag von Robert Kurz "A n t i ö k o n o m i e u n d
A n t i p o l i t i k. Zur Reformulierung der sozialen Emanzipation nach dem
Ende des ?Marxismus'" in Krisis 19, in dem er versucht, "die Frage des
'Herankommens' an eine sozialökonomische Aufhebung der wertförmigen
Reproduktion zu entwickeln und in Beziehung zur systemimmanenten sozialen
Auseinandersetzung zu bringen. Zentraler Punkt dabei ist die Frage der
"Keimform und ihres Verhältnisses zur Politik". In Abgrenzung sowohl von
etatistischen Modellen als auch von alternativökonomischen Konzepten kleiner
Warenproduktion wird die Frage der Entkopplung bestimmter Reproduktionsbereiche
von der Warenform als solcher erörtert. Wie ist auf der Höhe der
mikroelektronischen Produktivkräfte ein Übergang zu befreiten sozialen Zonen
denkbar, in denen Momente autonomer Reproduktion ohne lokalistische Bornierung
entwickelt werden können? Wie können sich diese Ansätze mit einer
gesamtgesellschaftlichen Zielsetzung und gleichzeitig mit systemimmanenten
sozialen Abwehrkämpfen in der kapitalistischen Krise vermitteln? Die alten
Probleme des Verhältnisses von "Reform und Revolution", von Produktivkräften
und Produktionsverhältnissen, von alternativen Reproduktionsformen und
"Machtfrage" erscheinen auf der historischen Stufenleiter einer anzustrebenden
Aufhebungsbewegung gegen die Wertökonomie in neuer Gestalt, für die noch keine
Begriffe gefunden sind. Der Beitrag will keine abschließenden Antworten geben,
sondern die Problemfelder umreißen, um überhaupt Voraussetzungen für eine
weitergehende Auseinandersetzung zu schaffen."
Wie ich finde zwei Schlüsseltexte, die die Debatte um Kooperation, Keimform,
auch Planung (ja auch die muß und wird sein, da hat Ralf Recht, aber wird
sicher ganz anders ablaufen müsssen, als er sie hier andeutungsweise darstellt)
und weitere Fragen zu diesem Komplex befruchten können.
Und da sie vielleicht auch Anknüpfungfpunkt für die Weiterführung und
Vertiefung der Diskussion, und dann noch übersichtlicher und strukturierter
sein könnte, werde ich beide Texte in Kürze in OT setzen.
In diesem Sinne, Grüße eines unverbesserlichen Krisis- und traurigen Schalke-
Fans aus Dortmund
Uli
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