Message 02593 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT02187 Message: 18/23 L7 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re(2): [ox] Re: Kooperation 2



Johannes St schreibt ad Stefan Mz:

Die Voraussetzung dafür, daß es funktioniert ist allgemeine Kompetenz.
Weil
ich weis worum es geht, weil ich weis was die anderen machen, weis ich
auch,
daß sie niemals gegen mein Interesse handeln. Wir ziehen an einem Strang,
arbeiten an einem Projekt, so ist das Heute ja partitiell schon in der
Teamarbeit verwirklicht -natürlich unter insgesamt entfremdeten
Bedingungen,
aber daß eine Selbstorganisation überhaupt möglich ist, setzt voraus, daß
die Teammitglieder über die Erfordernisse des Arbeitsprozesses ungefähr
Bescheid wissen. Nun geht das innerhalb einer Automobilfabrik und
innerhalb
der freien Softwareszene, was ist aber, wenn die Automobilisten software
benötigen und die FSler Autos? Wie geht da der Austausch vonstatten; ist
es
realistisch anzunehmen, daß das Grundvertrauen von dem Du sprichst
sich auch auf die Bereiche des Nichtwissens, des Nichteinschätzenkönnens
erstrecken wird?

Ich versteh Dein Argument nicht ganz, denn Stefan zielte ja auf den Punkt 
daß die Distinktion "Produzent - Konsument" gerade durchbrochen wird,
wenn ich etwas "für mich" mache und dabei zugleich etwas *Allgemein 
Nützliches* designe. Das spannende am Prinzip der FS ist in
der Tat, daß es gerade dann geht, wenn ein gewisser Grad an Kompetenz 
unterstellt wird, aber es ist immer zugleich die Kompetenz des Anwenders 
und des Produzenten die hier zum Tragen kommt. Ohne diesen völlig
neuen Sozialtyp des "Prosumers" ist die ganze GPL-Gesellschaft nicht
denkbar, sie beruht auf ihm. Ich war übrigens eine Woche nach Dortmund
in Graz, wo Norbert Bolz und Bernd Guggenberger eine Art von 
"Advicatus dei versus advocatus diaboli" - Doppelconference gaben. 
Bolz führte dabei die verschiedenen Typen von
Internet Communities vor und eben auch die "Communities of Interest".
Also z.B. Erfahrungsaustausch über unheilbare Krankheiten wie 
Morbus Crohn.
"Durch den Erfahrungsaustausch über gemeinsame, oft existentielle
Probleme, bildet sich ein weltweites Laienwissen heraus, das sich
in der punktuellen Tiefe oft weit über das Wissen der Experten hinaus-
bewegt. Die Kunden sind oft besser informiert als die Experten....
Bei Ärzten hat sich das schon sehr stark bemerkbar gemacht, denn
bekanntlich gibt es einen Placebo-Effekt durch ärztliche Autorität" etc.

Als ich unlängst mit Markus M. telefonierte machte er grade eine Mail
von einer Benutzerin auf, die an das Oscar-Team den Vorschlag 
richtete, beim Auto die Bremslichter nicht nur hinten anzubringen (wo sie
für andere Autofahrer sichtbar sind) sondern auch vorne (wo sie 
ein Fußgänger auf den das Auto auch zufährt auch sieht). Wir waren
beide ziemlich baff über die Chance, die das Internet den Laien gibt,
in einen Open-Source Produktionsprozeß einzugreifen - jenseits 
alles Expertentums und aller gesetzlichen Aushandlungen. Nur sind das
eben keine passiven "Konsumenten", die durch die Feder der Markt-
und Meinungsforschung gekitzelt werden müssen, sondern Menschen,
die sich ihre Gedanken machen und geistig an der Produktion teilnehmen
wollen. NAtürlich wird hier das relativ homogene Feld der "Benutzer",
wie man es aus einer FS Entwicklung kennt, durch so etwas wie ein
Feld der "Stakeholder" abgelöst und die Modelle der FS sind vielleicht
nicht so leicht übertragbar. Aber dazu stecken wir ja die Köpfe zusammen.

Das war jetzt auch noch ein wenig advocatus dei....aber in diesem 
Zusammenhang will auch der advocatus diabolin etwas sagen, was 
vielleicht gar kein Widerspruch zum ersten ist.
Genau die Kompetenz und der Einblick in den Zusammenhang der 
verschiedenen Momente der gesellschaftlichen Produktion wird 
unter den derzeitigen Produktionsverhältnissen systematisch zerstört.
Die Betriebswirtschaftslehre geht einher mit einem zunehmenden
Analphabetismus bezüglich der qualitativen Zusammenhänge verschiedener
Produktionszweige.

Ich behaupte mal und weiß mich da durchaus *nicht einig* mit anderen,
daß die berühmte Fachkompetenz von Logistikern etc. zunehmend
auf rein situativen und kasuistischen "Lösungen" (schon das Wort
ist ver-räterisch!) beruht. Markus hat uns da  in DO wunderbare 
Einblicke gegeben in die Irrationalität der Automobilindustrie, in der
es schon seit langem keine modularen Chassis gibt etc.

Deswegen kann ich Dir überhaupt nicht zustimmen wenn Du schreibst:

Je unübersichtlicher die Verhältnisse werden -und das wird auch in einer
freien
Gesellschaft so sein-, umso mehr bedürfte es doch eines sehr formalen,
sehr abstrakten Mediums, daß auch diese Größen
 (sic!) 
fassen kann. Und da stehen
wir natürlich wieder vor dem gleichen Problem, wie bei dem allgemeinen
Äquivalent.

Ganz im Gegenteil! Die "Unübersichtlichkeit" der Verhältnisse ist rein
durch
die betriebswirtschaftliche Logik erzeugt! Es wäre mehr als falsch, den 
Teufel mit Beelzebub auszutreiben....

Was wir brauchen ist eine *qualitative* Ökonomik! Das bedeutet erstens
die Kenntnis der materiellen Produktionsketten und ihre Durchleuchtung
in Hinblick auf die Handlungsfreiheiten und Sachzwänge, die sie hervor-
bringen. Und zweitens eine kommunizierbare Entwurfssprache als
Basis der Modelllierungs- und Automatisierungstendenz von
Arbeit.

In der Realität erleben wir genau das Gegenteil. Jeder spielt ein 
Pokerspiel. 

"Die situative Orientierung und Kasuistik des Problemlösens
führt zu einem Verfall gesellschaftlich verfügbarer Abstrakta.
Das Subjekt wird zum bloßen Objekt im wirtschaftlichen
Spekulationskalkül des anderen, der Handlungskontext wird nur noch nach
Versuch und Irrtum kontrolliert. Die Wirtschaft gerät in einen sich ständig
verschlimmernden Strudel: wirtschaftlicher Erfolg kann nur noch durch
lokale Komplexitätsverdrängung unter diffuser Belastung des globalen
Kontextes 
vergrößert werden.d.h. die langfristige Demontage stabiler Wirtschaft
erscheint temporär als Erfolgsrezept ihrer Verhinderung.

Die Verletzung der Integrität der Handlungsfelder des Einzelnen durch das
wirtschaftliche Handeln anderer wird chronisch und kann aber nicht
rückverfolgt oder zugeordnet werden. Daraus ergibt sich ein politisches
Verantwortungsvakuum." (Ulrich Sigor)

"Alle produzieren nur noch Schrott und bitten um Verständnis" (Robert Kurz)

Den kannst Du dann aber *quantitativ* messen: immerhin steigern wir das
Sozialprodukt.


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT02187 Message: 18/23 L7 [In index]
Message 02593 [Homepage] [Navigation]