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Re: Ideologie und so (was: [ox] Presseecho der Konferenz)





Ursprüngliche Nachricht <<<<<<<<<<<<<<<<<<

Am 02.05.01, 15:35:48, schrieb Benni Baermann <benni cs.uni-frankfurt.de> 
zum Thema Ideologie und so (was: [ox] Presseecho der Konferenz):


On Wed, May 02, 2001 at 01:35:30PM [PHONE NUMBER REMOVED], Dirk Herrmann wrote:
Nun mal zu dem oben angeführten Artikel: Auch wenn einige jetzt
vielleicht denken, er wäre von mir geschrieben :-)), muss ich Euch leider
enttäuschen.

Die Meinungen, es handele sich um "niedriges Niveau" bezogen sich
vor allem auf die Kommentare zu dem Artikel, nicht auf den Artikel
selbst. Da ich mir diese Kommentare inzwischen selbst mal angegickt
habe, bin ich auch der Meinung, dass das ziemlich niedriges Niveau
ist. Aber das ist beim Heiseticker ja üblich in den Kommentaren. Es
ist schon ärgerlich wenn irgendwo in dem Artikel "PDS" drin vorkommt
und Leute dann gleich reflexartig "Bautzen" assoziieren. Sowas _ist_
niedrigstes Niveau, ich glaube darin sind wir uns ja vielleicht
sogar einig?

Darin sind wir uns wirklich einig; wenn jemand von Linux als IT-Profi 
spricht, und dann nicht mal mit RMS, das ich sogar als Nicht-ITler kenne 
nix anzufangen weiss, sollte er sich lieber gar nicht äussern.

Der Artikel selbst ist zwar nicht so, wie ich ihn geschrieben hätte
oder auch nur irgendwer, der sich näher mit der Diskussion hier
auskennt, aber das kann man ja auch nicht erwarten. Und immerhin ist
auch schlechte Werbung immer noch Werbung.

Angehörige des ultralinken Spektrums versuchen, all das von der Community
Erreichte in einen politischen Deckmantel zu verpacken und hundert Jahre
alte Ideologien versuchen rekursiv auf die heutigen Entwicklungen zu
projezieren, was für mich als Ökonom (wenn ich das mal so sagen darf),
aber auch als Mensch völlig unsinnig ist und demzufolge auch zu Recht von
der Fachpresse (dazu zähle ich u.a. das Heise-Archiv) zerrissen wird.

Ich habe nur wenig von "hundert Jahre alten Ideologien" gesehen auf
der Konferenz. Ich kann auch nicht sehen, wie es "hundert Jahre alte
Ideologie" sein soll, wenn man sich teilweise auf Marx bezieht. Die
liberalen Ökonomen - zu denen Du ja wahrscheinlich auch gehörst,
stehen schliesslich auch in einer Tradition von Adam Smith u. a.

Gegenfrage: Lässt sich die Lehre von Marx, so wie es bei einigen 
interpretiert wurde, ohne Weiteres auf die heutige Zeit übertragen ? 
Liberale Ökonomen, so wie ich mich auch selbst ansehe, betrachten so 
etwas wie Adam Smith und Taylor (wurde ja auf der Konferenz auch hin und 
wieder mal angesprochen) nur noch als integralen Bestandteil der 
Geschichte der ökonomischen Theorie, nicht mehr und nicht weniger.

Vielleicht solltest Du einfach mal Deine Scheuklappen ablegen?

Das kann durchaus sein, aber meine Scheuklappen lassen sich wenigstens 
mit einer existierenden Wissenschaft nicht nur plausibel erklären, 
sondern auch noch fundieren.

Ein solcher Ansatz bzw. eine solche Richtung führt genau dazu, dass Leute
sich übertrieben formuliert angewidert abwenden,

Das ist tatsächlich ein wichtiger Punkt. Da geht es um die
Aussenwirkung. Z.B. hätte ich nicht gedacht, wie viele negative
Reaktionen alleine die Nennung der PDS schon mit sich bringt.
Sponsoring hat halt immer seinen Preis. Wenn wir uns von IBM hätten
Sponsorn lassen hätte das wieder andere abgeschreckt. Vielleicht
sollte man drüber nachdenken die nächste Konferenz mit weniger
Sponsoring zu schaffen. Ich (und ich glaube auch die meisten
anderen) sind sicherlich bereit einen kleinen Konferenzbeitrag von
20-40DM oder so aufzubringen.

Das mit dem Unkostenbeitrag ist in jedem Fall eine zu überdenkende Idee, 
allerdings denke ich bei Sponsoren eher an Firmen wie z.B. Innominate, da 
diese der Community wesentlich näher stehen als z.B. IBM.

Meine Arbeit
beschäftigt sich nicht ohne Grund mit Möglichkeiten, mit einer an sich
kostenlosen Sache Geld zu erwirtschaften, was sicherlich für den
Grossteil der Teilnehmer ja von Natur aus schon wieder ?böse? ist, weil
der Kapitalismus als solcher ja schon ?böse? ist und demzufolge ja auch
die o.g. Unternehmen nichts weiter tun als die Arbeiterklasse
auszubeuten...

Niemand hier nennt den Kapitalismus im Ernst "böse". "Böse" können
nur Menschen sein, das ist eine moralische Kategorie. Der
Kapitalismus als kybernetische Maschiene ist aber nicht moralisch
oder unmoralisch. Nur ist das eben auch gerade das Problem.

Das Wort ist eine absichtlich überspitzte Formulierung meinerseits, der 
Kontext war jedoch auch für mich nicht zu überhören.

Vielleicht hätte man hier mal einen oder mehrere Vertreter
dieser Firmen einladen sollen; ich selbst hatte mit Innominate und
Siemens Gespräche, die wohl einige Missverständnisse hier hätten
beseitigen können.

Sicher, warum nicht. Ich fände das zwar langweilig ausser ich hätte
gerade mal Lust auf eine Art intellektuelles Sparing.

Dafür bin ich immer zu haben, nur kann es zum Teil etwas dauern, da hier 
mal wieder die Pflicht (das Diplom) ruft.

Nur als Anregung (ich hatte es schon mit einigen auf
dem Gang diskutiert) könnte man sich ja mal Gedanken darüber machen, was
zum Beispiel die Entwicklung eines 4GB-Patches für Konsequenzen für Linux
hat(-te)

Och. Ja, das wäre sicher wahnsinnig wichtig und ohne kommerzielle
Hilfe würde sowas natürlich niemals zustande kommen. Mal 'ne
Zwischenfrage: Seit wann verwendest Du Linux oder beschäftigst Dich
näher damit? Solche Meinungen haben nämlich nur meist Leute, die
durch den aktuellen (oder inzwischen nicht mehr ganz so aktuellen)
Hype auf Linux aufmerksam geworden sind. Wenn man das System von
seinen Anfängen her kennt, weiss man, dass jedes dieser Probleme nur
eine Frage der Zeit ist. Damals war ja schon das Vorhandensein von
X11F86 eine Sensation.

Da hast Du mich falsch verstanden. Genau hier erfolgt die Trennung 
zwischen Bedürfnis und Bedarf. Die Community entwickelt schnell, 
effizient und qualitativ hochwertig all jene Dinge, die aus einem 
Bedürfnis der Anwender heraus erwachsen, allerdings dürften es nur wenige 
Entwickler sein, die einen solchen Patch als Bedürfnis empfinden, da es 
wohl über den ?normalen? Anwendungsbereich etwas hinaus geht. Allerdings 
war dies die Grundvoraussetzung dafür, dass Linux auch auf 
Industrie-Rechner einsetzbar ist, sich zum Beispiel auf eine S/390 
portieren lässt. Der Community diente das nur indirekt, denn davon hatte 
diese keinen praktischen Nutzwert, allerdings konnte dadurch der weiteren 
Verbreitung von Linux u.a. auf dem _Server-Markt_ merklich Nachschub 
verliehen werden.

Zu Deiner Zwischenfrage: Seit nun mehr nur 2 Jahren, und wenn ich ehrlich 
bin, auch nicht ganz freiwillig. Um genau zu sein, hat mich mein Bruder 
(Linux-Professionel) förmlich dazu gezwungen, Linux einzusetzen, da ich 
vorher mit Win98 / NT ganz zufrieden war. Ich bin kein Programmierer und 
will auch keiner werden. Meine Kenntnisse gehen wenn überhaupt nur knapp 
über den ?normalen? User hinaus. Allerdings beschäftigte mich von Anfang 
die Frage, wie ein solches Entwicklungssystem in einer solchen 
Gesellschaft überhaupt funktionieren kann, und deswegen meine Arbeit. Ich 
bin begeistertet Anhänger des Open-Source-Modells und der von diesem 
hervorgebrachten Leistungen, aber ich habe eine nicht zu geringe 
Abneigung gegen die etwas boshaft formulierten ?geistigen 
Trittbrettfahrer? dieser Entwicklung. Der Ursprung kommt wohl immer noch 
aus dem IT-Sektor, und nicht aus der politischen Ecke; auch wenn die 
?Väter? freier Software sich zunehmend der Poltik widmeten. Der 
Linux-Hype interssierte mich recht wenig, und ich habe auch Linux bis zu 
seinen Wurzeln zurückverfolgt (damit meine ich die vielseits zitierten 
Werke von Raymond und Stallman, aber auch die Namen Stefan Merten, C.F. 
Greve, Florian Rötzer,Tim O Reilly,Frank Hecker, Volker Weber, Dr. Oliver 
Diedrich, Ulrich Wolf, Bob Young, Volker Grassmuck, Sebastian Hetze, 
Daniel Riek, Eben Moglen sowie die Halloween-Dokumente und der KBSt-Brief 
gehören genauso zu meiner Literaturliste wie Bill Gates und diverse 
andere Autoren der modernen Betriebswirtschaftslehre). Ich schreibe 
dennoch eine Arbeit zum Studium der BWL und nicht für das Fach Politik 
oder für eine Partei. Meine Aufgabe sah bzw. sehe ich darin, das 
Bindeglied zu sein zwischen dem IT-Sektrum und dem politischen Spektrum 
der Community einerseist, dem ökonomischen Spektrum andererseits. 
Allerdings kamen mir bei der Konferenz Zweifel auf, ob der Brückenschlag 
mit der politischen, ideologischen und zum Teil doch etwas phantastischen 
Sphäre überhaupt gelingen kann.

oder aber die Frage, worauf denn der Wohlstand der
Bundesrepublik Deutschland basiert.

Ehrlich gesagt ist das für mich eine völlig uninteressante Frage. Das
Überleben der Menschheit und meine konkreten Bedürfnisse und
Lebensbedingungen sind mir wichtig. Phantasiegebilde wie "die
Bundesrepublik Deutschland" interessieren mich nicht - zumindestens
nicht strategisch, höchstens taktisch.

Das sehe ich anders. Denn IMHO ist der Wohlstand, denn die 
Industrienationen dieser Erde basierend auf dem System des Kapitalismus 
aufgebaut haben, eine der wesentlichen Voraussetzungen für das Entstehen 
Freier Software. Ich habe mal versucht herauszufinden, wie viel Prozent 
der Community aus welchen Staaten der Erde heraus agiert; und obwohl mir 
dies nicht gelang, wirst Du mir sicherlich zustimmen, dass ca. 80-90 % 
aus Industrienationen stammen,und da wiederum das Vorhandensein einer 
alternativen Beschäftigung zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse eine 
essentielle Voraussetzung ist, um in ihrer _Freizeit_ sich der 
Entwicklung von OSS zu widmen. Ich sehe den Kapitalismus nicht als die 
idealste Form der Gesellschaft, aber dennoch als stabiles und 
funktionierendes System der heutigen Zeit und im Wesentlichen auch als 
existierende Rahmenbedingung,die nicht einfach wegdiskutiert oder 
vernachlässigt werden kann.

Gedanken und Anregungen zur Entwicklung
einer neuen Gesellschaft sind bei mir immer willkommen, aber nur solange
ihnen auch ein gewisser Realitätsbezug zugrunde liegt, was wohl bei
einigen nicht der Fall zu sein scheint...

Du misst "Realitätsbezug" an Deiner Vorstellung. Es gibt aber auch
andere. Das ist genau der Erfolg von Ökonux bisher immer gewesen,
dass man andere Weltanschauungen zumindestens zu verstehen sucht.
Wenn Du dazu bereit bist, bist Du hier sicher willkommen. Aber Du
kannst nicht erwarten, dass nur Deine Weltanschauung als
"realistisch" gelten darf.

Ich messe Realität am Vorhandensein durchdachter Modelle, die über eine 
blosse Idee hinausgehen. Ich messe Realität an Zahlen, Daten und Fakten, 
und nicht an verbalen Formulierungen. Da ich nun mal ehemaliger 
DDR-Bürger bin und nach wie vor auch stolz bin, ein ?Ossi? zu sein, habe 
ich mich nun doch auch ein wenig mit den dort gebotenen Alternativen 
auseinander gesetzt. Jedoch spätestens seit meinen ersten Kenntnissen aus 
der Volkswirtschaftslehre kenne ich auch grundlegende Prinzipien eines 
ökonomischen Systems, kenne sowohl die Funktionsweise als auch die 
Grenzen eines Marktmodelles und kann demzufolge auch einiges zu der 
_ökonomischen_ Sicht der marxistischen Theorie sagen, allerdings habe und 
werde ich mich mit der ideologischen Betrachtung auseinander setzten, 
auch wenn das sicherlich eine gewisse Ignoranz beinhaltet.

Aussagen und Vorschläge (es
fällt mir schwer, so was als echten Vorschlag zu werten) wie ?alle
sollten 20.000 DM im Monat verdienen, damit alle ihre Bedürfnisse
befriedigen können? (O-Ton)

Etwas naiv, zugegeben. Wir haben hier aber lange und ausführlich zum
Thema unbedingtes Grundeinkommen diskutiert. Meine Position dazu
findest Du im Archiv unter dem Titel "Anstatt einer Zusammenfassung"
oder so ähnlich. Bei Bedarf Mail ich Dir das gerne mal zu.

Das war ein O-Ton aus einem Ganggespräch. Aufgrund der zeitlichen 
Gegebenheiten war es mir nicht möglich, alle Vorträge anzuhören, es kann 
durchaus sein, dass ich da etwas verpasst habe. Wenn Du mir es zumailen 
könntest, wäre ich Dir sehr dankbar.

Ich habe hoffentlich einigen Leuten klar machen
können, wie sie mit Hilfe einfachster Grundschulmathematik ihr schönes
ideologisches Kartenhaus zum Einsturz bringen können.

Hast Du dabei auch die Grundannahmen Deiner Rechnungen offengelegt.
Du kannst es gerne mal mit mir versuchen, ich bin sicher ich
zerpflück Dir das :-) Aber das wäre dann wieder nur intellektuelles
Sparing und da haben wir beide nix von.

Es ging dabei um die Sache mit den 20000 DM und dem Bürgergeld; da der 
Staatshaushalt auch Bestandteil der Volkswirtschaftslehre ist, kann ich 
dazu auch etwas sagen, inbesondere zu dessen Möglichkeiten und Grenzen.

Das wichtige ist doch, das jedes Denken immer auf Axiomen und
Annahmen beruht, auch Deines. Bei so unterschiedlichen Positionen
wie unseren kann man also nur sinnvoll diskutieren, wenn man sich
über diese divergierenden Grundannahmen zumindestens verständigt.
Ich weiss nicht ob ich genügend Energie aufbringe für eine solche
Grundsatzdiskussion. Ich weiss auch nicht, ob die hier auf der Liste
richtig aufgehoben ist, das würde einige doch bestimmt ziemlich
nerven. Vielleicht per Mail?

Eine gute Idee, allerdings halte ich ja gerade die Liste hierfür 
hervorragend geeignet, da es hierbei um Themen geht, bei denen zum Teil 
auf beiden Seiten erhebliche Wissensdefizite vorherrschen.

Ich hoffe, ich bin nicht schon wieder einigen Leuten zu sehr auf die
Füsse getreten, und wenn doch, bitte ich um eine sachliche Argumentation
(ich trenne sachlich deutlich gegen ideoligische Phantasien ab) und werde
wie versprochen hierzu noch mal ausführlicher Stellung nehmen.

Tja, Sachlichkeit und "ideolgische Phrasen" das ist schön
dahergesagt. Nur mit unterschiedlicher Weltanschauung kommt man halt
irgendwann drauf, dass dann unterschiedliche Aufassungen sachlich
und ideologisch werden. Ich empfinde z.B. Deine Argumentationals
extrem ideologisch und alles andere als sachlich. Auf dieser Ebene
kommen wir also sicherlich nicht sehr weit.

Sorry, wenn mein kleiner Hitzkopf wieder mal gekocht hat, aber das sollte 
auch nur ein kurzes Statement werden und nicht als Einleitung der dann 
hoffentlich sachlicheren Diskussion dienen.

Bis dahin
möchte ich noch mal eine Literaturempfehlung geben, die sicher noch sehr
vielen hier leider unbekannt ist. Das Bravehack-Dokument
(www.bravehack.de) ist der Basisbaustein für meine Überlegungen gewesen
und konnte diesem nur in wenigen Punkten widersprechen. Vielleicht
sollten gerade die politisch angehauchten Mitglieder dies einmal etwas
genauer studieren, da es wohl ein ganzes Stück mehr harte Realität
beinhaltet als das Projezieren marxistischer Theorie auf die heutige
Zeit.


Ich gucks mir mal an. Wird natürlich etwas dauern bei über 100 Seiten.

Über Kommentar und Anregungen würden sowohl der Autor (Jens Sieckman) als 
auch ich sehr freuen.

btw: Stimmt es, dass Du der von der Bundeswehrhochschule warst? Nur
damit ich ein Gesicht damit verbinde.

Sieht man doch an der E-Mail-Adresse :-))

Grüße, Benni

Mit freundlichen Grüßen 


Dirk

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
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