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Re: [ox] GPL-Gesellschaft kapitalismuskompatibel?



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Hi Thomas et al!

Ich gehe nochmal auf ein paar Sachen ein, die ihr noch nicht
beantwortet habt.

7 days ago Thomas Uwe Gruettmueller wrote:
Keins der beiden Lexika sieht Wissen als Kapital an. In seiner
Anfangszeit des Kapitalismus gab es noch keinen Privatbesitz an
Wissen. Somit konnte es kein Kapital sein.

Ich glaube, daß wir uns darauf einigen können, daß Wissen genauso wie
die Natur ein Produktionsmittel ist. Was an Produktionsmitteln jetzt
in Privateigentum ist, ist eine Frage der gesellschaftlichen
Auseinandersetzung. In der industriellen Revolution war das dir
Privatisierung / Enteignung der Allmenden, heute ist das "intellectual
property". D.h. ob Wissen in Privateigentum sein kann oder nicht ist
eine gesellschaftliche Setzung wie andere solcher Setzungen auch.

Produktionsmittel sind billig geworden, daß sie
sich jeder leisten könnte. Sie nützen aber nichts. Einfache
elektromechanische Werkzeuge sind Spielkram verglichen mit modernen,
programmierbaren Werkzeugen. Diese sind für normale Menschen aber
nicht bedienbar.

Der Begriff des "normalen Menschen" ist sehr relativ. Du darfst nicht
glauben, daß ein mittelalterlicher Mensch oder ein Reisbauer im
tiefsten China etwas mit einer Bohrmaschine anfangen kann.

D.h. du unterschlägst hier einfach den gesellschaftlichen
Bildungsstand, der sich aber grundsätzlich durchaus auch auf
komplexere Produktionsmittel beziehen könnte - und in einer
GPL-Gesellschaft vermutlich wird müssen.

Vorgefertigte Programme können aber nicht verwendet
werden, da sie nicht frei zur Verfügung stehen.

Na ganz so einfach ist es nicht. Selbst vor Videorecorden stehen ja
viele hilflos. Da fehlt einfach die technische Grundbildung.

On Son, 21 Mai 2000 Stefan Merten wrote:
17 days ago Thomas Uwe Gruettmueller wrote:
Bedeutung
hingegen gewinnen die Produktionsabläufe. Und die sind in jeder Firma
geheim. Dies behindert die Konkurrenz unter den Firmen.

Falsch. Das (Betriebs)geheimnis *ermöglicht* gerade erst die
Konkurrenz zwischen den Firmen.

Bertelsmann Universallexikon:
- - - 8< - - -
* Konkurrenz* [...] 3. wirtschaft: der Wettbewerb von Anbietern und
Nachfragern. Das wesen der K. besteht in dem Wechselspiel von Aktion
und Reaktion (dynam. Marktprozesse); so ist jeder Anbieter bestrebt,
mittels marktstrateg. Maßnahmen (Preise, Werbung,
Produktverbesserungen, neue Produkte) die Nachfrage stärker an sich
zu ziehen (vorstoßender Wettbewerb), u. bewirkt dadurch entspr.
Gegenmaßnahmen der Konkurrenten (imitatorischer Wettbewerb). Dieser
dauernde Zwang zur Leistungssteigerung kommt den Nachfragern in Form
von größeren Auswahlmöglichkeiten, Preissenkungen,
Qualitätsverbesserungen u. a. zugute. [...]
- - - >8 - - -

Das, was das Betriebsgeheimnis, das Patentrecht und das Urheberrecht
ermöglichen, ist lediglich ein zeitlich ausgedehnter
Wettbewerbsvorteil.

Dieser Wettbewerbsvorteil ist genau das, was im Lexikon als
"vorstoßender Wettbewerb" bezeichnet wird.

Dies ist aber noch lange keine Konkurrenz, da die
Konkurrenten nicht nachziehen können. 

Können sie natürlich und tun sie auch. Wenn das nicht so wäre, sähen
wir uns heute einer Reihe von Monopolen gegenüber. Wie sie das tun -
dafür gibt es verschiedenste Wege.

Hinzu kommt,
daß inzwischen ein neuer Industriezweig (Informationssektor)
entstanden ist, der gar kein enstzunehmendes materielles Produkt mehr
herstellt, sondern davon lebt, Informationen zu verleihen(!).

Falsch. M$ verleiht seine Software nicht, sondern verkauft sie. Na ja,

Unter "Software (ver)kaufen" stell ich mir eher vor, wie M$ PCTOOLS
oder Stacker gekauft hat. 

Ähm, das halte ich aber für eine recht abstruse Definition...

Dies ist aber nicht der Normalfall. An Endkunden (z.B. Fabriken
materieller Güter) werden Datenträger verkauft, die die Software
enthalten, nicht aber die Software selbst.

Und wenn die Software per Internet geliefert wird? Thomas, da
verrennst du dich.

Man erhält zwar eine
Lizenz, die einem eine gewisse beschränkte Nutzung zubilligt, aber
die Software geht nicht ins Eigentum über.

Aber natürlich geht sie ins Eigentum über. Ich kann sie nämlich
weiterverkaufen - im Gegensatz zu meiner Mietwohnung, die ich in der
Tat nur "geliehen" habe.

fliegt dabei, falls irgendwie möglich, aus dem
Produktionsprozess.

Das was wir beobachten, ja. Im speziellen Fall von Gnu/Linux dürfte es
mittelfristig vor allem die ProgrammiererInnen bei M$ treffen.

Ich dachte eigentlich eher an richtige Arbeit.

Was ist denn jetzt bitte "richtige Arbeit"? Die Kategorie hatten wir
noch nicht ;-) ...

Dadurch wird er frei, nicht länger sklavisch die
Arbeit einer Maschine tun zu müssen

Richtig. In diesem Punkt wird er freier.

Was du mal dezent verschweigst, ist, daß die Ex-Sklavin eben auch kein
Geld mehr kriegt - im Kapitalismus immer noch die Grundlage für die
eigene Reproduktion. Zumindest wird es weniger und jedeR sollte
wissen, daß Arbeitslosigkeit heute oft das Absinken in Armut zur Folge
hat.

Der Preiskrieg geht so lange, bis _alle_ Arbeiter entlassen sind.
Dann kostet aber auch alles fast nichts. Das Problem ist die
Übergangszeit.

Falsch. Das Problem ist der Endzustand. Ich mag aber den Zusammenhang
zwischen dem Funktionieren der Verwertung von Arbeitskraft und der
Existenz des Kapitalismus an sich nicht mehr erklären. Dazu gibt es
viele gute Krisis-Texte.

Eventuell kann man das mit einem staatlich
aufgezwungenen Geldumverteilungsmechanismus von den Arbeitern auf die
Arbeitslosen lösen.

Das wird ja (z.B.) von der PDS als Grundeinkommensmodell diskutiert
und gefordert. Das Problem daran ist, daß es immanent bleibt und damit
bestenfalls ein Pflästerchen sein könnte...

Dies wäre dann auch ein guter Anreiz, freiwillig
weniger (abstrakt) zu arbeiten.

...allerdings könnte es zum Übergang in die GPL-Gesellschaft beitragen
und von daher ist es vielleicht doch in unserem Interesse. Keine
Ahnung...

und die Produktion Freier Software.

Auch das steht den wenigsten zur Verfügung. *ABER* das wäre ein
wichtiges Etappenziel, daß Arbeitslose sich für solche Freien
Tätigkeiten einsetzen.

Ich sehe da ein Problem drin. Dies könnten einige Arschgeigen
dahingehend auffassen, daß da jemand eine Möglichkeit hat, jede Menge
Geld zu machen, stattdessen aber der Allgemeinheit auf der Tasche
liegt.

Damit das der genannte Personenkreis sagen kann, müßten diese Freien
Tätigkeiten aber konkurrenzfähig sein - was die allermeisten
Tätigkeiten ohne den massiven Einsatz modernster Produktionsmittel
eben nicht sind. Auf dieser Basis funktionieren ja die ganzen
wirtschaftsnahen ABMs.

Viel Marx habe ich gar nicht gelesen ;-) .

Wo hast du dann diese schlimmen Ausdrücke her?

Jahrelange schlechte Gesellschaft ;-) .

Das hört sich alles sehr nach realsozialistischer Mottenkiste an.

Ja, so ist das auch gemeint, nämlich was bei der Planung der
Übergangsphase zu einer nachkapitalistischen Gesellschaft falsch
gemacht wurde.

Momentan planen wir ja in keinster Weise. Soweit sind wir noch lange
nicht. Momentan denken wir über frühe Keimformen nach und ob die
tragfähig sein könnten.

Den Übergang wirklich zu organisieren, da würde ich auch ganz andere
Akteure in der Pflicht sehen - die Frei Tätigen dann vielleicht.

der IBM-PC. Es ist doch
unglaublich, daß diese Krücke so einen durchschlagenden Erfolg
hat...

Das offene Konzept, das eigentlich mehr eine Dummheit seitens IBM war,
hat hier dazu beigetragen. Noch ein schlagendes Beispiel übrigens, wie
Offenheit den Fortschritt beflügelt.

Worin genau besteht eigentlich deiner Meinung nach der Unterschied
zwischen dem Endergebnis der "GPL- Gesellschaft" und dem Kommunismus?
Außer natürlich in der Beizeichnung.

Keine Ahnung - ist mir auch wurscht ;-) .

Gut, auf alle Fälle sind beides nachkapitalistische
Gesellschaftsformen. Die Übergangsphase, das sollte man nochmal
festhalten, sollte aber diesmal besser durchdacht werden.

Und ein Unterschied fällt mir jetzt selbst ein:

Wenn einer nach oberflächlicher Betrachtung feststellt, da hätte
sich jemand nur eine lustige neue Bezeichnung für "Kommunismus"
ausgedacht und sich weiter denkt: "Da gabs doch etwas, womit man das
ganze aushebeln kann. Ähm, was war das noch? Ach ja, daß alle Leute
freiwillig morgens fröhlich ans Fließband springen, das klappt doch
niemals!" -- der irrt. Eine derartige Forderung ist in unseren
Überlegungen bisher niemals aufgetaucht (wobei ich nicht genau weiß,
ob das im Kommunismus überhaupt wirklich so geplant ist). Daß alle
Leute etwas Nützliches tun sollen, wurde nie behauptet, stattdessen,
daß sie das tun sollen, was ihnen Spaß macht, was unter Umständen
nützlich sein kann. Das tolle ist an den bisherigen Überlegungen,
selbst wenn die Leute in der Mehrheit nichts besseres zu tun haben,
als den ganzen Tag Achterbahn zu fahren, bis sie kotzen müssen,
funktioniert die GPL-Gesellschaft trotzdem.

Das finde ich eine so wichtige Unterscheidung, daß ich sie hier
nochmal in Gänze zitiere :-) . Der tiefere, inhaltliche Grund, warum
ich keine roten Fahnen im Logo haben will - danke, jetzt weiß ich's
;-) .


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan

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