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Re: [ox] GPL-Gesellschaft kapitalismuskompatibel? (was: Re: Wortwahl)



On Son, 21 Mai 2000 Stefan Merten wrote:
-----BEGIN PGP SIGNED MESSAGE-----

Hi Thomas und alle!

Daraus könnten übrigens glatt Glossar-Einträge werden :-) .

17 days ago Thomas Uwe Gruettmueller wrote:
1. Antikapitalismus

1.1. Ist Wissenshorterei wirklich noch "Kapitalismus"? 

Dieser Begriff bezieht sich afaik auf materielle Produktion von
Massenartikeln.

Falsch. Kapitalismus ist gekennzeichnet durch die Verwertung von
Arbeitskraft - d.h. die Umsetzung von Arbeitskraft in Tauschwert. 

Sicher? 

Bertelsmann Universallexikon, Gütersloh, 1990:
- - - 8< - - -
*Kapital* [...] 3. Volkswirtschaftslehre: ein Vorrat an Geld
(Geld-K.) u. produzierten Gütern (Real-K.), der weder direkt
verbraucht noch gehortet, sondern zum Einschlagen von ergiebigeren
Produktionswegen verwendet wird (produzierte Produktionsmittel,
Produktiv-K.; z.B. Maschinen, Werkstätten, Verkehrs- u.
Transportmittel). [...]

*Kapitalismus*, seit Mitte des 19. Jh. schlagwortartige Bez. für eine
bestimmte Wirtschafts- u. Sozialordnung: Kennzeichen des K. ist die
Verwendung von Produktionsmitteln (Maschinen u. ä.), die nicht dem
Arbeitnehmer gehören (im Gegensatz zum Handwerk), wodurch sich eine
Abhängigkeit der Besitzlosen von den Kapitalisten, denen die
Produktionsmittel u. fertigprodukte gehören, ergibt. Das treibende
Motiv des Wirtschaftens im K. ist das Streben nach möglichst hohem
Gewinn ("Rentabilitätsdenken"). [...] 
- - - >8 - - -

BI- Lexikon, Leipzig, 1982:
- - - 8< - - -
*Kapitalismus* [<frz]: ökonom. Gesellschaftsformation, die auf dem 
kapitalist. Eigentum an Prod.smitteln u. auf der Ausbeutung der
Lohnarbeiter beruht. [...]
- - - >8 - - -

Letzteres dürfte deiner Definition schon etwas näher kommen, aber ich
denke, daß die Ausbeutung nicht das Hauptmerkmal ist, sondern eher
der Privatbesitz an Kapital.

Keins der beiden Lexika sieht Wissen als Kapital an. In seiner
Anfangszeit des Kapitalismus gab es noch keinen Privatbesitz an
Wissen. Somit konnte es kein Kapital sein. Ich weiß nicht, in wiefern
die Einsicht, daß es heute Privatbesitz an Wissen gibt, bereits in
die entsprechenden Theorien Einzug gehalten hat. 

Antikapitalistisch ist Freie Software nur in Bezug auf den
Privatbesitz an Wissen, und auch nur dann, wenn Wissen zum "Kapital"
gezählt wird. 

Die materielle Produktion gerät aber mit zunehmender
Rationalisierung immer weiter in die Bedeutungslosigkeit.

Na ja, als Substrat bleiben sie natürlich wichtig.

Stimmt. Ich meinte nicht die Produktion, sondern die
Produktionsmittel. Produktionsmittel sind billig geworden, daß sie
sich jeder leisten könnte. Sie nützen aber nichts. Einfache
elektromechanische Werkzeuge sind Spielkram verglichen mit modernen,
programmierbaren Werkzeugen. Diese sind für normale Menschen aber
nicht bedienbar. Vorgefertigte Programme können aber nicht verwendet
werden, da sie nicht frei zur Verfügung stehen. Dies ist die
Machtbasis im heutigen Wirtschaftssystem, der Privatbesitz an Wissen,
nicht mehr der an Produktionsmitteln.



Bedeutung
hingegen gewinnen die Produktionsabläufe. Und die sind in jeder Firma
geheim. Dies behindert die Konkurrenz unter den Firmen.

Falsch. Das (Betriebs)geheimnis *ermöglicht* gerade erst die
Konkurrenz zwischen den Firmen.

Bertelsmann Universallexikon:
- - - 8< - - -
* Konkurrenz* [...] 3. wirtschaft: der Wettbewerb von Anbietern und
Nachfragern. Das wesen der K. besteht in dem Wechselspiel von Aktion
und Reaktion (dynam. Marktprozesse); so ist jeder Anbieter bestrebt,
mittels marktstrateg. Maßnahmen (Preise, Werbung,
Produktverbesserungen, neue Produkte) die Nachfrage stärker an sich
zu ziehen (vorstoßender Wettbewerb), u. bewirkt dadurch entspr.
Gegenmaßnahmen der Konkurrenten (imitatorischer Wettbewerb). Dieser
dauernde Zwang zur Leistungssteigerung kommt den Nachfragern in Form
von größeren Auswahlmöglichkeiten, Preissenkungen,
Qualitätsverbesserungen u. a. zugute. [...]
- - - >8 - - -

Das, was das Betriebsgeheimnis, das Patentrecht und das Urheberrecht
ermöglichen, ist lediglich ein zeitlich ausgedehnter
Wettbewerbsvorteil. Dies ist aber noch lange keine Konkurrenz, da die
Konkurrenten nicht nachziehen können. 

Hinzu kommt,
daß inzwischen ein neuer Industriezweig (Informationssektor)
entstanden ist, der gar kein enstzunehmendes materielles Produkt mehr
herstellt, sondern davon lebt, Informationen zu verleihen(!).

Falsch. M$ verleiht seine Software nicht, sondern verkauft sie. Na ja,

Unter "Software (ver)kaufen" stell ich mir eher vor, wie M$ PCTOOLS
oder Stacker gekauft hat. 

Dies ist aber nicht der Normalfall. An Endkunden (z.B. Fabriken
materieller Güter) werden Datenträger verkauft, die die Software
enthalten, nicht aber die Software selbst. Man erhält zwar eine
Lizenz, die einem eine gewisse beschränkte Nutzung zubilligt, aber
die Software geht nicht ins Eigentum über. Dies nenne ich
"verleihen". (Um Verwirrung zu vermeiden, ich meine damit keine
zeitliche Einschränkung. M$ ist in der Lage genug Exemplare
herzustellen, um jedes einzelne als "ständige Leihgabe" abzugeben.)

Dieser
neue Sektor dominiert heute so wie im Kapitalismus der verarbeitende
und davor der rohstoffgewinnende.

Er wird wichtiger. Daß er dominiert würde ich heute noch nicht sagen.

Sicher? Geht es denn noch ohne?
 
Der größte Kostenfaktor
"Mensch" (in einer sozialen Marktwirtschaft hat er das gefällist zu
sein)

Wieso hat er das zu sein?

Es darf nicht sein, daß ein Mensch billiger als eine Maschine
arbeitet. Dafür haben gefälligst die Gewerkschaften zu sorgen.

fliegt dabei, falls irgendwie möglich, aus dem
Produktionsprozess.

Das was wir beobachten, ja. Im speziellen Fall von Gnu/Linux dürfte es
mittelfristig vor allem die ProgrammiererInnen bei M$ treffen.

Ich dachte eigentlich eher an richtige Arbeit.

Das Beispiel paßt nicht.

Dadurch wird er frei, nicht länger sklavisch die
Arbeit einer Maschine tun zu müssen

Richtig. In diesem Punkt wird er freier.

Was du mal dezent verschweigst, ist, daß die Ex-Sklavin eben auch kein
Geld mehr kriegt - im Kapitalismus immer noch die Grundlage für die
eigene Reproduktion. Zumindest wird es weniger und jedeR sollte
wissen, daß Arbeitslosigkeit heute oft das Absinken in Armut zur Folge
hat.

Der Preiskrieg geht so lange, bis _alle_ Arbeiter entlassen sind.
Dann kostet aber auch alles fast nichts. Das Problem ist die
Übergangszeit. Eventuell kann man das mit einem staatlich
aufgezwungenen Geldumverteilungsmechanismus von den Arbeitern auf die
Arbeitslosen lösen. Dies wäre dann auch ein guter Anreiz, freiwillig
weniger (abstrakt) zu arbeiten.

und die Produktion Freier Software.

Auch das steht den wenigsten zur Verfügung. *ABER* das wäre ein
wichtiges Etappenziel, daß Arbeitslose sich für solche Freien
Tätigkeiten einsetzen.

Ich sehe da ein Problem drin. Dies könnten einige Arschgeigen
dahingehend auffassen, daß da jemand eine Möglichkeit hat, jede Menge
Geld zu machen, stattdessen aber der Allgemeinheit auf der Tasche
liegt. Daß aber im anderen Fall der Chef der Softwarefirma viel
schlimmer die Allgemeinheit ausnimmt, sieht dann keiner.
     
Was ist daran
"antikapitalistisch"?

Erst mal gar nichts. Bisher geht es ja auch nur um die Bewegungen
innerhalb des Kapitalismus. Lediglich die eben aufgezeigte
Überwindungsperspektive wäre antikapitalistisch.

Nein. Es wird ja nicht sein Verschwinden gefordert. Es wird
festgestellt, daß er sich selbst total entstellen wird. Wenn der
Besitzer einer von tausenden gleichartigen Fabriken als letzten
Schritt sein eigenes Gehalt einspart und von seiner Jugendrente leben
muß, ist damit zwar das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht
abgeschafft; dies ist aber auch egal, da es dann keine Machtbasis
mehr darstellt.

2. "Sozialismus"

Sozialismus ist afaik (verbessere mich bitte, du hast sicher mehr
Marx gelesen als ich) eine Vorstufe des Kommunismus.

Viel Marx habe ich gar nicht gelesen ;-) .

Wo hast du dann diese schlimmen Ausdrücke her?

[...]
Das hört sich alles sehr nach realsozialistischer Mottenkiste an.

Ja, so ist das auch gemeint, nämlich was bei der Planung der
Übergangsphase zu einer nachkapitalistischen Gesellschaft falsch
gemacht wurde.


Ich persönlich halte den Weg, das von Natur aus freie Gut Wissen

Es gibt kein "von Natur aus" - na fast nicht. Wissen kannst du[...]
Insofern ist Wissen nicht rasend viel freier als materielle Güter,

so
weit es geht und vor allem auf legalem Wege der Allgemeinheit
verfügbar zu machen,

Das würde ich eben auch auf materielle Güter ausdehnen wollen! Das ist
ja genau der Witz an der GPL-Gesellschaft. Wie gesagt: Die Übertragung
der Kopierbarkeit, zumindest aber der Einfachheit (d.h. wenig
menschliche Arbeitskraft notwendig) des Kopiervorgangs in die
materielle Produktion, das wär's.

Die Einfachheit des Kopiervorgangs ist schon vielerorts da. Und dort,
wo sie noch nicht da ist, kann Konkurrenz sie schnell einführen.

Das Problem des Kopiervorgangs ist nur, daß dieser bei
Hardwareexemplaren meist ebenso verboten ist, wie bei Software.
Allerdings gibt es Ausnahmen: z.B. der IBM-PC. Es ist doch
unglaublich, daß diese Krücke so einen durchschlagenden Erfolg
hat...

um so durch Konkurrenz (im zu rekonstruierenden
Kapitalismus in Form einer sich stets vergrössernden sozialen
Marktwirtschaft) die Automatisierung voranzutreiben.

Mit Rekonstruieren meine ich: zu dem Punkt zurückkehren, an dem
sämtliches Produktionswissen ein freies Gut war.

Der Kapitalismus kann sich nur rekonstruieren, wenn er es schafft
seine Grundlage zu rekonstruieren. D.h. er müßte sich wieder in die
Lage versetzen, den Prozeß der Verwertung von Arbeitskraft wieder
flüssig in die Gänge zu kriegen. Nach Lage der Dinge ist das momentan
nur durch einen großen Krieg zwischen den Metropolen Nordamerika,
Europa und Japan zu haben - was alle verfügbaren höchsten Wesen
verhindern mögen...

Häää? Was?
 
Ich gehe davon
aus, daß man, genauso wie es derzeit möglich ist, daß das Volk durch
Fernsehen und Zeitung verblödet wird, es nach dem bevorstehenden
Wegfall der Unterhaltungsindustrie, die ja genau diesen Zweck
verfolgt,

Falsch. Die Unterhaltungsindustrie verfolgt - wie jedes andere
kapitalistische Unternehmen auch - die Profitmaximierung.

OK. sie verfolgt diesen Zweck nicht, sondern tut es nur einfach so.
 
möglich sein wird, das Volk durch diese Medien für eine
Aktive Mitgestaltung von Wissenschaft und Technik, Kunst und Kultur zu
begeistern,

So wie du das sagst, wären die Medien dann als Teil der Gramsci'schen
Zivilgesellschaft zu sehen. Die Zivilgesellschaft steht bei ihm
zwischen den Menschen und dem Staat (und wohl auch der Wirtschaft?)
und hat z.B. die Aufgabe die Staatsideologie in die Köpfe der Leute zu
transportieren.

Join us now and share the software... :o)
AMEN
 
Ja, das wäre schon der Hit, wenn RTL Freie Software öffentlich
anpreisen würde. Der Container mit Hackern, denen du dann beim
Programmieren zuschauen kannst, bräuchten sie ja nicht mal zu bauen -
Hackerbunker gibt es schließlich genug ;-) .

Erstens: Das gibts schon (die Listen zu den Freien Projekten)

Zweitens: RTL gibts dann nicht mehr. 

Drittens: Der jetzige Blödelcontainer soll den Leuten einreden, wie
toll und lustig es ist, den ganzen Tag überwacht zu werden.

Andererseits gibt es da ja noch die Geschichte von dem Profi-
Geschichtsfälscher Smith, der als kleiner Junge mal seiner Schwester
ein Stück Schokolade weggefressen hat und sich nun einredet, sie damit
getötet zu haben, und deshalb Angst vor Überwachungskameras hat, weil
er weiß, daß, wenn jemand merkt, daß er nicht normal ist, er im
Folterkeller landet. Dort landet er schließlich wirklich noch,
nämlich als er seinem Abteilungsleiter erzählt, daß er Kindern Säure
ins Gesicht kippen will, um so die Welt zu retten.

Also, wer die Fernsehsendung Big Brother toll findet, sollte auch
das dazugehörige Buch von Gerge Orwell gelesen haben.

           
woraufhin die Probleme der Welt von der Abenteuerlust
der > > Menschen erschlagen werden.

Genau.

Worin genau besteht eigentlich deiner Meinung nach der Unterschied
zwischen dem Endergebnis der "GPL- Gesellschaft" und dem Kommunismus?
Außer natürlich in der Beizeichnung.

Keine Ahnung - ist mir auch wurscht ;-) .

Gut, auf alle Fälle sind beides nachkapitalistische
Gesellschaftsformen. Die Übergangsphase, das sollte man nochmal
festhalten, sollte aber diesmal besser durchdacht werden.

Und ein Unterschied fällt mir jetzt selbst ein:

Wenn einer nach oberflächlicher Betrachtung feststellt, da hätte
sich jemand nur eine lustige neue Bezeichnung für "Kommunismus"
ausgedacht und sich weiter denkt: "Da gabs doch etwas, womit man das
ganze aushebeln kann. Ähm, was war das noch? Ach ja, daß alle Leute
freiwillig morgens fröhlich ans Fließband springen, das klappt doch
niemals!" -- der irrt. Eine derartige Forderung ist in unseren
Überlegungen bisher niemals aufgetaucht (wobei ich nicht genau weiß,
ob das im Kommunismus überhaupt wirklich so geplant ist). Daß alle
Leute etwas Nützliches tun sollen, wurde nie behauptet, stattdessen,
daß sie das tun sollen, was ihnen Spaß macht, was unter Umständen
nützlich sein kann. Das tolle ist an den bisherigen Überlegungen,
selbst wenn die Leute in der Mehrheit nichts besseres zu tun haben,
als den ganzen Tag Achterbahn zu fahren, bis sie kotzen müssen,
funktioniert die GPL-Gesellschaft trotzdem.

Tschüß,
Thomas

 }:o{#

----------------------
http://www.oekonux.de/



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