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[ox] Re: Vorhersagen ueber GPL-Gesellschaft



Hi Henrik und alle!

Spannend!

5 days ago Henrik Motakef wrote:
Klassisch würde ich sagen: Die Herrschaft über Menschen muß durch die
Verwaltung von Sachen abgelöst werden - das ist sicher ein erheblicher
Unterschied und wenn wir das Lustprinzip als Basis betrachten, dann
ist es mit der Herrschaft jedenfalls nicht mehr weit her :-) .

Marx hat Proudhon (und anderen) vorgeworfen, sie würden die Verwirklichung
der aus der einfachen (kapitalistischen) Zirkulation entspringenden Ideale
von Freiheit, Gleichheit etc. für die Überwindung des Kapitalismus halten.

Hmm... Wenn ich diese Bemerkung zu Ende denke, dann kommt dabei raus,
daß die moralischen Konzepte Freiheit und Gleichheit nichts weiter
sind, als die in den Bereich der Moral transformierten Notwendigkeiten
des Kapitalismus. Ok.

Dem würde ich zwar weitgehend zustimmen, aber einwenden, daß wir, als
europäische Menschen im Jahr 2000, nun mal diese Werte in gewisser
Form in unseren Köpfen haben. Da uns also - zunächst zumindest - kein
anderes Wertesystem zur Verfügung steht, würde ich doch meinen, daß
wir, die wir dieses Wertesystem ok finden, uns eine Region bauen
dürfen, in der dieses Wertesystem stattfindet. ...aber das ist jetzt
sehr abgehoben und eine echte Spezialdiskussion...

Einwenden würde ich, daß es sich bei den kapitalistischen Werten eben
auch um ganz spezifische handelt. Freiheit meint z.B. vor allem
Bindungslosigkeit - m.E. ein Freiheitsbegriff der nicht geht und der
unmenschlich ist. Menschen können nicht ohne Bindungen leben.

Ebenso ist es mit der Gleichheit, die im Kapitalismus vor allem als
formale verstanden wird. Das würde ich mindestens in den Begriff der
Chancengleichheit verstanden wissen wollen und daneben auch insgesamt
meine Zweifel an der Forderung nach Gleichheit haben. Menschen sind
nicht gleich und sie gleich zu behandeln bedeutet oft sie massiv
ungerecht zu behandeln. Bei Kindern wird das vielleicht noch
deutlicher als bei Erwachsenen.

In der Freien Software ist Freiheit auch nicht die Bindungslosigkeit.
Im Gegenteil sind die Einzelnen zwar - die entsprechenden Fähigkeiten
vorausgesetzt - frei, sich einem Projekt zuzuordnen, aber darin sind
sie wohl kaum bindungslos. Und gleich sind die Menschen dort schon gar
nicht - alleine wegen unterschiedlicher Fähigkeiten.

Analog könnte man Stefan (und Engels, aus dessen "Anti-Dühring" das Zitat
stammt) vorwerfen, die Überwindung des Kapitalismus wäre für sie die
Verwirklichung der kapitalistischen Fetischismen, die die Verhältnisse der
Menschen als solche von Dingen - und als Dinge selbst, z.B. Kapital und
Geld - erscheinen lassen...

Nee, nee, da liegst du zumindest bei mir völlig daneben. Mit der
Verwaltung von Sachen meinte ich, daß - ich sag' mal: - der
Stoffwechsel mit der Natur irgendwie organisiert werden muß. Für mich
wäre das aber - gerade unter den Prämissen einer reichen Gesellschaft
- ein sekundärer Sektor analog der Landwirtschaft heute. Wichtig und
primär wäre eben die Selbstentfaltung der Menschen. Punkt.

Der Witz an der These der GPL-Gesellschaft ist ja, daß diese
Selbstentfaltung der Menschen den Stoffwechsel mit der Natur quasi
nebenbei miterledigt.

Zum Thema:
Man kann die "nachkapitalistische Gesellschaft" negativ bestimmen, indem
man hervorhebt, wie sie (hoffentlich...) _nicht_ ist. Sie sollte einen
Vergesellschaftungsmodus aufweisen, der die Produkte nicht als privat
produzierte nachträglich über den Wert vergesellschaftet, sondern in dem
schon die Produktion direkt gesellschaftlich ist.

Da ließen sich sicher noch mehr Kriterien finden - geschenkt.

Zu definieren wäre hier noch, was denn eine direkt gesellschaftliche
Produktion überhaupt ist. Produktion von Gebrauchgütern nach dem
irgendwie ermittelten Bedarf?

Völlig unklar ist aber, was das heissen könnte:

Genau! Und ich bin der festen Überzeugung, daß sich das auch niemensch
- außer in den allerabstraktesten Formen - am Grünen Tisch ausdenken
kann, sondern daß die Keimformen sich in der Realität finden müssen.
Und ich (und andere) glauben halt, bei der Freien Software auf
Keimformen gestoßen zu sein, die vielversprechender sind als alles,
was ich seit über zehn Jahren und bis heute so höre.

Was ist den "die
Gesellschaft",

Eine Frage, die sich nicht endgültig beantworten läßt. Gesellschaft
stellt sich ja gerade erst durch die Vermittlung der Individuen
untereinander her und wenn du an entscheidenden Schrauben dieser
Vermittlung drehst, dann kannst du (heute) nicht mehr sagen, was
Gesellschaft dann (zukünftig) ist. Die Leute, die dann leben, werden
das aber können, so wie wir es heute auch können.

wie soll die etwas planen.

Jetzt machst du aber massivste Annahmen. Warum sollte die denn etwas
planen? Freie Software wird ja auch nicht geplant - jedenfalls nicht
in gesellschaftlichem Maßstab.

Das finde ich auch irgendwie spannend an diesem Phänomen, daß sich
Gesellschaftlichkeit - d.h. hier z.B. breit nutzbare Güter - ohne
deren explizite Organisation herstellt. Wie im Kapitalismus übrigens
allerdings nicht auf abstrakter Arbeit und deren Verwertung beruhend
sondern auf der Selbstentfaltung von Menschen - was können wir mehr
wollen? Ehrlich gesagt verbinde ich mit dieser Automatik auch
erhebliche Hoffnungen - auch wenn ich denke, daß die Bewußtheit über
das eigene Handeln dazu kommen muß.

Klar ist heute nicht abshebar, wie tragfähig dieses Konzept bzgl.
Verallgemeinerungen ist, aber ich würde momentan zumindest einfach
nochmal da genauer hinschauen wollen und erst mal sagen, daß wir uns
die dort entstehenden Prinzipien zum Vorbild nehmen sollten.

Sicher soll diese
gesellscahftliche Planung keine _staatliche_ sein, andererseits ist auch
z.B. eine Basisdemokratische, wie man sie in anschluss an den Habermasschen
"herrschaftsfreien Diskurs" sich ausdenken könnte, nicht möglich, schon
allein aus pragmatischen Gründen (so ein herrschaftsfreier Diskurs dauert.
Im Zweifelsfall sind die Leute verhungert, bevor sie ausdiskutiert haben ;-)).

Ich denke, daß du da viel zu sehr in den politischen Konzepten des
Kapitalismus hängen bleibst. Da muß nach meinem Gefühl was ganz
anderes her. Vielleicht der "rough consensus"?

Die einzige "Utopie", die ich in dieser Liste bisher gehört habe, ist von
Stefan Mz. in einer seiner letzten Mails gekommen und basiert darauf, dass
die Leute produzieren, weil sie es "cool" finden. Nun ist das, was die
Leute cool finden zwar sicherlich gesellschaftlich bedingt (man lese dazu
nur mal Bourdieu), aber andererseits kaum _bewußt_.

Es ist ja eben schon die Frage, inwieweit Bewußtheit da wirklich
notwendig ist. Um gute Dinge zu tun, brauche ich in der Freien
Software nicht bei jedem Tastendruck über dessen gesellschaftliche
Wirkungen nachzudenken.

Das ein gewisser Grad an - ich sag' mal: - überindividueller Steuerung
des Stoffwechsels mit der Natur nötig sein wird, darüber gibt es wohl
keinen Streit. Für mich wäre aber die Frage, wieviel das noch sein
muß. Momentan denke ich lieber in Richtung Null als in die andere -
muß ja auch mal exploriert werden.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


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http://www.oekonux.de/



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