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Re: [ox-de] Situationen statt Personen



Hallo Stefan,

ich nehme mal eine bewusst einseitige Position ein, um deutlich zu
machen, dass viele deiner so eindeutig vorgetragenen Antworten mit ihrem
Gegenteil schwanger gehen. Vielleicht sollten wir doch mal diesen Ansatz
aus [Holloway-04] ernster nehmen.

Stefan Meretz wrote:
... auf Kosten Anderer durchsetzen ... Es findet genauso statt, wenn
du jemanden verdrängst, zum Beispiel bei einer "erfolgreichen"
Bewerbung um einen Platz zum Verkauf deiner Arbeitskraft. 

Das stellt aber auch die Effektivität der gesellschaftlich verausgabten
Arbeitskraft her. Es macht am Schluss der, der aus einem
gesellschaftlichen Raisonnement heraus (wie falsch dir das auch
erscheinen mag), das (angeblich) effektiver kann.

Diese allgemeine Struktur ist die der Selbstverwertung: Zur
erfolgreichen eigenen Verwertung, musst du Konkurrenzverwerter
erfolgreich verdrängen - egal in welcher gesellschaftlichen
Position.

Nur insofern du NUR den abstrakten Wert als Maß aller Dinge zur Kenntnis
nimmst. Mein Dach würde ich nicht unbedingt von einem Straßenbauer
decken lassen, auch wenn er mir einen besseren Preis macht. Und wenn du
Pech hast - Wolf hatte es und berichtete in Hütten davon - dann findest
du gar keinen Dachdecker, der das poplige Dach deiner Hütte zu decken
bereit ist. Du kriegst nicht mal ein Angebot, geschweige denn
konkurrierende.

Also nochmal: Selbstverwertung ist _keine_ personale Eigenschaft, 
sondern die gesellschaftliche Struktur legt dir solche Optionen nahe, 
deren Ergreifen andere Menschen beschädigen. 

Da jedes Tun inhärent con-current ist, sich dabei Interessen- und
Gestaltungsfelder überlappen, ist ein solches "Beschädigen" auch einer
SelbstENTFALTUNG in deinem Sinne immanent. Ich hoffe, ich konnte dir
diesen Gedanken an deinem eigenen Agieren in Hütten in Bezug auf meine
Person erläutern (bitte - ich meine das in keiner Weise persönlich; ich
mag nur nicht immer so abstrakt rumschwätzen).

Gleichwohl ist es deine Entscheidung, diese zu nutzen oder nicht. Das
ist keine leichte Entscheidung, denn schließlich hängt davon deine
Reproduktion ab.

In der Tat, aber nach meinem Verständnis auch in einer Freien
Gesellschaft. Siehe oben.

Genau darin liegt die Perversion der Verwertungslogik: Du musst dich 
freiwillig zu etwas entscheiden, was anderen schadet, um deine Teilhabe 
an der Gesellschaft und damit Existenzsicherung zu erhalten. Trotz 
dieser Zwangslage ist und bleibt es deine Entscheidung.

Was man deutlich entschärfen könnte, wenn man sich zu diesen Fragen
verständigt. Übrigens auch schon in DIESER Gesellschaft. Dass man so
allerdings nicht alle Konflikte und damit "Kollateralschäden" vom Tisch
bekommt, halte ich für unvermeidlich. Auch in einer Freien Gesellschaft.
(pubertäre Form eben)

Je meine Gründe "geschehen" mir also nicht, sondern ich "stelle sie 
her". Es ist ein aktiver Prozess, kein passiver. 

Und vor allem ist es kein VORAUSSETZUNGSLOSER Prozess. Verweis auf den
Aufsatz von F.O.Wolf.

Da es kein Determinationverhältnis gibt, bestimmen weder "die 
Verhältnisse", noch "die individuellen Eigenschaften", sondern es gibt 
Bedingungen (äußere wie innere), zu denen ich mich stets verhalte, 
indem ich begründet entscheide. Diese Entscheidungen finden auch nicht 
erst statt, wenn es darum geht, etwas zu tun (was dann "Verhalten" 
genannt wird), sondern als Mikroentscheidungen permanent: beim Denken, 
beim Fühlen, beim Wahrnehmen, beim Handeln.

Neben den (äußeren) Bedingungen sind es immer auch die (inneren)
Erfahrungen und Erinnerungen (in einem weiten Sinne wie bei FOW), die
hier eingehen. Und - du wirfst m.E. mit den "Mikroentscheidungen"
Entscheidungsebenen in einen Topf, die besser analytisch getrennt
werden. Jedenfalls kann ich hier die (für mich ganz zentrale) Kantsche
Unterscheidung zwischen Raisonnieren und Tun nicht mehr sehen.

Genauso wie eine statistische Angabe über Menschengruppen nichts über 
den einzelnen Menschen aussagt, gibt es "Eigenschaften" (etwa als 
biografisch gemittelte äußere Zuschreibungen) nicht. So etwas trotzdem 
zu tun, hat eher den Zweck, Menschen zu separieren, um dann damit 
Maßnahmen gegen diese Menschen zu rechtfertigen. Das geschieht 
allerdings im öffentlichen Diskurs permanent.

"Das geschieht allerdings im öffentlichen Diskurs permanent." Dann wäre
ich schon mal extrem vorsichtig, so was als "gibt es ... nicht" zu
charakterisieren.

Viele Grüße, HGG

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
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