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[ox-de] Re: [ox] "Kapitalismus als pubertäre Form"



Am Samstag, 15. Juli 2006 20:53 schrieb Stefan Seefeld:

Jobst Quis wrote:
Wenn du von freier Gesellschaft redest, meinst du damit vermutlich eine
Gesellschaft, in der alle Menschen frei sind. Du solltest dir aber
darüber im Klaren sein, daß nicht jeder, der auch diesen Begriff benutzt,
dasselbe damit meint. Ich hab mich lange gewundert, warum sich
ausgerechnet die reaktionärsten Bundesländer Freistaat nennen. Bis mir in
direkter Auseinandersetzung mit einem dieser Freistaaten die Erkenntnis
kam, daß Freistaat ja nur heißt, daß der Staat frei ist, daß er sich jede
Menge Freiheiten gegenüber den Menschen in seinem Gebiet herausnimmt.
Ein Grund für mich, die "Freiheit von der Gesellschaft" gegenüber der
"Freien Gesellschaft" zu bevorzugen.

Ist Gesellschaft f"ur Dich ein Synonym f"ur Staat ? Mir ist nicht klar, wie
sich eine Gesellschaft 'Freiheiten gegen"uber den Menschen' herausnimmt.
Ein Staat hingegen schon.

Gruss,
		Stefan

Gesellschaft ist für mich nicht dasselbe wie Staat, aber etwas ähnliches. Der 
Staat ist ein formeller kollektiver Machtapparat, die Gesellschaft ein 
informeller. Den Staat sehe ich als eine Einrichtung der Gesellschaft für 
bestimmte formale Aufgaben, wodurch sich die Machtausübung besser 
legitimieren läßt.

Informelle kollektive Machtausübung ist zum Beispiel Mobbing und da sind 
durchaus unterschiedliche "Freiheitsgrade" gegenüber dem Gemobten möglich. 
Nicht jedes Mobbing ist gesellschaftlich, aber jede gesellschaftliche 
Machtausübung ist mobbingähnlich.

Im Gegensatz zu dir und Stefan Meretz halte ich nicht jedes menschliches 
Miteinander für Gesellschaft. Jeder Mensch braucht andere Menschen, aber 
nicht jeder braucht Gesellschaft.
Gesellschaft ist eine Art von Kultur, aber nicht jede Kultur ist Gesellschaft.

Zum Wesen von Gesellschaft gehört ein Anspruch auf Allgemeingültigkeit ihrer 
Feststellungen und Regeln. Und dadurch auch ein Anspruch auf Macht, um diesen 
Anspruch auf Allgemeingültigkeit auch gegenüber denen durchzusetzen, die ihn 
nicht anerkennen.

Gesellschaft wird von Menschen gebraucht, die an Macht gewöhnt sind. Um sich 
ihr zu unterwerfen und sich führen zu lassen, um sich sagen zu lassen, was 
sie tun, lassen, wollen, denken und fühlen sollen. Oder  um sich an der Macht 
über andere zu beteiligen, um mitzubestimmen, was alle tun, lassen, wollen, 
denken und fühlen sollten. Doch in den meisten Fällen ist es beides zugleich, 
das eine als Kompensation für das andere.

Gesellschaft wird nicht von Menschen gebraucht, die sich genug Eigensinn 
bewahrt oder wiedererlangt haben. Die also über einen eigenen Sinn, eine 
eigene Sichtweise auf die Welt und eine innere Motivation für ihr Tun und 
Lassen verfügen, so daß sie die gesellschaftliche Macht eher als Störfaktor 
empfinden. Andere Menschen brauchen sie natürlich auch, aber eben vorwiegend 
als persönliche Beziehungen und nicht als unpersönliche und normierte 
Geselligkeit.

Gruss, Jobst
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