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Re: Was ist Kompetenz? / Re: [ox] Empirie vs. Dogmen



Hi Jac,


Jac (2006-05-30 04:25 [PHONE NUMBER REMOVED]):

Du beantwortest meine Nachfrage zum Verhältnis von Kompetenz und
Macht mit folgenden Bestimmungen (und mit beiden habe ich aber ein
Problem):

Das meint Kompetenz: Kompetenz, einen Song zu komponieren,
Kompetenz, ein natura- listisches Bild einer Landschaft zu
malen, Kompetenz, ein Auto zu reparieren, Kompetenz, sein
Empfinden abstrakt in einem Bild oder einer Skulptur
auszudrücken, Kompetenz, eine Jagd strategisch zu leiten,
Kompetenz, gut zu kochen, Kompetenz, mit anderen friedlich
umzugehen, Kompetenz, ein Schiff über den Ozean zu lenken etc.

...

Nein. Macht ist definiert als das Bestreben einzelner oder
vieler, andere zu etwas zu zwingen, was diese zu tun oder zu
unterlas- sen ablehnen.

Zuerst zur Macht: Diese Bestimmung ist mir zu einseitig: sie
berücksichtigt ausschließlich die Verwendung des Wortes Macht in
einer rein politischen Betrachtungsweise.  Wenn ich aber
politische Verhältnisse nicht als losgelöst von anderen
Zusammenhängen betrachten möchte / kann, dann fangen die anderen
Bedeutungen von Macht an, eine Rolle zu spielen, auch in meinem
Verständnis der politischen Macht.

Das Vermögen, andere zu etwas zu zwingen, ist dann für mich nur
eine Facette.  Dieses Vermögen kommt sicherlich nicht nur von
irgendwelchen individuellen oder kollektiven Bestrebungen! Oder
siehst Du das wirklich so? Daß schon das pure _Bestreben_,
jemanden zu etwas zu zwingen, schon Macht sein soll, ist mir
gänzlich unverständlich.  Wenn aber das Vermögen eines einzelnen
oder vieler ihre Macht begründet, dann muß man doch fragen, woher
dieses Vermögen kommt.  Du wirst ja sicher nicht Bestreiten, daß
eine 'Quelle' von Macht in der 'anderen' Bedeutung des Wortes
Vermögen schon benannt ist: Reichtum.  Aber da gibt es bestimmt
noch mehr.

Zum Wort Kompetenz, fällt auf, daß die Bedeutung, die wir hier
erörtern, laut Hinweis der Wikipedia, ziemlich jung ist, und daß
damit vor gar nicht allzu langer Zeit fast ausschließlich
'Zuständigkeit' gemeint war.  In dieser Bedeutung liegt einer
enger Zusammenhang zwischen Kompetenz und Vermögen und also Macht
relativ nahe:  die Kompetenz etwas zu entscheiden / durchzusetzen
liegt zweckmäßigerweise bei dem, der das am besten zu entscheiden
/ durchzusetzen vermag, der die Macht dazu hat.  Ist dem nicht so,
so würde ich von einer Scheinkompetenz sprechen, hinter der die
wahren Zusammenhänge verborgen werden.  Was nützt mir schon eine
Kompetenz (Zuständigkeit), die ich nicht wahrnehmen kann?

Daher scheint es nahezuliegen, 'Kompetenz' mehr im Zusammenhang zu
sehen mit dem "Können (psychologisch)" oder mit dem Vermögen, etwas
zu entscheiden oder zu tun:

| Zunehmend rücken jedoch Qualitäten der Person in den
| Vordergrund des Verständnisses: "Auf dem Gebiet ist sie
| sehr kompetent!"
|     
| Der Kompetenzbegriff gewinnt in verschiedenen Disziplinen
| zunehmend an Bedeutung. So wird etwa in der Pädagogik seit
| Ende des 20. Jahrhunderts statt von Qualifikation
| verstärkt von Kompetenz gesprochen. Der
| Qualifikationsbegriff war problematisch geworden, weil er
| die Passung von situativen Anforderungen (etwa einer
| Tätigkeit) einerseits und den personalen Voraussetzungen
| zu deren Bewältigung in einen (zu) engen Zusammenhang
| bringen wollte.  Kompetenzen sind weniger eng auf
| Anforderungen von Berufen oder Tätigkeiten bezogen,
| sondern sind allgemeine Dispositionen von Menschen zur
| Bewältigung bestimmter lebensweltlicher Anforderungen bzw.
| die menschliche Fähigkeit zur Teilhabe an
| gesellschaftlicher Kommunikation (s. etwa auch der bereits
| in den 1980er Jahren etablierte Begriff der kommunikativen
| Kompetenz von Habermas).

	[ http://de.wikipedia.org/wiki/Kompetenz ]

Und aus dem Zusammenhang, den ich sowohl zwischen der Macht und
dem Vermögen als auch zwischen der Kompetenz und dem Vermögen
sehe, wird vielleicht klar, warum für mich auch Macht und
Kompetenz im Zusammenhang stehen und nur im Zusammenhang zu
verstehen sind.

Die Macht, die sich in meinem Augen aus der Kompetenz ergibt,
nenne ich jetzt mal positive Macht.  Denn Kompetenz allein reicht
in vielerlei Konstellationen nicht aus, für das,
was Du hier beschreibst:

Einem glänzenden Strategen ordnet man sich für die Dauer eines 
Kriegszuges unter, einem ehrfahrenen Kapitän vertraut man, 
heil einen Fluß hinab oder über einen Ozean zu kommen, doch 
deren Weisungsbefugnis ist auf die Situation bzw. die zu bewäl-
tigende Aufgabe begrenzt. Außerhalb der Situation bzw. der zu
bewältigenden Aufgabe besitzt weder der kompetente Stratege
noch der Schiffskapitän irgend eine Weisungsbefugnis.

Je mehr Erfahrungen mit der Kompetenz einer Person vorlie-
gen, um so weniger braucht diese ihre Entscheidungen bei
anderen Menschen durchsetzen. Angesichts der Gefahr einer
Kollision mit einem Eisberg wird sich kaum einer der Anwei-
sung eines Kapitän widersetzen, das Steuer herumzuwerfen
und dem Eisberg auszuweichen.

Denn Du gehst davon aus, das die Kompetenz, der man sich
freiwillig unterordnet, unumstritten ist und von allen Beteiligten
erkannt und anerkannt wird.  Das ist aber in realen Zusammenhängen
oft eine Illusion aufgrund von widerstreitenden Interessen oder
auch einfach aufgrund mangelnder eigener Kompetenz bei denen, die
sich hier einer fremden Kompetenz anvertrauen sollen.

Mit anderen Worten: zur Wahrnehmung der (vorhandenen) Kompetenz
auf der einen Seite ist entweder die Einsicht und daher die
dafür erforderliche Kompetenz auf der anderen Seite nötig, oder
eben Macht im negativen Sinne:  wenn jemand nicht einsieht, daß es
besser ist, einem Eisberg auszuweichen, oder daß das nur geht,
wenn man sich auf einen Kurs einigt oder einem erfahrenen Kapitän
das Steuer überläßt, dann muß man sich halt kraft Wassersuppe
gegen diesen durchsetzen.

Damit wäre nicht nur Kompetenz die Voraussetzung für positive
Macht, sondern auch Inkompetenz die Ursache der Notwendigkeit von
negativer Macht (zumindest im idealisierten Fall ohne
Interessenkonflikte).  Und diese negative Macht wäre dann so eine
Art realpolitischer Inkompetenzkompensationskompetenz (siehe
eigentlich:
http://de.wikipedia.org/wiki/Inkompetenzkompensationskompetenz).

Daß die Sache mit der Kompetenz noch ein bischen komplizierter
wird, wenn widerstreitende gesellschaftliche Interessen
berücksichtigt werden müssen, ist wohl von selbst klar.
Interessant ist aber in diesem Zusammenhang, welche Kompetenzen
(abgesehen von materielleren Voraussetzungen), nötig sind, um auch
solcherlei Interessenkonflikte entweder zu vermeiden oder ohne
negative Macht regulieren zu können.  (Und, natürlich, welches die
Voraussetzungen dafür sind, daß sich solcherlei Kompetenzen
allgemein herausbilden...)


Grüße,
El Casi.
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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