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Re: Was ist Kompetenz? / Re: [ox] Empirie vs. Dogmen



Hi, El Casi!

Am Montag, 29. Mai 2006 21:36 schrieb El Casi:
Hi Jacob!

Jac (2006-05-25 04:31 +0200):
Am Donnerstag, 25. Mai 2006 00:51 schrieb Christoph Reuss:
Nein, es ist eine andere Macht (andere Machtstrukturen, -mittel
und Entscheidungskriterien).  Man kann es auf den Nenner
"Kompetenz..." bringen.  

Wirkliche Kompetenz hat es nicht nötig, Macht anzuwenden. Wo
Macht benötigt wird, fehlt es an Kompetenz.

Was ist Kompetenz? Bedeutet die Fähigkeit, einer Situation
gewachsen zu sein, ihr nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein,
Kompetenz? 

Das meint Kompetenz:
Kompetenz, einen Song zu komponieren, Kompetenz, ein natura-
listisches Bild einer Landschaft zu malen, Kompetenz, ein Auto
zu reparieren, Kompetenz, sein Empfinden abstrakt in einem
Bild oder einer Skulptur auszudrücken, Kompetenz, eine Jagd
strategisch zu leiten, Kompetenz, gut zu kochen, Kompetenz,
mit anderen friedlich umzugehen, Kompetenz, ein Schiff über
den Ozean zu lenken etc.
 
Und wäre dann nicht Kompetenz ein Element von 
Un-Ohn-Mächtigkeit, also von Mächtigkeit, also von Macht?

Nein. Macht ist definiert als das Bestreben einzelner oder vieler,
andere zu etwas zu zwingen, was diese zu tun oder zu unterlas-
sen ablehnen.

Einem glänzenden Strategen ordnet man sich für die Dauer eines 
Kriegszuges unter, einem ehrfahrenen Kapitän vertraut man, 
heil einen Fluß hinab oder über einen Ozean zu kommen, doch 
deren Weisungsbefugnis ist auf die Situation bzw. die zu bewäl-
tigende Aufgabe begrenzt. Außerhalb der Situation bzw. der zu
bewältigenden Aufgabe besitzt weder der kompetente Stratege
noch der Schiffskapitän irgend eine Weisungsbefugnis.

Je mehr Erfahrungen mit der Kompetenz einer Person vorlie-
gen, um so weniger braucht diese ihre Entscheidungen bei
anderen Menschen durchsetzen. Angesichts der Gefahr einer
Kollision mit einem Eisberg wird sich kaum einer der Anwei-
sung eines Kapitän widersetzen, das Steuer herumzuwerfen
und dem Eisberg auszuweichen.

Wie sieht es mit dem Konflikt von Kompetenz und Inkompetenz aus?
Eine Rechtfertigung von institutionalisierten Machtstrukturen
(Herrschaftsstrukturen) ist schon immer die Inkompetenz der einen
und die Kompetenz der anderen gewesen -- kann man diese
Rechtfertigung als bloße Ideologie abtun oder spiegelt sie in
irgendeiner Weise auch Realiät wieder?

Von (revolutionärer) psychoanalytischer Seite aus liegt das 
Problem darin, daß Menschen autoritärer Gesellschaften in
der Entwicklung ihrer Persönlichkeit mehr oder weniger die
Fähigkeit einbüßen, äußere Autoritäten und ihre Befehle abzu-
lehnen. Dies ist dadurch gegeben, daß die eigene Lebendigkeit
und damit das eigene Urteil sowie das eigene Empfinden angst-
besetzt ist, durch welche man fähig wäre, die Befehle der Auto-
ritäten zurückzuweisen. Deshalb folgt man  Befehlen selbst 
dann, wenn sie dem gesunden Eigeninteresse zuwiderlaufen, 
solange sie jener äußeren Ordnung entsprechen, mit der man 
sich am Anfang der eigenen Persönlichkeitsentwicklung iden-
tifizierte.

Die Rechtfertigung der Herrschenden durch die Inkompetenz
der Unterdrückten spiegelt die Realität, solange die Unterdrück-
ten in der oben skitzierten Weise Herrschaft gewähren (müssen), 
da ihre früh autoritär verformte Persönlichkeitsentwicklung 
Bedürfnisse nach Sicherheit, Weisung, Anleitung und Hilfe durch
äußere Ordnungen und Ideologien sowie dem Reiz des Neuem
bis zum laufenden Wechsel selbst erzeugt, um sich außerhalb 
der eigenen angstbesetzten Lebendigkeit lebendig zu fühlen.
Eine mögliche Inkompetenz der Herrschenden kann nur dann
anerkannt werden, wenn die Befehle so irre erscheinen, daß
sie nicht mehr mit der verinnerlichten äußeren Ordnung der 
Dinge zu vereinbaren sind.

Gleichzeitig strebt man Macht an, andere gegen ihren Willen
zu einem bestimmten Verhalten zu zwingen - etwa, zuzuhören 
und keine Widerworte gegen eine bestimmte Darstellung der 
Realität zu äußern - , ganz so, wie man es bei den eigenen El-
tern oder Erziehenden erfahren hat, als sie einen zwangen, die
eigene Lebendigkeit zu fürchten und die eigene Persönlichkeits-
entwicklung an der Identifikation mit ihrer äußeren Ordnung 
der Dinge auszurichten. Freiheit wird zur Rebellion gegen die-
se verinnerlichte Ordnung und oft zugleich zum Anspruch auf
Macht, andere zu einer Veränderung zu zwingen (vgl. den Mythos
des Desperados oder des Terroristen mit Knarre im Unter-
grund!).  Jeder in einer autoritären Gesellschaft ist ein potentiel-
ler Herr(scher), solange er nicht in seiner weiteren Persönlich- 
keitsentwicklung an seiner eigenen Lebendigkeit anknüpft und 
die übersteigerte Furcht vor dieser überwindet.

Sollte tatsächlich ungleiche Kompetenz-Verteilung zu ungleicher
Machtverteilung führen, dann müßte z.B. die Aufhebung von
Unterdrückung (im weitesten Sinne) mit einer Gleichverteilung von
Kompetenz einhergehen.

Ungleiche Kompetenz-Verteilung ist m.E. keine Quelle der Macht.
Wenn ich weiß, daß jemand kompetenter ist, ein Dach zu decken
oder ein Holzbett zu bauen, kann ich dies akzeptieren. Ihn beim
Ausbau meines Hauses gewähren zu lassen, bricht mir keinen
Zacken aus der Krohne. Insbesondere dann, wenn meine selbst
gebauten Holzbetten längst nicht so elegant und stabil wären
oder ein von mir selbst gedecktes Dach nicht unbedingt jeden
Sturm und Hagelschauer überstehen würde.

Gruss,
Jacob
________________________________
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Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
Kontakt: projekt oekonux.de



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