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Re: [ox] Weltliche Religion



* Jac <sortesindet marsmail.de> [2006-05-10 03:38]:
Am Dienstag, 9. Mai 2006 05:09 schrieb Holger Weiss:
Es stimmt zwar, dass sich ein paar andere Stellen bei Marx finden
lassen, die sich geschichtsphilosophisch lesen. Weniger bezueglich einer
vermeintlichen Notwendigkeit des Kapitalismus, als, Kapitalismus
gegeben, bezueglich seiner notwendigen Ueberwindung. Aus meiner Sicht
sind diese Stellen jedoch nicht nur spaerlich gesaeht, sondern vor allem
in keiner Weise konstitutiv fuer die Marxschen Kategorien: Laesst man
sie weg, aendert sich ansonsten nix. Insbesondere im Manifest dienen sie
vermutlich in erster Linie der Agitation.

Nun, obige Bemerkungen sind Deine Interpretation. Welche Bedeutung
die geschichtsphilosophischen Stellen im Denken von Marx wirklich
einnahmen, werden wir wahrscheinlich nie erfahren.

Dass sie nicht konstitutiv fuer Marx' kategorialen Apparat seien, war
natuerlich erstmal nur meine Behauptung. Einen _prinzipiellen_ Grund,
warum die Frage nicht zu klaeren sei, sehe ich aber nicht. Vermutlich
nicht endgueltig auf dieser Liste, aber auch hier liesse sich zumindest
andeuten, inwiefern Marx' Formanalyse inhaerent geschichtsphilosophisch
sein soll. Mir ist das nicht klar.

Es bleibt jedoch eine historische Tatsache, daß die Parteien und An-
hänger von Karl Marx sich (möglicherweise auch in einer Fehlinter-
pretation von Karl Marx) verschiedentlich auf die geschichtsphilo-
sophisch zwingende Abfolge von Zeitaltern bezogen haben.

Das hat dann aber nichts mehr mit Deiner Behauptung, dass es eine
"Rechtfertigung des kapitalistischen Zeitalters als oekonomisch
notwendiger Vorstufe des Erreichens einer klassenlosen Gesellschaft
durch Karl Marx und Friedrich Engels" gaebe, zu tun, und nur darauf
bezog ich mich (explizit eingeschraenkt auf Marx).

Lassen wir die geschichtsphilosophischen Elemente in den Kategorien
von Marx fort, bleiben die Kategorien von C. Pecqueur 1836 in seinem
Werk "Das soziale Gleichgewicht der Interessen im Handel, in der
Landwirtschaft, in der Industrie und in der Kultur allgemein, unter dem
Einfluß der Dampfmaschine" bestehen [...].

Die Schrift kenne ich nicht, aber verstehe ich recht: Marx ist aus
Deiner Sicht im Wesentlichen Pecqueur plus Geschichtsphilosophie?
Pecqueur nimmt z.B. den Doppelcharakter der Arbeit, die Frage, warum ein
gegebener Inhalt die Form von Wert annimmt, die Wertformanalyse und den
Fetischcharakter vorweg?

Insofern scheint mir Deine Kritik zwar nicht voellig an den Haaren
herbeigezogen, im Kern aber unberechtigt.

Mir erscheint sie nach dem etwa 20 jahrigem Studium der Geschichte
des Kommunismus, Realsozialismus, Marxismus-Leninismus und
Marxismus bzw. Engelsismus durchaus berechtigt. Zumal es historisch
auch die Irrtümer und Fehlinterpretationen sind, die Geschichte machen
- so z.B. die Tatsache, daß die Genese des Marxismus bis ca. 1930 anhand
"Das Kapital" Band 1 erfolgte, bevor in der Sovjetunion die anderen, bis
dato nur als Manuskript vorliegenden Bände publiziert wurden.

Die anderen Baende _gibt_ es nicht als druckfertige Buecher von Marx,
sondern nur in Form von Manuskripten, aus denen Engels nach Marx' Tod
(in umstrittener Form) den zweiten und dritten Band zusammengebastelt
und das Ganze dann veroeffentlicht hat[*]. Natuerlich wurden die Baende
auch rezipiert (z.B. schon kurz nach dem Erscheinen in Boehm-Bawerks
Marx-Kritik, Anfang des 20. Jhd. z.B. durch Rudolf Hilferding, Rosa
Luxemburg, usw.). Wie auch immer, Du hast recht, dass der erste Band
knapp 30 Jahre frueher (1867) erschien und dass das sicher Einfluss auf
die Rezeption hatte. Darueber hinaus blieb der erste Band auch nach dem
Erscheinen der anderen beiden beliebter, was vermutlich z.T. aus dem
politischen Interesse der Leser erklaerbar ist (der erste Band erklaert
halt schon die "Ausbeutung", der Rest ist fuer Freaks), und z.T. auch
einfach daran liegen mag, dass der erste Band leichter verdaulich ist.

Holger

[*] In den 30ern wurden diese Baende in der Sowjetunion meines Wissen
    nochmal nahezu unveraendert herausgegeben, insbesondere auch als
    Reaktion auf eine Kautsky-Ausgabe der beiden Baende aus den 20ern,
    die redaktionell staerker bearbeitet und mit in Moskau nicht gern
    gesehenen Vorworten versehen waren. Auch die heute verbreitetsten
    Ausgaben des zweiten und dritten Bandes, MEW 24 und 25, entsprechen
    genau den letzten Auflagen von Engels.

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