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Re: [ox] Wissens- und/oder Informationsgesellschaft?



Hi StefanMz, StefanS, Liste!

3 months (118 days) ago Stefan Meretz wrote:
die lange fällige Debatte zu Daten, Information, Wissen ist
eröffnet:-) Danke, Stefan!

Und nachdem ich eben (endlich) den Thread mal weit gehend gelesen habe
noch weit von einer genaueren Klärung entfernt ;-) .

Wir müssen uns darüber klar sein, dass es sich um ein vermintes Feld
handelt, denn - das ist meine These - hier stoßen im Feld der
wissenschaftlichen Grundbegriffe "alte" und "neue" Welt zusammen. Wir
sollten geduldig sein und uns Zeit nehmen!

Das habe ich ja jetzt reichlich getan ;-) . Der Thread ist in einige
Unter-Threads zerfallen, auf die ich dann einzeln eingehen werde. Erst
mal hier zu StefanMz' Antwort und der Debatte mit StefanS. Da so lange
her zitiere ich großzügig.

Ich habe mir vier Testfragen überlegt, die ich bei jedem Begriff
stellen will:
- [Sind|Ist] XY etwas genuin menschliches?
- Kennen Tiere XY?
- Komm[en|t] XY in der (unbelebten) Natur vor?
- Existier[en|t] XY unabhängig davon, ob wir [sie|es] feststellen?

Irgendwie habe ich so ähnliche Fragen von dir schon mal gehört ;-) .
Bei Gelegenheit muss ich dich mal fragen, wie du auf genau die kommst
:-) .

On Wednesday 02 February 2005 19:52, Stefan Merten wrote:
Daten
- -----

Daten sind für mich die basalste Einheit. Daten sind das, was bei
irgendeiner Messung anfallen kann. Z.B. ist die exakte Höhe von
Wellen auf dem Ozean in einem bestimmten Gebiet Daten. Daten müssen
erst mal niemensch interessieren.

Fragen:
Sind Daten etwas genuin menschliches?
Kennen Tiere Daten?
Kommen Daten in der unbelebten Natur vor?
Existieren Daten unabhängig davon, ob wir sie feststellen?

Daten, die bei einer Messung anfallen, müssen offensichtlich erstmal
festgestellt, eben gemessen werden. Ihre Existenz ist also Resultat
menschlicher Tätigkeit.

Nee, so meinte ich das nicht. StefanS hat wohl schon angedeutet was
ich auch sehen würde: Du brauchst für Messungen keine technische
Apparatur - einfache Sinnesorgane tun es völlig. Z.B. führt die Hand
auf der heißen Herdplatte - genauer: einige Sensoren in dieser Hand -
wohl sehr eindeutig eine Messung durch (die dann (u.U.) zu einer
Reaktion führt, aber dazu später).

Sensoren sind also zwar nötig, nicht aber (technische)
Messapparaturen.

Ok, im Prinzip verschiebt das die Frage nach Daten darauf, was ich als
Sensor betrachten will. Da sehe ich ein gewisses Problem, dass mir
aber erst mal nicht praktische relevant erscheint. Vielleicht könnte
ich Sensoren als Entitäten fassen, die eine physikalische Größe in
eine andere wandeln - die Nervenzelle also z.B. die "erlebte" Hitze zu
einer Folge von Stromstößen auf ihren Dendriten umformt (o.ä. - bin
kein Biologe).

Für Tiere gibt's demzufolge keine Daten,

Ich denke schon. Wobei sie für Tiere die gleiche Relevanz wie für
Menschen haben.

in
der unbelebten Natur (ungemessen von uns) auch nicht.

Na ja, was eine Natur ohne Menschen / Lebewesen betrifft finde ich
alleine die Frage relativ müßig, da ich mir das nicht vorstellen kann
- wie auch. Wahrscheinlich sind alle Begriffe ohne Leben sinnlos.

Aber vielleicht so: Sensoren gibt es in der unbelebten Natur nicht.
Wenn es Sensoren braucht um Daten zu erheben, dann kann es in der
unbelebten Natur auch keine Daten geben. Ja, ok, Zustimmung.

Wobei natürlich sofort auch klar wird, dass Sensoren immer zu einem
bestimmtem Zweck entstehen.

Widerspricht
das der Annahme des basalen Charakters?

In meiner ursprünglichen Aussage hatte ich den Gedanken noch etwas
anders gesehen - und da hätte es Daten in der unbelebten Natur
gegeben. Aber die Sensoren sind eine neue Idee.

Meine Definition: Daten sind Messwerte.

Witzigerweise unterscheiden wir uns da gar nicht. Nur dass du etwas
anderes unter Messwerten verstehst.

Information
- -----------

Information sind für mich Daten, die einen Unterschied machen. Z.B.
wäre die Höhe der Wellen eine Information, die ich brauche, wenn
ich etwas über die Durchschnittshöhe sagen will. D.h. Informationen
sind eine spezielle Sorte von Daten.

Fragen:
Sind Informationen etwas genuin menschliches?
Kennen Tiere Informationen?
Kommen Informationen in der unbelebten Natur vor?
Existieren Informationen unabhängig davon, ob wir sie feststellen?

Da es IMHO für Tiere genauso Informationen gibt wie für Menschen -
nämlich Informationen, die sie für ihre Orientierung in der Umwelt
brauchen -, scheint mir die Definition von Informationen als
speziellen Daten nicht haltbar (Tiere kennen keine Daten).

Möglicherweise gibt es hier ein Missverständnis, aber Informationen
sind für mich keine irgendwie speziellen Daten. Informationen beruhen
auf Daten, ja, aber der Begriff der Information liegt auf einer
anderen kategorialen Ebene als der der Daten.

In der
unbelebten Natur hingegen kommen IMHO keine Informationen vor, da
auch Informationen davon abhängen, ob sie festgestellt werden.

Ja.

Informationen existieren damit auch nicht unabhängig vom "Aufnehmer",

Ja.

wobei in der menschlichen Gesellschaft Informationen überindividuell,
eben gesellschaftlich, sind.

Hmm... Dem würde ich nicht so bruchlos zustimmen. Vielleicht kannst du
mal erklären, in welchem Sinne die Informationen, die ich gerade aus
deinen Worten ziehe, überindividuell sind. Ganz allgemein ist ja immer
alles gesellschaftlich, aber damit unterscheidet der Begriff halt dann
nichts mehr.

Meine Definition: Informationen sind Bedeutungen.

Dazu:

  3 months (118 days) ago Stefan Seefeld wrote:
  > Wie w"are es mit meiner Definition der Informationen als interpretierter
  > Daten ?

Ich verstehe offen gestanden nicht, wogegen du, StefanMz, dich da
eigentlich in dem Thread gewehrt hast. Hängen Interpretation und
Bedeutung nicht mindestens eng zusammen?

  > Informationen *sind* keine Daten, sie enth"alt welche.

Noch genauer würde ich sagen: Information bezieht sich immer auf
Daten. D.h.: Ohne Daten keine Information. Aber sehr wohl umgekehrt.

Um's an einem plastischen Beispiel deutlich zu machen: Bei einem
Komapatienten funktioniert die Datenübertragung sehr wohl noch - die
Sensoren arbeiten noch und die Messdaten werden auch weiter geleitet.
Nur dass sie - vermutlich - nicht mehr interpretiert werden.

  > Dazu kommt der Prozess der kontextuellen Interpretation, die sowohl
  > bei Tieren als auch bei Menschen "uberindividuellen Charakter hat.
  > Nat"urlich kennen Tiere Daten; sie messen Temperatur, Nahrung, Licht,
  > Pheromone.
  > Interpretiert wir daraus eine Information, wie z.B. "dieses Revier
  > ist schon besetzt", oder "hier k"onnte ich was zu Essen finden".

So ähnlich würde ich es auch sehen.

Dabei ist weder Träger interessant noch für welche Entität die
Information einen Unterschied macht. Die Information, die durch die
DNS gegeben ist, macht z.B. einen erheblichen Unterschied zwischen
belebter und unbelebter Natur. Genau so macht eine Software, die ja
pure Information ist, einen Unterschied auf einem Computer. Die
Software auf einer CD macht dagegen keinen Unterschied wenn kein
Computer verfügbar ist. Die Pits und Lands auf der CD mutieren dann
wieder zu Daten.

D.h.: Bei dem Begriff Informationen muss genau genommen angegeben
werden, in welchem Zusammenhang die Daten einen Unterschied machen.

Ja genau, hier liegt auch das Problem mit dem "Unterschied": der
Unterschied ist keine objektive Größe, sondern muss angegeben werden.

Gibt's damit ein Problem?

Damit besitzt aber z.B. DNS objektiv keine Information, denn wir
geben (sozusagen von außen) an, was der Unterschied sei.

Na ja, objektiv ist sowieso nicht meine Kategorie ;-) .

Wissen
- ------

Wissen ist für mich *vor allem* immer an ein Subjekt, i.A. also an
einen Menschen gebunden. Dem üblichen Sprachgebrauch folgend kann
nur ein Mensch etwas wissen - eine Maschine weiß nichts. Dieses
Wissen kann unglaublich viele Formen annehmen und die wenigsten
davon dürften explizit beigebracht werden - insbesondere
Handlungswissen.

Fragen:
Ist Wissen etwas genuin menschliches?
Kennen Tiere Wissen?
Kommt Wissen in der unbelebten Natur vor?
Existiert Wissen unabhängig davon, ob wir es feststellen?

Wissen ist an Menschen gebunden, Tiere kennen also offensichtlich kein
Wissen. Aber warum? IMHO deswegen, weil Wissen im Unterschied zu
Informationen historisch kumulierbar ist. (Höhere) Tiere können zwar
in ihrer Lebensspanne Informationen ansammeln und memorieren, diese
aber bestenfalls sozial tradieren, nicht aber historisch kumulieren.
Dies deswegen, weil Tiere über keine Form der gegenständlichen
Fixierung von Wissen haben. Erst die Vergegenständlichkeit - zunächst
im unmittelbar stofflichen Sinne, dann auch mit Hilfe von
"unstofflichen" Zeichen (Sprache, Schrift) - ermöglicht historische
Kumulation. Das können nur Menschen, und zwar auch nur deswegen, weil
Menschen gesellschaftlich sind. Wissen ist also nicht an das
Individuum gebunden, sondern an die menschliche Gesellschaft.

Meine Definition: Wissen ist gesellschaftlich kumulierte Erfahrung.

Das ist auf jeden Fall mal eine Wissensdefinition, die ich sehr
interessant finde und die ich als harten Konkurrenten gegenüber meiner
"Wissen-ist-im-Kopf" sehe.

Da Wissen immer an ein Subjekt gebunden ist, kann es auch nicht
entäußert werden. Wissen, das ich nieder schreibe oder sonst wie
formalisiere wird zur Information, die andere Menschen nutzen
können, um ihr eigenes Wissen zu verändern. Wissenstransfer ist im
engeren Sinne also nicht möglich.

Nun, das sehe ich ganz anders: Wissen existiert nur gesellschaftlich
und damit auch für mich als gesellschaftlichem Menschen.

Ja, bei deinem (interessanten) Wissensbegriff ist das so.

In diesem Sinne ist Wissen also etwas, was dem Menschen eigen und
damit auch jeder Gesellschaft eigen ist.

Damit weichst du deine eigene Definition wieder auf - gut;-)

Gehe ich weiter davon aus,
dass die Menge des Wissens, die einem Menschen zur Verfügung steht
überhistorisch unveränderlich ist, dann ändert sich am Wissen von
Gesellschaftsform zu Gesellschaftsform gar nichts.

Huch - wie kommst du darauf? Offensichtlich wissen wir doch heute
etwas, was Menschen "früher" nicht wußten, was aber auf einem (Vor-)
Wissen basiert, dass diese wußten.

Wenn du die historische Kumulation in den Mittelpunkt stellst würde
ich dir recht geben. Das Wissen in den Köpfen hat sich m.E. in der
Menge nicht wesentlich verändert. Lediglich der Ausschnitt aus dem je
historisch angesammelten Wissen hat sich verändert.

Andernfalls
wären alle anderen Gesellschaftsformen mit Dummengesellschaften
richtig bezeichnet, was ich inakzeptabel finde. Die Inhalte mögen
sich ändern, nicht aber der Fakt des Wissens an sich. M.a.W.: Jede
Gesellschaft ist eine Wissensgesellschaft, der Begriff
diskriminiert nichts und ist deswegen überflüssig.

Ja, jede Gesellschaft kennt Wissen - aber welches Wissen, ist doch
historisch sehr unterschiedlich.

Dass es unterschiedlich ist habe ich nie bestritten. Aber wenn jede
Gesellschaft beruht auf (irgend einem) Wissen beruht, dann
unterscheidet der Begriff "Wissensgesellschaft" nichs. D'accord?

Der Begriff Informationsgesellschaft transportiert dagegen, dass
Information zu einer wichtigen Größe geworden ist. Zwar ist
Information natürlich ebenfalls unveräußerlich Bestandteil dieser
Welt und also auch Bestandteil menschlicher Gesellschaft. Aber
heute erleben wir, dass Information in ihrer nicht-materiellen
Gestalt, also als reine Idee, zunehmend existiert und - das ist mir
eben entscheidend wichtig - die Information auch mittels Computern
zunehmend operationalisierbar wird. Neben biologischen
Informationsverarbeitungssystemen wie der DNS haben wir mit
Computern Informationsverarbeitungssysteme auf der Ebene
menschlicher Gesellschaft. Das ist historisch neu und deswegen
halte ich Informationsgesellschaft für die richtige Bezeichnung.

Ich denke, dass ich eine Reihe von Widersprüchen in deinen
Definitionen sichtbar machen konnte.

Denen ich z.T. widersprochen habe. Na, mal sehen, ob ich jetzt besser
auf die Straße bringe worum es mir geht.

Die Informationsgesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass das
(historisch kumulierte) Wissen zunehmend weniger menschlicher Akteure
zu seiner Operationalisierung bedarf, sondern durch Computer zunehmend
ohne menschliche Akteure gesellschaftlich wirksam wird. Nun ist zwar
auch in Werkzeugmaschinen (historisch kumuliertes) Wissen
vergegenständlicht, aber der qualitative Sprung der
Informationsgesellschaft besteht eben in der praktischen Ablösung der
Information von der Materie. (Information ist natürlich nie wirklich
von ihrem materiellen Substrat abgelöst, aber faktisch ist durch die
leichte Kopierbarkeit die Materialität von Information irrelevant.)

Ob nun meine Definitionen
funktionieren, ist damit nicht gesagt (dazu sind sie auch viel zu
kurz). Dazu ist etwa mehr dazu zu sagen:-)

Die Ausgangsfrage, ob die anstehende Gesellschaft Informations- oder
Wissensgesellschaft heißen solle, halte ich nicht für so
entscheidend. Dein Hauptpunkt, die Bezeichnung "Wissengesellschaft"
würde andere Gesellschaften zu "Dummengesellschaften" machen, finde
ich nicht stichhaltig, geht es doch mit einer Bezeichnung darum, den
bestimmenden Aspekt einer Epoche zu erfassen. Die Frage müsste also
lauten: Ist heute (oder morgen) "Wissen" der bestimmende Aspekt der
gesellschaftlichen Entwicklung - und war dies früher nicht?

Was würdest du denn sagen? Mit der Definition als historische
Kumulation wäre Wissensgesellschaft ja schon eher drin.


So, noch ein paar Bemerkungen zu einzelnen Aspekten.

3 months (117 days) ago Stefan Meretz wrote:
On Monday 07 February 2005 16:08, Stefan Seefeld wrote:
Dazu kommt der Prozess der kontextuellen
Interpretation, die sowohl bei Tieren als auch bei Menschen
"uberindividuellen Charakter hat. Nat"urlich kennen Tiere Daten;
sie messen Temperatur, Nahrung, Licht, Pheromone.

Nein, sie messen nicht, sondern nehmen wahr (wie auch wir).

Interpretiert wir daraus eine Information, wie z.B. "dieses Revier
ist schon besetzt", oder "hier k"onnte ich was zu Essen finden".

Ja, sie nehmen die Information über ihre Umwelt wahr. Dass da eine
"Interpretation" zwischengeschaltet sei, ist eine Interpretation von
dir;-)

Dass der Wahrnehmung physiologische Prozesse zugrundeliegen, bestreite
ich nicht (falls du das denkst) - da wird nur nicht im o.g. Sinne
"gemessen". Hier von "Messung" zu reden ist (durchaus übliche)
Metaphorik.

Wahrnehmung ist sicher kein sehr mechanischer Prozess, der sehr eng an
den Daten klebt, sondern da liegen immer mehrere Layer (weit gehender
unbewusster) Interpretation davor. Dafür gibt es zahllose Beweise.
Insbesondere gibt es wohl bestimmte Drogen, mit denen du diese Filter
dämpfen kannst. Mit der Datenflut, mit der dich alleine die Sensorik
deines Körpers dann bombardiert kann ein Mensch nicht lange umgehen...
Aber das nur am Rande und ohne es weiter vertiefen zu wollen.

Dazu auch StefanS:

3 months (117 days) ago Stefan Seefeld wrote:
Wenn meine Vermutung wahr ist, dann legst Du dem Messen eine
Absicht zugrunde, nicht aber dem Wahrnehmen. Richtig ?

In StefanS' Worten: Wahrnehmung liegt *immer* eine Intention zu
Grunde. Ohne Intention gäbe es keine Wahrnehmung.

3 months (117 days) ago Stefan Meretz wrote:
Was in unserer Diskussion auch fehlt, ist der Begriff des Zeichens.
Geklärt werden müsste auch: Syntax, Semantik, Pragmatik. Später
mal...

Ja.

So weit mal zu diesem Dialog.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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