Re: [ox] Re: Forken und Demokratie
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Tue, 15 Mar 2005 22:17:10 +0100
Hallo Till,
On Monday 14 March 2005 21:48, Till Mossakowski wrote:
Und gibt es so etwas außerhalb es Code-Forkings?
Hm, fällt mir nix ein.
Könnte darauf hindeuten, dass Code-Forks sich nicht einfach auf
Projekte-Forks übertragen lassen.
Ja. Das hat generell mit der Schwierigkeit der Übertragung der
Prinzipien Freier Software in andere Bereiche zu tun. Das Beispiel,
das StefanMn anderenmails nennt (präventiver Krisis-Fork), ist eine
eher persönliche Entscheidung gewesen, eher eine individuelle
Auskopplung. So was ist natürlich immer machbar - siehe jüngst
(leider) Benni.
Demokratie ist Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, ja:
Herrschaft. Demokratie ist das Gegenteil von Emanzipation und
Entfaltung, es ist ein Fetisch, von Rechte wie Linke nicht lassen
wollen. Demokratie nivelliert Unterschiedlichkeit und damit die
Quelle von Kreativität und Selbstentfaltung. Und außerdem ist
Demokratie ein höchst unkreative Form der Regulation von
Konflikten.
Die Frage ist, was die Alternative ist.
Die existiert sehr lebendig in der Freien Software, und wir
diskutieren über die Verallgemeinerung. Das finde ich wichtig
festzuhalten, denn die Frage "Na, was ist denn die Alternative"
enthält meist schon implizit die Antwort: nix. Das ist aber nicht so.
Ein Maintainer kann auch
Herrschaft ausüben. Im Extremfall ist er ein Monarch.
Ja, kann passieren. Aber wenn das der Fall ist und die Leute das
ablehnen, dann gehen sie.
Die Abstimmung mit den Füßen kann bereits eine zu hohe Hürde
sein (s.u.).
Für was?
Ja, unter den Bedingungen der Marktwirtschaft ist Demokratie fehl
am Platze. Du darfst aber nicht den Begriff des Maintainers, den
wir aus der Freien Software kennen, auf warenproduzierende
Betriebe übertragen - die Beschäftigten haben keine Möglichkeit
zum Fork, sie können nicht alle bisher geschaffenen Ergebnisse
mitnehmen usw. Das btw. war eine Idee von Christoph Spehr, ob man
nicht einen Betrieb wie eine "freie Kooperation" organisieren
könne. Geht nicht, meine ich.
OK, also hier mal ein Beispiel unter nicht-makrtwirtschaftlichen
Bedingungen, aus der Bremer Commune. Es geht dabei nicht um
einen Versuch, autark zu wirtschaften, sondern darum, Erfahrungen
mit einer tauschwert-freien, gebrauchswert-orientierten Ökonomie
innerhalb eines inneren ökonomischen Zirkels zu sammeln.
Es ging um den Umgang mit Krautfäule auf einem Kartoffelacker.
Es war strittig, ob wir Kupfer spritzen sollten. Einereits stellt
dies eine Belastung des Ökosystems dar, andererseits erhöht es
die zu erntende Kartoffelmenge (wir hätten zwar im Rahmen
Tauschwert-Ökonomie zukaufen können, aber auf gesellschatliche
Ebene verallgemeinert, wird das schwierig, zumal das Krautfäule-
Problem viele Äcker betraf). Hochtechnologie ist zwar
weiterhelfend, aber nicht für dieses konkrete Problem (müsste noch
erforscht werden). Forken war auch schwierig, weil zwei halbe Äcker
sich gegenseitig so beeinflussen, dass es dann doch nur einer ist.
Wir haben die Sache dann demokratisch entschieden, und nicht allein
dem Maintainer des Ackers überlassen.
Ich halte es für eine Verabsolutierung davon auszugehen, dass alle
Streitigkeiten unter den Menschen vom Wertgesetz verursacht werden.
Also, den letzten Satz (dessen Aussage zutrifft) musstest du
nachschieben, weil doch auch dir klar ist, dass du hier ein
klassisches Beispiel von Entfremdung hast: "Zahlen wir drauf oder
haben wir weniger Kartoffeln". In einer wertförmigen Umgebung spürst
du faktisch auch innerhalb der abgeschirmten Inseln die Wirkung der
Wertlogik: Da geht's euch nicht anders als dem verflossenen
Realsozialismus oder dem sterbenden Sozialstaat. Du kannst zwar
versuchen, innen willkürlich gegen die Wertlogik zu handeln, aber das
geht eben nur solange gut, wie die "Außenbeziehungen" stimmen, sprich
die Wertlogik außen (Weltmarkt etc.) wertgesetzeskonform bedient
wird. Dem kommst du weder mit Demokratie noch mit Forken bei - da
sind wir vielleicht einig.
Drei Punkte kann ich verallgemeinert sehen:
1. In einem Meer des Werts ist das Entscheiden auf wertfreien Inseln
nur eingeschränkt gegen die Wertlogik möglich
2. Stoffliche Güter lassen sich nicht leicht reproduzieren (und
teilen)
3. Isolierte Versuche jenseits der gesellschaftlichen Größenordnung
gehen ein
Bei allen drei Punkten sind die Bedingungen in der Freien Software
relativ gut:
1. Die Einschränkungen der Entscheidungsfreiheit sind vorhanden, aber
z.B. durch den juristischen Schutz der GPL erträglich
2. Informationsgüter lassen sich leicht reproduzieren und "vermehren"
sich, wenn sie geteilt werden
3. Freie Software hat gesellschaftliche Größenordnung erreicht, d.h.
die Größe eines sich selbst stabilisierenden und potenziell
ausdehnenden Netzwerkes.
Dito auf eure Kommune geguckt, sind die Bedingungen eher schlecht
(ohne dass ich sie im Einzelnen kennen würde):
1. Eure wertfreie Insel ist stark von außen abhängig - wie von dir
beschrieben
2. Der Boden lässt sich zwar teilen, aber dann gibt es andere Probleme
(Skalierung der Bearbeitung, Kupferübertrag etc. - keine Ahnung;-))
3. Eure Insel kann auf kein globales Netzwerk zurückgreifen, hat nicht
die gesellschaftliche Größenordnung erreicht, d.h. eine klitzekleine
Frage wird gleich super wichtig (Kupfer oder Kartoffeln)
Unter freien (nichtentfremdeten) Bedingungen der Entfaltung aller
Menschen, werden sich durchschnittlich die Wünsche durchsetzen,
die an den direkten Lebensbedingungen der Beteiligten orientiert
sind. Natürlich gibt es auch hier Konflikte, aber die
Regulationsform ist eine grundsätzlich andere: eben nicht auf
Kosten anderer, sondern strukturell im Sinne der Entfaltung
aller, weil die Anderen jeweils für je mich die
Entfaltungsbedingung sind.
Genau.
Auch ohne Wertgesetz kann es Streitigkeiten geben, mit denen
ein Umgang gefunden werden muss. Und wenn sich nun doch, trotz
großer Freiräume, kein Konsens finden lässt? Vielleicht weil eine
kleine Midnerheit einfach andere Vorstellungen hat, z.B. Gentechnik
ausprobieren will, die Mehrheit dies aber für zu gefährlich hält?
Was passiert dann?
Dazu fallen mir verschiedene Nachfragen ein: Wie kann es denn zu einer
potenziell selbstschädigenden Vorstellung kommen? Anders als in einer
abstrakten Vermittlung über Markt und Geld ist die Vermittlung in
einer Freien Gesellschaft direkt und kommunikativ. Folgen sind
erkennbar und sinnlich erfahrbar - und nicht weit weg. Und dann die
Frage, ob denn eine Minderheit die Möglichkeit hat, gesellschaftliche
Ressourcen derart zu steuern, dass potenziell großflächig gefährliche
Technologien gegen den Mehrheitswillen durchsetzbar sind. So was kann
ich mir nur demokratisch vorstellen;-)
Was ich sagen will: Wir sollten vermeiden, abstrakte Szenarien zu
bauen, sondern konkreter werden und vor allem auf Prozesse gucken.
Und wir sollten uns hüten, Situationen von heute in eine Freie
Gesellschaft zu beamen mit der Aushebelfrage: "Na, und was ist denn
die Alternative zur Demokratie?" Demokratie beantwortet (immer
schlechter aber immerhin) Fragen, die diese Gesellschaft stellt. Es
kömmt für eine Freie Gesellschaft darauf an, solche Fragen gar erst
entstehen zu lassen.
Ciao,
Stefan
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