Re: [ox] Re: Forken und Demokratie
- From: Till Mossakowski <till informatik.uni-bremen.de>
- Date: Mon, 14 Mar 2005 21:48:44 +0100
Hallo Stefan,
Kennst du einen Fork, den du als erfolgreich bezeichnen würdest?
Ja, KDE/Gnome, gcc-Fork/Reunification, Emacs/XEmacs...
Ich würde sie aber nicht als erfolgreich, sondern als produktiv
bezeichnen.
Und gibt es so etwas außerhalb es Code-Forkings?
Hm, fällt mir nix ein.
Könnte darauf hindeuten, dass Code-Forks sich nicht einfach auf
Projekte-Forks übertragen lassen.
Meine These ist, dass ein inhaltlicher Fork ein letztes Mittel ist,
das aber schon zeigt, dass die Kooperation nicht funktioniert hat,
dass also die Prinzipien der Konkurrenzgesellschaft noch nicht
überwunden werden konnten.
Das sehe ich nicht so. Auch deswegen, weil ich die Gegenüberstellung
von Konkurrenz und Kooperation als zu simpel ansehe.
Siehe dazu die Artikel zu "Kooperenz" von Benni
http://www.opentheory.org/kooperenz/text.phtml und zu "Ko-Kurrenz"
von mir http://www.opentheory.org/ko-kurrenz/text.phtml
Sehe ich anders. Werde ich bei Gelegenheit mal in den Artikeln kommentieren.
Eine Gemeinschaft, in der der Verweis auf Fork die einzige
Möglichkeit der Einflussnahme auf zentrale Entscheidungen ist,
fällt meiner Meinung nach hinter den Emanzipationsstand jedes
bürgerlich-demokratischen Vereins zurück,
Nein, das ist nicht so. Der Fork ist eine Möglichkeit unter sehr
vielen anderen, und dann eine mit einer sehr hohen Hürde. Der
Haupteinfluss besteht durch Tun: das machen, was je meine Sache ist.
Dazu suche ich mir die Bedingungen, also z.B. das Projekt, wo das
geht. Das ist eine "Abstimmung mit Füßen" wenn du so willst. Diese
Regulationsform ist ungleich konstruktiver und produktiver als den
Zwang zur Umsetzung einer Mehrheitsmeinung in demokratischen
Verhältnissen. Der Fork ist eine letzte Möglichkeit in einem
laufenden Projekt, das sich unsicher über die weitere Richtung ist.
Fork bedeutet: alle, die rausgehen, können alles mitnehmen. Nur die
Ressourcen teilen sich auf - das ist das Risiko und Regulativ.
Demokratie ist Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit, ja:
Herrschaft. Demokratie ist das Gegenteil von Emanzipation und
Entfaltung, es ist ein Fetisch, von Rechte wie Linke nicht lassen
wollen. Demokratie nivelliert Unterschiedlichkeit und damit die
Quelle von Kreativität und Selbstentfaltung. Und außerdem ist
Demokratie ein höchst unkreative Form der Regulation von Konflikten.
Die Frage ist, was die Alternative ist. Ein Maintainer kann auch
Herrschaft ausüben. Im Extremfall ist er ein Monarch. Die Abstimmung
mit den Füßen kann bereits eine zu hohe Hürde sein (s.u.).
Oder die demokratisch
organisierten Betriebe im ehemaligen Jugoslawien, oder die
Alternativbetriebe der 1970er (die sich wegen fehlender Überwindung
des Tauschwerts leider wieder anpassen mussten und die betriebliche
Demokratie wieder aufgaben).
Die Demokratie musste aufgegeben werden, weil man über die Wirkung
eines objektiven Sachverhaltes - nämlich des Wertgesetzes - nicht
abstimmen kann. Das ist im ökonomischen Sinne "uneffektiv". Daraus
aber umgekehrt den Schluss zu ziehen, Demokratie hätte es "besser
gemacht", ist einfach nicht haltbar.
Sollen z.B. für einen Betrieb keine demokratischen Entscheidungen
gefällt werden, sondern der Maintainer (neudeutsch: Direktor) nach
Rücksprache mit der Belegschaft im Konsens entscheiden? Was
passiert, wenn kein Konsens gefunden werden kann? L'etat c'est moi?
Ja, unter den Bedingungen der Marktwirtschaft ist Demokratie fehl am
Platze. Du darfst aber nicht den Begriff des Maintainers, den wir aus
der Freien Software kennen, auf warenproduzierende Betriebe
übertragen - die Beschäftigten haben keine Möglichkeit zum Fork, sie
können nicht alle bisher geschaffenen Ergebnisse mitnehmen usw. Das
btw. war eine Idee von Christoph Spehr, ob man nicht einen Betrieb
wie eine "freie Kooperation" organisieren könne. Geht nicht, meine
ich.
OK, also hier mal ein Beispiel unter nicht-makrtwirtschaftlichen
Bedingungen, aus der Bremer Commune. Es geht dabei nicht um
einen Versuch, autark zu wirtschaften, sondern darum, Erfahrungen
mit einer tauschwert-freien, gebrauchswert-orientierten Ökonomie
innerhalb eines inneren ökonomischen Zirkels zu sammeln.
Es ging um den Umgang mit Krautfäule auf einem Kartoffelacker.
Es war strittig, ob wir Kupfer spritzen sollten. Einereits stellt
dies eine Belastung des Ökosystems dar, andererseits erhöht es
die zu erntende Kartoffelmenge (wir hätten zwar im Rahmen
Tauschwert-Ökonomie zukaufen können, aber auf gesellschatliche
Ebene verallgemeinert, wird das schwierig, zumal das Krautfäule-
Problem viele Äcker betraf). Hochtechnologie ist zwar weiterhelfend,
aber nicht für dieses konkrete Problem (müsste noch erforscht werden).
Forken war auch schwierig, weil zwei halbe Äcker sich gegenseitig
so beeinflussen, dass es dann doch nur einer ist.
Wir haben die Sache dann demokratisch entschieden, und nicht allein
dem Maintainer des Ackers überlassen.
Ich halte es für eine Verabsolutierung davon auszugehen, dass alle
Streitigkeiten unter den Menschen vom Wertgesetz verursacht werden.
Als Modell für gesellschaftliche Entscheidungen (z.B: die Frage:
wie bekämpfen wir das Ozonloch? das müsste weltweit entschieden
werden) taugt der Fork überhaupt nicht, da wir keine zweite Erde
haben, auf die wir uns forken können.
Doch gerade hier wäre das Modell hervorragend geeignet. Es ist doch
überhaupt nicht denkbar, dass ein globales Problem von _einem_
Projekt "gelöst" werden können. Sondern dafür brauchen wir eine
hochgradige Vernetzung von tausenden global verteilten Projekten, die
unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen und Maßnahmen vor Ort umsetzen.
Dazu brauchen wir Logistik-, Kommunikations-, Analyse-, Planungs- und
Infrastruktur-Projekte, deren Aufgabe es ist, für andere die
Bedingungen für ihre Tätigkeit zu schaffen etc. - alles, was
tieforganisierte und arbeitsteilige Gesellschaften eben benötigen.
Du musst auf die unterschiedlichen Vorsetzungen gucken. Unter
entfremdeten Bedingungen, unter denen es nur sich ausschließende
Partialinteressen gibt, ist Demokratie erforderlich, um mehrheitlich
zu entscheiden, wer gerade mal seine Partialinteresse auf Kosten
Anderer durchgesetzt bekommt.
Unter freien (nichtentfremdeten) Bedingungen der Entfaltung aller
Menschen, werden sich durchschnittlich die Wünsche durchsetzen, die
an den direkten Lebensbedingungen der Beteiligten orientiert sind.
Natürlich gibt es auch hier Konflikte, aber die Regulationsform ist
eine grundsätzlich andere: eben nicht auf Kosten anderer, sondern
strukturell im Sinne der Entfaltung aller, weil die Anderen jeweils
für je mich die Entfaltungsbedingung sind.
Genau.
Auch ohne Wertgesetz kann es Streitigkeiten geben, mit denen
ein Umgang gefunden werden muss. Und wenn sich nun doch, trotz
großer Freiräume, kein Konsens finden lässt? Vielleicht weil eine
kleine Midnerheit einfach andere Vorstellungen hat, z.B. Gentechnik
ausprobieren will, die Mehrheit dies aber für zu gefährlich hält?
Was passiert dann?
Gruß Till
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