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Re: [ox] Re: Forken und Demokratie



* Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org> [2005-03-15 22:17]:
On Monday 14 March 2005 21:48, Till Mossakowski wrote:
OK, also hier mal ein Beispiel unter nicht-makrtwirtschaftlichen
Bedingungen, aus der Bremer Commune. Es geht dabei nicht um
einen Versuch, autark zu wirtschaften, sondern darum, Erfahrungen
mit einer tauschwert-freien, gebrauchswert-orientierten Ökonomie
innerhalb eines inneren ökonomischen Zirkels zu sammeln.
Es ging um den Umgang mit Krautfäule auf einem Kartoffelacker.
Es war strittig, ob wir Kupfer spritzen sollten. Einereits stellt
dies eine Belastung des Ökosystems dar, andererseits erhöht es
die zu erntende Kartoffelmenge (wir hätten zwar im Rahmen
Tauschwert-Ökonomie zukaufen können, aber auf gesellschatliche
Ebene verallgemeinert, wird das schwierig, zumal das Krautfäule-
Problem viele Äcker betraf). Hochtechnologie ist zwar
weiterhelfend, aber nicht für dieses konkrete Problem (müsste noch
erforscht werden). Forken war auch schwierig, weil zwei halbe Äcker
sich gegenseitig so beeinflussen, dass es dann doch nur einer ist.
Wir haben die Sache dann demokratisch entschieden, und nicht allein
dem Maintainer des Ackers überlassen.
Ich halte es für eine Verabsolutierung davon auszugehen, dass alle
Streitigkeiten unter den Menschen vom Wertgesetz verursacht werden.

Also, den letzten Satz (dessen Aussage zutrifft) musstest du
nachschieben, weil doch auch dir klar ist, dass du hier ein
klassisches Beispiel von Entfremdung hast: "Zahlen wir drauf oder
haben wir weniger Kartoffeln". In einer wertförmigen Umgebung spürst
du faktisch auch innerhalb der abgeschirmten Inseln die Wirkung der
Wertlogik:

Prinzipiell hast Du aus meiner Sicht voellig recht, aber das konkrete
Beispiel hat mit Wertlogik nichts zu tun. Dass die eine Seite des
Trade-Offs "Draufzahlen" laute, hast Du ihm untergeschoben. Es ging um
"zu erntende Kartoffelmenge" versus "Belastung des Oekosystems". Hier
steht ein Gebrauchswert gegen den anderen, daher waere das auch jenseits
des Werts ein Trade-Off.

Auch ohne Wertgesetz kann es Streitigkeiten geben, mit denen
ein Umgang gefunden werden muss. Und wenn sich nun doch, trotz
großer Freiräume, kein Konsens finden lässt? Vielleicht weil eine
kleine Midnerheit einfach andere Vorstellungen hat, z.B. Gentechnik
ausprobieren will, die Mehrheit dies aber für zu gefährlich hält?
Was passiert dann?

Dazu fallen mir verschiedene Nachfragen ein: Wie kann es denn zu einer
potenziell selbstschädigenden Vorstellung kommen? Anders als in einer
abstrakten Vermittlung über Markt und Geld ist die Vermittlung in
einer Freien Gesellschaft direkt und kommunikativ. Folgen sind
erkennbar und sinnlich erfahrbar - und nicht weit weg.

Naja, auch hier: Prinzipiell hast Du recht. Rechtstaat und demokratische
Implementierung desselben sind notwendig zur Organisation kapitalistisch
verfasster Gesellschaften, sie sind ihre adaequate Herrschaftsform. Wer
die Interessen[*] der Buerger innerhalb des Marktes gegensaetzlich
organisiert, muss ihre Gleichberechtigung vermittels der Gewalt des
demokratischen Rechtstaats sicherstellen. Das funktioniert wunderbar,
daher geht die Vorstellung, dass Demokratie irgendwie nie ganz richtig
funktioniert habe, ihr "moralischer Wert" aber "axiomatisch" sei und
daher in einer anderen Gesellschaftsform ploetzlich wirkmaechtig wuerde,
an der Sache vorbei.

[*] Ich weiss, Du magst "Interesse" nicht, habe aber vergessen warum ;-)

Nur: Aus meiner Sicht gibt es Konflikte, die ausserhalb der Wertform
liegen, und insbesondere auch Trade-Offs, ueber die ueberhaupt erst
verhandelt werden koennte, wenn die Entscheidung nicht qua Markt (mehr
oder weniger) vorgegeben ist. Beispiele: Will ich weniger arbeiten oder
mehr Gebrauchswert? Bei gegebener Arbeitszeit: Was will ich produzieren?
Will ich Auto fahren und in den Urlaub fliegen oder Ozonloch stopfen?
Will ich das Risiko von AKWs in Kauf nehmen oder Ressourcen weghauen?
Will ich Gentechnik-Features oder habe ich Schiss vor den Folgen?

Zumindest einige dieser Trade-Offs lassen sich sicher durch technischen
Fortschritt verringern oder gar loesen, aber es sind keine
Widersprueche, die in der Wertform begruendet liegen. Letztere
verhindert nur, dass (frei) darueber _entschieden_ werden kann, welche
Seite des jeweiligen Trade-Offs man waehlt.

Was ich sagen will: Wir sollten vermeiden, abstrakte Szenarien zu
bauen, sondern konkreter werden und vor allem auf Prozesse gucken.
Und wir sollten uns hüten, Situationen von heute in eine Freie
Gesellschaft zu beamen mit der Aushebelfrage: "Na, und was ist denn
die Alternative zur Demokratie?" Demokratie beantwortet (immer
schlechter aber immerhin) Fragen, die diese Gesellschaft stellt.
Es kömmt für eine Freie Gesellschaft darauf an, solche Fragen gar erst
entstehen zu lassen.

Wie gesagt denke ich, dass bestimmte Fragen ueberhaupt erst verhandelt
werden koennten, wenn die Einschraenkungen der Entscheidungsfreiheit
durch die Wertform wegfallen. Wir sind uns wohl einig, dass der Modus
der Entscheidungen nicht "Demokratie" lauten kann. Aber den "wie denn
sonst?" Einwaenden wuerde ich nicht damit ausweichen, dass es "solche
Fragen" (wie der nach der Gentechnik) in einer "Freien Gesellschaft" ja
nicht mehr geben koenne -- natuerlich wuerde es sie geben.

Holger
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