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Fwd: [Hans-Gert Gräbe] Re: [ox] Hans-Gert Graebe * Die Macht des Wissen in der (post)modernen Gesellschaft



Hi!

Forward mit Permission.

@Hans-Gert: Selbstredend kannst du gerne alles auch in den OT-Text
einbauen - das ist für mich ein bisschen aufwändig.

------- Forwarded Message

Date:  Mon, 11 Oct 2004 13:16:17 [PHONE NUMBER REMOVED]
From:  =?ISO-8859-1?Q?Hans-Gert_Gr=E4be?= <graebe informatik.uni-leipzig.de>
Subject:  Re: [ox] Hans-Gert Graebe * Die Macht des Wissen in der (post)modernen
 Gesellschaft
To:  Stefan Merten <smerten oekonux.de>
In-Reply-To:  <20041009113634.A5234A50A rosalu.merten-home.homelinux.org>
References:  <20041009113634.A5234A50A rosalu.merten-home.homelinux.org>
Message-Id:  <416A6B81.9080406 informatik.uni-leipzig.de>

Hallo Stefan,

ich schicke dir das mal als PM, da ich auf ox nicht mitlese und diese
Bemerkungen im Text bei OT eigentlich besser aufgehoben wären.  Kannst
sie aber gern auf ox posten.

Stefan Merten wrote:
Marktmechanismen spielten in diesem Zusammenhang eine progressive
Rolle in der Entwicklung menschlicher Vergesellschaftungsformen.
Während in vorkapitalistischen Zeiten Zwecksetzung für die produktive
Arbeit extern, durch Clanführer, Sklavenbesitzer, Feudalherren -
allerdings auf einer dinglichen Basis - erfolgte, so rückt die
Zwecksetzung nun in die unmittelbare Nähe der produktiv Tätigen. Wir
befinden uns dabei an einem Bifurkationspunkt menschlicher
Entwicklung: Während in der ganzen bisherigen Entwicklung die
"Korngröße" der gesellschaftlichen Entwicklungsstrukturen mit
Zwecksetzungsvollmacht linear mit der Korngröße der durch die
produktive Arbeit in Gang gesetzten "Macht der Agentien" wuchs und so,
wenigstens notdürftig, der dinglichen Logik der Planung produktiver
Arbeit Genüge getan war, sind wir mit Beginn der kapitalistischen
Marktwirtschaft mit dem Phänomen konfrontiert, dass ein weiteres
Wachstum der Korngröße der Macht der Agentien mit einem Rückgang der
Korngröße der Zwecksetzungsvollmacht einher geht.


Ich habe nicht verstanden, was hier ein Korn sein soll. Kannst du mal
ein paar Beispiele angeben?

Das ist hier recht knapp und auch bei meinem Vortrag in KL etwas außen
vor geblieben, aber relativ wichtig. Alles was du tust hat Auswirkungen
auf andere. Ich rede damit nicht von einem "alles ist mit allem
verbunden", sondern möchte mich auf genügend intensive Auswirkungen
beschränken. Das "Kaffee-Beispiel", das Wolf in dem Zusammenhang gern
bringt, illustriert diese Interdependenz sehr gut.  Charakteristisch
ist, dass diese Auswirkungen 1) für andere wesentlich, 2) vermittelt und
3) von dir höchstens in einer allgemeinen Form intendiert, jedoch nicht
auf das konkrete Individuum bezogen gewollt sind (weil du die Nutzer
deines Tuns meist ja auch gar nicht kennst).  Die Macht der Agentien,
welche du in Bewegung setzt, hat also eine deutlich größere Reichweite
als der Bereich, in dem du selbst Zwecke setzen, d.h. planvoll und
selbstbestimmt agieren kannst.

Für gesellschaftlich herausgehobene Personen, Clanführer usw., war das
teilweise anders, da der Radius ihrer Zwecksetzungsvollmacht deutlich
weiter reichte als der eines "normalen" Menschen. Was der Chef sagt, das
wird gemacht. Über diese Institution (möglicherweise oligarchisch
aufgebohrt - der Elitenansatz ist ein Relikt dieses Denkens) wurde lange
der gesellschaftsweite Entscheidungsbedarf abgewickelt. Planwirtschaft
war ein Rückfall in diesen Ansatz und ist deshalb an den heutigen
Herausforderungen noch eher als die kap. Warenwirtschaft gescheitert.

Dieses Problem, nämlich in diesem klassischen Ansatz für
gesamtgesellschaftlich relevante Entscheidungen über eine Struktur
verfügen zu müssen, die in der Reichweite ihrer Entscheidungsmächtigkeit
mit der Reichweite der Wirkmächtigkeit einer vernetzten Macht der
Agentien mithalten kann, bezeichne ich als Korngrößendilemma.  Das geht
seit wenigstens 300..500 Jahren nicht mehr und Markt ist eine sehr
radikale Antwort.  Das ist m.E. auch die entscheidende zivilisatorische
Errungenschaft von Marktwirtschaft. Heute brauchen wir aber mehr.

... Durch die sehr hohe Dimensionalität des Raumes
dinglicher Logiken ist der Effekt dieser Verdrängung aber ein anderer
als der heute zu beobachtende Effekt räumlicher Verdrängung: Der
Verdrängte hat viel mehr Ausweichdimensionen zur Auswahl als in einem
System, welches nur auf die blinde Geldmacht gründet, und kann (und
muss!) sich eine neue, seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechende
"sinnvolle" Tätigkeit suchen und dabei sein Kompetenzprofil
entsprechend weiterentwickeln und schärfen. ....

Verdrängung? Warum sollte überhaupt verdrängt werden? Der Raum ist ja
nicht durch knappes Geld begrenzt.

Ich gehe dabei von einem Minimalitätsprinzip aus, das m.E. der
Vergesellschaftung individueller Arbeit auch jenseits des Kapitalismus
eigen sein wird, weil Verschwendung etwas ist, das sich die Natur auch
anderswo nur dann leistet, wenn ein neuer Raum explorativ besetzt werden
soll bzw. muss. In diesem Sinn werden sich immer Mechanismen
herausbilden, die bewirken, dass gesellschaftlich erforderliche Arbeit,
wenigstens in den Kernbereichen, so verteilt wird, dass der
gesellschaftliche Aufwand dafür in der Summe minimal ist.  Von einigen
Details abgesehen bedeutet das, dass derjenige die Arbeit macht, der das
am besten kann. In dem Sinne Verdrängung, wobei ich mir durchaus einen
intensiveren Wettbewerb von Konzepten um die beste Lösung als heute
vorstellen kann, einschließlich der Lösung der "Brötchenfrage" dafür.

... muss da noch verdrängt werden? Könnte es nicht
sein, dass anstatt Verdrängung die Menschen von selbst zu dem gehen,
was gesellschaftlich sinnvoll ist?

Klar. "Nach kurzer Zeit wird es keine überlappenden Geschäftsfelder mehr
geben -- und sie werden dann auch nicht mehr Geschäfts- sondern
Kompetenzfelder heißen." Dabei wird sicher noch viel mehr vom Kopf auf
die Füße gestellt, denn es werden jahrtausende alte Denktraditionen zu
brechen sein. Wenn der Zustand erreicht ist, dann wirst du selbst sehr
schnell aus einem Bereich, der dir nur Frust bereitet (weil andere
dauernd besser sind als du), rausgehen. Heute wirst du dich mit aller
Macht dagegen wehren, weil jenseits deines heutigen Frusts im
ungeliebten Beruf mit Alg-II nur noch größerer Frust droht.

Der mawi-Text ist bewusst auch terminologisch so gehalten, dass an heute
gängige Argumentationsmuster angeknüpft wird, insbesondere mit dem
Vorteilsbegriff. Aber das hatte ich dir ja schon gesagt.

Viel Grüße, Hans-Gert

- --

   Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
   Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
   tel. : +49 341 97 32248
   email: graebe informatik.uni-leipzig.de
   Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe



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