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Re: [ox] Artikel zu Gesell/Tauschringe/Freiwirtschaft



Hallo bi0,

Er zeigt meiner Meinung nach ganz gut die Fehler der Freiwirtschaft

tut er nicht, ganz und gar nicht. Er tut nur so, als ob er das tut ;-)

aber auch die Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie (schaffendes und
raffendes Kapital, Gesells eugenische Motivation

Warum wieder diese Herabsetzung ohne Beweis und falsch dazu? Welche Nähe
zur Naziposition sollte gemeint sein? In der Freiwirtschaft gibt es
schonmal gar kein schaffendes Kapital, sondern geschaffen wird immer nur
von Menschen (das ist eine Kernthese). Wo in der Freiwirtschaftsleere
oder bei Gesell findet sich eine eugenische Motivation?

Die Stadt Witten in Nordrhein-Westfalen etwa kooperierte mit dem örtlichen Tauschring. Dessen Mitglieder trafen sich in städtischen Räumen und bezahlten Miete in ihrer Phantasiewährung, von dem Guthaben bezahlte die Stadt Mitglieder des Tauschrings, die die Räume renovierten. Anders gesagt: Bürger mussten für die Nutzung städtischer Infrastruktur bezahlen, und die Stadt etablierte einen Niedriglohnsektor für die Renovierung.

Angenommen, die Stadt hätte den Raum freiwillig kostenlos überlassen. Und
die Teilnehmer hätten den Raum freiwillig renoviert. Dann wäre kein Geld
im Spiel gewesen. Was aber wäre WIRKLICH anders gewesen? Auch in einer
Schenkungswirtschaft wird es welche geben, die viel mehr geben als sie
nehmen und andersherum. Ist das auch Ausbeutung?

Einige Tauschringe, etwa in Halle oder Worms, verlangen für Guthaben auf den Konten Zinsen. 

Das sind keine Zinsen, da die Wirkung eine ganz anders ist. Damit wird
der Akkumulation von Guthaben entgegengewirkt. Begriffe sollten schon
korrekt verwendet werden. Nur auf kurzfristige Verbindlichkeiten gibt es
sowas. Aber kleinen Tauschringsystemen fehlt natürlich die langfristige
Kreditvergabe, denn dann hätte man 0-Zins für den Kreditgeber.

Dies entspricht der Idee des deutsch-argentinischen Kaufmanns Silvio Gesell (18621930), dem Mentor der Tauschringe, ein so genanntes Schwundgeld einzuführen, also Geld, das ständig an Wert verliert. Gesell und seine Nachfolger behaupten, Geld sei wertbeständig und werde von Geldbesitzern gehortet, um Zinsen zu erpressen. Dadurch würden Wirtschaftskrisen ausgelöst.

Jede Inflation belegt, dass diese Annahme falsch ist. 

Totaler Fehlschluss. Wie kann man aus der Wirkung von Inflation im
Kapitalismus auf die Wirkung einer Umlaufgebühr in der Freiwirtschaft
schließen? Wenn ich eine Tomate aufschneide kann ich auch nicht auf das
Innere einer Kartoffel schließen, obwohl beide zu den
Nachtschattengewächsen gehören. Nein, denn es sind andere Pflanzen und
jeweils andere Teile der Pflanzen.

Inflation und Umlaufgebühr wirken völlig anders. Es gibt sie direkt
erstmal nur auf Bargeld. Auf Sichtguthaben nur über die Umlage für die
Umlaufgebühr auf Bardeckung inkl. der Verwaltungskosten. Auf Löhne,
Preise und langfristige Guthaben wirkt die Umlaufgebühr zunächstmal gar
nicht. Auf Schulden erst recht nicht.

Ich stelle mir die Frage: Weiss das der Autor nicht?

Gesell behauptet, nur bei hohen Zinsen würden die Geldbesitzer investieren. Dagegen beschwört etwa die OECD gerade die Staaten der EU, die Zinsen zu senken, um die Konjunktur anzukurbeln. 

Das ist der Balance-Akt des Kapitalismus. Die Zinsen müssen in einem
gewissen Korridor gehalten werden. Sind sie zu hoch, wird nicht
investiert. Sind sie zu niedrig, gibt es keinen Kredit. Wieder meine
Frage: Weiss der Autor das nicht?

Entgegen der vulgärökonomischen Zinsknechtschaftslehre, die von der Ausbeutung in der Produktion nichts wissen will, halten Banken auch bei niedrigen Zinssätzen das Geld nicht zurück. Jeder Blick in den Wirtschaftsteil einer Zeitung zeigt, dass Gesells Lehre unhaltbar ist.

Banken vermitteln nur Geld. Realzinsen unter 2% sind praktisch nicht
existent. Wie kann der Autor hier etwas anders behaupten? Wo hat er je
niedrigere Realzinsen gesehen? Der Nachsatz ist schier unglaublich: Der
Blick in den Wirtschaftsteil zeigt überhaupt nichts über Gesells Lehre.
Wenn doch, dann sollte der Autor dazuschreiben, was dort stehen würde,
was seiner Lehre widerspricht. Ein Realzins für Schulden unter 2% (meist
eher ca. 3%) kann es nicht sein, den wird man in keinem Wirtschaftsteil
finden. Nichtmal in Japan, denn dort gab es Deflation, wenn man die
rausrechnet, hat man wieder einen Zins über 2%.

1995 wurde der erste Tauschring von drei Anhängern Silvio Gesells in der Provinz Buenos Aires eröffnet. ... Die vermehrte Ausgabe von Creditos kurbelte jedoch nicht die Produktion an, wie die Aktivisten der Tauschringe und einige Linke vorhergesagt hatten. Es blieb beim Mischen von potenzsteigernden Kräutertees, wie die Neue Luzerner Zeitung berichtete, während es an Nahrungsmitteln fehlte. 

Hierzu fehlt mir das Hintergrundwissen. Ich werde nachforschen.

Mitte des Jahres 2002 tauchten insgesamt 260 Millionen gefälschte Scheine auf. Die Folge war eine rapide Inflation des Credito. 

Schwundgeld ist eben kein Spielgeld. Man muss es schon fälschungssicher
drucken, wie herkömmliches Geld auch.

Werden obendrein Strafzinsen verhängt oder wird Schwundgeld eingeführt, besteht keine Möglichkeit, für Zeiten der Krankheit oder das Alter durch Sparen vorzusorgen.

Das gilt nur dann, wenn man (Bar-)Geld (unter dem Kopfkissen) spart,
nicht wenn man es langfristig anlegt, was zumindest für das Alter
sinnvoll wäre. Für Zeiten der krankheit braucht man meist keine großen
Vermögen.

Das entspricht Gesells eugenischem Ziel. Er wollte einen Manchesterkapitalismus ohne Zins und Bodenrente einführen und glaubte, dass die Menschen mit den besten Erbanlagen wirtschaftlichen Erfolg hätten und sich am stärksten fortpflanzen würden. Dadurch würde es zu einer »Hochzucht« der Menschheit kommen, während die »Minderwertigen« verschwänden.

Wo der Autor das wohl her hat? Selbst erfunden und Gesell untergeschoben?

Tauschringe bedeuten Armutswirtschaft und Elendsselbstverwaltung. 

Nochmal meine Frage: Was so viel schlechter daran, als sich als
(Geld-)Arme gegenseitig zu beschenken?

Sie dienen als propagandistisches Vehikel für Utopien vom Schwundgeld und Phantasien von der »Zinsknechtschaft«. Während Industrie- und Finanzkapital untrennbar verflochten sind, unterschied Gesell zwischen bösen Geldbesitzern und guten Unternehmern. 

Da ist es wieder: Alle Unternehmer sind böse. Marxismus pur? Die wirklcih
Großen sind doch meist gar keine Unternehmer! Da sind die (angestellten)
Manager und die Großaktionäre. Echte Unternehmer arbeiten mit und
gehören i.d.R. auch zu den Zinsverlierern. Oder leugnet hier jemand,
dass es Zinsverlierer und Zinsgewinner gibt?

Auch Gesell bewegte sich in einem völkischen Milieu. Einer seiner Anhänger, Rolf Engert, notierte 1919: »Völkisches Empfinden duldet keine Zinsknechtschaft.«

Ja und? Was ist daran schlecht? Findet der Autor etwa Zinsknechtschaft
toll? Befürwortet der Marxismus Zinsknechtschaft? Sind daher Marxisten
auch Nazis? Ich weiss, die wurden von den Nazis verfolgt, nur: dei
Freiwirtschafter auch!

Ich hoffe, der eine oder andere verstehe, dass ich wütend werde, wenn ich
sowas lese. Voller Lügen über die und Diffarmierungen der
Freiwirtschaftslehre. Was soll damit bewiesen werden?

Alles Gute wünscht
       Michael

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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