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Re: [ox] Fragen der Frankfurter Rundschau an Oekonux



Hallo!

Na gut, dann beweg ich meinen oxmüden Hintern halt nochmal...

On Mon, Nov 17, 2003 at 03:22:19PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Mit dem anfragenden Redakteur konnten wir vereinbaren, dass die Fragen
an die Liste hier gehen, so dass wir alle Ideen hier sammeln und
diskutieren können. Ich mache - auch auf seinen Wunsch hin - eine
Zusammenfassung (6000+ Zeichen) und die restliche Kommunikation mit
ihm.

Gute Idee. Bin mal gespannt wieviel Ox und wie wenig Stefan Merten am
Schluss dabei rauskommt.

FRAGEN: Wohin führt der Erfolg?

1. Führt er zur Integration in die Marktwirtschaft, wird Freie
   Software kommerzialisiert?

Ja und Nein. FS war schon immer kommerziell. Jedoch funktioniert sie
auch schon immer anders als nach marktwirtschaftlichen Prinzipien.

   * Sparen die auf Gewinne zielenden Firmen wie IBM oder Sun
     Entwicklungskosten, indem sie die Leistungen von
     Freie-Software-Entwicklern verwenden?

Ich denke schon, auch wenn das nicht ihr dominierendes Motiv sein mag.

   * Scharf formuliert: Hilft die Freie-Software-Gemeinde dem
     Kapitalismus?

Das ist noch nicht entschieden. Zur Zeit haben wir die Situation, dass
FS manchen Firmen und Konzernen hilft und anderen schadet. Es ist
durchaus eine Zukunft denkbar, die sogar noch kapitalistischer ist als
unsere Gegenwart und in der es nur noch FS gibt. Aber es ist auch eine
Zukunft denkbar, in der FS einer von vielen Anfängen war, dem
Kapitalismus den Garaus zu machen.

   * Oder zumindest dem Teil der IT-Branche und Anwender, der sich vom
     Microsoft-Monopol verabschieden möchte?

Das ist auf jeden Fall so. Ohne das MS-Monopol gäbe es den Linux-Boom
nicht. Und ohne den Linux-Boom wäre FS nicht in aller Munde. 

   * Besteht die Gefahr, dass wenn die Wirtschaft die
     Entwicklungsziele setzt, die "Kultur" der Freie Software kaputt
     geht?

Ja. Wenn FS nur noch von einem Heer von Arbeitsameisen in den Cubicles
von IBM, HP, SUN und wem sonst noch verzapft wird, dann ist FS nur
noch unwesentlich besser als proprietäre SW. Dann ist der Zugang zum
Code nämlich nur noch ein formales Recht, dass faktisch nicht mehr
einlösbar ist.

Es gibt bei Oekonux eine weitverbreitete Hoffnung, dass die
Überlegenheit von FS eben gerade daher rührt, dass konzernbezahlte
Arbeitsameisen in Cubicles sowas wie Linux nicht zu stande brächten.
Ich denke, dass sich in dieser Hoffnung die Möglichkeit zeigt, dass es
etwas geben könnte was menschliche Kommunikation und Produktion
ausmacht, dass eine globale Konzernlogik nicht zu fassen kriegt.

Jetzt reagieren unterschiedliche Konzerne unterschiedlich auf diese
neue Herausforderung. Manche versuchen sich diese neue Logik zu eigen
zu machen, andere versuchen sie zu bekämpfen. Dabei wird alles
mögliche Neue entstehen. Wieviel von der neuen Logik dann am
Ende noch übrig ist, weiss man heute nicht. Was man jedoch weiss, ist,
dass es keinen Sinn macht, seine Hoffnung auf die Konzerne zu setzen,
sondernd darauf diese neue menschliche Logik weiterzuentwickeln und zu
verbreiten. Die Konzerne reagieren immer nur. Wie kann es auch anders
sein, bei solch gigantischen naturgemäß recht trägen Organisationen?

2. Oder kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg in
   eine  neue Ökonomie weisen?

   * Helfen IBM und Co, auch wenn sie es nicht wollen, dabei sogar?

Nein, nicht wirklich. Sie stören bisher aber auch nicht sonderlich.
Das Engagement von IBM & Co zeigt jedoch, dass FS wichtig geworden
ist. Wenn eine Organisation von IBM ihre komplette Konzernpolitik auf
ein Phänomen ausrichtet, dass vor ein paar Jahren noch einer Bande von
Internetjunkees und Informatikstudenten ihre Freistunden gefüllt hat,
dann zeigt das, dass sich etwas geändert hat. 

   * Ist Kommerzialisierung von Linux "gut"?

Ja, weil dadurch auch Bereiche mit der neuen Logik konfrontiert
werden, die ansonsten extrem abgeschottet sind. Nein, weil dadurch
auch umgekehrt die Gefahr besteht, dass die alte Logik die neue
dominiert.

   * Wie könnte der Weg zu einer alternativen Ökonomie aussehen?

Keine Ahnung. Bin ich Jesus? Ist Oekonux Jesus? Naja, soviel kann man
sagen: Es wird ein großes Durcheinander. Ich glaube das ist immer so,
wenn Menschen dabei sind.

   * Welche Rolle spielt das Internet dabei?

Es wird sein bestes geben, Datenpakete dort abzuliefern, wo sie
hinsollen. Im Ernst: Nicht das Internet macht den Unterschied, sondern
die Menschen. 

Dazu genauer:

A. Software ist zwar extrem wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist
   nicht alles. Auf welchen Gebieten lassen sich
   Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

Auf allen. Die digitale Kopie vereinfacht manches, sicher.

   * Gibt es Beispiele dafür, die über freie Musik, Texte und ähnliche
     "immaterielle" Produkte hinausgehen?

Natürlich. Jeder hat einen Freundeskreis in dem man sich austauscht,
Tipps gibt, zusammen Wohnungen renoviert oder ähnliches. Dort
existiert Konkurrenz zwar, aber sie wird freundschaftlich und nicht
existenziell ausgelebt. Dort gibt es die neue Logik doch schon immer,
nur eben im kleinen. FS macht das ganze halt ein paar Nummern größer.

   * Wie stehen die Chancen für "Hardware" vom Auto bis zum Joghurt?

Ich sehe die große Hürde nicht so sehr bei der Hardware. Es gibt
Software-Bereiche, die sind schwieriger in der neuen Logik zu
organisieren, als mancher Hardwarebereich. Oekonux hat sich IMHO
bisher vielzusehr an dieser Hürde abgearbeitet. 

B. Wenn es einen solchen Weg in eine andere Ökonomie gibt, wie kann
   man sich den vorstellen?

   * Geht das quasi von selbst, weil die Industriegesellschaft sich
     zur Informationsgesellschaft wandelt, oder muss der Weg
     "organisiert" werden?

Organisiert werden muss immer. Nur kann es dabei keine Organisierten
mehr geben.

   * Sind Projekte wie Oekonux mehr als ein Experimentierfeld oder
     eine Spielwiese für eine privilegierte Minderheit von Experten?

Sie sind genau das. Aber: Jeder Mensch ist ein Experte. Schafft tausend
Spielwiesen :-)

C. Wie können mehr Menschen zum Mitmachen gewonnen werden?

   * Was kann der Einzelne tun?

Keine Word-Dokumente mehr verschicken.
PNG statt GIF auf die Webseite setzen.
OGG statt MP3 benutzen.
FS statt proprietärer SW einsetzen.
Leuten FS erklären.
"Windows kenn ich nicht" sagen und trotzdem Ahnung von Computern haben.
Alles was man selbst macht, frei zur Verfügung stellen, sobald man
  sein eigenes Überleben gesichert hat.
Einen Umsonstladen aufmachen.

Und vor allem: Mehr spielen, weniger arbeiten.

   * Wo liegen die größten Hürden für eine andere Wirtschaft, beim
     Markt, der Politik, den Leuten?

Überall zugleich.

   * Es hat den Anschein, dass es eine Art Rollback gibt: Kampf gegen
     Musiktauschbörsen im Internet, Versuch, Softwarepatente in der EU
     einzuführen, Vorwürfe von SCO gegen Open Source. Wie ernst ist
     das für die Oekonux-Perspektive zu nehmen?

Sehr Ernst. Auffällig ist, dass viele der so hochgelobten FS-Konzerne
sich bei manchen dieser Auseinandersetzungen auf einmal auf der
anderen Seite wiederfinden.

Grüße, Benni

-- 
http://www.aymargeddon.de

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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