Re: [ox] Re: DDR und GPL-Gesellschaft
- From: Thomas Uwe Gruettmueller <sloyment gmx.net>
- Date: Sat, 8 Nov 2003 06:23:59 +0200
Hi, Thomas!
On Freitag 07 November 2003 14:51, Thomas Murphy wrote:
Ignorance is strength.
Noch ein 1984-Fan, au weia!
Vielleicht waren meine Worte etwas hart, aber mich
nervt dieser ganze Ostalgie Quatsch einfach, mit dem versucht
wird, ein schweres Thema deutscher Geschichte zu übertünchen
statt es aufzuarbeiten.
Unter Ostalgie-Quatsch verstehe ich, wenn sich Leute mit
FDJ-Hemden und Jesuslatschen auf Partys treffen, um DDR-Musik zu
hören und Club Cola zu saufen. Das ist zwar insofern ganz nett,
als dadurch die DDR nicht völlig in Vergessenheit gerät, wie es
die BRD gern hätte, andererseits Blödsinn, weil man sich da an
Oberflächlichkeiten festkrallt. Der Sender RTL macht gerade eine
Sendung in diese Richtung, na ja... Da ist es sicher
geistreicher, sich alte DDR-Filme auf ORB anzusehen.
Zweitens informiere dich bitte, welche Werte im real
existierenden Sozialismus hochgehalten wurden. Spontan fällt
mir dazu ein:
* Frieden, Freundschaft, Solidarität
(... von der Stasi garantiert, wer da nicht reinpasst wird
umerzogen)
Keine Ahnung, was du meinst. Die drei Schlagworte beziehen sich
auf die Außenpolitik:
* Frieden: Zu DDR-Zeiten galt die Losung, daß von deutschem
Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfe. Nun ja, seit 1998
sind bekanntlich neue Sitten eingekehrt, liegt diese Regelung
auf der Müllkippe.
* Freundschaft: Hierzu zählt die Achtung aller Menschen als
gleichwertig, unabhängig von ihrer Sprache, Hautfarbe
etc. (also genau das gegenteilige Programm von dem der Nazis,
die die Juden als "Ratten" und die Slaven als "Untermenschen"
ansahen und entsprechend behandelten. An diesem wichtigen
Punkt (und anderen) hinkt dein Faschismusvergleich gewaltig!).
* Solidarität: Hierunter fällt z.B. gegenseitige wirtschaftliche
Hilfe zwischen den Staaten.
* soziale Gerechtigkeit
* Es gab in der DDR keine Obdachlosigkeit (das war für einige
Übersiedler die erste Supersensation im Westen: "Hey, habt ihr
auch schon einen Penner gesehen?" -- "Ja, sogar zwei Stück.")
Obdachlosigkeit u.ä. gab es in der DDR allenfalls in "Pats
Reiseabenteuern".
* Es gab in der DDR keine Langzeitarbeitslosigkeit, welche im
Kapitalismus sozialen Abstieg bedeutet. Selbst bei
unentschuldigtem Fehlen o.ä. war der Arbeitsplatz nicht
gefährdet.
* Es gab keine Unterschiede im Ansehen durch Beruf,
Statussymbole, Kontostand o.ä. Es gab keine Mode im Sinne
wechselnder Trends. Unter dem Begriff "Mode" verstand man
einfach nur Kleidungsdesign. Unter dem Begriff "kleine Leute"
verstand man Kinder und nicht etwa verbuckelte Kriecher.
* Es gab freie Berufswahl (anders als im Westen, wo man nehmen
muß, was man kriegen kann).
* Alle Studenten bekamen ein Stipendium.
* Schulbücher waren zu einem symbolischen Preis (1 bis 2,- M)
erhältlich.
usw.
(z.B. nur wer in der Partei ist darf studieren...
So eine Regelung kenne ich nicht. Aber es gab irgendeine
bescheuerte Regel, nach der es irgendwelche Vorteile für ein
Studium hatte, wenn man drei Jahre bei der NVA war, statt 1 1/2.
Wahlverweigerer kommen in den Knast)
Blödsinn. Von wann stammen deine Informationen? In den 80ern war
das jedenfalls nicht so.
* Wissenschaft und Technik
Die Verehrung von Wissenschaft und Technik zeigt sich z.B. in der
Wahl von Hammer und Zirkel als Wappensymbole der DDR.
* Wissenschaft wurde dem Zweck unterworfen, zu lernen,
Naturkräfte zum Wohle des Menschen zu nutzen. (z.B. in den
(gescheiterten?) Versuchen, Apfelbäume in Sibirien wachsen zu
lassen) Im Kapitalismus ist Wissenschaft hingegen entweder
kommerziellen Interessen unterworfen, d.h. sie soll Patente
hervorbringen, oder aber sie artet in Beliebigkeit aus (z.B.
in Uni-Seminare über die Nichtexistenz Gottes).
* Technischer Fortschritt ist im Sozialismus gleichzusetzen mit
Arbeitserleichterungen. Im Kapitalismus hingegen dient
Rationalisierung der Einsparung von Lohnkosten.
usw.
Wenn man in einem Käfig sitzt, dann sind diese Dinge doch
nichts wert. Wenn Freundschaft nicht von Herzen kommt, sondern
eine Illusion davon aufdiktiert wird, ist das doch lächerlich.
Ich denke nicht, daß diese Werte aufdiktierte Illusion sind. So
waren z.B. beim Angriff auf Jugoslawien im Westen anfangs 70%
der Bevölkerung, im Osten hingegen nur 25% dafür.
Natürlich war nicht alles optimal, aber zu behaupten, der
Realsozialismus habe *gar nichts* mit seinen Werten zu tun
gehabt, ist einfach dummes Zeug, wie es nur von einem Wessi
kommen kann. Der Kapitalismus hat es hingegen leichter, da er
sich einzig Geld-Werten verpflichtet hat.
Wir sind frei, daß ist erstmal alles was zählt - und das ich
etwas anderes von einem Ossi höre finde ich bedenklich.
Frei wozu, bzw. wovon?
* Die Freiheit zu Reisen wird häufig genannt. D.h. einfach so zu
einer Konferenz nach Wien zu fahren, wäre zu DDR-Zeiten nicht
so leicht möglich gewesen.
Hierzu sollte man wissen, daß die Teilung Deutschlands aktiv
von westlicher Seite her erfolgte:
* So wurde die SBZ bei der Gründung der BRD ausgeschlossen.
* Durch den Verzicht auf Reparaturleistungen und den
Marshall-Plan erhielt die BRD einen wirtschaftlichen
Vorsprung gegenüber der DDR, den diese nicht mehr aufholen
konnte. Um die Abwanderung, insbesondere der
hochqualifizierten Befölkerung zu stoppen, wurde die Grenze
dichtgemacht.
* Desweiteren hat das Handelsembargo gegen die
Ostblockstaaten einen technischen Rückstand erzwungen. Das
Embargo bestand bis zum Zusammenbruch des Realsozialismus,
bzw. noch heute z.B. gegen Kuba.
* Freiheit zur Kommunikation fällt mir noch ein. Es gab kaum
unabhängige Verlage, und jedes Druckerzeugnis erforderte eine
spezielle Lizenz. Für Kleinauflagen (z.B. bei Doktorarbeiten)
gab es noch keine Fotokopierer (wegen des technischen
Rückschritts). Hexagraphie war stattdessen üblich.
Die Frage wäre nun, wie sich die Situation im
Internetzeitalter verändert hätte. Dies ist jedoch reine
Spekulation.
* Umgekehrt ist natürlich zu sagen, daß die DDR durchaus frei
war -- befreit vom Großgrundbesitz, von Klassengesellschaft,
von Krieg usw.
Ich habe einen Freund, der bei einem Fluchtversuch erwischt
wurde und in einem Arbeitslager steckte, ich glaube der kann
über die DDR eine bisschen fundiertere Stellungnahme abgeben,
Dann wird in seinen Erinnerungen die DDR wie ein großer Knast
aussehen. Das wäre aber eine unzulässige Verallgemeinerung.
Interessanter fände ich, warum er überhaupt aus der DDR weg
wollte.
Ich wollte aus rein wirtschaftlichen Motiven weg. Das ist auch
verständlich, denn im Westfernsehen lief pausenlos Werbung für
Hanuta und Mumm-Sekt und sogar für fiktive Produkte wie
ISDN-Bildtelefone und hochauflösende Fernseher mit 2048x1152
Pixeln Auflösung. Beides gibts bis heute nicht (wirklich).
als jemand, der dort einfach mit dem Strom schwamm.
Da mußt du einen ziemlch weiten Begriff von haben. Ich war
schließlich der einzige Nicht-Pionier in zwei verschiedenen
Schulen und habe im Unterricht behauptet, daß sich, wenn die
Grenze aufginge, sich die "Erich-Honnecker-Bande die Stullen
alleine schmieren" müßte (Der Erklärungsversuch ist natürlich
unzureichend und entspricht auch nicht mehr meiner heutigen
Meinung -- s.o.).
Ich glaube was Du hochhalten möchtest, sind eigentlich Dinge
wie der erste Kuss hinter der Turnhalle, mit Opa Angeln gehn,
etc. - aber das hast Du nun wirklich fast überall.
Nein. Diese schönen Momente im Privatleben sind natürlich
unabhängig vom politischen System, genau wie die blaue Farbe des
Himmels.
Dennoch ist ein vernünftiges Wirtschaftssystem die Vorraussetzung
für ein erfülltes Leben. So kann es sein, daß man im
Kapitalismus jahrelang kaum Freude am Leben hat, wegen
irgendwelchem Dreck, den es so im Sozialismus nicht geben würde
(z.B. Langzeitarbeitslosigkeit und dessen Folgen im
Kapitalismus: Verlust an Ansehen, Verlust an Lebensstandard,
Ungewißheit, evtl. Umzug in eine andere Stadt und dadurch
Verlust an Freundschaften usw.).
Andererseits dürfte das Leben eines Langzeitarbeitslosen im
Kapitalismus noch einigermaßen erträglich sein, verglichen mit
dem eines KZ-Sklaven, der für den Maximalprofit arbeiten muß.
Der Wert eines Systems misst sich meiner Meinung
nach an Werten wie Meinungsfreiheit,
Ich denke ich war auch zu DDR-Zeiten durchaus so frei, eine
Meinung zu haben, wenn auch nicht meine heutige (oder meinst du
1984mässig den Zustand, frei von Meinung zu sein?).
Demokratie,
In den sozialistischen Experimenten war Rätedemokratie üblich.
Dagegen wird oft argumentiert, dies sei bloß eine
Scheindemokratie, aber das denke ich über die parlamentarische
ebenso. Beide Ansätze sind jeweils besser als nichts, aber für
eine echte Demokratie, bei der das Volk jedes kleinste Detail
der Politik selbst bestimmt, ist ein komplexeres Modell
erforderlich, das erst noch zu entwickeln ist. Möglicherweise
erfordert dies auch Technik, die vor 13 Jahren und zuvor noch
gar nicht zur Verfügung stand (z.B. das Internet).
Selbstbestimmung
Auf staatlicher oder privater ebene? (Worauf willst du genau
hinaus?)
und Privatsphäre
Auch hier ist mir nicht klar, worauf du hinaus willst. Heimliche
Wohnungsdurchsuchungen?
- und da verliert die DDR in allen Punkten.
Nun, wie gesagt, sie war nicht perfekt.
cu,
Thomas }:o{#
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"Look! They have different music on the dance floor..."
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