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Re: Zur Hierarchie (was: Re: [ox] aHa!)



Ref.: 	«Zur Hierarchie (was: Re: [ox] aHa!)»
 		Stefan Merten
 		(2003-03-17, 14:58:35 [PHONE NUMBER REMOVED], KW 12/2003)

IIRC ist die Lexikonübersetzung wohl "heilige Herrschaft" - der
Begriff stammt wohl tatsächlich aus der (nur christlichen?) Kirche.

Vielleicht wäre aber auch "Rangordnung unter den Heiligen" (Priestern
bzw. Engeln) eine adäquatere Übertragung ins Neudeutsche?

Vielleicht hat man einfach erst in ihrem Zusammenhang so gründlich
über das Phänomen hierarchischer Strukturen "nachgedacht", daß man
gerade in diesem Zusammenhang erst auf einen feststehenden Begriff
gekommen ist, den man in Folge maßgeblich erweitern konnte, als sich
die Weltsicht (-wahrnehmung!) entsprechend erweitert hat --?

Im Lichte der hiesigen Debatten ist das "heilig" daran selbstredend
hochverdächtig. 

Dies wäre dann nicht mehr der Fall, weil die spezifische
Zusammensetzung des Wortes dann historisch, als bloßer Ausgangspunkt,
quasi als Aufhänger, erklärt wäre... Man geht ja auch an den Ausdruck
Quarks nicht so heran, daß man versucht in den verschiedenfarbigen
Quarks den eher einfarbigen Quark verwurzeln zu wollen. (Oder?)

Das "heilig" bezieht sich ja gerade auf im wahrsten Sinne des
Wortes transzendente Institutionen (z.B. Gott), die die Herrschaft
legitimieren. 

Wenn aber das Wort Hierarchie als Beschreibung der Ordnung unter den
Heiligen erdacht wurde, dann ist es nicht Grundlage ein transzendenten
Bezugs, sondern nur sein _Ausdruck_.

Und _Ausdruck_ eines transzendenten Bezugs ist das Wort Hierarchie
auch in seiner modernen Bedeutung allemal. Ebenso, übrigens, wie das
Wort Struktur: Sie verweisen auf einen Zusammenhang, in welchem
Komponenten sich befinden, welcher ihnen (angeblich) nicht immanent,
ihnen also übergeordnet ist. Diese Worte weisen im Grunde darauf hin,
daß die Komponenten der jeweiligen Hierarchie / Struktur gar nicht
einzeln betrachtet werden können, weil sie nur in dem durch die
Hierarchie bzw. Struktur beschriebenen Zusammenhang existieren
(können). Sie beschreiben also die Grenzen der Immanenz.

Diese Grenzen geraten einem aber leicht aus den Augen, wenn man dazu
neigt, übergeordnete Zusammenhänge zu vernachlässigen:

Das kann also irgendwie nicht emanzipatorisch sein, da diese
transzendenten Bezüge halt einerseits über die Menschen drüber weg
brettern und eben nicht ihre Bedürfnisse berücksichtigen.

Hierarchien entstehen nicht gegen die Bedürfnisse ihrer
Komponenten. Auch die Hierarchie der Priester oder der Engel
brettert(e) nicht über "die Menschen" hinweg! Es sei denn man erklärt
sich die Herausbildung von Strukturen und Hierarchien ausschließlich
verschwörungstheoretisch. Die Hierarchisierung der Gesellschaft ist
immer eine Folge ihrer historisch-spezifischen "Bedürfnisse", mithin
der Bedürfnisse der Menschen, aus denen sich diese Gesellschaften
zusammensetz(t)en.

Zum Beispiel: keine Kornspeicher und keine Bewässerungsanlagen ohne
verantwortliche Strukturen, sprich: ohne Hierarchie. Diese Hierarchien
waren nicht antastbarer als irgendwelche ausdrücklich "heilig"
genannten -- und sie entsprangen den Bedürfnissen der Menschen nach
Emanzipation aus der allzu engen Abhängigkeit von der Wankelmütigkeit
der Natur.

Aber auch die Heiligkeit(en) an sich (also im geistigen
bzw. geistlichen Sinne) entspringen dem Bedürfnis nach Emanzipation,
wie Dir jeder konvertierte Gläubige bestätigen wird, der sein
Bekenntnis zum Glauben (an irgendwas Transzendentes) als Befreiung
empfindet... ;-) (-- das ist zwar was anderes als vor "einigen"
Jahrhunderten, steht aber trotzdem in ähnlichem Zusammenhang.)

Hierarchien haben also in meinen Augen weder auf der materiellen noch
auf der ideellen Ebene etwas (ausschließlich) anti-emanzipatorisches
an sich. Ganz im Gegenteil. Sie fördern die Stabilität (-- wie Du ja
weiter unten selber sehr ausführlich beschrieben hast --) und sind
somit einerseits Garant für das Bestehen von etwas Bestehendem, als
auch für das Entstehen von etwas Neuem -- als auch... für die
"Verkrustung" des "alten Neuen" gegenüber etwas neuem Neuen! -- Nur
darf man diesen letzten Aspekt nicht separat betrachten und zum Anlaß
nehmen, den positiven Zusammenhang zwischen Strukturen / Hierarchien /
Institutionen einerseits und dem Prozeß der Emanzipation andererseits
zu negieren.

... Gäbe es vielleicht auch noch was zu überlegen / differenzieren.

Ich hoffe, ich bin Deinem Anspruch ein bischen gerecht geworden ;-)

... Gleichzeitig tut jede Ordnung / Struktur den Dingen natürlich
auch irgendwie Gewalt an, indem es die Dinge in ihnen äußerliche
Strukturen einsortiert. Wohl eine unauflösbare Spannung.

Alle(?) Dinge, die wir uns vorstellen können, existieren nur aufgrund
ihrer Struktur -- und zwar, sofern dies keine (im direkten oder
übertragenen Sinn) flache Struktur ist, ihrer hierarchischen Struktur.

Und das bezieht sich nicht nur auf "irgendwelche Objekte unserer
Umwelt", sondern auch auf die menschliche Gesellschaft in jeglicher
Ausprägung. -- Oder etwa nicht?

Ich möchte also vor allem folgenden Gedanken ausdrücklich bestreiten:

Ist Hierarchie also bezogen auf irgendwelche Objekte unserer Umwelt
ein nützlich Ding, so ändert sich das Bild wenn wir es auf Menschen
projizieren. Just die Aspekte von Hierarchie, die bei Objekten
sinnvoll sind, sind es bei Menschen unter emanzipatorischer Perspektive
gerade nicht. Die bei Objekten nützliche Abstraktion heißt bei
Menschen tendenziell ein Verlassen der konkreten Bedürfnislage. Je
weiter die Abstraktion geht, desto stärker verschwinden die je
konkreten Bedürfnisse. Menschen werden in solchen abstrakten Gebilden
schnell zur reinen Funktion und damit eines Teils ihres Menschseins
beraubt.

---

Mir scheint Dein Blickwinkel unterscheidet sich von meinem darin, daß
Du in der Bezeichnung Hierarchie sozusagen die Heilig*sprechung* einer
subjektiv angestrebten Herrschaftsstruktur siehst, während ich in ihr
einen Ausdruck der bzw. für die real-existierenden Strukturen
(einschl. Herrschaftsstrukturen) sehe. 

Mir scheint, daß es früher durchaus üblich war, dasjenige als heilig
zu empfinden, was real zu sein schien und worin man einen Sinn zu
erkennen vermeinte. Daß (vermeintliche) Erkenntnis auch durch
Manipulation erzeugt und/oder im Sinne partikularer Interessen
mißbraucht werden kann, darf nicht zur Verurteilung der Erkenntnis
führen. 

Die Abstraktion, die eine Hierarchie also leistet, bedeutet bezogen
auf Menschen also eine Entfremdung von ihnen. 

Abstraktion ist eins der Momente der Erkenntnis, mehr nicht.

Und zur "Entfremdung" (bzw. zum Hindernis bezüglich der
Bedürfnisbefriedigung und der Emanzipation) führt auch das Gegenteil,
der Mangel an Abstraktion, das (Über-)Betonen von Partikular- oder
Individualinteressen, das Verkennen von Zusammenhängen und
Gemeinsamkeiten etc.

Kurz: Nur eine schlechte Abstraktion ist eine schlechte Abstraktion!

Gruß, El Casi.
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