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Re: [ox] text: Computer als Maennermaschine von Francis Hunger



Hi ThomasB und Liste!

6 days ago Thomas Berker wrote:
Tuesday, March 18, 2003, 3:38:41 AM, you wrote:
...
Wer so miserabel recherchiert und offensichtlich die Thesen rauspickt,
die gerade ins verfolgte Konzept passen - egal wie schlecht sie belegt
sind -, der disqualifiziert sich m.E. selbst.
...

Ohne auf den Inhalt einzugehen (was du ja auch nicht tust),

Hole ich gleich nach. Ich hatte bisher nur den Einstieg gelesen - und
mich geärgert.

ist in der
Tat ein Problem, dass es meines Wissens extrem wenige Quellen einer
skeptischen Auseinandersetzung mit freier Software(entwicklung) gibt,
auf die man sich beziehen koennte.

Das kann wohl sein.

Beschreibungen kommen in der
Mehrzahl entweder aus dem Inneren der 'Szene' (oder wie man das auch
immer nennen mag) oder von 'sympatisierenden' BeobachterInnen. Deshalb
wuerde ich die mangelnde Quellenlage nicht als einzigen Einwand
stehenlassen wollen ('disqualifiziert sich selbst').

Nun, was mich geärgert hat, war nicht die mangelnde Quellenlage -
dafür kann sie natürlich nichts. Ich fände es aber seriös, wenn sie -
wie du es getan hast - auf dieses Problem hinweist und die vorhandenen
Quellen mit der entsprechenden Vorsicht behandelt. Sonst kommt sie für
mich halt in den Geruch, dass sie sich von ihrem Thema entfremdet hat
und einfach irgendwas zeigen will, was ihr gerade am Herzen liegt. Das
ärgert mich. Aber da sitzt sie mit dem Herrn Winzerling wirklich im
gleichen Boot. Über den vielen Stuss, den der saubere Herr Winzerling
entgegen ihrer Behauptung eben *nicht* bereit ist zu diskutieren, und
den sie brav nachbetet, lasse ich mich nicht mehr aus.

Mir scheinen aber auch Sätze wie dieser ein fundamentales Problem zu
sein:

  Diese und weitere AutorInnen gehen vor allem der Frage nach, welche
  Motivationen die ProgrammiererInnen haben, innerhalb einer
  gewinnorientierten Gesellschaft an einem Projekt teilzunehmen, *dass
  sich auf den ersten Blick den Kategorien kapitalistischer
  Verwertungskriterien zu entziehen scheint*.

  [Hervorhebung von mir]

Hier impliziert sie mehr oder weniger, dass es sich eben bei genauerem
Hinsehen eben den allseits vertrauten Kategorien *nicht* entzieht.
Über das Ob und das Inwieweit unterhalten wir uns hier allerdings
schon seit längerem. Wenn mensch es aber als Denkmöglichkeit a priori
ausschließt - und das tut sie m.E. mit solchen Sätzen und auch im Rest
des Textes - dann brauchen wir darüber nicht mehr zu reden. Ob sie
damit allerdings der Realität gerecht wird, das wage ich doch heftig
zu bezweifeln.

Anyway frage ich mich, wieso Leute wie sie sich nicht groß angelegte
Gedanken über Dinge wie Briefmarkensammeln, die Pflege von
Schrebergärten oder Amateuer-Bands machen. Warum sind sie davon nicht
genauso irritiert wie von Freier Software? Da gibt es schon ein paar
strukturelle Ähnlichkeiten. Kommt auch explizit vor:

  3.1.2. Properitäre Software und die Reaktionen

  ...

  Neue kollaborative Arbeitsweisen verbreiteten sich dort, wo genügend
  gesellschaftliche (Zeit)Ressourcen frei waren, um den
  ProgrammiererInnen der größtenteils kosten- also auch
  entlohnungslosen Freien Software den Rücken freizuhalten.

Um das an einem völlig beliebigen Beispiel zu spiegeln:

  Die Gewohnheit des täglichen Kochens im Privathaushalt verbreitete
  sich dort, wo genügend gesellschaftliche (Zeit)Ressourcen frei
  waren, um den KöchInnen der größtenteils kosten- also auch
  entlohnungslosen mittäglichen oder abendlichen Gerichte den Rücken
  freizuhalten.

Das ist genauso wahr, führt aber nicht zum allgemeinen Staunen. Warum?

Was mir auch nicht gefällt:

  3.3.1 Klubmitglieder

  ...

  Die geringe Teilhabe von Frauen im sozialen Raum der Open Source
  Bewegung ist also keine Zufall, sondern sie wird durch den
  technologischen Diskurs bestimmt, der die Open Source Bewegung
  konstituiert und der deren kulturelles Kapital darstellt. Die im
  Open Source Umfeld verbreitete Zustimmung zum Bild des Hackers** ist
  einer der Ausschluss-mechanismen, die hier greifen und die
  Geschlechterhierarchien manifestieren. Rizvi/Klae-ren (1999)
  schreiben, dass es gerade das Bild vom Hacker ist, dass Frauen von
  (einem Stu-dium) der Informatik abschreckt. Daraus lässt sich
  schlussfolgern, dass es gerade die Selbst-identifikation des Open
  Source Umfeldes mit der Figur des Hackers ist, der Frauen von einer
  Teilnahme generell abschreckt.

Der erste Teil ist entweder sexistisch oder trivial. Wenn das
technologische Bild Freier Software - immerhin handelt es sich ja bei
Software auch nicht ganz unwesentlich um Technik - Frauen hindert,
dann weil Frauen *als Frauen* nicht an Technik interessiert sind. Das
ist entweder ein sexistisches Argument oder es spiegelt sich das
wieder, was Frauen spätestens ab der Geburt beigebracht bekommen.
Letzteres ist aber nicht sonderlich spannend sondern Standard und
spiegelt sich in Freier Software nur. Interessant wäre dann schon eher
die Frage, wieso das bei kommerzieller Software eigentlich anders ist.
Ich muss Andrea immer mehr recht geben, dass das die eigentlich
spannende Frage ist.

Was auch störend ist: Das Bild der HackerIn entspricht - abgesehen vom
Geschlecht - nicht dem Bild des Nerd, das sie hier wohl im Hinterkopf
hat. Wenn ich an den FLOSS-Vortrag der Konferenz denke, dann war das
eine der deutlichen Aussagen, dass nach dieser Untersuchung
HackerInnen überwiegend keine Nerds sind. Und auch die Definition, die
sie selbst in der Fußnote bringt...

  »Hacker [...] 1. Eine Person, die mit Vergnügen die Details eines
  programmierbaren Systems erkundet und wie dessen Möglichkeiten
  ausgeweitet werden können. Ein Hacker steht im Gegensatz zu den
  meissten Benutzern, die es vorziehen nur das absolute Minimum zu
  erlernen« (Anon. Hackers Dictionary; Übersetzung F.H.; im Original:
  »Hacker [...] 1.A person who enjoys exploring the details of
  programmable systems and how to stretch their capabilities, as
  opposed to most users, who prefer to learn only the minimum
  necessary...«)

...würde ich mit einer interessierten Fachperson (jeglicher
Fachrichtung) identifizieren. Was ohne Rückgriff auf sexistische
Argumentationsmuster daran besonders Frauen abschreckend sein soll,
müsste mir dann aber mal jemensch erklären.

So gesehen wäre hier eigentlich die interessante Frage, wer in dieser
Gesellschaft das Bild des Nerds so vehement, aber dennoch
kontrafaktisch pflegt. Sie hat sich jedenfalls nicht darum verdient
gemacht, damit aufzuräumen.

  Kulturelles und soziales Kapital sind für Open Source genau deswegen
  wichtig, weil eine Person sie potenziell auch immer in ökonomisches
  Kapital umwandeln kann. Dieses immanente Versprechen, trägt
  letztenendes das Konstrukt von der »Geschenkökonomie« (Raymond).
  Gäbe es dieses Versprechen nicht, wäre der Open Source Gedanke in
  einer mehrwertorientierten Gesellschaft nicht derart stark
  gewachsen, wie es in den letzten Jahren der Fall war.

Nun, eine steile These. Fakt ist, dass es diesen Anreizmechanismus
überhaupt erst gibt, seit dem Freie Software hip ist. Für die Leute,
die bis sagen wir 1999 Freie Software geschrieben haben, gab es das
schlicht nicht, weil außerhalb Freier-Software-Kreise diese eher
belächelt denn ernst genommen wurden. Wann hat IBM noch seine
Kehrtwende auf diesem Gebiet gemacht? 2000? Um mal ein gut sichtbares
Beispiel zu nennen.

Den heftigen Aufschwung Freier Software als *dadurch begründet*
anzusehen, halte ich für wenig gedeckt. Ich will ja nicht bestreiten,
dass die Steigerung des eigenen Marktwerts für einige ein Anreiz ist
und *als Potenz* auch so wahrgenommen wird, aber dass es ein faktisch
wesentlicher Anreiz ist, gibt z.B. auch die FLOSS-Studie in dieser
Eindeutigkeit nun wirklich nicht her:

	http://floss1.infonomics.nl/stats_24.html

Auf die Frage "If you had to describe the OS/FS scene in general,
which of the statements below reflects most your opinion? The OS/FS
scene is a forum... (check maximal 3 answers)" bekommt die Antwort
"for career improvements" gerade mal 4.26% - die geringste Quote
überhaupt! Auch hier wieder: Die Fakten sprechen nicht gerade für ihre
Lesart sondern deuten im Gegenteil eher darauf hin, dass die
Selbstentfaltungsaspekte tatsächlich im Vordergrund stehen.

Herb wird's dann an solchen Stellen

  3.3.2. Transformation der Öffentlichkeit, Prekarisierungstendenzen
         und Lob der Arbeit

  ...

  Scholz sieht in der kapitalistischen Logik des Warentauschs eine
  geschlechtliche Dimension, die vom Patriarchat bestimmt wird. Diese
  Logik des Warentauschs basiert auf dem Prinzip der abstrakten
  Arbeit, als den Anteil an Arbeit, der ausgeführt wird, um etwas
  herzustellen, dass getauscht werden kann (üblicherweise gegen Geld).
  Abstrakte Arbeit ist also diejenige, die auf den Wert eines
  Gegenstandes abzielt, abgesehen von dessen konkreter Verfasstheit.
  Die abstrakte Arbeit unterscheidet man von der konkreten Arbeit, die
  den Anteil an Arbeit meint, der in die tatsächliche Herstellung,
  die materielle Formung der Ware eingeht und der in einem
  dialektischen Verhältnis zur abstrakten Arbeit steht.

Nun muss mensch ja nicht die ganze Oekonux-Theorie voll verinnerlicht
haben um zu erkennen, dass es mit dem Tausch in der Freien Software
nicht so weit her ist. Auch hier wieder die FLOSS-Studie:

	http://floss1.infonomics.nl/stats_26.html

Auf die Frage: "Developers contribute to the OS/FS community in
different ways, and they receive many benefits from it. In general,
how do you assess your balance?" meinen über ca. 56%, dass sie mehr
nehmen als geben, während ca. 9% der umgekehrten Auffassung und ca.
15% einem Ausgleich zuneigen. Irgendwie ist das kein Tausch - oder?

Nun, ich würde natürlich ohnehin sagen, dass es sich bei Freier
Software eben *gerade* um konkrete Arbeit handelt. So gesehen wäre die
Beteiligung von Männern an Freier Software nach Roswitha Scholz eben
gerade *nicht* zu erwarten.

Das Problem sieht sie auch, leugnet es aber:

  Wie können Scholz Thesen in Bezug auf Open Source gelesen werden?
  Wenn sich Männer also abstrakter Arbeit im Kontext einer
  öffentlichen Sphäre hingeben, so entspricht dies dem von ihnen
  erwarteten Rollenverhalten und mithin der erfolgreichen Konstruktion
  männlicher Identität. In der Herstellung von Open Source Code findet
  sich abstrakte Arbeit insofern wieder, als das auch Open Source
  durch Tauschverhältnisse bestimmt ist und die Software als Träger
  von Wert fungiert.

Wie gesagt: Das haut einfach nicht hin. Dass auch sie zumindest weite
Teile Freier Software einfach nehmen kann ohne etwas dafür zu geben,
widerspricht einfach dem Tausch.

  Dieser Wert verwirklicht sich allerdings häufiger
  in Form kulturellen und sozialen Kapitals, einmal abgesehen von der
  erfolgreichen Realisierung von Wert in ökonomisches Kapital bei der
  Kommerzialisierung von Open Source.

Ich würde vermuten, dass Roswitha Scholz einer solchen Dehnung des
Wertbegriffs widersprechen würde.

Ganz kraus wird's dann hier:

  In einer Zeit, in der Arbeit in den kapitalistischen Zentren zur
  »Mangelware« wird, formiert sich in genau diesen Zentren eine
  »Freiwillige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme«, die Open Source
  Community. Die angesichts von Prekarisierung, Feminisierung und
  Verknappung von Arbeit, ins Straucheln geratene Konstitution
  männlicher Identität über abstrakte Arbeit, wird in der Open Source
  Bewegung in transformierter Form reanimiert.

Aha. Dann frage ich mich, warum wir uns hier wundern, warum die vielen
Arbeitslosen sich nicht alle jubelnd auf Freie Software stürzen. Mein
Eindruck ist, dass die arbeitslosen Männer viel besser als Francis
Hunger verstehen, was da Sache ist...

Es tut mir leid aber dieser Beitrag bestätigt auch bei näherem
Hinsehen, dass es hier mit der Faktenlage nicht so genau genommen wird
und es vor allem darum geht, ein bestimmtes, vorgeformtes Bild zu
unterstützen. Ich bin ja durchaus dafür, sich mit der Gender-Frage
auch bei Freier Software zu befassen - aber bitte dann näher an den
Fakten und weniger nah an der eigenen Lieblingsideologie.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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