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Fabrik vs FS (Re: [ox] Re: OS vs FS)



Hallo Stefan (mz),

Monday, November 11, 2002, 1:37:11 PM, you wrote:
On Monday 11 November 2002 12:25, Thomas Berker wrote:
Genau. Wenn ichs damals richtig verstanden habe, dann wurde das, was
du meinst hier auf der Liste mal als 'doppelt freie' Software
diskutiert: frei produziert und frei distribuiert. Mir persoenlich ist
Wurscht wie wirs nennen, das Thema der Produktionsseite (Projekt)
erscheint mir aber tatsaechlich mindestens so wichtig wie das der
Lizenz und allem was daran haengt. Und natuerlich haengt beides
zusammen. Und vielleicht sollte man noch eine dritte Ebene einfuegen:
die Benutzung, womit wir dann bei dreifach freier Software waeren.

Was meinst du damit?

Ich versuch einen neuen Thread bei Gelegenheit damit zu starten.

Zu StefanSf. schreibst du:
Was du ueber den Maintainer schreibst aehnelt in ein paar Zuegen dem
idealisierten (Selbst-)Bild des patriarchalen Unternehmers um 1900. Er
versteht als seine Aufgaben und Arbeitsbedingungen:

IMHO kannst du das nicht vergleichen. Es ist eine reichlich oberflächliche 
Analogie.

Ich habe die Analogie gebraucht um _Unterschiede_ aufzuzeigen. Auf
ihrem Tiefschuerfungsgehalt beharre ich nicht. Anbei aber der Versuch
zu erklaeren, warum ich darauf komme:

Ich kann diese Analogie in der Tat nur ziehen, wenn ich _nicht_ von
einem wesensartigen Unterschied zwischen verschiedenen Formen des
gemeinsamen Arbeitens und seiner Organisation ausgehe. Wenn ich dich
richtig verstehe, dann tust du das z.B. im Fall einer idealtypischen
tayloristisch-fordistisch organisierten Fabrik (in Familienbesitz) und
eines FS-Projekts. Ich bin gerade daran interessiert, was beide
gemeinsam haben (und von da aus natuerlich was sie trennt).

Warum ausgerechnet die Fabrik und nicht etwa die auf dieser Liste
zuweilen beliebten "Naturvoelker"? Diese idealtypische Fabrik ist das
Paradigma einer untergehenden Form der Kooperation. Untergegangen ist
sie uebrigens noch lange nicht, das behaupten nur Leute, die den
Sueden (und v.a. den Osten) vergessen. Ihr verdanken wir die
ArbeiterInnenbewegung und die Konzentrationslager (i.e. tayloristisch
organisierter Massenmord), die nur zwei der allueberall anzutreffenden
Kinder der Fabrik sind. Ich bin einfach daran interessiert, welches
Paradigma an seine Stelle rueckt und bin davon ueberzeugt, dass die
Auswirkungen des neuen Paradigmas ebenso profund sein werden wie die
des alten. Und sollte es tatsaechlich kein neues Paradigma mehr geben,
dann hat das mindestens ebenso tiefgreifende Konsequenzen. Daher also
der Vergleich, den ich im Kopf oefter mache und hier zum ersten Mal
auf der Liste veroeffentlicht habe. Ein Testlauf sozusagen: Was hat FS
was die Fabrik nicht hat und umgekehrt. Wie loest FS-produktion
Probleme, die die Fabrik auch hat, welche Probleme sind neu, welche
Probleme sind weg?

a) Die Sorge um das Weiterbestehen,

Diese Sorge ist unter Marktkonkurrenz-Bedingungen eine komplett andere, 
als unter Bedingungen der FS: Einmal ist der Bezug das G', der 
Geldfetisch also, ein anderesmal die Leute im Projekt, deren Bedürfnisse 
etc., und das nützliche Produkt, das ich entwickeln möchte.

Eine Aufgabe, die der Maintainerin _und_ dem Kapitalisten gestellt
wird: Kontinuitaet der Produktion jenseits personeller Kontinuitaeten.
Die Loesungen und der Bezugsrahmen sind himmelweit verschieden. Da
wollt ich doch gerade hin.

b) die Abhaengigkeit von guten ArbeiterInnen, die dementsprechend auch
gut behandelt werden muessen,

Das war um 1900 keinesfalls so. Heute vielleicht. Um 1900 ging es 
vorrangig um Kontrolle und nach technischer Rationalität organisierte 
maximale Outputs. Mittel war der von Ingenieuren durchkonzipierte 
"ideale" Prozess, der die ArbeiterInnen zu Anhängseln der Maschine 
degradierte.

Ja, aber es gibt auch Parallelen. Henry Ford hat nicht ohne Grund
seinen Arbeitern hoehere Loehne gezahlt und den Anschein der Teilhabe
am Produkt erzeugt (ein Model T fuer jeden Arbeiter). Gerade die
Dehumanisierung der Arbeit wurde durch externe Anreize zumindest
ansatzweise befriedet. Indem _du_ die ArbeiterInnen nochmal zu
Anhaengseln der Maschine degradierst streichst du ihre mannigfaltigen
Kaempfe (von Sabotage im Kleinen bis zum Generalstreik) durch, die
durchaus Teil des Alltags der Produktion um 1900 und danach sind.

Zweitens gilt das auch in einem kreativen Sinn. Die noch so
entfremdete Fliessbandarbeit beruht auch auf dem impliziten Wissen der
ArbeiterInnen um ihre taegliche Praxis. Dieses Wissen wird, so es zum
Funktionieren der Produktion beiträgt, ignoriert, wenn es das nicht
tut, dann wird es als Zeichen menschlicher Unzuverlässigkeit und als
zu eliminierende Störquelle gesehen. Das reproduzierst du ein Stueck
weit.

Andersherum wird in einem FS-Projekt nervtoetende Routinearbeit
anfallen, die als entfremdet _erfahren_ wird - auch wenn sie das im
streng theoretischen Sinne nicht ist (was mir dann wurscht ist).

Wohlgemerkt: Das alles bedeutet nicht, dass Fabrik und FS-Projekt das
gleiche sind, sondern, dass sie nicht wesenhaft verschieden sind.
Neben allen Unterschieden stellen sich aehnliche Probleme der
arbeitsteiligen Kooperation eines Produkts und wir beobachten
aehnliche Phaenomene.

c) die Organisation der Zusammenarbeit und

Hierzu empfehle ich das "Empire" von Hardt/Negri. Sie bringen ganz gut auf 
den Punkt, dass "früher" (also in der Zeit, die du anführst), die 
Kooperation der Arbeitstätigkeit äußerlich war, als erst extra 
hergestellt werden musste, während sie "heute" der (immateriellen) 
Arbeitstätigkeit immanent ist.

Wieder bitte ich die Selbstorganisation der ArbeiterInnen im Dienste
der Produktion in einer Fabrik nicht zu unterschaetzen. Eine Fabrik
ist ein komplexes soziotechnisches Gebilde und himmelweit von den
Ideen der Ingenieure an ihrem gruenen Tisch entfernt. Andersherum ist
FS-Produktion nicht rein mit intrinsisch motivierter Kooperation zu
machen. In dem Herrschaftsthread geht es fuer mich genau um diese
Frage: Wieviel externe Koordination braucht es und was sind
Bedingungen, um sie zu minimieren oder von mir aus auch: zu
rationalisieren.

"Industriekapitaen" des 19. Jahrhunderts wuerde gerade Geschlossenheit
benuetzen um die Ziele zu erreichen, allen voran natuerlich: Patente.

Das ist doch wohl das Gegenteil von Transparenz.

Ja, so sprach ichs.

Ein Zweifel bleibt: Wir wissen aus der Arbeitssoziologie, dass
ueberall da, wo Menschen zusammenarbeiten, ein Haufen informelle
Organisation stattfindet. Gerade die Zunft der CSCW (Computer
Supported Cooperative Work) hat sich lange die Zaehne daran
ausgebissen, dass eine ganze Menge an Arbeitsinteraktion (und
uebrigens auch Wissen) nicht formalisierbar ist. Wo bleibt das dann?
Und ist es nicht auch das, was Arbeit manchmal spannend macht, dass
wir Freund oder Feind werden mit unseren Chefs und KollegInnen?

Sei mir nicht böse, aber das ist "typisch soziologisch": Ich fliege da
analogisierend über die Prozesse und systematisiere reichlich 
oberflächlich rum. Bitte dann erstmal lieber Begriffanstrengung...

Ab hier fuehle ich mich in eine Fehde reingezogen, mit der ich bis
jetzt zumindest reichlich wenig zu tun habe, beim 'systematischen
Soziologen' von neulich waren wir uns zumindest noch halbwegs einig.
Nun bin ich ja Soziologe und muss da vielleicht durch? Wie auch immer:
wie wir alle werde ich mich in Zukunft noch mehr begriffsanstrengen
und streben nach tiefgreifender Systematisierung, das gelobe ich.

So kann ich nur den Kopf schütteln, über das Zeug, was in CSCW verbrochen 
wird - IMHO kapieren die nichts bis gar nichts (aber wahrscheinlich sind 
die immer noch auf dem Formalisierungs- und Simulationstrip - ich habe 
schon länger nicht mehr reingeguckt).

Nein, die Leute, die ich meine, sind nicht auf diesen Trips. Wie immer
gibts halt Dumme und weniger Dumme. Guck besser mal wieder rein, bevor
du wieder einen derart dicken Hammer schwingst.

Meinen letzten Ärger über "linke" 
Interpretationsversuche habe ich hier aufgeschrieben: 
http://www.opentheory.org/havarien_der_theorie/text.phtml

Der Zusammenhang dieses Textes und auch der Notizen des
Unternehmensberaters Wohland, die du dort kritisierst (und die ich in
ihrer Krudheit uebrigens ueberhaupt nicht verstehe, zumal nicht was
daran links sein soll), zu dieser meiner Mail oder dem Thread ist mir
entgangen.

Mit soziologischen Gruessen

Thomas (be)

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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