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[ox] Re: Postmoderne



Hi Andreas u.a.,

Friday, November 8, 2002, 7:53:01 PM, you wrote:

Ich finde dieser Begriff wird zwar inflationär verwendet, er sagt aber schon
etwas entscheidendes aus. Mit ihm können zeitliche Veränderungen in der
Bedeutung von Begriffen, Ideen u.ä. deutlich gemacht werden. Es ist m.E.
sehr wichtig sich Gedanken zu machen wie und warum sich "die Dinge" im Laufe
der Zeit ändern.

Ja, das 'post' aus Postmoderne hat zudem den Vorteil, eine ganz
bestimmte zeitliche Abfolge zu bezeichnen, naemlich das 'nicht mehr
das Alte' und 'noch nicht das Neue'.

b)das, was es sagt auch noch falsch ist: ich glaube nicht, dass wir
irgendwie nach der Moderne sind.

Aber sicher doch. In der Moderne waren Konzepte von Bedeutung, welche heute
nur noch belächelt werden, Bzw. Konzepte welche heutzutage "verbrannt" sind.
Die Unterscheidung fällt nur so schwer, weil diese Dinge meist in der
"Nachmoderne" in veränderter Form noch immer existent sind. Etwas konkreter:

Konzepte wie "nachholende Entwicklung (Industrialisierung)",
Entwicklungshilfe, Massenparteien, Staatskapitalismus, Liberalismus, "Bürger
in Uniform", "Blut und Boden (Lebensraumtheorie...)" oder Vorstellungen von
"Autos mit Kernenergieantrieb" u.v.a.m. haben sich grundlegend verändet.
Niemand verwendet diese Dinge noch so wie sie früher gemeint waren (wenn
überhaupt). Wenn sich solche Konzepte aber verändern, weil sich unsere ganze
Kultur verändert hat, dann kann man nicht behaupten das wir immernoch in der
selben Zeit leben.

Wenn wir also in einer neuen Zeit leben, dann muß man dem Ganzen auch einen
Namen geben, eben "Postmoderne".

Du hast m.E. insofern recht als das Problem, das ich mit dem Begriff
Postmoderne habe, schon bei dem Begriff Moderne anfaengt. Die Frage
ist: welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Konzepten, die du
genannt hast. Wenn es ihn gibt, dann ist _ein_ Wort dafuer angemessen.
Und wenn alle diese Konzepte irgendwann zusammen 'verbrannt' sind,
dann brauchen wir auch fuer den neuen Zusammenhang einen Namen. Wie
ichs verstehe, wenden sich postmoderne Denker wie z.B. Lyotard aber
radikal von den grossen Erzaehlungen ab und verkuenden u.a. das Ende
der modernen Linearitaet. Damit ist dein linearer Begriff von
Geschichte (Moderne - Krise - Postmoderne) ziemlich modern. Eine
postmoderne 'Erzaehlung' waere eine, in der alles gleichzeitig wird,
intertextuell, in der Form eines Pastiche, ironisch und v.a. mit einem
Haufen Zitaten wild durcheinandergemixt. Diese Phaenomene existieren
zweifellos, auch Baudrillards Zeichen, die Amok laufen. Aber ich
bevorzuge Becks (so wenig ich sonst von ihm halte) Begriff der
'Reflexiven Moderne', um eine Moderne zu beschreiben, die sich auf
sich selbst anwendet und damit u.a. gruendlich in die
Reflexivitaetsfalle geraet (der Spiegel, der sich im Spiegel
spiegelt, usw.: Nachdem ich die erste Talkshow, die Talkshows als Thema
hatte, gesehen hatte, war mir das klar). Aber diese Phaenomene sind
m.E. durchaus noch auf dem Boden der Moderne.


Bleibt die Überlegung ob der Begriff überhaupt passend ist. Epochen kann man
mit Sicherheit nur im Nachhinein festlegen, wenn sie schon längst wieder
vorbei sind. Das die Konzepte der Gegenwart, wie etwa "die Idee der
Nachhaltigkeit", "lebenslanges Lernen", "Hilfe zur Selbsthilfe (bei der
Entwicklungshilfe)" sich mit Typisch "modernen" Konzepten vermischen zeigt
IMHO an, dass wir uns in einer Phase des Übergangs befinden. (Deswegen jagt
auch eine Kriese die Nächste. Zeiten des Umbruchs sind immer etwas rau.)

Somit ist unsere Zeit mit "Nachmoderne" gut charakterisiert: Wir leben nach
der Moderne, die Dinge haben sich verändert. Aber was das Neue ausmacht ist
noch im dunkeln. Wir sind doch merheitlich auf dieser Liste weil wir uns
fragen ob die Zukunft vielleicht eine etwas emanzipatorischere Zeit wird,
wie sie sich mit dem kooperativen Modell der Entwicklung Freier Software
andeutet. Einem Modell welches überhaupt nicht mit den Konzepten der Moderne
vereinbar ist.

Mein persoenliches Problem mit dieser Sichtweise ist, dass schon seit
dreissig Jahren damit argumentiert wird, wir seinen irgendwie kurz vor
_dem_ Neuen. Wir sind immer vor dem Neuen und irgendwie auch nie. Die
Welt veraendert sich ohne Unterlass und (wie du ja auch schreibst)
Epochenbrueche werden erst aus gehoeriger Entfernung sichtbar. Warum
also auf den Epochenbruch jahrzehntelang starren, wenn es doch so viel
interessanten Wandel zu beschreiben gibt. Das heisst dann freilich
kleinere Broetchen backen.

Wenn der Begriff Postmoderne
irgendeinen Sinn macht, dann m.E. als Bewegung, die nochmal das
versucht, was moderne Bewegungen immer schon versucht haben: zu
ueberbieten, 'modern' zu sein, nicht altmodisch. Insofern: nichts ist
moderner als die Postmoderne.

Diese Sicht verdreht meiner Meinung nach die Dinge, "modern" hat nichts mit
der "Moderne" zu tun.
Die "Bewegungen" der Moderne (politisch etwa der Nationalsozialismus oder
ökonomisch der Fordismus...) waren in ihrer Zeit "modern" (von aktuell) aber
heute...?

Es gibt in der Literaturwissenschaft den Begriff der historischen
Avantgardebewegungen (Dada, Futuristen, usw.). Das bezeichnet, dass
das bestimmende Moment der Bewegungen ihr Avantgardegestus _war_.
Leute, die sich offensiv postmodern nennen (das sind glaubich gar
nicht so viele, mir fallen erstmal nur Leslie Fiedler und Lyotard
ein), haben diesen Gestus auch. Das meinte ich mit Ueberbietung als
modernes Phaenomen.

Bei den 'Modernen', die sich hoechstens modern im Sinne von aktuell
genannt haben, bin ich wieder bei dem Problem der Kohaerenz: Was genau
haben all diese Bewegungen der Moderne, also die Nazis, die Dadaisten,
Baudelaire, LeCorbusier und alle anderen Modernen gemeinsam und was
trennt sie? Wahrscheinlich haben sie was gemeinsam, aber vielleicht
sind die Unterschiede oft interessanter.

Kurzum: Ich versuche, den Begriff aus den genannten Gruenden nicht zu
benuetzen (gleichwohl benuetze ich gerne den Begriff Moderne, was
nicht konsistent ist, muss ich nochmal drueber nachdenken). Begriffe
mit etwas geringerer Reichweite, wie z.B. Fordismus oder Taylorismus
sind oftmals genauer und gleichzeitig riesig genug um uns nicht
einzuschraenken.

best

Thomas

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Organisation: projekt oekonux.de


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