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Re: Die Schlauch-Seil-Inkontingenz (was: Re: Re: [ox] Begrifflichkeiten)



Stefan Meretz wrote:

Die Überlegung geht so: Nehmen wir die Begriffe "kontinuierlich" vs. "diskret" aus der Mathematik und wenden sie in einem Analogieschluss auf die ganze Welt an. Dann sagt StefanSf, dass die Welt kontinuierlich ist, die Begriffe aber diskret (Sie "diskretisieren eine Welt, die kontinuierlich ist"). Ich schliesse, eigentlich auch nur formal, dass dann die Begriffe nicht zur Welt gehören. Sie diskretisieren die Welt irgendwie, und wenn sie das getan haben, dann sind sie in einem anderen Reich (weil nun diskret und nicht mehr kontinuierlich). Ich will das absolut nicht lächerlich machen, denn es ist eine relativ bekannte Annahme, die ich nur schlicht für falsch halte. Das ist die Aussage.

Ok, vielleicht kann man dieses Schein-Paradoxon dadurch entsch"arfen,
dass man es als eine Prozess betrachtet, d.h. nicht im Rahmen formaler
Logik, sondern dialektisch:

(ich benutze hier 'Begriff' wie in meinen anderen mails als mentales
 Abbild der Realit"at)

Begriffe kommen auf die Welt. Wir nehmen die Umwelt war, ver"andern sie,
und schaffen uns dabei 'ein Bild' von ihr. Das ist diskret in dem Sinne
dass es "uber Abgrenzung (zu all dem was der Begriff *nicht* bezeichnet)
operiert. Nun ist bis hier der Begriff noch nicht selbst Teil der Welt.
Er wird es sobald mensch ihn objektiviert, sei es durch Kommunikation
(d.h. mehrere Personen einigen sich auf die Benutzung eines Modells
zwecks Verst"andigung), oder durch direkte Ver"anderung der Umwelt als
Folge der Begriffsbildung. Und sobald er nun objektiviert ist, nimmt
er nat"urlich an dem Kontinuum das die Realit"at ist, teil. Ich sehe
da allerdings keinen Widerspruch zu seinem diskreten Wesen als Abgrenzung einer Sache vom Rest.

Ich sage alternativ dazu: Begriffe sind genauso kontinuierlich wie die Praxen, in denen sie verwendet werden - exakte Definitionen hin- oder her - weil diese eine Welt mit ihren Begriffen und allem Drum und Dran kontinuierlich ist.

nat"urlich, ist aber als Aussage nicht besonders hilfreich.

('na und ?' :-)


Nein, aber wenn du beschreibst, dass dir was nicht klar ist, dann ist dir schon viel klar: Jede Unklarheit ist Klarheit über das Unklare. Die Aufklärung verschaffst du dir nun nicht dadurch, dass du anfängst zu definieren, sondern indem du dir erstmal Klarheit über das zu Definierende verschaffst.

die Unterscheidung verstehe *ich* nicht :-)

das 'zu definierende' zu verstehen (und damit abzugrenzen) *ist* doch
quasi schon die Definition ! Sicher nicht wenn es um die Frage des 'wie'
geht, wohl aber beim 'was'.


Es ist unmöglich, etwas nicht schon mindestens "irgendwie" Klares zu definieren. Versuch es: Setz dich hin und definiere etwas Unklares. Sobald du anfängst Abgrenzungen zu treffen, musst du über das Abzugrenzende und Abgegrenzte nachdenken: Du verschaffst dir (mehr) Klarheit (das ist ja kein Absolutum). Die Klärung der Bedeutung ist _immer_ vorgängig.

Wenn ich Dich also richtig verstehe, dann f"angst Du mit '"irgendwie" Klarem' an, und verschaffst Dir '(mehr) Klarheit' dar"uber. Das finde ich nicht besonders befriedigend. Woher kommt denn das '"irgendwie" Klare' bei Dir ???

Stufe 1: Zwei Leute tauschen sich über ihre unmittelbaren sinnlichen Eindrücke aus, die ihnen nur tastend zugänglich sind. Der eine schreibt sein Getastetes als "schlauchartiges Ding mit Rillen". Der Andere nennt sein Getastetes "seilartiges Ding mit einer Quaste dran". Sie kommen zu dem Schluss, das sie es nicht mit der gleichen Sache zu tun haben. -- Interessant hier: auch die Seinsebene ist nur über die Praxis zugänglich (die die Wahrnehmung einschliesst).

na klar, Wahrnehmung ist (nach dem Sein selbst) priorit"ar, i.e. liegt
der Begriffsbildung zugrunde. Aber nachhaken m"ochte ich hier doch:

Ich m"ochte behaupten, Du kannst Dich gar nicht "uber 'unmittelbar sinnliche Eindr"ucke' austauschen, da die Austauschbarkeit ja schon
Begriffe und Symbole von dem zu vermittelnden voraussetzt. Ob die
Partner dabei dieselben Begiffe und Symbole benutzen, ist ja dabei erstmal egal. Eco beschreibt, wie Marco Polo einem Einhorn begegnet: er sieht ein Nashorn und versucht es in Seinen 'Begriffsapparat' einzubauen. Dort findet er als besten 'fit' ein Einhorn, von dem er
zumindest als Mythos geh"ort hat. Nun stellt er fest dass Sein Bild
vom Einhorn mit dem des Nashorns nur sehr unzul"anglich zusammenpasst
(das Nashorn ist nicht weiss, und auch nicht gerade grazi"os, etc.).
So stellt sich die Frage ob der ihm bekannte Begriff ('Einhorn') zu
erweitern oder zu ver"andern ist, oder ob da ein neuer Begriff her muss.

Will sagen: wenn Du 'schlauchartiges Ding mit Rillen' sagst, dann weil
Du gerade dabei bist, Deine sinnlichen Eindr"ucke auf etwas abzubilden,
von dem Du schon einen Begriff hast. Nun weisst Du aber dass das nur eine Analogie ist, und deshalb h"angst Du Deiner Beschreibung noch ein
'-artig' an.

Stufe 2: Unsere beiden Leuten erklimmen die nächste Stufe der Erkenntnis. Sie stellen doch fest, dass es eine Beziehung zwischen dem "gerillten Schlauch" und dem "gequasteten Seil" gibt: beides taucht stets in einer bestimmten räumlichen Enfernung voneinander auf. Wenn ein "gerillter Schlauch" auftaucht, dann gibt es in einer Entfernung von 2 bis 3 Metern auch ein "gequastetes Seil" - und umgekehrt. Sie definieren das Schlauch-Rillo-Seil-Quasto-Gesetz und geben diesem Zusammenhang den Namen Schlauch-Seil-Inkontingenz. -- Interessant hier: Erst durch schrittweises Aufklären von Zusammenhängen von Erfahrungen, etwa durch Messungen, ist eine Definition möglich. Das ist die Ebene traditioneller (bürgerlicher) Wissenschaft. Hier gehören etwa die Selbstorganisationstheorien rein oder auch die Systematische Soziologie oder Luhmanns Systemtheorie. Es ist die Ebene des Abstrakt-Allgemeinen. Hier gibt es auch schon "Begriffe", aber es ist noch nicht die Ebene des Begriffs im Hegelschen Sinne erreicht.

ok, hier haben wir 'Begriffsbildung' erlebt. Die beiden haben
festgestellt, dass sich ein Ding losgel"ost vom Rest betrachten l"asst,
und haben dieser Betrachtung (d.h. dem Bild das sie sich von dem
Ding machen) einen Namen gegeben.

Diese Ebene ist die des Konkret-Allgemeinen.

Stufe 3: Unsere beiden Leute werden immer Schlauer. Sie erkennen nicht nur abstrakt-allgemeine Zusammenhänge, sondern erschliessen sich das "Ding" in ihrer vollen Bedeutung innerhalb der menschlich-gesellschaftlichen Praxis. Und da fällt es ihnen wie Schuppen von den Augen: Das "Ding" ist ein Elefant! Nun können sich die beiden in völlig neuer Qualität über das "Ding" unterhalten und zu neuen Erkenntnissen kommen, weil das konkret-allgemeine Ding klar geworden ist. Leider haben die beiden nun erhebliche Schwierigkeiten mit der Masse der Wissenschaftler, die immer noch von der Schlauch-Seil-Inkontingenz faseln. -- Interessant hier: Der

Ich kann Dir in dieser dichotomen Betrachtung nicht folgen. Wie kann man
sich ein '"Ding" in ihrer vollen Bedeutung' erschliessen ? Ist das nicht
ein andauernder (und niemals endender) Prozess ? Will sagen: klar
k"onnen verschiedene Betrachter auf mehr oder weniger 'symptomischer'
oder 'wesentlicher' Ebene "uber das Ding diskutieren. Aber es wird nie
um das 'Ganze' gehen, es sei denn als abstraktes Konzept.

Oder: Was meinst *Du* wenn Du "uber Elefanten sprichst ? Inwiefern
unterscheidet es sich von 'dem Ding mit dem gequaseten Seil' ?
Ich meine die Frage ernst. Dein Gebrauch des Wortes "Elefant" ist
doch an Deine direkte (und der durch die Gesellschaft vermittelte)
Erfahrung mit Representanten dieser Kategorie gekn"upft. Siehe Marco
Polo und das Einhorn...

Ich hoffe, das, was ich als "Definitionsparadoxon" bezeichne (das, was durch Definition geklärt werden soll, muss vorher schon klar sein) ist damit klarer geworden.

ich bin mir nicht sicher, ob ich Dich einfach missverstehe, oder schlicht nicht mit Dir "ubereinstimme.

Gruss,
	Stefan

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