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Re: [ox] Re: Macht in der Freien Software




Hi Stefan!

Stefan Merten schrieb:
Sehen wir uns 
aber den/die UnzufriedeneN, ForkwilligeN mal genauer an: Die 
Wahrscheinlichkeit fuer ihn/sie, erfolgreich das eigene Projekt zu gruenden 
                                   ^^^^^^^^^^^

...hier ist ein wichtiger Knackpunkt. Vom Forken hält dich niemensch
ab. Der "Erfolg" des Forks steht aber wie bei einem ungeforkten
Projekt auf einem ganz anderen Blatt. Im Gegensatz zu einem
kapitalbasierten Fork hängt hier aber der potentielle Erfolg nicht
direkt mit der Möglichkeit des Forks ab. Das finde ich einen wichtigen
Unterschied.

Einverstanden.

sind je hoeher, desto maennlicher, weisser und finanzell unabhaengiger 
(Zeitfaktor) er/sie ist.

Na, daß Forks weißer Männer per se erfolgreicher sind, wage ich aber
mal zu bezweifeln. Der Zeitfaktor, eigentlich aber der Kümmerfaktor
spielt da schon mehr eine Rolle. Aber das ist sachlich begründet und
nichts Äußeres.

Das wäre ja mal eine Gelegenheit für reality check: Wie viele
erfolgreiche Forks von nicht-weißen und/oder nicht-männlichen
ProgrammiererInnen können wir finden?

Auf diese Weise werden wir Thomas' These schwerlich beweisen können: Die
Demographie der Szene und die Seltenheit von erfolgreichen Forks macht
es unwahrscheinlich, dass wir viele Beispiele finden werden. (Forks von
nicht-weißen vielleicht noch eher als von nicht-männlichen
ProgrammiererInnen?) Aber die These wäre auf diese Weise evtl. zu
widerlegen, und wenn sie nicht zu widerlegen ist, ist sie wenn auch
nicht bewiesen doch zumindest gestärkt.

Zudem muss er/sie moeglichst viel einer ganz 
spezifischen Form von Wissen draufhaben (Programmieren und Leute 
motivieren),

Ja. Um bestimmte Dinge zu tun, brauchst du gewisse Fähigkeiten - so
ist die Welt nun mal. Wenn du das abschaffen willst, dann müßtest du
mir verraten, wie jedeR ohne jede Voraussetzung sofort in jedem Feld
menschlicher Tätigkeit erfolgreich sein kann.

Darüber brauchen wir wohl nicht zu diskutieren. Interessanter finde ich
Thomas' eigentliche Aussage:

d.h. er/sie sollte in der meritokratisch organisierten 
Hierarchie der Entwicklerszene moeglichst weit oben stehen.

Das "oben" in der von dir gesehenen Hierarchie führst du jetzt ein,
aber ich sehe nicht, daß das zwingend ist. Klar braucht sie bestimmte
Fähigkeiten und ist damit sicher besser als andere - es ist halt nicht
voraussetzungslos. Aber warum das notwendig ein "oben"/"unten"
impliziert ist mir nicht klar.

Ich vermute schon, dass das "oben" zwingend ist: Weil der Fork sonst
nicht angenommen wird, oder das zumindest zu erwarten ist. Erinnerst du
dich an "Homesteading the Noosphere" von Eric Raymond? Besonders
lesenswert in diesem Kontext ist der 2. und 3. Teil:

http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/homesteading/x97.html
http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/homesteading/x117.html

Der Punkt ist dass die FS-Kultur ziemlich klare Regeln darüber hat, wer
ein Projekt 'besitzt', wie Raymond es formuliert (das MaintainerIn, die
Person die entscheidet, was ein offizielles Release ist), und wie dieser
Projektbesitz weitergegeben werden kann. Das Ganze ist seine
Beobachtung, die ich aber durchaus teilen kann. Tust du das nicht?

Ein Fork ist (wie Raymond schreibt) ein ziemlich extremes Mittel, kein
Alltagsgeschäft. Ich finde es berechtigt anzunehmen, dass ein Fork nur
dann erfolgreich ist, wenn er von jemand kommt, das bereits ein gewisses
(besonderes) Ansehen erreicht hat-- was dann Thomas' meritokratische
Strukturen wären, nicht wahr?

Und (b) stellt sich dann die Frage nach dem Verhaeltnis zu Macht. Mit
Foucault gibts keinen Zustand ohne Macht, daher kann hier nur gefragt
werden, welche Organisation von Macht gewuenscht wird. Ist moeglichst viel
Gleichheit das Ziel (moeglichst wenig Ausschluss von Macht) oder sind
bestimmte Aus- und Einschluesse von Macht in Ordnung? Ist meritokratischer
Ein- und Ausschluss okee? Ums mal deutlicher zu sagen: Mir ist Meritokratie
als Mechanismus der Machtverteilung ausgesprochen suspekt, sie hat auch im
Fall der Freien Software expertokratische, vielleicht sogar technokratische
Wurzeln, die mir nicht gefallen. Aber dazu vielleicht mal mehr wannanders.

Hiervor wäre zu klären, was Macht ist und ob sie in der Freien
Software überhaupt nennenswert vorkommt.

Ich habe keine passende Definition, aber ich denke, zwei Phänomene kann
man schon beobachten (wenn wir das nicht "Macht" nennen wollen, können
wir einen anderen Begriff finden, aber ich finde sie jedenfalls bedenkenswert):

- Das MaintainerIn eines Projektes entscheidet normalerweise darüber, in
welche Richtung sich das Projekt entwickelt; wenn es unterschiedliche
Vorschläge zur Weiterentwicklung gibt, hat das MaintainerIn das letzte Wort.

- Den Entscheidungen geht eine öffentliche Diskussion voraus. In dieser
Diskussion haben am meisten Gewicht die Stimmen derjenigen, die am
meisten für das Projekt getan haben, sich also durch ihre Leistungen
ausgezeichnet haben.

Natürlich haben diese Strukturen ihre Wurzeln auch z.B. darin, dass die
Mitglieder, die am meisten beigetragen haben, auch am meisten über das
Projekt wissen: Sie können also am besten überblicken, welche
Auswirkungen die Entscheidungen auf das Projekt haben. Trotzdem: Die
Struktur, die Thomas beschreibt, die die Leute nach ihrer Leistung
beurteilt, finde ich sehr wohl erkennbar. Und ich würde es *intuitiv*
durchaus "Macht" nennen, in einem großen Projekt, das viele Menschen
betrifft, auf die Richtung Einfluss nehmen zu können, in die das Projekt
geht. Ich meine, ich stelle mir z.B. folgendes Szenario vor: Ein noch
nicht so 'gefestigtes' Mitglied macht einen detaillierten Vorschlag, in
welche Richtung ein Projekt gehen könnte (hat vielleicht schon einiges
an Programmcode dafür geschrieben); die 'etablierten' Mitglieder
sprechen sich gegen den Vorschlag aus; das Vorschlagende ist enttäuscht
(und fühlt sich evtl. dumm, den Vorschlag überhaupt gemacht zu haben).
Die Entscheidung mag durchaus gerechtfertigt sein; der Punkt ist nur:
das, was da abläuft, ist etwas, wo bestimmte Personen darüber bestimmen,
ob das, was eine andere Person sich ausgedacht hat, Erfolg hat oder
nicht: eine Machtsituation.

(Ich bestehe wie gesagt nicht auf "Macht". Findet jemand ein besseres Wort?)

Irgendetwas ist mir an dieser Sache auch suspekt, auf der anderen Seite
finde ich das System in der Praxis aber durchaus gut. Ich bin mir also
im Moment unsicher. Thomas, könntest du mir helfen, indem du etwas
präzisierst, warum genau die Meritokratie suspekt ist und du in einer
GPL-Gesellschaft vielleicht nicht leben möchtest?

- Benja
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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