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Re: [ox] Freiheit



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Hallo Sabine und Liste,

* sabine.nuss prokla.de [20011211 15:35 [PHONE NUMBER REMOVED]]:
Dann ist Wissenschaft schon immer "frei", weil es dort Grundlage der
Forschungsarbeit ist, aus anderen Texten zu zitieren (unter
Quellenangabe) und die neuen Texte dann weiterzugeben, usw. 

Ich denke, das stimmt. Allerdings weiß ich nicht, ob diese Rechte nur
geduldete (vgl. "fair use") oder explizit die wissenschaftliche
Gemeinschaft konstituierende sind. Wichtig für Freiheit im Sinne Freier
Software ist auch, dass der Gegenstand verlustfrei und ohne unzumutabre
Schwierigkeiten verarbeit- und kopierbar sein muss. Deswegen sind ja
auch proprietäre Dateiformate (z.B. MS-Word) so gefährlich. Wenn ein
Wissenschaflter einen von einem anderen Forscher geschriebenen Aufsatz
z.B. elektronisch vom Verlag erwirbt, dieser aber in einer Form
vorliegt, die es unmöglich macht, einfach mit der Maus aus Abschnitte zu
kopieren, so würde ich hier die Freiheit des Wissenschaftlers
eingeschränkt sehen. Wenn sich der Verlag oder auch der ursprüngliche
Forscher mehr Rechte zurück behielten, als sie jedem Nutzer des
Aufsatzes und der Forschungsergebnisse zugestehen wollten, so wäre
dieser nicht Frei. Auch hier müsste sich die Freiheit immer aus der
Perspektive des Anwenders, des Zitierenden und Weiterverarbeitenden
definieren.

Nebenbei gibt es ja auch in der Wissenschaft leider Tendenzen, die
Forschungsergebnisse z.B. aus Verwertungsgründen nicht zu
veröffentlichen.

Bei Musik passiert das auch: Jeder Musiker ist inspiriert von dem, was
er selbst gehört hat und hört, und arbeitet das wenn auch nicht
explizit, so doch intuitiv ein. Ich weiß, es gibt Fälle, in denen
Musiker wegen einer bestimmten Tonfolge, die sie angeblich geklaut
haben sollten verklagt werden, aber sehen wir mal von diesem Quatsch
ab, funktioniert Musik eigentlich ebenso wie Wissenschaft - in einem
bestimmten Rahmen - irgendwie "frei".

Hier gilt, denke ich, dasselbe wie für die Wissenschaft. Wie Du ja
selbst sagst: in einem bestimmten Rahmen. Dieser Rahmen ist sicherlich
der Verwertungsanspruch der Urheber. Nicht zufällig werden ja z.B. im
Hiphop, wo stark per Sample auf bereits vorhandene Musik zurückgegriffen
wird, vor der Veröffentlichung einer Platte entsprechende Rechte
eingeholt.

Aber wurscht, worauf es mir ankommt: Man könnte das "frei" nun mit GPL
auf Musik, Text und Bild manifestieren, dass man dahin kommt, dem
Begriff des Plagiats seinen Inhalt und seine Funktion und Bedeutung zu
nehmen.

Sehr schön!

So dass also die in der Art und Weise der Entstehung geistiger
Schöpfung bereits angelegte kooperative, gesellschaftliche Produktion
fern gehalten wird von dem Begehren, sich einzelne Ergebnisse
individuell und ausschließlich anzueignen. Das würde ich dann als neue
Quantität von "freier" Musik, usw. ansehen. Nicht aber als neue
Qualität. 

Hm, ich sehe hier schon einen qualitativen Unterschied. Wenn Musik im
obigen Sinne Frei ist, dann kann der Anspruch des Urhebers, in
irgendeiner Art über die Verwendung, die Verbreitung und auch die
Modifikation seines Werkes Kontrolle, Macht auszuüben, nur unzulässig
sein (selbstverständlich abzüglich der Art von Kontrolle, die
sicherstellt, dass das Werk Frei bleibt). Es geht also nicht um einen
bloß qualitativen Unterschied von mehr oder weniger Kontrolle, sondern
um einen Perspektivwechsel: Freiheit ist die Freiheit des Anwenders,
des Menschen, zu dessen gutem Leben der Gebrauch, die Anwendung und die
Veränderung des Werkes beitragen können.

Nun wurde das alles hier schon ausgiebig diskutiert und ich will euch
auch nicht mit Wiederholungen langweilen. Aber ich wollte nur nochmal
bestätigt wissen, dass "frei" in keiner Weise und auf keinerlei
Produkte bezogen etwas mit "kostenlos" zu tun hat, auch nicht bei
Musik oder Text oder Bild.

Richtig. Der praktischen Implikation, dass ein Freies Werk nicht
praktikabel kostenpflichtig verbreitet werden kann, kann man aber nur
schwer ausweichen. Aber es ist richtig, dass dies keine im
Freiheits-Begriff der FSF explizierte Konsequenz ist.

"Frei" bezieht sich nur auf die Betrachtung einer Produktionsweise,
läßt in der _Betrachtung_ den Verwertungsaspekt aber komplett
draussen. Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe. 

Im Sinne der FSF und von RMS ist das so. Darin liegt ja auch noch das
große Problem z.B. der FSFE, also des europäischen Zweigs der Free
Software Foundation, dass sie offensiv die Verwertungskompatibilität von
Freier Software betont. Dieses "Achsenproblem", bei dem die zwei
Achsen "frei <-> proprietär" und "kostenlos <-> kostenpflichig" im
mathematischen Sinn als senkrecht aufeinander stehend, also sich
gegenseitig nicht beeinflussend, betrachtet werden, ist noch ungelöst.
Hier greift der Freiheits-Begriff der FSF, wie ich ihn oben auch auf die
anderen Bereiche versucht habe anzuwenden, zu kurz.

Wenn wir das einmal sauber lösen, der FSF und RMS also zeigen könnten,
warum sie die Implikationen ihrer eigenen, richtigen Analysen und
Prinzipien nicht vollständig sehen, wäre ich schwer begeistert.

Gruß, Lutz

- -- 
         LutzH <me privacy.net>         GnuPG key: 1024D/6EBDA359
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'Even when there is no monopoly, proprietary software harms society. A choice of
                  masters is not freedom.' Richard M. Stallman
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Comment: Weitere Infos: siehe http://www.gnupg.org

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