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Re: [ox] Zur Kritik der Freien Kooperation



Hallo,

ich hab mir Eure Diskussion zur FK ausgedruckt, es ist schon eine ganze
Broschüre!!!
(und am Ende merke ich, daß ich beim Lesen auch noch eine recht lange Mail
fabriziert habe...)

Ich finds super, daß Du, Stefan Mn. das noch mal angeschoben hast. Ich hab
aus Deiner Kritik allerdings eher das bekannte Unbehagen wieder gefunden,
aber nicht so viel, wo sich das Ganze weiter zu führen lohnt. Es ist vieles
Interpretationsfrage und ich habe im Hintergrund auch immer alles, was ich
von Christoph gelesen habe, was bei mir mit der "Ökofalle" begann und eine
excellente Auseinandersetzung mit den Ökokapitalisten aller Coleur war.
Deshalb komme ich auf viele Gedanken, wie man das anders
(fehl-)interpretieren könnte, gar nicht.

Du fragst, warum das Paper so weit rezipiert wird und teils enthusiastisch
gefeiert wird. Ich kann ja da nur für mich schreiben:
Ich empfinde Christophs Ansatz als Bereicherung. Methodisch könnte man von
einem Paradigmenwechsel sprechen: Von der Konstruktion eines "optimalen
Konzepts" weg - hin zur Diskussion der Bedingungen, die geschaffen werden
müssen, damit ALLE ihre  Konzepte machen können.

"Freie Kooperation" ist für mich die Einheit von Herrschaftskritik,
Strategie der Befreiung/Emanzipation und durchaus auch politischer Utopie.
Über die Kapitalismuskritik hinausgehend berücksichtigt das Konzept die
Problematik, die wir ansonsten auch "unter uns" oft haben (bei Oekonux
erstaunlicherweise tatsächlich nicht): daß sich auch da neue Dominanzen und
herrschaftliche Strukturen entwickeln. (wie Stefan Mz. schreibt: "Hey, wenn
die ganze Wertscheisse weg ist, haben wir exakt das Problem am Hals!") (und
daß wir es bei Oekonux nicht haben, harrt ja auch der Frage: WARUM, wíe ist
das verallgemeinerbar für andere Organisierungsstrukturen? Wie siehst Du
das, Stefan Mn.?).

Ich habe in Vorträgen und Diskussionen meist mehr Erfolg (d.h. erziele mehr
Interesse, darüber nachzudenken), wenn ich allgemein das Konzept der FK
vorstelle, da können sich die Leute eher was drunter vorstellen. Dann nehme
ich Freie Software/Oekonux als EINE am weitesten gediehene Form von FK. In
diesem Rahmen kann dann auch konkreter diskutiert werden...
Wenn ich mit Freier Software anfangen müßte, hätten die Hälfte der
Anwesenden abgeschaltet, ehe ich zu den interessanten
gesellschaftspolitischen Bezügen komme.

Ich würde denken, es geht auf beiden "Schienen". Ich sehe sehr viel, was
übereinstimmt:
- daß eben keine "optimale Organisationsform" vorgesehen ist (sondern sie
sich in Freier Vereinbarung der Beteiligten herausbildet) - oder gibt es die
bei Freier Software? Grad hier unterscheiden sich die beiden Stefans oft:
St.Mz. betont die Maintainerform - St. Mn. betont, daß das nicht festgelegt
ist, sondern verschieden erfolgt.
- daß durch die Bestimmungen der FK (die berühmten 3) implizit die
Bedingungen des Kapitalismus kritisiert werden - kann man "übersetzen" in
Wertkritik (indem man zeigt, inwieweit Wert-Vergesellschaftung die
Bedingungen außer Kraft setzt und inwieweit sie ohne Wert-Vergesellschaftung
möglich sein könnten: dann bleibt aber noch ein "Rest" von möglichen anderen
Herrschaftsformen!!! - siehe oben "Hey...".
- daß zumindest für mich diese Bestimmungen auch schon real
handlungsorientierend waren (bei Bemühung um Organisierung von einigen
Sachen)
- daß die Freie Software für mich EIN - ziemlich gut funktionierendes -
Modell für FK ist, und das Konzept (ohne es gewußt zu haben) EINE mögliche
Verallgemeinerungsrichtung der Erfahrungen mit Freier Software angibt.

Unterschiede, die Stefan anführt, sehe ich z.T. einfach nicht:
- Christoph meint nicht unbedingt Geld, wenn er von "Preis" spricht. Das,
was er mit "Preis" meint, gibts sicher auch in der Freien Softwareszene. Da
denkt jede/r selber drüber nach, mit welchem persönlichen Aufwand er in
welches Projekt einsteigt und was es ihn "kostet", wenn er womöglich nicht
ganz das erreicht, was er will. Aber darüber wird eher nicht gesprochen, mit
Christophs Bestimmung wird das transparent.
- Einstreuen von Fragmenten? Ich denke, hier deutet sich der Überblick aus
vielen Bereichen an, die sonst immer getrennt abgehandelt werden. Es wäre
schön, wenn wir mehr solcher Fragmente hätten!!! Gesamtgesellschaftliche
Zusammenhänge können nur auf vorhandenen Fragmenten beruhen, die wir für
Oekonux aus dem Bereich Geschlechterfrage, Transnationalismus etc. so gut
wie gar nicht haben.
- Fehlende Kapitalismuskritik: dies stimmt für diesen Text tatsächlich. Aber
implizit ist sie vorhanden, denn es ist ja wohl klar, daß die notwendigen
Bedingungen für Freie Kooperationen im Kapitalismus nicht gegeben sind. Mehr
ansonsten wirklich in den anderen Büchern von Christoph. Und daß die
Kapitalisten von ihm abschreiben könnten - wird uns das mit Freier Software
nicht auch allzuoft vorgeworfen? Das ist doch kein Gegenargument. In beiden
Fällen hilft dagegen, die Bedingungen für das Ganze zu diskutieren, und die
sind anti-kapitalistisch.
- Leute sind atomisiert.
Das lese ich bei Christoph nirgendwo. Er diskutiert nur jene Bedingungen,
die notwendig sind, damit Menschen ihre Gesellschaftlichkeit FREI leben und
entfalten können.
- Allgemeines Verpissen und absolute Regellosigkeit? Hoppla, das ist eine
gute Zusammenfassung Deines Verständnisses der Bestimmungen der FK. Es macht
mir deutlich, warum Du so davor scheust. Ich weiß jetzt nicht, wie Christoph
das sieht - aber ich denke mal, die frei Verhandelnden sind auch frei, sich
Regeln zu machen, denen sie dann auch eine Weile folgen. Nur muß sie dann
immer wieder hinterfrag-, kritisier- und veränderbar sein. Wenn die Leute
nicht völlig regellos leben wollen, werden sie sich Regeln machen. Die
Bestimmung der Freien Kooperation verlangt nur, immer wieder darauf zu
achten, daß keine dieser Regeln sakrosankt... wird, wenn Beteiligte damit
unzufrieden werden. Wenn alle damit zufrieden bleiben, wird niemand eine
Änderung anregen. Aber alle müssen immer wissen und erfahren, daß sie es
könnten.
In einer späteren Mail lese ich wieder heraus, daß Du annimmst, wer mit
irgendwas nicht zufrieden sei, würde sofort die anderen erpressen (mit
Drohung zu gehen und die Kooperation durch seinen Scheidungspreis zu
ruinieren) die Regeln zu ändern. Ich weiß wirklich nicht, warum Du Dich an
dieser Möglichkeit so festbeißt. Ich würde denken, wenn dieses Problem
besteht, werden die Beteiligten sich eine geeignete Umfangsform damit
ausdenken. Regeln bilden - die dann immer wieder mal verhandelt werden. Aber
da drehen wir uns im Kreis: Du denkst wieder, daß die Verhandlungsfähigkeit
die sofortige Veränderbarkeit qua Erpressung bedeute...
Du fragst "Bin ich der Einzige, der Christophs Regularien zu Ende denkt?".
Mensch, das machen doch so viele auch mit den Oekonux-Gedanken, zerfetzen
sie in der Luft, indem sie ihm einfach nichts vernünftig Realisierbares
abgewinnen können und immer gleich das Schlechteste von den Menschen denken
(daß die z.B. nicht ohne Tauschäquivalent war hergeben würden usw. usf.).
Wenn Du nicht so einen bekannten Namen hättest, würde ich immer denken, so
einer nimmt sich nun auch die FK vor. Dann würde ich mich nicht so
wundern...
- Allgemeines Verpissen
Wie Du das Beispiel in der Freien Software interpretierst zeigt mir, daß Du
das Konzept von Christoph doch tatsächlich normativ verstehst. Als MÜSSE
eine/r gehen, wenns Probleme gibt, als dürfe es überhaupt keine Regeln
geben. Hier setzt DU ein atomisiertes Menschenbild voraus, denn nur
"eigentlich" isolierte, atomisierte Menschen nutzen diese Bestimmung der FK
so, wie Du es beschreibst ("allgemeine  Drohung: Ihr tut was ich will, oder
ich verpisse mich und nehme meinen Anteil"!). Ich gehe dagegen von
"natürlich gesellschaftlichen" und freien Menschen aus, die nur dann gehen,
wenn es für sie und ihre Selbstentfaltung wirklich wichtig ist. Die Einheit
der Interessen an persönlicher Selbstentfaltung für Individuum und
Kooperation sollte beim Konzept der FK  mitgedacht und in Zukunft wohl auch
explizit erwähnt werden.
- FK zerstört Selbstentfaltung und fordert stattdessen permenanten Deal? Hä?
Da haben wir wirklich was ganz Unterschiedliches gelesen. In einer späteren
Mail bekomme ich es genauer: "Das Problem kommt daher, daß jedeR zugleich
die von Christoph abgesegnete Möglichkeit bekommt, die Kooperation zu
zerstören - über die Scheidungspreisforderung..." - hm, das sehe ich nicht
so. Vielleicht bin ich ja zu naiv, aber ich sehe nicht viel Sinn darin,
immer nur die die worst-case-Situation zu sehen. Ich erinnere mich an viele
Threads in Oekonux, wo unsere SkeptikerInnen, ZweiflerInnen und gar
GegnerInnen auch immer was fanden, weshalb so was wie Freie Software in
anderen Lebensbereichen nicht funktionieren könne. Auch da mußten wir immer
wieder auf weitere zugrunde liegende Bedingungen verweisen, die nicht auf
der Hand liegen und auch in unseren Texten erst so nach und nach (mithilfe
der Kritiken) genauer ausgearbeitet worden waren. Es wurde von uns nicht als
Killerargument akzeptiert.
- Ausblenden von wesentlichen Teilen der Welt durch Verallgemeinerung bei
Christoph? Hm, ich habe das Ganze eigentlich nie als "vollständige Theorie
der Kritik des Kapitalismus und seiner Aufhebung" gelesen. Als Moment davon.
Ich würde auch bei Oekonux nicht viel mehr Vollständigkeit verlangen oder
sehen. Es hätte sie auch nicht.
- Alter Wein in neue Schläuche?
Wenn ich diesen Wein schon mal gekostet hätte, wäre ich längst besoffen.
Nein, konzeptionell habe ich den Inhalt des Paradigmenwechsels, z.B. im
Kontext für politische Utopien (keine fertigen Utopien machen, nur
Bedingungen diskutueren, die allen ermöglichen, ihre Utopien zu realisieren)
noch nie so kompakt irgendwo gelesen. Mir fällt das immer wieder auf, wie
oft lese ich z.B. in einer engagierten Arbeit, wie einer alle Kommunen
untersucht hat, und jetzt aufsummiert, welche Regeln gut sind und welche
schlecht. Demnach werden wiedermal die "guten" als gut empfohlen. Christoph
wird zwar auch zulassen,daß sie in einer FK solche Erfahrungen diskutieren -
aber für sich selbst wird es keine irgendwie gearteten "guten Normen" geben,
sondern es steht ihnen frei, sich für sich eigene zu machen. (das andere
Paradigma hofft doch irgendwie immer wieder darauf, irgendwann eine Sammlung
der "guten Normen" aufstellen zu können, nach der sich dann alle richten
können/sollen).

StefanMn., kannst Du mit dieser Grundeinschätzung mitgehen?: "Es geht bei FK
nicht darum, die "optimalen guten Regeln" aufzustellen, sondern wir haben so
viel Vertrauen in alle Menschen, sich in freien Verhandlungen diese Regeln
selbst zu ermitteln und damit so umzugehen, wie es für sie (individuell und
in Gemeinschaft) am Besten ist." ?
Die Bestimmungen für die FK sind deshalb nur negativ formuliert. Nicht "das
sollt ihr tun", sondern es werden Bedingungen genannt, unter denen wir dies
frei selbst tun können.
Dann können wir über diese Bedingungen diskutieren.
Würdest Du Möglichkeiten sehen, Christophs Bestimmungen zu "retten", indem
sie umformuliert werden, damit sie das meinen, was bisher positiv
hineingelesen wurde und Du auch zustimmen kannst?
Oder möchtest Du lieber einen positiven "guten" Bestimmungskatalog?
Oder was ganz anderes?
An beidem könnten wir arbeiten (das letztere nicht als Norm, aber z.B.
durchaus als Hilfestellung für jene, die etwas vereinbaren wollen, ohne alle
Fehler und Erfahrungen anderer wiederholen zu müssen).

Mir würde z.B. mehr dazu helfen, wieso Deiner Meinung nach Freie Software
keine FK in diesem Sinne ist. In welchem Sinne wäre sie es? Wie müßte das
Konzept anders aussehen, wenn sie dem entsprechen sollte?
Ich war in den letzten Wochen in der Oekonux-Liste nicht dabei. Ich habe
aber immer noch das Gefühl, daß wir uns bisher mit richtiger Theorie auch
noch nicht allzusehr mit Ruhm bekleckert hatten, besonders im Bereich
gesamtgesellschaftlicher Aussagefähigkeit. Wenn wir das hätten, wäre
wahrscheinlich das zweite Gegenbilderbuch fertig. Stefan Mz.´ Text ist dazu
ein Riesenschritt vorwärts!!!
Könnten wir nicht diese Diskussion zum Anlaß nehmen, zu überlegen, was in
ein gesamtgesellschaftliches Konzept aus Oekonux rein sollte? Was wäre
notfalls der "Gegenentwurf" zur Spehrschen Freien Kooperation? Oder - was
mir lieber wäre - wie verändern wir das Konzept, ergänzen es, reichern es
an? Stefan Mz. hat einen wichtigen Teil daran getan. Damit das mal richtig
"rund" wird, wäre es wichtig aufzusammeln, welche Fragen und Themen dazu
erfaßt werden müssen, was davon an Gedanken da ist, was noch ausgearbeitet
werden muß. Auf unseren Vorstoß zum Neuschreiben des Gegenbilderbuches mit
genau dieser Thematik hat sich in OT erst mal so gut wie gar nichts getan.
Ich hatte mir gedacht, daß wir hier durchaus erst mal "richtig theoretisch"
arbeiten. Vielleicht verpasse ich das grad auf der Liste. (danke dafür, daß
mich viele ins Cc nehmen!!!) Ich möchte trotzdem auf das Buchprojekt in OT
hinweisen, weil hier eine geeignetere Form gegeben ist, ergebnisbezogen zu
arbeiten (nicht nur vorbeilaufende und archivierte Diskussion, sondern
kooperative Textproduktion). In OT ist der Stand so, daß wir überhaupt erst
mal überlegen müssen, was rein soll (Thematisch, nicht welche/r Autor/in,
welcher vorhandene Text oder so). Welche Fragen stehen an, was sollen
(welche) LeserInnen mitnehmen? Ich selbst bin z.B. deshalb blockiert, daran
weiter zu machen, weil ich keine Ahnung habe, was andere da so interessiert
und was wer vielleicht machen würde. Ich hatte auch nicht den Eindruck, als
würden andere viel tun dafür und irgendwie verläuft sich das dann doch mit
dem Anspruch, den wir eigentlich hatten usw.usf...
Die "Freie Kooperation" steht übrigens auch in OT - und OT könnte eine
richtige Diskussion mit dem Anspruch von Theorie auch gebrauchen.

Auf einer anderen Ebene als der theoretischen würde es mir auch Spaß machen,
mit geeigneten "Metaphern zu spielen".
Ich selbst kämpfe oft sehr darum, den fürchterlichen "wissenschaftlichen"
Jargon weg zu kriegen. In dem OT-Buchprojekt hatte der Zweifler schon Recht,
der fragte: "Wer soll denn den Theoriekrams alles lesen".  Ich bin total
gespannt auf den hoffentlich noch kommenden gemeinsamen Prozeß zwischen uns
und Christoph, wo wir unsere Stärken zusammenbringen werden. Ich denke,
Christophs Bücher haben von vornherein keinen hochgestochenen
wissenschaftlichen Anspruch - meines Wissens nach ist aber eigentlich alles
enthalten, was mir an linker politischer Theorie in den letzten Jahren
untergekommen ist (außer Oekonux natürlich :-) ). Er spricht damit dann
Leute an, die später auch weiterlesen (vielleicht auch unsere Sachen) und
weiterdenken. Ich selbst habe echt Vergnügen am Lesen seiner Sachen. Ich
habe z.B. damals im Zusammenhang mit Ökokapitalismus nichts Besseres als die
"Ökofalle" gefunden. Meine Sachen dazu sind zu wissenschaftlich, Jörg
Bergstedts zu polemisch. (Es ging um Argumente, warum Agenda 21 und so
nichts Wesentliches bringen kann, sondern eher die Machtverhältnisse
zugunsten der Mächtigen verschiebt).

So, das wars aber wirklich wieder für einige Zeit von mir

Ahoi Annette

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_\\//       Annette Schlemm                 _\\//
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_\\//     www.Annette-Schlemm.de    _\\//
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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