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Re: [ox] Der wilde Dschungel der Kooperation



Hi Benni,

eine inhaltliche Antwort steht von mir noch aus. Sind aber auch nicht so
easy, deine Knopfnüsse;-)

Benni Bärmann wrote:

>>Ich greife mal vor: Wenn ich dich richtig verstehe, ist die
>>Wert-Vergesellschaftung (WVG kürze ich das mal ab) für dich ein
>>Aspekt neben anderen. Ich sehe die anderen Aspekte von
>>Vergesellschaftung und Herrschaft, die du (und auch Ralf - neue
>>Koalition!) nennst, auch. Es ist also nicht so, dass ich deren
>>Existenz bestreiten würde. Mein Hauptpunkt ist nur der: Die WVG geht
>>sozusagen durch alle anderen Aspekte von Vergesellschaftung und
>>Herrschaft hindurch. Die Logik der WVG dringt überall ein,
>
> Da bin ich ganz mit Dir einer Meinung. Nur gilt das auch für z.B.
> Rassismus, für das Patriarchat, etc... die dringen auch überall ein
> mit ihrer Logik.

Das ist IMHO zu beliebig: alles dringt *irgendwie* in alles ein. Dabei
geht dir dir verloren, was denn die Kerndynamik der Vergesellschaftung
ausmacht, damit, was denn Kern einer neuen Vergesellschaftunglogik sein
kann. Patriachat ist dabei nochmal anders zu beurteilen als Rassismus.
Lass ich mal so stehen ohne weitere Vertiefung - die Standpunkte sind
deutlich geworden.

>>in diesem Sinne
>>totalisiert sich die WVG "von selbst". Die *ist* also nicht total,
>>sondern dieses "subjektlose Subjekt" hat einen "totalen Anspruch" -
>>bildlich gesprochen.
>
> Wie total ist denn dieser Anspruch wirklich? Die direkte Verwertung
> von menschlichem Leben ist z.B. immer noch Tabu. Dieses Tabu haben die
> Nazis nicht gekannt auch wenn ihre Verwertung nur negativ war. Es gibt
> Grenzen auch für die Wertherrschaft. Jede Herrschaft hat Grenzen, weil
> das Einverständnis der Beherrschten immer nötig ist. Die subjektlose
> Herrschaft im demokratischen Zeitalter hat diese Grenzen erweitert
> aber nicht abgeschafft.

Wir haben es mit einem fortwährenden Durchsetzungs- oder anders
formuliert Totalisierungsprozess zu tun. Die Grenzen waren und sind
stets nur relative Grenzen (siehe gerade die Gentechnikdebatte). Und das
Einverständnis im Sinne einer "Abstimmung" ist nicht notwendig, weil
_alle_ (also auch ich und du) uns in den gegebenen Formen reproduzieren
müssen, womit wir die Form selbst reproduzieren - egal, ob es mir (oder
dir) passt oder nicht. Das btw. ist ein Unterschied zum Rassismus, den
wir mitnichten reproduzieren müssen, sondern jetzt und sofort bekämpfen
können.

>>Was ich also bestreiten würde, ist der eigenständige Charakter der
>>anderen Formen (sei es Geschlecht, Alter, Ort, Kultur etc.).
>>Vielleicht sieht man es auch daran, dass ich diesen "Kern" der
>>Vergesellschaftung, diese Logik, durch eine andere ersetzt habe will -
>>während die anderen Aspekte bleiben werden (in diesem Sinne auch gar
>>nicht abschaffbar sind)
>>und sich dann "nur" in ihrer Durchdringung durch den neuen "Kern" der
>>Vergesellschaftung ändern werden. - Aeh, kann mir noch jemand folgen?
>
> So halbwegs? Das Patriarchat kann also bleiben, solange nur der Wert
> abgeschafft wird? Meinst Du das wirklich? Wohl nicht, oder?

Nein, gerade nicht - wie kommst du auf "bleiben"? Wenn meine obige These
stimmt (des Eindringens der Logik der WVG in alles und alle), dann
ändert sich doch gerade und notwendig alles (und alle).

> Oder vertrittst
> Du da auch diese gewagte "Abspaltungsthese" oder wie das noch hieß?

Da ist kein "oder". Ich finde es sehr schlüssig, dass WVG und
Sphärenaufspaltung gleichursprünglich sind.

>>Da liegt dann wirklich eine Differenz, da ich die "existenziellen
>>Bedingungen" als Begriff für viel zu allgemein halte. Damit wird die
>>zugrunde liegende Dynamik eher verdeckt als sichtbar gemacht. Der
>>Begriff ist ok für personale Kooperationen, nicht aber für die
>>gesamtgesellschaftliche.
>
> Vielleicht, ja. Alleine reicht das sicher nicht aus. Ich schreib grad
> an einer lineareren Darstellung meiner Sichtweise, da hab ich jetzt
> bisher mehrere qualitative Unterschiede bei Kooperationen drinnen:
>
> - Existentielle Bedingungen
> - Zwangsmitgliedschafft
> - Verdeckte Kooperation
> - Entkopplung der Existenzsicherung von der gesamtgesellschaftlichen
>   Kooperation
> - Verselbstständigte Regeln
>
> Die Wertverwurstung enthält die alle (im Falle der Entkopplung nur
> negativ, da die WVG das nicht zulassen kann). Aber es gibt eben auch
> Kooperationen auf allen Ebenen die einzelne dieser Eigenschaften auch
> haben. Ob es noch andere als die Wertverwurstung gibt, die sie alle
> haben, ist mir noch nicht klar. Am unsichersten bin ich mir da
> insbesondere mit diesem Entkopplungsding.
>
> Das Ziel wäre dann sowas wie eine Neuformulierung von Wertkritik in
> der Sprache der FK.

Whow, wenn dir das gelingt... StefanMn. wird sagen, das geht nicht. Ich
bin da mindestens skeptisch, einfach, weil es sich um verschiedene
Bereiche handelt. Deswegen schwebt mir eher eine Art
"Anschlußformulierung" vor. Aber die Klärung, ob FK anschlußfähig ist,
läuft noch.

>>Ist wirklich Off-FK, soviel: sexuelle Aktivitäten erfordern
>>grundsätzlich keine gesellschaftlich produzierten Mittel. Dennoch
>>wirkt die Gesellschaft vielfältig da rein, was "gesellschaftlich
>>überformt" genannt wird.
>
> Na, Sexualität ohne gesellschaftlich produzierte Verhütungsmittel ist
> schon ziemlich problematisch meistens.

Ist ein historisch relativ "junges Problem" (bzw. deren Lösung). Du
brauchst sie nicht notwendig: Sex erfordert "grundsätzlich keine
gesellschaftlich produzierten Mittel" - wie ich schrieb. Deswegen finde
ich Stefans Insistieren auf die Nichtkooperationsförmigkeit (was ein
Wort) von Liebesbeziehungen völlig richtig: Sie brauchen keine
gesellschaftlichen Mittel. Dennoch ist der ganze Bereich natürlich
hochgradig "überformt", siehe die ganzen Ideologien drumherum.

> Ansonsten sehe ich den Unterschied zum
> Abwaschen auch nicht so ein. Die letzten beiden Sätze bitte nicht aus
> dem Kontext entfernen :-)

Abwaschen geht grundsätzlich nicht ohne gesellschaftlich produzierte Mittel.

>>Doch. "Selbstähnlich" meint - mindestens in der Chaostheorie, aber ich
>>glaube, auch Christoph meint es so - "strukturell gleich, aber
>>inhaltlich und quantitativ unterschiedlich". Also was eine Kooperation
>>"macht" und wie groß sie ist, ist egal, sie weisen grundsätzlich die
>>gleiche Struktur auf, weshalb ja auch die FK als Theorie funktionieren
>>kann. Anders formuliert: "Selbstähnlichkeit" ist ein Apriori von FK.
>
> Die gleiche Struktur bedeutet ja aber nur, dass es eben eine
> Kooperation ist und das sie erzwungen oder frei sein kann.

Nee, das ist zu ungenau. Du musst IMHO drei Bereiche unterscheiden:
- personale Kooperationen
- die gesamtgesellschaftliche Kooperation
- nichtkooperative, bloß interaktive Beziehungen

Ob erzwungen oder frei liegt da noch mal drüber. Diese Differenzierung
fehlt in der Tat in der FK, wo sie aber dringend angebracht wäre (um mal
wieder mit StefanMn zu koalieren).

>>Und genau das gilt für die gesamtgesellschaftliche Kooperation (GK)
>>nicht, weil die GK sich qualitativ von PK (personalen Kooperationen)
>>unterscheidet.
>
> GK kann doch auch erzwungen oder frei sein. So hab ich Dich bisher
> verstanden. Wärend Ralf davon auszugehen scheint, dass sie nur
> erzwungen sein kann.

Ob erzwungen oder frei gilt für alle Kooperationsformen.

>>... Apodiktisch habe ich das in (9) so
>>formuliert: "Das Ende gesamtgesellschaftlicher Kooperation ist
>>identisch mit dem Ende der Menschheit." Der "Nicht-/Existenz-Begriff"
>>macht nur auf der personalen Ebene Sinn.
>
> Ja, vielleicht. Ich hatte da Dein "gesamtgesellschaftlich"
> missverstanden als global. Das wäre für mich aber auch nochmal ein
> wichtiges Thema. Wenn dann GK etwas unterhalb der globalen Ebene ist,
> was dann mit der globalen Ebene ist? Wie ist die Organisiert?
> Klassisch ist ja die Organisation zwischen Staaten die einer
> quasi-personalen Kooperation, aber das zerbröselt ja immer mehr,
> politisch (EG), juristisch (Völkerrecht), ökonomisch
> (globalisierte Konzerne). Das fände ich schon wichtig, da irgendeinen
> Begriff von zu kriegen in diesem Rahmen. Mir leuchtet momentan ein,
> dass GK nur global ist.

Heute ist GK nurmehr global zu denken, vor einiger Zeit war das noch
nicht so. Das ist aber kein entweder oder, auch früher gab es
internationale Kooperationen etc., nur die Dominaz hat sich geändert. GK
sagt nicht von vornherein was über die Größe aus: Wenn es irgendwo ein
abgeschottetes Völklein gäbe (ist wohl endlich vorbei), dann ist GK eben
entsprechend deren Reichweite regional begrenzt. Und dann die weissen
Wissenschaftler auftauchen, dann ist die GK schlagartig eine andere
(nicht nur "größer").

> Nochwas: Wie soll denn, wenn GK nicht global ist, das Ende der
> Menschheit damit zusammenhängen? Es müssten doch dann also _alle_
> verschiedenen GK gleichzeitig enden.

Na, heute ist es eben nur noch eine, endgültig. Und wenn die endet, dann
endet auch diese Mailingliste.

>>Eine "Gruppendynamik" würde ich nicht als "Gesetz" bezeichnen. Sie ist
>>auch verschieden, je nach Gruppe. Dass es eine gibt, ist das
>>Selbstähnliche. Sie ist deswegen kein Gesetz, weil die Handlungen der
>>Menschen in der PK direkt mit der Dynamik in der Gruppe "verkoppelt"
>>sind. Von je mir hängt die "Gruppendynamik" ab - wie stark sie
>>abhängt, ist nur eine Frage der Größe der Koop und meiner Position
>>darin.
>
> Nein, für mich bedeutet Gruppendynamik, dass da etwas entsteht, was
> mehr ist als die Summe seiner Teile und von Einzelnen zwar
> beeinflußbar ist aber eben gerade nicht mehr direkt in dem Sinne,
> dass ich Ursache und Wirkung direkt kalkulieren kann. Das ist in der
> GK dann natuerlich extrem indirekt, aber eben nur quantitativ anders.
> Also es gibt Kooperationen mit Eigengesetzlichkeit und solche ohne
> und GK ist eine mit.

Nein, dass du soziale Prozesse nicht determinieren (z.B. vorhersagen)
kannst, gilt grundsätzlich immer. Menschen unterliegen nunmal nicht bloß
als Reiz-Reaktions-Homunkuli (oder Input-Output-Roboter) äußeren
Bedingungen, sondern sie können sich zu diesen Bedingungen verhalten
innerhalb eines bestimmten Möglichkeitsraumes. Direkt ist da also gar
nichts - es ist alles "indirekt" (in deinen Worten).

Weil es diesen Möglichkeitsraum für jeden gibt, verhalten sich PK nicht
eigengesetzlich. Das unterscheidet sie ja gerade von GK: nur sie
besitzen diese personal-unabhängige, überdauernde Eigensetzlichkeit
(deren Form sich ändern mag).

>>Das ist bei der "Dynamik" der WVG grundsätzlich anders: Meine
>>Handlungen sind hinsichtlich der Logik gleichsam von der GK
>>"entkoppelt", weil die GK eine überhistorische Einrichtung ist.
>
> Äh? Ja, GK ist überhistorisch. WVG ist es ja aber gerade nicht. Oder
> hast Du Dich da nur in der Abkürzung vertan.

Nein, ist schon richtig so: GK ist überhistorisch, WVG als eine
historisch spezifische Form nicht (auch wenn herrschende Ideologie das
Gegenteil behauptet). Deswegen: GK ist nicht abschaffbar, es sei denn,
wir schaffen die Menschheit ab.

> Hm, da fällt mir noch auf, dass "überhistorisch" vielleicht auch eine
> Eigenschaft von Kooperationen sein kann in meiner Liste sein könnte.
> Aber vielleicht steckt das auch schon in "Zwangsmitgliedschaft" mit
> drinnen, weiss nicht.

Nein, ist IMHO nicht so.

> Ausserdem hab ich da jetzt auch wieder ein Problem. Wenn nämlich GK
> auf der Ebene von Staaten funktioniert, ist sie offensichtlich gerade
> _nicht_ überhistorisch.

Staat und so Zeugs sind historisch spezifische Formen. Richtig, sie sind
nicht überhistorisch. GK <> Staat.

>>Ich kann an ihr teilhaben und
>>sie reproduzieren, aber ihre "Dynamik", ihre "Funktionslogik" nicht
>>ändern und zwar unabhängig von der Position: das gilt also auch für
>>die vorgeblich "Mächtigen".
>
> Du hast beim "Ich" ein "je" vergessen ;-)

War'n Test;-)

> Aber mal davon abgesehen: Wir interessieren uns doch aber gerade dafür
> wie wir trotzdem ihre Logik ändern können.
>
>>Mir fällt auf, dass ich den überhistorischen Charakter noch deutlicher
>>benennen muss: die GK gibt es solange es Menschen gibt. Keine PK ist
>>überhistorisch. Selbst wenn du jetzt eine findest (suchst du?),
>
> Natürlich. Bisher sind mir aber nur Tierwanderungen eingefallen, aber
> das ist nicht ganz das wonach ich suche.

Nee.

>>dann kannst du sie auflösen. Das kannst mit der GK nicht machen.
>
> Vorsicht, Begriffsverwirrung. Jede konkrete GK kann man sehr wohl
> auflösen. Was nicht geht ist die Existenz von GK an sich abzuschaffen.
> Das gilt aber genauso für PK.

Nein, nicht "von GK", sondern "die GK". Ab-/Auflösen kannst du nur eine
historische Form, nicht aber die GK, auch die die "konkrete GK". Und das
genau gilt nicht für PK: Du kannst jede PK auflösen.

>>Während der Zusammenhang von je mir und einer PK in gewisserweise
>>immer unmittelbar ist, ist er von je mir und der GK immer mittelbar.
>>Mit "in gewisserweise" meine ich, dass ich in der PK grundsätzlich
>>personale Adressaten für meine mögliche Intervention habe, zu denen
>>ich sozusagen "hingehen" kann. Das habe ich in der GK nicht (weswegen
>>es ja auch so witzlos ist, irgendwelche Mächtige umzunieten).
>
> Diesen Effekt gibt es aber auch schon unterhalb von GK. Bürokratie ist
> ein schönes Beispiel. Und Bürokratie gibt es oft im kleinsten
> Tierzuchtverein und die kann auch da schon den Charakter annehmen,
> dass ich keinen Verhandlungspartner habe. FK handelt doch gerade vom
> Auftreiben von Verhandlungspartnern.

Ja, eben. Du musst sie auftreiben.

>> >>(7) Die Gesellschaft ist demnach ein besonderer kooperativer
>> >>Zusammenhang, der sich von anderen Kooperationen unterscheidet.
>> >
>> > Ja, aber nur quantitativ. Einziges aber entscheidendes(!)
>> > qualitatives Merkmal ist die Zwangsmitgliedschaft.
>>
>>Schon das ist ein qualitativer Unterschied, also einer, der für die
>>PKs nicht gilt. Schon damit sind PK und GK nicht mehr selbstähnlich.
>>Die anderen habe ich oben versucht deutlicher zu benennen.
>
> Es gibt auch PK mit Zwangsmitgliedschaft. Mutter-Kind-Beziehungen zum
> Beispiel.

Es kommt drauf an: Das kann eine kooperative Beziehung sein (etwa wenn
Mutter/Vater/Person und Kind/werauchimmer abwaschen), oder es kann keine
kooperative (s.o.), sondern eine bloß interaktive Beziehung sein, eben
bei der Liebe: die ist auch "unverhandelbar". Ist sie eine kooperative,
kann das Kind auch raus (eben nicht mit abwaschen), ist sie ein bloß
interaktive, kann es nicht "raus" (im Fall der Liebe): Es kann zwar
selbst sich entschliessen, die Mutter nicht mehr zu lieben, es kann aber
nicht bestimmen, ob die Mutter das Kind nicht weiterhin liebt. Liebe ist
eben gesellschaftlich nicht vermittelt. Wichtiger Unterschied!

Die Art der Beziehung ist also nicht an den Personen festzumachen,
sondern immer nur an den Situationen.

>> >>Es ist
>> >>der abstrakte Zusammenhang, in dem sich die konkreten kooperativen
>> >>Zusammenschlüsse der Menschen bewegen.
>> >
>> > "abstrakt" können auch Kooperationen unterhalb der
>> > Gesamtgesellschaft sein.Staaten, Konzerne, etc. sind doch die
>> > besten Beispiele. Mir fällt eh grad auf, dass ich ein bisschen
>> > Verständnisprobleme mit diesem "abstrakt" hab,
>> > das in der Wertkritik immer wieder auftaucht.
>>
>>Staaten würde ich also Formen gesellschaftlicher Koops sehen,
>>insofern: ja, abstrakt. Abstrakt heisst hier zunächst nur "nicht
>>sinnlich", ohne Adressat. Deswegen haben wir ja alle über Seyfrieds
>>Comic geschmunzelt, wo ein Demonstrant ein Plakat hält, auf dem
>>steht: "Staat - hau ab" (oder "Staat - verschwinde", ich weiss nicht
>>mehr genau). Ein Konzern mag groß und unübersichtlich sein, aber das
>>kannst du ändern, wenn du willst. Du findest auch klare Adressaten,
>>die die Regeln der PK bestimmen.
>
> Im Staat doch auch. Für jedes Gesetz gibt es jemanden, der es gemacht
> hat. Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, da eben die
> Funktionslogik nicht zur Disposition steht. FK will sie ja aber gerade
> verhandelbar machen.

Was sie nicht schaffen kann, da die WVG, dessen Ausdruck der Staat ist,
unverhandelbar ist.

>> >>(10) Die Unverhandelbarkeit gesamtgesellschaftlicher Kooperation
>> >>hat für den Einzelnen einen eminenten Vorteil. Da sie
>> >>überindividuell und überdauernd besteht, wird meine Existenz auch
>> >>dann miterhalten, wenn ich mich an der gesamtgesellschaftlichen
>> >>Kooperation nicht beteilige. Diese allgemeine Aussage ist nicht
>> >>zu verwechseln mit dem konkreten, tausendfach realen
>> >>Existenzentzug. Dies ist keine Eigenschaft gesamtgesellschaftlicher
>> >>Kooperation überhaupt, sondern Ausfluss historisch konkreter
>> >>gesellschaftlicher Kooperations<i>formen</i>. Aus der prinzipiellen
>> >>Eigenschaft, die je eigene Existenz bedingungsunabhängig erhalten
>> >>zu können, leitet sich die grundsätzliche Möglichkeit ab, eine
>> >>gesellschaftliche Form zu finden, in der die grundsätzliche Potenz
>> >>gesellschaftlicher Kooperation auch konkret und für jeden Einzelnen
>> >>wirksam entfaltet wird. Die Entfaltung aller Menschen ist also
>> >>keine bloß utopische Idee, sondern genuine Potenz
>> >>gesamtgesellschaftlicher Kooperation.
>> >
>> > Wenn ich das richtig verstanden habe muß dann wohl der Anfang
>> > dieses Absatzes eigentlich lauten: "Die Unverhandelbarkeit
>> > gesamtgesellschaftlicher Kooperation _kann_für_ den Einzelnen einen
>> > eminenten Vorteil _haben_."
>>
>>Nein, hat. Und zwar auch hier und heute. Ich habe hin- und her
>>überlegt, ob ich die Zeitdimension mit reinbringen soll. Die bedeutet
>>nämlich: Niemand hat eine unmittelbaren Bezug zur GK. Das würde
>>bedeuten, jegliche Handlung wäre determiniert. Der Bezug zur GK ist
>>aber mittelbar, was mir die kognitive Distanz erst möglich macht. Es
>>gibt - anschaulich gesprochen - bei jedem Menschen in auch noch so
>>elendigen Lebensverhältnissen immer diese Distanz, also die "Phasen"
>>wo mein (elendiges) Leben auch miterhalten wird, wenn ich gerade nicht
>>mit unmittelbarer Lebenserhaltung beschäftigt bin (was immer das sei). >>Das siehst auch schon daran, das Menschen immer sowas wie Kultur
>>produzieren - seit es sie gibt.
>
> Ah, ok, das hab ich so nicht verstanden. Macht sinn. Jetzt hab ich das
> Entkopllungsding ein bisschen klarer.
>
>>BTW: Dass wir daran so rummachen, liegt nicht an meiner Unschärfe und
>>deiner Schärfe (oder umgekehrt), sondern an der Schwierigkeit mit dem
>>Gegenstand. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: So wie wir hier
>>diskutieren, so findet das nur super selten statt. In der Regel
>>operieren die verschiedenen Wissenschaften mit völlig platten
>>Gesellschaftsbegriffen (so sie überhaupt einen haben). Besonders krass
>>ist das wie kaum anders zu erwarten in der Informatik.
>
> Tja, wir sind halt die Avantgarde. Gut zu wissen ;-)

Olala...

>>Die Arbeiterbewegung hat am Charakter der kybernetischen Maschine
>>nichts geändert. Was Marx im Kapital beschrieb, läuft grundsätzlich
>>immer noch so. Sie hat im Gegenteil der Logik zu ihrer vollen
>>Entfaltung verholfen, sie war Modernisierungsbewegung. Die
>>abgetrotzten Zugeständnisse gab es natürlich trotzdem - aber nicht
>>gegen, sondern mit der Funktionslogik. Ich arbeite für so einen
>>Verein, der so funktioniert. Nur heute ist ziemlich Essig mit
>>"Abtrotzen", weil das Modernisierungspotenzial aufgebraucht ist.
>>Nein: die kybernetische Maschine mit ihrer Logik ist unverhandelbar.
>
> Na, das ist schon klar. Das war jetzt vielleicht ein Missverständnis
> mit dem Wort "Charakter". Ich meinte schon Änderungen innerhalb der
> Funktionslogik. Aber wieder: Es ist doch gerade unsere Frage, wie wir
> die Funktionslogik ändern können. Versteh ich Dich richtig, wenn Du
> sagen würdest, das geht mit FK nicht auch wenn FK etwas dazu beitragen
> kann?

FK sagt (bislang) dazu einfach nichts oder nichts zutreffendes, weil
eben die Unterscheidung von unverhandelbarer GK (heute: WVK) und
verhandelbarer PK nicht klar ist. Und wie ich nun auch klarer sagen
kann, auch der Unterschied zu nichtkooperativen Beziehungen nicht.
Dennoch kann die FK was beitragen, weil sie genau diesen "mitteleren
Bereich", diese Vermittlungsebene zwischen je mir und dem Ganzen der
Gesellschaft, eben die PK, anspricht. Das ist ihr Gebiet.

Aus einer Folgemail:

 > mir ist da noch ein Punkt im Nachhinein aufgefallen, der mir noch
 > unklar ist, es geht dabei um die Entkopplung der Existenzsicherung.
 >
 > On Fri, Oct 05, 2001 at 03:09:30PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
 >
 >> >>(10) Die Unverhandelbarkeit gesamtgesellschaftlicher Kooperation
 >> >>hat für den Einzelnen einen eminenten Vorteil. Da sie
 >> >>überindividuell und überdauernd besteht, wird meine Existenz auch
 >> >>dann miterhalten, wenn ich mich an der gesamtgesellschaftlichen
 >> >>Kooperation nicht beteilige. Diese
 >> >>allgemeine Aussage ist nicht zu verwechseln mit dem konkreten,
 >> >>tausendfach realen Existenzentzug. Dies ist keine Eigenschaft
 >> >>gesamtgesellschaftlicher Kooperation überhaupt, sondern Ausfluss
 >> >>historisch konkreter gesellschaftlicher Kooperations<i>formen</i>.
 >> >>Aus der prinzipiellen Eigenschaft, die je eigene Existenz
 >> >>bedingungsunabhängig erhalten zu können, leitet sich die
 >> >>grundsätzliche Möglichkeit ab, eine gesellschaftliche Form zu
 >> >>finden, in der die grundsätzliche Potenz gesellschaftlicher
 >> >>Kooperation auch konkret und für jeden Einzelnen wirksam entfaltet
 >> >>wird. Die Entfaltung aller Menschen ist also keine bloß utopische
 >> >>Idee, sondern genuine Potenz gesamtgesellschaftlicher Kooperation.
 >> >
 >> > Wenn ich das richtig verstanden habe muß dann wohl der Anfang
 >> > dieses Absatzes eigentlich lauten: "Die Unverhandelbarkeit
 >> > gesamtgesellschaftlicher Kooperation _kann_für_ den Einzelnen
 >> > einen eminenten Vorteil _haben_."
 >>
 >>Nein, hat. Und zwar auch hier und heute. Ich habe hin- und her
 >>überlegt, ob ich die Zeitdimension mit reinbringen soll. Die bedeutet
 >>nämlich: Niemand hat eine unmittelbaren Bezug zur GK. Das würde
 >>bedeuten, jegliche Handlung wäre determiniert. Der Bezug zur GK ist
 >>aber mittelbar, was mir die kognitive Distanz erst möglich macht. Es
 >>gibt - anschaulich gesprochen - bei jedem Menschen in auch noch so
 >>elendigen Lebensverhältnissen immer diese Distanz, also die "Phasen"
 >>wo mein (elendiges) Leben auch miterhalten wird, wenn ich gerade
 >>nicht mit unmittelbarer Lebenserhaltung beschäftigt bin (was immer
 >>das sei). Das siehst auch schon daran, das Menschen immer sowas wie
 >>Kultur produzieren - seit es sie gibt.
 >
 > Diese Zeiten, wo ich mich nicht ums überleben kümmern muß, hab ich
 > doch aber sogar als Einsiedler, ganz zu Schweigen von einer kleinen
 > Subsistenzgemeinschaft (z.B. ein Kloster). Ich sehe da nicht, das
 > diese Entkopplung eine spezifische Eigenschaft von gesellschaftlicher
 > Kooperation ist und sie kann auch ohne Zwangsmitgliedschaft
 > funktionieren.

Auch der Einsiedler oder das Kloster oder Robinson auf seiner Insel
vermittelt sein Leben mit der GK. Die GK ist sozusagen überall präsent
und ermöglicht diese Entkopplung: In Form historisch geschaffener und
kumulierter Dinge und in Form gesellschaftlichen Wissens.

 >>Wenn ich da von Existenzentzug schreibe, dann geschieht dieser zu
 >>einem bestimmten Zeitpunkt. Und dann ist u.U. Ende, und das liegt
 >>nicht an der grundsätzlichen Potenz der GK, sondern an dem
 >>stattfindenden Mord oder was auch immer. Aber vorher besteht der
 >>"Vorteil" prinzipiell für alle.
 >
 > Ja, aber doch schon durch mein Menschsein. Die Natur hat mir
 > sozusagen einen Overhead an Zeit mitgegeben. Gilt das nicht sogar
 > für Tiere?

Die Natur hat mir nicht die Zeit gegeben, sondern die Natur hat mir die
biologische Potenz gegeben, mich zu vergesellschaften, also an diesem
gesellschaftlichen Vermittlungsprozess teilzuhaben - deswegen ja auch
dieser Begriff der "gesellschaftlichen Natur des Menschen". Das haben
Tiere nicht, die leben sozusagen distanzlos im hier-und-jetzt - auch
wenn sie gerade "Zeit haben". Es ist keine Frage der "Zeit".

 > Also, ich hab glaub ich noch nicht so ganz verstanden, wie Du dieses
 > Entkopplungsding siehst.

Ein bisschen klarer? Es ist einer der Knackpunkte.

Ciao,
Stefan

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