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Re: [ox] Der wilde Dschungel der Kooperation



Hallo Stefan und alle anderen!

Vorneweg: Sehr schön! Ein Meilenstein :-)

Dennoch hab ich eine bisschen andere Sichtweise. Die resultiert vielleicht
daraus, dass ich die Wertvergesellschaftung als lange nicht so total
begreife, wie Du das tust. 

Das macht aber nix, weil ich der Meinung bin, das unsere Beiden Sichtweisen
möglicherweise (das wäre noch zu klären) 98% Sourcecode-kompatibel sind um
es mal im FS-Slang auszudrücken. Will sagen: Sie sind nicht identisch, aber
man kann sie durch neucompilieren jederzeit ineinander überführen. Das macht
die Differenz aber nicht uninteressant, da da schon noch der ein oder andere
wichtige Punkt lauert.

Mir geht es allgemein darum, dass ich Deinen "blinden Fleck", den Du in der
Nichtbeachtung der Wertvergesellschaftung siehst als einen Spezialfall eines
_größeren_ schlecht sehenden (nicht blinden) Fleckes sehen würde, nämlich
den schon andernmails angesprochenen "existentiellen Bedingungen".

Es ist also nach meiner Sichtweise so, daß die Vergesellschaftung - und
damit auch die wertförmige - als Ganzes genau so eine "existentielle
Bedingung" ist, die Christoph zwar behandelt, aber eben nur als "Ausnahme" -
was angesichts ihrer Beduetung zu wenig ist.

Zusätzlich gibt es aber eben noch andere existentielle Bedingungen, weswegen
ich diese Sichtweise für weiterführender halte. Einmal gibt es solche
existentiellen Bedingungen individuell an vielen Stellen, das hat Christoph
ja auch mit seinem Flüchtlingsbeispiel im Auge gehabt.

Zusätzlich gibt es aber eben auch noch andere Vergesellschaftungen als
diejenige des Werts. Historisch ist das natürlich offensichtlich aber auch
aktuell halte ich z.B. den Faschismus (in der von Christoph im Alienbuch
verwendeten Bedeutung, die auch Regimes wie die Taliban oder Massaker wie in
Ruanda mit einbezieht) als ein _unabhängig_ vom Wertsystem zu verstehendes
Problem. Was nicht heißen soll, das die nicht Bezüge zueinander haben und
das Faschismus oft auch eine Reaktion auf Zumutungen des Wertsystems ist
oder sich die Wetlogik oft faschistischer Regimes bedient, aber er folgt
eben einer _eigenen_ Logik, also nicht einer Wertlogik. Gerade auch im Licht
der aktuellen Ereignisse finde ich diese Differenz sehr wichtig.

So, ein Problem das bleibt, sowohl in Deiner Sichtweise als auch in meiner,
wäre dann noch, wie man denn nun die FK konkret erweitert um diese blinden
Flecken mit reinzuholen. Wenn als Ergebnis unserer Bemühungen dann sowas wie
"Freie Kooperation - extended version" rauskommen würde, wär das ein
Riesenerfolg und ich würde einen kleinen Tanz zu unser aller Ehren
aufführen. Mir schwebt da momentan so etwas wie eine vierte Bedingung für FK
vor, aber das kann auch eine ganz andere Form annehmen.

Alles was ich hier schreibe ist "work in progress" und deswegen kann es
durchaus sein, dass sich Sachen vom Anfang dieser Mail mit Sachen vom Ende
widersprechen, ich hoffe mal, es bringt vielleicht trotzdem was. Ich bin
halt nicht so gut im ausformulieren strukturierter Texte wie Stefan.

Das soweit als Rahmenbemerkungen für das Folgende. Jetzt mal im Detail:

On Thu, Oct 04, 2001 at 05:41:03PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
hier nun der angekündigte Textentwurf von mir zur Theorie der Freien
Kooperation von Christoph Spehr - gleichzeitig Grundlage für die
Diskussion aus der WOS am 14.10. Online findet ihr den Text unter
http://www.opentheory.org/dschungel - als Unterprojekt von Oekonux.

Könntest Du dort evntl. anfallende Kommentare hierhin weiterleiten?

Lasst euch nicht allzusehr durch die Seitenreferenzen auf Christophs
Text verwirren - meine Papierversion ist offensichtlich etwas anders
nummeriert als die PDF-Version der RLS.

Ich hab glaub ich die selbe Version. Ist das die, die Christoph schon im
Vorfeld verkauft hat, bevor es den Text online gab?

Kooperation

(3) Kooperation darf nicht normativ verstanden werden. Kooperation ist
weder gut noch schlecht, Kooperation ist Kooperation. Was ist aber
Kooperation? Kooperation ist eine bestimmte Form interpersonaler
Aktivität. Nicht jede interpersonale Aktivität ist Kooperation
(Beispiel: Sexualität). 

Nur mal so als Zwischenfrage? Warum genau ist das jetzt keine Kooperation?
Normalerweise tut man das dann doch schon _zusammen_ (außer beim onanieren,
aber ich denke mal das hast Du nicht gemeint) und nicht nur _interpersonal_,
oder? Also mich hat das Beispiel eher verwirrt. Ansich ist mir das schon
klar, aber jetzt wüsste ich dann soch schon ganz gerne mal genauer, welche
Eigenschaften interpersonale Aktivitäten IYHO haben, die Kooperationen nicht
haben. Aber das ist nur ein Nebenschauplatz.

Kooperation nutzt und bezieht sich auf
gesellschaftlich geschaffene Mittel und Strukturen (Beispiele: zusammen
Abwaschen, zur Schule gehen, lohnarbeiten gehen, alle uns knechtenden
Verhältnisse umstürzen). Die Reichweite solcher Kooperationen ist
unterschiedlich. Wo in der Freien Kooperation Aufzählungen stehen - von
der Beziehung zwischen Zweien bis zur gesamten Gesellschaft -, dort
bringe ich eine qualitative Differenzierung an. Nicht alle Kooperationen
sind selbstähnlich. Ich will deutlich machen, dass ich im Nichterkennen
der qualitativen Unterschiede von <i>personalen</i> Kooperationen und
der <i>gesamtgesellschaftlichen</i> Kooperation in der Theorie der
Freien Kooperation den wesentlichen blinden Fleck erblicke.

"Selbstähnlich" enthält ja auch gerade qualitative unterschiede, sonst wären
sie ja schlicht gleich. Das halte ich erstmal noch für kein Problem.

Aber Du hast wohl schon Recht, dass man in bestimmten Fällen etwas genauer
hingucken muß. In Deiner Sichtweise wäre das der Unterschied zwischen
personaler und gesamtgesellschaftlicher Kooperation, in meiner Sichtweise
ist das aber eher der Unterschied zwischen nicht existentieller und
existentieller Kooperation. Dabei kann es sehr wohl Fälle existentieller
personaler als auch Fälle nicht-existentieller gesamtgesellschaftlicher
Kooperation geben. Als Beispiel für ersteres könnte man z.B. einen
Ertrinkenden nehmen, dem ich zu helfen habe unabhängig von Aushandlungen.
Beispiele für nicht-existentielle gesamtgesellschaftliche Kooperation sind
schon schwieriger, mir fallen jetzt grad nur abgedrehte
Science-Fiction-Szenarien ein, aber vielleicht kann man das auch in der
Geschichte finden. Hier und heute wird es damit vielleicht wirklich etwas
dünn. Trotzdem denke ich, man sollte das im Auge behalten.

Hm, ich sehe gerade, das meine Unterscheidung vielleicht doch nicht so
kompatibel zu Deiner ist, wie ich das gerne hätte... mal gucken.

(4) Die Freie Kooperation wendet sich zurecht gegen die verbreitete
Vorstellung, Gesellschaft sei komplex, während eine Kooperation in
kleinem Rahmen einfach sei. Jede Kooperation hat die ihr eigene
Komplexität, danach kann man die unmittelbare Kooperation in der Küche
und gesamtgesellschaftliche Kooperation in der Tat nicht unterscheiden.
Daraus aber abzuleiten, alle Kooperationen seien im Sinne der
Selbstähnlichkeit prinzipiell nicht unterschiedlich, ist kurzschlüssig.
Den Unterschied zwischen personaler und gesamtgesellschaftlicher
Kooperation versteht man, wenn man versteht, was Gesellschaft ist.

Ja, aber genauso wichtig wie die Unterschiede sind eben auch die
Gemeinsamkeiten.

Gesellschaft als Kooperation

(5) Menschen reproduzieren sich, in dem sie Stoffwechsel mit der
(äußeren) Natur betreiben. Das tun Tiere auch. Doch im Unterschied zu
Tieren geschieht der Stoffwechsel nicht unmittelbar, sondern vermittelt.
Unmittelbar meint hier die Abwesenheit einer überdauernden, außerhalb
der jeweiligen Individuen bestehenden Instanz, die für den Stoffwechsel
genutzt wird. Vermittelt meint demgegenüber die Anwesenheit einer
solchen Instanz. Das ist die Gesellschaft. Zwischen den individuellen
Menschen und der Welt schiebt sich die Gesellschaft als Ebene, die
allgegenwärtig ist. Sie ist zwar konkret präsent - etwa als
gesellschaftliches Produkt »Buch« - und doch abstrakt: Niemand kann sie
anfassen. Deswegen entgleitet sie dem Denken leicht. Sie muss aktiv in
der Erkenntnis reproduziert, <i>erkannt</i> werden.

Diese Sichtweise von Gesellschaft ist mir zu einseitig materialistisch.
Gesellschaft ist nicht nur was zwischen den Menschen und der Welt, sondern
auch zwischen den Menschen und sogar in den Menschen selbst. Aber das siehst
Du ja wahrscheinlich ganz genauso, nur, wieso kommt das dann hier nicht vor?
Weiter unten schreibst Du dann aber was, das in die Richtung geht (Abschnitt
21).

(6) Folgende Aspekte von Gesellschaft, die <i>gleichzeitig</i> gelten,
sind wichtig:
- Gesellschaft wird von Menschen gemacht, ist in ihrer Existenz und
Entwicklung aber nicht von konkreten Einzelnen determinierbar: sie
entwickelt sich nach eigenen Gesetzen;

Das stimmt zwar taugt aber nicht als Unterscheidungsmerkmal zwischen
gesellschaftlicher Kooperation und Kooperation allgemein, denn:

Das gilt IMHO für _jede_ Kooperation. Gerade bei Beziehungen passiert es
doch immer wieder, dass die ihre eigene Dynamik mit eigenen Gesetzen
entwickeln. "Gruppendynamik" wäre ein weitere Stichwort, was in die Richtung
deutet. 

- die Gesetze beschreiben die Eigenlogik der gesellschaftlicher
Entwicklung, nicht aber ein »Ziel«: die Entwicklungsrichtung ist genuin
offen;

Demnach gilt auch das allgemein für Kooperationen.

- die Gesellschaft ist das Medium, in dem sich alle Menschen bewegen:
die je individuelle Existenz ist gesamtgesellschaftlich vermittelt;

Ja, das ist korrekt, sagt aber auch nicht viel mehr aus, als das
"Gesellschaft" eben die Kooperation ist, an der alle Menschen beteiligt
sind.

- die Fähigkeit, sich individuell in die Gesellschaft
hineinzuentwickeln, sich zu vergesellschaften, ist Teil der menschlichen
Natur: nicht der ungesellschaftliche Mensch wird »sozialisiert«, sondern
der gesellschaftliche Mensch schafft das Soziale.

Auch das gilt für alle Kooperationen.

So richtig den Unterschied hast Du also für mich noch nicht rausgefunden.
Für meine Zwecke reicht es aber auch völlig aus, einfach von Gesellschaft
als Menschheitskooperation zu sprechen, also einer Kooperation, in der man
zwangsläufig (und da liegt das Problem!) Mitglied ist.

(7) Die Gesellschaft ist demnach ein besonderer kooperativer
Zusammenhang, der sich von anderen Kooperationen unterscheidet. 

Ja, aber nur quantitativ. Einziges aber entscheidendes(!) qualitatives
Merkmal ist die Zwangsmitgliedschaft. 

Es ist
der abstrakte Zusammenhang, in dem sich die konkreten kooperativen
Zusammenschlüsse der Menschen bewegen. 

"abstrakt" können auch Kooperationen unterhalb der Gesamtgesellschaft sein.
Staaten, Konzerne, etc. sind doch die besten Beispiele. Mir fällt eh grad
auf, dass ich ein bisschen Verständnisprobleme mit diesem "abstrakt" hab,
das in der Wertkritik immer wieder auftaucht.

(8) Es ist u.U. verwirrend, dass beides, der personale Zusammenschluss
und der übergreifende und überdauernde Zusammenhang, als »Kooperation«
bezeichnet werden. Wenn ich den Begriff der <i>gesamtgesellschaftlichen
Kooperation</i> verwende, dann meine ich diesen abstrakten und sich
eigengesetzlich reproduzierenden Zusammenhang der Gesellschaft.
Demgegenüber bezeichne ich die konkreten personalen Zusammenschlüsse als
<i>personale Kooperationen</i> oder schlicht auch nur als
<i>Kooperationen</i>. Erkenntnistheoretisch handelt es sich hier mithin
um zwei unterschiedliche analytische Bezugsebenen: um die
<i>gesellschaftstheoretische</i> und die <i>individualtheoretische</i>
Ebene.

Sehe ich aus obigen Gründen nicht so. Ohje, mein Optimismus bezüglich
Kompatibilität sinkt immer weiter :-(

Gesamtgesellschaftliche Kooperation

(9) Die gesamtgesellschaftliche Kooperation ist überindividuell
andauernd. Sie ist nicht verhandelbar. Sie kann nicht verlassen werden,
die je individuelle Beteiligung unterscheidet sich nur in ihrem
Vermittlungsgrad. Der individuelle Ausstieg ist identisch mit dem Ende
der eigenen Existenz - ein einseitiger, hoher »Preis«. Dies gilt
genauso, wenn ich an die Stelle der Individuen personale Kooperationen
setze. Das Ende gesamtgesellschaftlicher Kooperation ist identisch mit
dem Ende der Menschheit.

Korrekt! Einzige ein klein wenig makabre Anmerkung: Ein Selbstmordattentäter
vollzieht tatsächlich so etwas wie einen letzten Akt der Verhandlung bevor
er aussteigt.

(10) Die Unverhandelbarkeit gesamtgesellschaftlicher Kooperation hat für
den Einzelnen einen eminenten Vorteil. Da sie überindividuell und
überdauernd besteht, wird meine Existenz auch dann miterhalten, wenn ich
mich an der gesamtgesellschaftlichen Kooperation nicht beteilige. Diese
allgemeine Aussage ist nicht zu verwechseln mit dem konkreten,
tausendfach realen Existenzentzug. Dies ist keine Eigenschaft
gesamtgesellschaftlicher Kooperation überhaupt, sondern Ausfluss
historisch konkreter gesellschaftlicher Kooperations<i>formen</i>. Aus
der prinzipiellen Eigenschaft, die je eigene Existenz
bedingungsunabhängig erhalten zu können, leitet sich die grundsätzliche
Möglichkeit ab, eine gesellschaftliche Form zu finden, in der die
grundsätzliche Potenz gesellschaftlicher Kooperation auch konkret und
für jeden Einzelnen wirksam entfaltet wird. Die Entfaltung aller
Menschen ist also keine bloß utopische Idee, sondern genuine Potenz
gesamtgesellschaftlicher Kooperation.

Wenn ich das richtig verstanden habe muß dann wohl der Anfang dieses
Absatzes eigentlich lauten: "Die Unverhandelbarkeit gesamtgesellschaftlicher
Kooperation _kann_für_ den Einzelnen einen eminenten Vorteil _haben_."

(11) Mir ist hier folgendes wichtig: Durch die Entkopplung eigener
Existenz von der Beteiligung an gesamtgesellschaftlicher Kooperation
verfügt der Mensch über eine unhintergehbare Möglichkeitsbeziehung zur
Realität. Sein Handeln ist nicht determiniert, er bewegt sich stets in
Möglichkeitsräumen. Der Mensch kann Wollen. Das gilt auch für personale
Kooperationen. Der Möglichkeitsraum wird ganz entscheidend durch die
jeweilige gesellschaftliche Form bestimmt. Sie bildet das Medium, in dem
wir uns bewegen: handelnd, denkend, fühlend. Dieses Medium nicht zu
thematisieren in einer Theorie vom Handeln der Menschen, ist in etwa so
blindfleckig wie über das Schwimmen zu theoretisieren, ohne über das
Wasser zu sprechen. Die gesamtgesellschaftliche Kooperation ist das
Wasser, in dem die personalen Kooperationen schwimmen - so sie das
Schwimmen gelernt haben. Die Theorie der Freien Kooperation kann eine
Theorie vom Schwimmen-lernen werden.

Ja, sehr schönes Bild. Hätte von Christoph sein können ;-)

Das ist glaub ich auch wirklich neben der Existentialität eine zweite
besondere Eigenschaft _sehr_großer_ Kooperationen. Das muss aber nicht die
Gesamtgesellschaft sein. Schon unterhalb der Menschheitskooperation gibt es
Kooperationen, die diese Entkopplung leisten können (z.B. Staaten oder auch
nur die Sozialversicherung im Fordismus).

Vielleicht können wir uns auf folgendes Erweiterungsprogramm für FK einigen:
Wir gucken uns die Kooperationen von den ganz kleinen bis zu den ganz großen
an und schauen nach Umschlägen von Quantität in Qualität. Bisher sehe ich
zwei. Einmal die Entkopplung eigener Existenz von der Beteiligung an der
Kooperation und dann schließlich Existentialität durch
nicht-mehr-aussteigen-können. Ich würde das getrennt behandeln wollen. Ich
hab auch den Eindruck, dass Du hier in Deinem Gesellschaftsbegriff unscharf
bist, mal scheinen es eher Staaten zu sein, innerhalb deren sich
Gesellschaft konstituiert, dann wieder die ganze Menschheit.

Der kybernetische Dschungel der Warenproduktion
[...]
(15) Es ist der klassische Fall einer erzwungenen personalen
Kooperation: »Herrschaft ist erzwungene soziale Kooperation. Die
Kooperation ist erzwungen, weil die eine Seite sich nicht aus ihr lösen
kann, weil sie nicht darüber bestimmen kann, was sie einbringt und unter
welchen Bedingungen, weil sie keinen oder nur geringen Einfluss auf die
Regeln der Kooperation hat.« (S. 16) Nur leider kann ich der
gesamtgesellschaftlichen Zwangskooperation nicht entkommen. Es fehlt
gewissermaßen der Adressat meines Widerstands: Der Ober-Erzwinger, der
Meta-Herrscher, ist keine Person, sondern eine sich selbst
reproduzierende und totalisierende »kybernetische Maschine« - und mit
»Maschinen« ist schlecht zu verhandeln.

Der Verhandlungspartner eines Individuums in FK ist doch aber sowieso immer
eine Kooperation. Verhandlungen finden immer zwischen Individuen und
Kooperationen statt oder zwischen Kooperationen. Nicht zwischen Individuen
(ausser im kleinsten Fall einer 2-Personen-Kooperation).

Die konkreten Verhandlungen werden natürlich immer zwischen Repräsentanten
geführt, aber was ich damit sagen will, an sich spricht nichts gegen eine
kybernetische Maschine als Verhandlungspartner. Die Geschichte der
Arbeiterbewegung z.B. kann man genauso verstehen, dass sie der
kybernetischen Maschine Zugeständnisse abgetrotzt haben, die deren Charakter
verändert haben (ohne sie deswegen jetzt abschaffen zu können).

(16) Im kybernetischen Dschungel der Warenproduktion ist der wilde
Dschungel der Freien Kooperation am Ende angelangt, weil es um die Wurst
geht. Wie in keiner anderen historischen gesellschaftlichen
Kooperationsform, ist hier die je individuelle Reproduktion mit der
Reproduktion der totalitären Warenproduktion verkoppelt. Wenn ich »drin«
bin, muss ich die Logik denkend und handelnd reproduzieren - oder ich
bleibe nicht länger »drin«. Die Logik rückt mir auf den Pelz, ich muss
sie alltäglich nachvollziehen, mitdenken, erfühlen, ausführen. Sich nur
denkend dort herauszubegeben, ist ein heroischer Widerstandsakt. Viele
verzweifeln vorher oder werden zynisch.

Auch hier sehe ich wieder nichts, was nicht auch bei anderen Kooperationen
vorkommt. Viele langjährige Ehen funktionieren nach diesem Muster.

Das perfide ist vielleicht das solche "Nähe" - und darum handelt es sich ja
hier - verknüpft wird mit existentieller Notwendigkeit und schierer Größe.
Wie gesagt ich denke man braucht da ein ausdifferenzierteres Modell, nicht
nur hier die personalen Kooperationen und da die gesellschaftliche sondern
viele Zwischenstufen auf denen unterschiedlichste Qualitäten, die
Kooperationen haben können auftreten oder auch nicht auftreten. Und ich
denke auch nicht, dass in der "obersten" also der Menschheitskooperation
sich alle Eigenschaften bündeln, oder das irgendein extrem darstellt. Auch
diese Kooperation ist nur eine unter vielen, aber mit ganz spezifischen
Eigenschaften.

(21) Ich will es noch ein Schritt weiterdenken: In erzwungenen
Kooperationen werde ich mir selbst zum Feinde, denn der Andere bin ich,
und das Durchsetzen-auf-Kosten-Anderer ist immer reziprok ein
Durchsetzen auf meine Kosten. Das ist eine mögliche Erkenntnis, die ich
in erzwungenen Kooperationen nicht zulassen kann, die ich
personalisierend auf Andere schieben und verdrängen muss. Mit der freien
Kooperation als Alternative werden Handlungsoptionen sichtbar: Welche
Regeln und Bedingungen kann, will und muss ich ändern, damit ich mich
entfalten kann? Denn die Bedingungen sind es, die mir Entfaltung
ermöglichen oder nicht. Welche Ausstiegssicherheit brauche ich, um
Vertrauen in die Stabilität der Kooperation zu gewinnen? Denn nur die
Kooperation, die ich ohne Beschädigung verlassen kann, will ich
erhalten. Die Freie Kooperation lenkt den Blick auf Situationen und
nicht auf Personen. Es ist eine Ermöglichungs- und keine
Verhinderungsperspektive.

Das hab ich jetzt nur wegen dem Verweis oben stehen lassen.

(22) Gute Kooperationen machen automatisch das, was Freie Kooperation
als Theorie formuliert. Sie ist gleichsam ihr Extrakt. Doch Theorie geht
darin nicht auf, sie wäre nur affirmativ. Theorie muss provozieren, muss
das best-practice Gerede der new-economy Propagandisten überschreiten.
Der gesunde Menschenverstand ist oftmals gar nicht gesund und verständig
schon gar nicht. Die entscheidende Grenze - praktisch und in der Theorie
- ist die gesamtgesellschaftliche Kooperation in warenproduzierender
Form, die <i>als solche nicht</i> in eine gesamtgesellschaftliche
<i>freie</i> Kooperation überführbar ist. Sie ist nur als Ganzes
aufhebbar, denn ihre Regeln sind nicht Ergebnis einer Verhandlung,
sondern setzen sich gleichsam als zweite Natur hinter dem Rücken der
Beteiligten durch. Die Tatsache des »hinter-dem-Rücken-Durchsetzens«
muss als Ganzes zur Disposition gestellt werden. Eine
gesamtgesellschaftliche freie Kooperation, eine freie Gesellschaft,
wirft noch ganz andere Fragen auf, als dies Kooperationen unterhalb der
gesamtgesellschaftlichen Ebene tun.

Auch diesen Effekt gibt es auf jeder Ebene der Kooperation. Es gibt immer
Kooperationen, die nicht mehr reformierbar sind, sondern nur als ganzes
abgeschafft gehören. Das kann sich aber nur durch den Austritt ihrer
Mitglieder vollziehen. Das genau geht nun aber bei der
gesamtgesellschaftlichen Kooperation nicht, das ist das Problem. Es handelt
sich also wieder um das Problem der existentiellen Verstrickung (das mal in
der FK als kleine, am Rande erwähnte "Ausnahme" angefangen hat, so langsam
dämmert mir, dass diese Ausnahme vielleicht noch "Kariere" machen könnte ;-).

Na soweit erstmal. Alles gelöschte ist als Zustimmung zu verstehen.

Ich hoffe ihr könnt mit diesen ungeordneten Gedanken etwas anfangen.

Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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