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Re: [ox] Zur Kritik der Freien Kooperation



Hi Benni und Liste!

Eine Bemerkung vorweg: Ich enthalte mich bis auf einmal (s.u.),
positive Alternativen zu dem Kritisierten zu erwähnen. Das sollten wir
aber vielleicht auch mal tun.

4 days ago Benni Bärmann wrote:
Na, mit einer Antwort von mir hast Du ja sicher schon gerechnet.

In der Tat. Ralfs Anmerkungen kann ich mich übrigens auch weitgehend
anschließen. Ich finde es auffallen, daß seine Kritik stellenweise in
exakt die gleiche Richtung geht.

Ich finde es in der Tat bemerkenswert, wie du hier in die Bresche
springst. Immerhin dürfte Christoph das ja auch alles verfolgen. Keine
Zeit?

Das wird
naturgemäß jetzt etwas länger, fürchte ich.

Dito.

Ich möchte dennoch alle
ermutigen das mal zu lesen und - so sie es noch nicht getan haben - auch
Christophs ursprünglichen Text.

Das ist vielleicht keine blöde Aufforderung. Ich hatte nämlich oft das
Gefühl, daß es bei Christophs Text *sehr* darauf ankommt, wie mensch
ihn liest. Ich habe ihn kritisch gelesen und konnte dann wirklich alle
paar Zeilen auf die Kritikpunkte stoßen, die ich angeführt habe. Aber
sicher kann das mit einer anderen Voreinstellung auch anders
interpretiert werden.

Ich weiß jetzt nicht, ob das für jeden Text gilt, aber ich fand manche
Stellen sehr nebulös. Oft wurde einfach vorausgesetzt, daß die LeserIn
schon wissen wird, was gemeint ist - halt die wohlige allgemeine
Übereinstimmung. Besonders drastisch fand ich:

S. 47:
An die Stelle
von offener formal-rechtlicher Apartheid tritt die Privilegisierung
eines bestimmten Modells von "Arbeit" und "Arbeitenden", das sich
als "formale Arbeit" bezeichnen lässt und in dem qualifizierte,
privilegierte Lohnarbeit und unternehmerische Arbeit sich annähern.
Formale Arbeit findet auf "Arbeitsplätzen" statt, d.h. sie basiert
auf offiziellen, rechtlich garantierten Verträgen, ist
verhältnismäßig gut bezahlt, und schließt in hohem Maße
"unternehmerische" Aspekte von Arbeit mit ein, d.h. sie verfügt
ihrerseits partiell über andere Arbeit und fordert/erlaubt stärker
die Subjektivität des Arbeitenden in der Arbeit (Motivation,
Engagement, Kreativität etc.). Es ist die Arbeit, die weder prekär,
noch illegalisiert, noch monoton, noch minderbezahlt, noch
biographisch zerstückelt ist und deren Subjekte sich von den
"Zumutungen" des sonstigen Lebens und aller anderen Formen von
Arbeit weitgehend freihalten können.

Formale Arbeit ist, das zeigt die Aufzählung, Sache einer
soziologischen Minderheit. Sie ist gleichzeitig das zentrale
Instrument moderner Diskriminierung, denn diese Minderheit genießt
weitreichende Privilegien und dominiert massiv die symbolische
Ordnung der Gesellschaft, d.h. deren Selbstwahrnahme und
Selbstinterpretation. Formalarbeiter finden, dass sie alle anderen
ernähren und die eigentlich produktive Arbeit leisten, von der alle
anderen leben.

Soweit also die Definition. Ich versuche mir also ein Bild von dem zu
machen, was gemeint ist. Dann lese ich weiter:

S. 48:
Obwohl diese Selbstwahrnahme, mit eigener Hände
Arbeit das zu schaffen, wovon alle anderen leben, total drollig ist,
wenn wir sie mit der realen Tätigkeit von Lehrern, Anwälten,
Zahnärzten, Steuerberatern, Politikern, Aufsichtsräten und
Werbegrafikern vergleichen, ist sie gesellschaftlich ungebrochen
dominant.

Aha. Jetzt frage ich mich sofort, welche Gruppe da jetzt aufgezählt
ist. Die der FormalarbeiterInnen oder die der von diesen
Unterdrückten. Sorry, aber solche "Definitionen" hauen nur dann hin,
wenn das Feindbild von vorneherein feststeht.

On Sat, Sep 29, 2001 at 06:03:01PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Insbesondere scheint mir - auch
gerade nach der Lektüre von Christophs Paper -, daß diese Fragen im
kapitalistischen Kontinuum von Bedeutung sind. Ja sie sind ja geradezu
die Geschäftsgrundlage einer (idealen) kapitalistischen Ordnung. Für
eine Utopie wie ich sie heute in Ansätzen denke, wären diese Fragen
aber tendenziell gegenstandslos, zumindest aber nicht mehr dominant.

Du verstehst die freie Kooperation falsch, wenn Du sie als Utopie deutest.
Für mich hat sie die Funktion von "Realpolitik" mit utopischer Ausrichtung.
Also etwas was mir einen Rahmen gibt, über mein konkretes hiesiges Handeln
nachzudenken ohne dabei eine bessere Gesellschaft aus den Augen zu
verlieren. Sprich: genau die Fallen der Realpolitik zu umschiffen und
trotzdem Handlungsfähig zu bleiben.

Genauso verstehe ich Freie Kooperation auch und so muß sich wohl jede
(halbwegs zeitlich naheliegende) politische Utopie verstehen lassen.

Das ganze Paper zeichnet sich aus durch eine äußerst laxe Verwendung
von Begriffen. Alles wird mit möglichst wenigen Worten belegt, so daß
die Begriffe hinter den Worten völlig nebulös werden.

Das müsste Dir doch eigentlich sehr entgegen kommen. Das ist genau ein
Merkmal einer "theorie in progress" wie wir sie hier auch in Oekonux
gelegentlich aufscheinen sehen.

Etwas allgemeiner erkenntnistheoretisch formuliert:

Jede Theorie bewegt sich immer in einem ihr eigenen Sprachraum, der auf
unterschiedlich umständlichem Weg mit dem Alltagssprachverständnis verbunden
sein kann. Das ist nötig, da eine neue Theorie immer neue Abstraktionen und
neue Modelle benötigt. Und neue Abstraktionen und neue Modelle brauchen eine
neue Sprache.

Etwas ganz ähnliches hatte ich ja vor ein paar Tagen selbst
geschrieben. Der Punkt bei Christoph ist, daß ich nicht erkennen kann,
daß er sich um neue Modelle, um neue Sprache, um Differenzierung
bemüht.

Für den Sprachraum in dem sich die Theorie bewegt bedeutet das einiges an
Problemen. Die Sprache selbst ist nämlich auf einmal Untersuchungsgegenstand
und ebenso Teil der Lösung wie des Problems.

Für mich gibt es zwei gangbare Wege diesem Problem zu entgehen. Man kann
entweder extrem hermetisch werden und versuchen eine Sprache zu finden, die
sich jedem Alltagsverständnis erstmal entzieht um so zu versuchen die
störenden Alltagseffekte nicht zum Zuge kommen zu lassen. Das haben viele
Philosophen und Sozialwissenschaftler in der Vergangenheit versucht. Bei
Adorno gipfelt das dann in seiner Aussage: "Stil ist affirmativ."

Christoph geht einen anderen, meiner Meinung nach genauso gangbaren Weg. Er
versucht gerade durch Einbeziehung von Alltagsverständnis und Alltagssprache
die dem Alltag zu Grunde liegenden Strukturen sichtbar zu machen.

Beide Wege haben so ihre Vor- und Nachteile. Aber eine gewisse
Begriffsunschärfe wird sich vor allem beim letzten nicht vermeiden lassen.

Na ja, bei den Diskussionen um das Wort "GPL-Gesellschaft" habe ich ja
schon klar gemacht, daß ich eher zur ersten Strategie neige. Das
falsche Alte wird mit den alten Worten halt immer mittransportiert.
Dummerweise habe ich bei der Freien Kooperation halt das Gefühl, daß
das nicht nur ein Problem alter Worte ist :-( .

Die zweite Strategie finde ich - vielleicht - als Popularisierung
angebracht.

Den Vogel schießt die "erzwungene Kooperation" ab. Eine solche
Begriffsbildung kann es nur dann geben, wenn alles in der Welt eine
Kooperation sein muß.

Alles nicht, aber eben jedes gemeinsame, koordinierte Handeln. Und genau das
ist ja auch die Wortbedeutung von "Kooperation".

Dazu hat Ralf ja schon einiges geschrieben.

S. 34:
Eine Gruppe weiterer Einwände, die gegen die Theorie der freien
Kooperation erhoben werden können, sind die, sie wäre
widersprüchlich, apodiktisch oder zirkulär. [...]

Diese Einwände lassen sich in der Tat nicht in Bausch und Bogen
zurückweisen oder widerlegen. Die Sache ist die, dass es keine
Theorie gibt, auf die sie nicht zuträfen.

Ah ja, und schon ist alles im großen Topf und das Konzept der Freien
Kooperation gerettet...

Lieber Christoph, daß Theorien ihre prinzipiellen Schwierigkeiten
haben, ist natürlich richtig - hätte eine Theorie es nicht, so wäre
sie die Weltformel. Daraus (kurz) zu schließen, daß alle Theorien
gleich (gut oder schlecht) sind ist natürlich Humbug.

Ja, Du hättest vielleicht auch noch etwas weiter lesen sollen, da heisst es
nämlich: "Um die erwähnten Einwände zu prüfen, müssen wir zunächst unsere
Vorstellung von dem, was Theorie ist und sein kann, auf den Prüfstand
stellen." Und dann kommt eine ausführliche Darstellung was eine
"postmoderne" Theorie ist, warum die Theorie der freien Kooperation eine
ist und warum das sinnvoll ist. Darauf gehts Du in Deiner Kritik mit keinem
Wort ein. Dabei sind das die eigentlichen Gegenargumente.

Das habe ich schon gelesen und dieser Abschnitt wäre einen eigenen
Thread wert. Allerdings gipfelt das (u.a.) in:

S. 36:
Die Theorie der freien Kooperation ist die Forderung nach einer
paradigmatischen Wende; sie ruft dazu auf, die Probleme der Praxis
in einer anderen konzeptionellen Form zu rekonstruieren. Sie ist
ebensogut eine Geschichte, eine "story", wie alle anderen auch; aber
welche "story" man verwendet, hat Konsequenzen.(33) Weil sie sich
dessen bewusst ist und nicht auf die "bessere Repräsentation der
Wirklichkeit" beruft sondern darauf, eine bestimmte "magic in the
kitchen" zu befördern, ist sie eine postmoderne Utopie.

Und das teile ich nicht und darauf trifft meine obige Kritik.

Besonders heftig kommt dies im dritten Teil "Grundrisse einer Politik
der Freien Kooperation" vor. Hier wird ein Sammelsurium linker
Allgemeinplätze präsentiert, wo jedeR Linke nur zustimmend nicken
kann. Ob dieser Aufruf zum "Weiter so?",
                                        ^
Puh, was für ein Lapsus! Das sollte natürlich ein "!" sein!

der zumindest in den Köpfen
der LeserInnen ankommt, wirklich so fortschrittlich ist?

Man kann das auch als Versuch sehen, die Erfahrungen die in der
Vergangenheit gemacht wurden zu verwerten. Im Alienbuch (für alle, die es
immer noch nicht kennen: "Die Aliens sind unter uns - Herrschaft im
demokratischen Zeitalter") stellt Christoph die freie Kooperation in einen
Kontext mit anderen linken Theorien und da wird das sehr deutlich, dass es
ihm darum geht diese Erfahrungen zu verarbeiten.

Ja. Hier kommt einer meiner grundlegenden Einwände zum Zuge, die ich
nicht in meine Mail formuliert habe. Nochmal ausgehend vom Zitat:

S. 39:
Es gibt viele Wurzeln dieser Utopie. In allen neueren
Befreiungsbewegungen finden wir Praxisformen und Überlegungen, die
darauf hinwirken. Oder genauer gesagt, die auf etwas hinwirken, was
in diesem Punkt - der Utopie der freien Kooperation - einander
ähnlich und vergleichbar ist. Oder noch genauer gesagt, auf etwas
hinwirken, was ihnen anhand von Utopien der freien Kooperation als
vergleichbar vorkommt und was sie als ähnlich anerkennen können. Die
Politik der Anerkennung und des Verhandelns, die im italienischen
Feminismus formuliert wurde, bewegt sich ebenso in eine solche
Richtung, wie die Ideenwelt und Praxis der Zapatisten in Chiapas.
Viele andere tun das auch.

Zunächst wäre schon mal die Frage, ob das überhaupt stimmt. <polemik>
Aber in Christophs überaus analytischem Stil werden vermutlich alle
Bewegungen, die nicht in dieses Raster passen mal kurz nicht als
Befreiungsbewegungen zugelassen... </polemik>

Es gibt aber noch ein grundsätzlicheres Problem, das sich mit dem
Perspektivenproblem kreuzt: Befreiungsbewegungen haben aufgrund ihrer
ohnächtigen Situation einen gemeinsamen Hintergrund, bilden einen
eigenen Kosmos, ein eigenes Soziotop. Da ist es einerseits nicht
unwahrscheinlich, daß sich Gemeinsamkeiten finden lassen.

Andererseits - und das ist mir eigentlich der wichtigste Punkt -
kommen solche Gemeinsamkeiten eben genau aus der gemeinsamen
Situation. Ob sie in einer anderen Situation überhaupt Sinn machen ist
ja keineswegs ohne weiteres klar. Im Gegenteil ist das ein Problem
vieler Befreiungsbewegungen oder sonstiger revolutionärer Erhebungen
gewesen, daß sie nach ihrem Sieg überhaupt keine Perspektive mehr
hatten. Die russische Revolution kannst du als das historisch
vielleicht bedeutsamste solcher Entwicklungslinien nehmen (auch wenn
es Leute gab, die in diese Richtung dachten - Bucharin z.B. -, die
aber bald kaltgestellt wurden). Nachdem dem erfolgreichen Aufstand war
kein Konzept da.

Von daher halte ich diese (angebliche) Hochrechnung aus den
Befreiungsbewegungen für höchst problematisch.

Dies wird gepaart mit der Auswahl von Beispielen aus dem familiären
Bereich. Das Aufmacherbeispiel möchte ich hier komplett zitieren, da
es den gesamten Text durchzieht:

S. 5:
In einer Hütte lebten drei Bären, [...]

Zu dieser Geschichte, die eine spezifische Familiensituation spiegelt,
in der es in keiner Weise um den Typ Macht und Ohnmacht geht, den wir
in gesellschaftlichen Prozessen ausmachen können, zu dieser Geschichte
nimmt Christoph nun völlig einseitig Stellung:

Tatsächlich ist es eben genau Christophs These, dass Herrschaft auf den
unteren Ebenen und auf den oberen sehr wohl etwas gemeinsames hat und auch
etwas miteinander zu tun hat.

Ja, nur daß es eben in der geschilderten Situation nur am Rande um
Herrschaft geht. Den Umgang mit Kindern ausschließlich durch die
Herrschaftsbrille zu sehen und dann auch noch in dieser einseitigen
Weise halte ich für zutiefst unmenschlich. Kinder brauchen Grenzen -
deutlich Wahrnehmbare zumal. Und Kinder testen Grenzen - besonders in
der Trotzphase. Wenn sie ihre Grenzen nicht aufgezeigt kriegen, dann
kriegen sie irgendwann großen Ärger, weil es nun mal reale Grenzen
gibt. BTW machen sich Kinder gegenseitig Grenzen auch sehr schnell
klar - ist das dann auch Herrschaft?

Die Frage ist, wie geschieht dieses Aufzeigen von Grenzen. Eine
Analyse als Herrschaftsbeziehung noch dazu in dieser moralinsauren
Variante leistet da aber m.E. keinen positiven Beitrag.

Etwas polemisch würde ich Deinen Einwand so beantworten: Typisch
patrialichalisches Denken, dass die Familie irgendwie nicht so wichtig sei,
wie "das grosse Ganze". Hier die "spezifische Familiensituation" und dort
die "gesellschaftlichen Prozesse". Hier das Private und dort das
Öffentliche.

Ich habe nicht von Wichtigkeit gesprochen, sondern davon, daß das
nicht alles dasselbe ist. Darauf beharre ich auch und das ist auch
breit wissenschaftlich gestützt. Menschen verhalten sich in kleinen,
überschaubaren Gruppen eben anders als in Massengesellschaften. Das
muß auch so sein: Es geht eben nicht, daß du jedem Menschen auf der
Welt das gleiche Mitleid, die gleiche Zuwendung entgegenbringst, weil
du dann sofort von deinen Emotionen * 6 Milliarden zerrissen würdest.

Wie gesagt die Herrschaftskritik (wenn auch sicherlich keine "fundamentale
Kapitalismuskritik") findet sich im Alienbuch. Das ist allerdings vom Stil
her eher noch mehr an Funk- und Fernsehen angelehnt, wird Dir also
vermutlich noch weniger behagen.

Ich hatte es kürzlich mal in der Hand und habe zwei-, dreimal
reingeblättert. Nachdem ich auf diese Weise eine Stelle gefunden
hatte, nach der die Aliens sich am Genom(!) erkennen, habe ich es
lieber schnell zur Seite gelegt - sonst könnte ich wohl überhaupt
nicht mehr mitsprechen. Sorry, aber diese Sorte Populismus erinnert
mich wirklich *zu* sehr an die anderes Seite des politischen
Spektrums. Hat nicht mal wer gesagt, daß es linken Populismus nicht
geben kann?

- die überkommene Verteilung von Verfügungsgewalt, Besitz, Arbeit und
  die überkommenen Regeln nicht sakrosankt sind, ihnen also kein
  "höheres Recht" zukommt, sondern sie vollständig zur Disposition
  stehen, d.h. von den Beteiligten der Kooperation jederzeit neu
  ausgehandelt werden können;

Ja super! Das ist genau das, was die Neoliberalen uns seit Jahren
vormachen und bei ihnen Deregulierung heißt. Und natürlich wird es
auch ausgehandelt - glücklicherweise noch hier und da mit
Zwischenschichten und nicht direkt Betrieb gegen einzelneN
ArbeitnehmerIn (um nur einen Sektor zu nennen, wo (noch) nicht alles
individuell verhandelt wird).

Deregulierung bedeutet nur, dass eine etwas veraltete Herrschaftsform durch
eine zeitgemäßere (traditioneller vs. progressiver Alienismus) abgelöst
wird.

Das ist die Lesart, wenn die Feindbilder geklärt sind. Versuch doch
mal, dich in die Aliens zu versetzen und die Freie Kooperation nach
ihren Interessen zu lesen.

- alle Beteiligten frei sind, die Kooperation zu verlassen, ihre
  Kooperationsleistung einzuschränken oder unter Bedingungen zu
  stellen, und dadurch Einfluss auf die Regeln der Kooperation zu
  nehmen;

Auch da haben die Herrschenden kein Problem: "Entweder du tanzt nach
meiner Pfeife oder du kannst gehen. Wie? Du willst streiken? Dann gehe
ich eben selbst (nach Osteuropa z.B.)."

Das sagt doch nichts anderes, als das die Bedingungen der Verhandlung eben
nicht gleich sind.

Ja, dann erkläre mir doch mal, wo denn da die Verhandlungsbedingungen
ungleich sind - jetzt mal ohne geklärte Feindbilder. Nehmen wir nicht
bereits Angestellte sondern Neueinstellungen. Was in der Freien
Kooperation sollte eine UnternehmerIn hindern, nur Leute einzustellen,
die zu schlechtesten Bedingungen malochen? Und selbst die kann sie
noch in den Hintern treten, indem sie am Monatsende die Kooperation
aufkündigt und am besten noch einen gesalzenen Scheidungspreis
verlangt(!).

Nee, nee, das funktioniert alles nur dann, wenn die Feindbilder klar
sind. Und obwohl das andauernd die unausgesprochene Voraussetzung ist,
weigert sich die Freie Kooperation, die Feindbilder explizit zu
benennen. Ah, wahrscheinlich die Aliens...

Freie Kooperation sagt nur, dass diese Bedingungen erst
herzustellen sind.

Sie sind bereits da. Nicht hindert dich daran, einen Vertrag zu
schließen, dessen Gültigkeit jederzeit umstandslos von einer der
Parteien gekündigt werden kann.

Dieses ganze Konzept, das uns Christoph hier andienen will, hat einen
ganz entscheidenden Webfehler: Es funktioniert nur unter ganz engen
Bedingungen überhaupt. Zu diesen Bedingungen gehört u.a.:

Du siehst das genau falsch rum. Das Konzept fordert diese Bedingungen
_herzustellen_.

* Daß die Verhandelnden wechselseitig aufeinander angewiesen sind.

  Denn nur dann haben sie überhaupt ein Problem damit sich aus dem
  Staub zu machen. Ist einer der Verhandelnden angewiesen und die
  andere nicht: Was sollte die Unabhängigere davon abhalten ihre Sache
  allein zu machen?

Das ist tatsächlich ein Problem. Christoph formuliert das irgendwo (weiss
jetzt nicht wo, entweder in "Gleicher als Andere" oder im Alienbuch) als
Ausnahme. Ich finde, dass das als vierte Bedingung mit in die ursprüngliche
Definition gehört.

Das wäre dann der nächste Schritt, die Realität an die Theorie
anzupassen. Es wird immer Machtunterschiede geben. Sie wegzudefinieren
ist Quatsch. Die Liberalen lösen das Problem durch den Staat, die
Freie Kooperation betrachtet als Ausnahme. Es ist aber die Regel.

dann stehen sich
ausschließlich die puren Interessen gegenüber - nichts sonst.

Hm. Emotionale Interessen sind also z.B. keine Interessen? Was gibt es denn
sonst noch zwischen Menschen, ausser ihren Interessen? Mir fällt da jetzt
nur was religiöses oder "spirituelles" (um ein neues Oekonux-Modewort zu
verwenden) ein, aber das meinst Du ja sicher nicht.

Nein, ich habe mich ungenau ausgedrückt. Ich meinte die materiellen,
letztlich geldwerten Interessen.

Das ist ja einer der wenigen Vorteile von Geld, daß es durch seine
allgemeine Interessenangleichung als halbwegs brauchbare
Scheidungswährung zu gebrauchen ist. Aber wie rechnest du emotionalen
Schmerz in einen Scheidungspreis ein?

Eine gute Regel für Ehen - um mal auf Christophs familiäres
Terrain zu wechseln - ist ja bekanntlich, sich schon bei der
Eheschließung Gedanken über die Scheidung zu machen und sich über den
Preis der Scheidung dann zu einigen, wenn mensch sich noch freundlich
begegnet. Nicht mal das geht in der Freien Kooperation, denn es stehen
ja alle Vereinbarungen jederzeit zur Disposition

Na, das kann ja heiter werden, wenn's dann mal kracht... Dann ist die
Frage des Scheidungspreises nämlich die, die *dann* verhandelt werden
muß. Wie soll das gehen?

Hupps. Da hast du mich völlig mißverstanden. Das war nur ein Beispiel.
Könntest du genausogut im geschäftlichen Bereich haben. Mein Punkt
war: Vorher über den Scheidungspreis sich einigen ist sinnvoll, unter
den Bedingungen der Freien Kooperation aber nicht möglich.

Hier sind mindestens zwei Kooperationen involviert, das lässt Du ausser acht.
Neben der Kooperation zwischen den beiden Eheleuten nämlich auch noch die
Kooperation, die definiert was eine Ehe ist und entsprechende Vorkehrungen
für den Scheidungsfall vorsieht.

Das kann ja nicht gehen. Dann würde die definierende Kooperation in
die Kooperation der Beteiligten hineinregieren? Das ist zwar brav
liberal aber sicher nicht Freie Kooperation. Nochmal aus den
grundlegenden Bestimmungen:

S. 23:
- die überkommene Verteilung von Verfügungsgewalt, Besitz, Arbeit und
die überkommenen Regeln nicht sakrosankt sind, ihnen also kein
"höheres Recht" zukommt, sondern sie vollständig zur Disposition
stehen, d.h. von den Beteiligten der Kooperation jederzeit neu
ausgehandelt werden können;

Im Zweifelsfall sind alle Regeln "überkommen" und stehen damit
automatisch zur Disposition. De facto gibt es mit der Freien
Kooperation keine übergeordneten Regeln.

Das ist normalerweise hier und heute ein
Staat (oder manchmal auch die Kirche).

Eben...

Um's nochmal auf den Punkt zu bringen: Wo das allgemeine Verpissen und
die absolute Regellosigkeit gepaart mit der Forderung nach im
Zweifelsfall horrenden Scheidungspreisen zum Prinzip wird, ist das
Faustrecht die logische Konsequenz.

Diese Problem des "gerechten, mindestens aber zumutbaren Preises"
scheint mir fundamental. Christoph hat dies wohl als Rettungsanker
eingebaut, leider ist es im Rahmen der Freien Kooperation aber nur
eine gesellschaftliche Dynamitstange. Ich habe nicht das Gefühl, daß
dieser Defekt behebbar ist - ganz davon abgesehen, daß der Begriff
"Gerechtigkeit" nochmal zu klären wäre.

Natürlich ist der zu klären. Mit anderen Worten: Auszuhandeln unter den
Bedingungen freier Kooperation.

Wie soll das gehen? Wie willst du einen Preis aushandeln wenn du dich
gerade zerstritten hast und nur noch darauf aus bist, einen möglichst
großen Teil des Kuchens mitzunehmen? Mit keinem Wort gehst du darauf
ein außer einigen allgemeinen Bedingungen.

Und Freie Kooperation funktioniert genau da nicht mehr. Du kannst den
Scheidungspreis nicht nach den Bedingungen der Freien Kooperation
aushandeln, weil die Kooperation an dieser Stelle keine Freie mehr
ist. Dann wenn's spannend wird greifen die Bedingungen nicht - toll...

Nicht zufällig gerät das Konzept der Freien Kooperation in die
gleichen Schwierigkeiten wie auch der Liberalismus. Christophs Freie
Kooperation ist nämlich im Kern ein liberales Modell, das allerdings
ohne ein paar Sicherungen auszukommen versucht, die selbst die
Neoliberalen noch für notwendig halten.

"Libertär" statt Liberal würde es wohl eher treffen.

Willst du mich beleidigen? Ok, die AnarchokapitalistInnen oder
Libertarians hätten vermutlich auch wenig Schwierigkeiten mit der
Freien Kooperation. Aber wirkliche AnarchistInnen dürften sich wohl
(ähnlich mir) mit Grausen wenden...

Wo wir gerade da sind, doch schnell zu einer positive Alternative.
Gerade bei den AnarchistInnen ist eine Konsenskultur eine wichtige
Größe. Genau das wird mit den Bedingungen der Freien Kooperation
konsequent verhindert. Das allgemeine Verpissen ist Gift für jeden
Konsensprozeß. Die allgemeine Drohung "Ihr tut was ich will, oder ich
verpisse mich und nehme meinen Anteil - um den dann zu kämpfen sein
wird - mit" zerstört die kooperative Grundlage nachhaltig, die ein
Konsensprozeß braucht. Die Möglichkeit des gegenseitigen Aufrechnens
für den Fall einer Scheidung führt logisch dazu, daß das Aufrechnen
ein permanenter Prozeß ist, führt logisch dazu, daß alle Beteiligten
darauf schielen, auch ja nicht zu wenig abzukriegen.

Tatsächlich ist die Freie Kooperation ein bißchen weniger als die alte
bürgerliche Vertragsfreiheit.

Nein, in der bürgerlichen Vertragsfreiheit sind ihre Bedingungen auf höherer
Ebene nämlich nicht verhandelbar oder nur unter sehr asymmetrischen
Bedingungen.

Ja, wie ich sagte: Innerhalb der Vertragsfreiheit kannst du praktisch
alles machen, was die Freie Kooperation fordert. Nur daß einige
grundlegende Regeln als Sicherungssysteme bei Bürgers noch
hinzukommen.

Die individuellen Interessen müssen in einer zeitgemäßen Utopie
tendenziell mit den gesellschaftlichen Interessen zusammenfallen.

In diesem "tendenziell" liegen verdammt viele Probleme begraben, die Du
einfach igorierst und für die Freie Kooperation wenigstens versucht
Lösungen zu benennen.

Wenn ich sie ignorieren wollte, dann würde ich mich nicht mit Oekonux
befassen...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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