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Re: [ox] Produktivkraftniveau und Selbstentfaltung



Hi Bernd,

Bernd Binder wrote:

> Dass gesamtwirtschaftliche Entwicklung im allgemeinen und unternehmerischer
> Erfolg im besonderen (in der Tendenz jedenfalls) zunehmend auf
> Selbstentfaltung/Kreativitaet der Arbeitnehmer angewiesen ist, sehe ich noch ein. Aber
> warum sollte man (die Unternehmer und seine Politiker) nicht mit neuen
> ideologischen/paedagogischen Methoden die Arbeitnehmer dazu bringen
> auch dies weiterhin in Lohnarbeitsverhaeltnissen zu tun.

Das tun sie schon. Weil sie es müssen. Es geht aber nur begrenzt, je
heftiger die Krise, desto weniger.

> Wenn Kapitalisten im Fordismus noch in hierarchischer Art und Weise (mit
> Vorabeitern) die ArbeitnehmerInnen zum arbeiten angehalten haben, koennen
> sie dies heute in den Dienstleistungsbetrieben oder Softwareschmieden
> mit anderen, abstrakteren Mitteln. Die Bereitschaft zum Ausgebeutet werden
> haben die Arbeitnehmer in den neuen Berufszweigen mehr verinnerlicht als
> noch vor 30 Jahren, oder? Oder anders ausgedrückt: Man sieht heute, dass
> man sich auch mit Freude/Spass an der Arbeit (und Selbstentfaltung)
> lohnausbeuten lassen kann.

Die Antwort als Formel zugespitzt: Selbstentfaltung und Selbstverwertung
ist ein unvereinbarer (antagonistischer) Widerspruch.

Ausbeutung durch andere ist zwar Scheisse, aber Selbstausbeutung ist
viel fataler. Der Begriff ist nicht ganz treffend, denn es geht nicht um
die (selbst-)räuberische Aneignung produzierten Mehrwerts, sondern der
der masslose Prozess der sich stets erweiternden (Mehr-)Wertproduktion
_überhaupt_ ist das Problem. Dieser Verwertungs-Prozeß ist nicht durch
Menschen kontrollierbar, sondern kontrolliert die Menschen (das wird
Fetischismus genannt).

Selbstentfaltung setzt freie Entfaltungbedingungen voraus. Wenn da aber
ein Verwertungsprozeß ist, dem ich meine Selbstentfaltung unterordnen
und anpassen muss, dann ist sie keine mehr. Dann ist sie
"Fremdentfaltung", und das macht dann keinen Spaß mehr. Der fremde
Sachzwang, der die Selbstentfaltung begrenzt, erscheint in Form "des
Marktes". Er transportiert die Verwertungslogik und die Konkurrenz in
die Betriebe und in die Köpfe. Ich denke nicht mehr darüber nach, was
jetzt für mich tolles selbstentfalterisch angesagt wäre, sondern nur
noch, was auf dem Markt verkaufbar ist. Je nach Betrieb ist der
Spielraum da allerdings unterschiedlich groß. Extrem ist es natürlich
bei den Selbstangestellten, den Ein-Person-Unternehmen: Sie kleben am
Markt wie die Fliege an der Windschutzscheibe. Hier trifft das Wort
"Selbstverwertung" auch unmittelbar sinnlich erfahrbar zu.

> Vielleicht noch eine Frage zu einem analogen Problem, naemlich der Keimform
> These:
> Benni hatte gefragt, ob es nicht eventuell schon mal eine
> Nachkapitalistische Keimform gegeben hat, die aber entweder verkuemmert ist oder sich sogar als
> gar keine herausgestellt hat. Das war der Fall. Die
> Monopolisierung in der Wirtschaft vor 100 Jahren wurde von damaligen
> Theoretikern als unauflösbarer Widerspruch zum (Konkurrenz benötigenden)
> Kapitalismus gewertet. Der Kapitalismus hat diesen Widersruch bekanntlich
> mit verschieden Mitteln geloest.

Aber warum war das eine Keimform? Offensichtlich war es doch gerade
keine, oder?

Ciao,
Stefan

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