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Re: [ox] Re: Materielle Produkte



Hi Stefan, Benni und alle!

Stefan Merten schrieb

2 weeks (15 days) ago Benni Bärmann wrote:
On Sun, Jul 29, 2001 at 08:18:19PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Wieso das denn? Eine möglichst flexible Maschine hat doch nicht
automatisch Ressourcenverschwendung zur Folge - oder? Eher im
Gegenteil ist eine solche an wechselnde Anforderungen bestmöglichst
anzupassen und dürfte eher das Gegenteil von Ressourcenverschwendung
bewirken.

Ich glaube schon, dass Thomas da einen wunden Punkt trifft.
Industrielle Produktion spart sicher nicht ganz allgemein
Ressourcen, aber sie spart zwei sehr entscheidende Ressourcen:
Zeit und Wissen.

Nun ja, bei Marx ist es "dressierte Naturkraft", was auf wenigstens
zwei Aspekte abzielt: Den Akt der Dressur und den Einsatz dieser
dressierten Naturkraft. Und der Akt der Dressur (also das Ausdenken
und Bauen der Maschine) spart sicher weder Zeit noch Wissen. Im
Gegenteil, Du brauchst hochgradiges Metawissen, um eine Maschine zu
bauen, die konkrete menschliche Tätigkeit ersetzt. Hat allerdings den
Vorteil, dass Du (oder wer auch immer) nur >einmal< seine grauen Zellen
gründlich anstrengen musst und das war's dann. Allerdings gibt es einen
Trade-Off im Aufwand, z.B. ob ich mir ein Konvertierungprogramm für ein
neues Format ausdenke oder es die Sekretärin mit Hand überall ändern
lasse (bei mir liegt der Trade-Off weit auf der technischen Seite, da
ich meist meine eigene Sekretärin bin). Das Thema (rückläufige
Automatisierungsraten) hatten wir ja neulich hier schon mal auf der
Pfanne. 

Zeit - genauer: Arbeit - zu sparen, ist der Grund, der für
KapitalistInnen, aber natürlich - zumindest jenseits der
kapitalistischen Form - für alle Menschen von Interesse ist. Ich
könnte auch argumentieren, daß es den Freiheitsgrad der Menschen
erhöht, weil sie jetzt die Option haben, etwas mit der Hand
herzustellen oder industriell.

Das blendet den Dressurakt vollkommen aus. 

Daß Wissen "gespart" wird ist in der Tat schon eine der weniger
offensichtlichen Erkenntnisse. Tatsächlich vergegenständlicht die
Werkzeugmaschine das handwerkliche Wissen. 

Das ist ziemlicher Quatsch, denn die Werkzeugmaschine
vergegenständlicht eine vollkommen andere Qualität von Wissen. Wenn
Handwerkerwissen (nicht handwerkliches !), dann vor allem
organisatorisches. Technisch und energetisch hat die Werkzeugmaschine
vollkommen andere Möglichkeiten. Der Unterschied geht bis runter zu
Berufsbildern: dem des Handwerkers und dem des Ingenieurs. Eine
Werkzeugmaschine kann das nicht formalisierte Wissen eines Handwerkers
(und das ist meist das wirklich Entscheidende) nicht abbilden.  Die so
eingebaute Normung drängt immer zu normierten Lösungen und damit nur
zu einem suboptimalen Ressourcenverbrauch.  Die Tür vom Tischler ist
immer besser den räumlichen Bedingungen angepasst als die vom Baumarkt
(vielleicht auch ressourcenschonender, aber bestimmt teurer).  Wobei
ich die Tendenzen des Zusammenfließens von handwerklicher und
industrieller Arbeit nicht in Abrede stelle. Aber die werden in Eurer
Argumentation vollkommen ausgeblendet (die Maschine als Werkzeug).

Hier wird das Wissen aus den Köpfen der HandwerkerInnen in die
Maschine verlagert - in gewisser Form eine Enteignung. Freie
Software verlagert dieses Wissenspotential zumindest wieder in den
öffentlichen Raum.

Okay, aber das in der Maschine vergegenständlichte - und damit
trivialisierte - Wissen bedarf der Begleitung durch lebendiges (also
durch Menschen angeeignetes) Wissen auf der Meta-Ebene. Die Maschine
muss qualifiziert eingesetzt werden (ich rede jetzt nicht von
Knöpfchendrückern, die nur Anhängsel der Maschine sind. Aber auf
unserer Liste geht es ja um Emanzipation, Selbstverwirklichung).

Aber richtig: Gegenüber nicht-industrieller Produktion ist
industrielle Produktion bzgl. Ressourcenverbrauch nicht automatisch
überlegen - danach optimiert sie nämlich nicht. Andererseits ist sie
genauso auch nicht automatisch unterlegen. Von der Produktionsweise an
sich hängt der Ressourcenverbrauch also in dieser Hinsicht wohl nicht
ab.

Ich lass mal das Wort "Produktionsweise" hier stehen, obwohl es m.E.
in dem Zusammenhang fehl am Platze ist. Ressourcenverbrauch (übrigens
für sich allein genommen ein fragwürdiges Optimalitätskriterium) hängt
primär davon ab, wie flexibel die Naturkraft dressiert werden kann,
also letztlich von der allgemeinen Verfügbarkeit von
"Dressur-Know-How".  Und schon sind wir mitten bei meinem (und Rick
Stallman's) Lieblingsthema: Freizügigkeit von Wissen

Wenn wir Ressourcenverbrauch optimieren wollen, dann werden wir also
nicht umhin kommen, das gesellschaftlich auszuhandeln. 

Das ist dann noch einmal ein vollkommen anderes Thema. Wenn die
Wirklichkeiten und Möglichkeiten nicht offen liegen, dann gibt es
nichts zu verhandeln. Freie Software ist Voraussetzung, nicht Mittel
oder Motiv dieses Verhandlungsprozesses. 

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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