Message 02935 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT02890 Message: 7/17 L6 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] GPL und OpenSource



Hi alle,

Thomas hat mit der Frage nach dem Verhältnis von BSD-Lizenz und GPL
(beides Freie-Software-Lizenzen, aber nur GPL ist Copyleft) ein
gründlicheres Nachdenken über den Knappheitsbegriff hervorgerufen - zu
Recht! Viele haben dazu schon Interessantes geschrieben. Hier noch meine
Ideen dazu.

IMHO ist Knappheit in diesem Zusammenhang ein gesellschaftstheoretischer
Begriff. Als solcher ist er nicht zu verwechseln mit einem "subjektiven"
oder "subjektbezogenen" Begriff wie Casimir meinte. Es geht also hier
nicht um die Frage, ob ich gerade etwa "knapp bei Kasse" bin oder die
Milch in meinem Kühlschrank verbraucht ist, sondern um die Frage, welche
Rolle Knappheit bei der gesellschaftlichen (Re-)Produktion des Lebens
spielt.

Analytisch (also bloss logisch, aber nicht historisch) unterscheide ich
zwischen der gesamtgesellschaftlichen Produktion und derselben in ihrer
besonderen Gestalt der Warenform. Oder anders ausdrückt: Ich gucke mir
erstmal die Rolle der Knappheit bei der Produktion der Lebensbedingungen
unter Absehung der Form an, dann unter Hinzuziehung.

Zunächst unter Absehung der Form:
Menschen finden ihre Lebensbedingungen nicht bloss vor, sondern stellen
sie her. Sie tun das nicht bloss in unmittelbarer Kooperation, sondern
stets vermittels der gesellschaftlichen Infrastrukturen, die sie durch
ihr Tun gleichzeitig reproduzieren. Das nenne ich gesellschaftliche
Kooperation. Die unmittelbare Kooperation (etwa das Abwaschen oder den
Biogarten im Hinterhof bestellen) ist nur möglich vor dem Hintergrund
ein "stabilen" Einbettung in selbstreprodukive gesamtgesellschaftliche
Kooperationsstrukturen (vermittelt etwa über Lohnarbeit). Was in
gesellschaftlicher Kooperation hergestellt wird, ist das, was gebraucht
wird. Es sind also erwünschte Lebensbedingungen, die knapp sind. Dabei
ist Knappheit historisch spezifisch: Sie spiegelt die je entwickelten
Bedürfnisse der Menschen wider. Wenn Knappheit Bedürfnisse
widerspiegelt, also historisch-spezifisch sind (und als solche auch
"objektiv"), dann heisst das, dass es _immer_ Knappheit geben wird. Die
menschliche Bedürfnisse nach bestimmten Lebensbedingungen sind
unbegrenzt und werden immer Knappheit hervorrufen. Das Herstellen
menschlicher Lebensbedingungen bedeutet also immer das Reduzieren von
Knappheiten und Produzieren von neuen.

Wichtig: Lest das nicht normativ oder quantitativ. Damit ist weder
gesagt, dass es irgendwas überhaupt, noch wieviel es davon geben muss.
Was menschliche Lebensbedingungen sind, ist historisch verschieden. Dass
das Auto als Verkehrmittel nicht als globaler Schwachsinn erkannt wird,
der er ist, hat nicht mit den Bedürfnissen der Menschen "an sich" zu tun
(der Ebene der unmittelbaren Kooperation), sondern mit den Bedürfnissen
der Menschen in der besonderen gesellschaftlichen Form, in der sie
befriedigt werden und der sie entsprechen: der Warenform (der Ebene der
gesellschaftlichen Kooperation).

Also jetzt zur Warenform und zur Knappheit. Neben dem "ontologischen"
Knappheitsbegriff (also als Seins-Begriff) gibt es dann eine
formbestimmten Begriff, für den ich "künstliche" oder "produzierte"
Knappheit treffend finde. Gesellschaftliche Kooperation/Produktion dient
ja "eigentlich" dazu, Bedürfnisse zu befriedigen und Knappheit zu
beseitigen. Perverser (verdrehter) Weise geht dies in
warenproduzierenden Gesellschaften nur vermittels einer Form, die
Knappheit impliziert.

Produktion und Konsum sind getrennt. Es wird isoliert privat produziert
und dann über die Marktvermittlung probiert, ob das vermutete Bedürfnis
resp. die vermutete Knappheit erstens vorhanden und zweitens
zahlungskräftig ist. Um erste Knappheit zu decken, wird eine zweite
eingeführt: Das "eigentlich" schon gesellschaftlich (obgleich privat)
produzierte Gut wird mir vorenthalten, was mich zwingt, ein Äquivalent
(Geld) herzuschaffen, was mich zwingt, mich zu verdingen gegen ein
solches Äquivalent, in dem ich z.B. Güter schaffe, die anderen
vorenthalten werden (daraus zu folgern, es handle sich um ein
Verteilungsproblem, ist aber naiv, dem allerdings die klassische
Arbeiterbewegung egal welcher Schattierung stabil folgte). Knappheit
wird mit Mitteln von Knappheit beseitigt. Und es ist klar, dass diese
verschiedenen "Knappheiten" auf der Welt unterschiedlich verteilt sind
und werden. Die produzierte Knappheit ist notwendig an die Warenform
gebunden. Wer die produzierte Knappheit in Frage stellt, stellt die
Warenform in Frage.

Jetzt zur Freien Software und ihren Lizenzen. Staat und Rechtswesen sind
Rahmen, die der Warenlogik - eine Knappheit herstellen, um eine andere
zu beseitigen - eine Bewegungsform geben. Lizenzen bewegen sich in
diesem Rahmen. Was BSD und GPL im Einzelnen regeln, setze ich mal voraus
- der Unterschied ist im wesentlichen der: die BSD-Lizenz erlaubt die
Knappheitskopplung (eine herstellen, um eine andere zu beseitigen),
während die GPL warenformwidrig diese Kopplung subversiv unterläuft und
verhindert: eine Knappheit wird ohne Bedingung beseitigt. Diese
Entkopplung macht es den Verwertern so schwer. Sie müssen sich neue
Knappheitskopplungen überlegen, um die unknappe GPL-Software als
kombiniertes und damit kombiniert-knappes Produkt doch verwerten zu
können (z.B. mit Service).

Mein Fazit also: Knappheit im Sinne menschlicher Bedürfnisse ist zu
unterscheiden von produzierter Knappheit. Beides sind
gesellschaftstheoretische, objektive Begriffe. Es kommt also nicht
darauf an, was jemand zu Bedürfnissen/Knappheiten erklärt, sondern nur,
ob es die Bedürfnisse/Knappheiten real gibt (es gibt keine "falschen"
Bedürfnisse, gleichwohl aber solche, die ihrer gesellschaftlichen
Befriedigungsform, der Warenform, entspringen - nämlich fast alle). Es
kommt auch nicht darauf an, ob ein Subjekt mit der Rede von Knappheiten
bestimmte Zwecke verfolgen _will_ - als Warenproduzent _muss_ es die
objektivierten (Selbst-)Zwecke der kybernetischen Wertmaschine
verfolgen. Es ist aber - und das ist hier wichtig - ein ideologischer
Schein, wenn Warenproduzenten die produzierte und bedürfnisbedingte
Knappheit in Eins setzen - und etwa den Kapitalismus als einzig denkbare
Form dieser scheinbar von der Warenform völlig getrennten "natürlichen"
Knappheit behaupten.

Jetzt dann zu Thomas:
Vergleicht man OpenSource mit GPL, so schafft GPL, da
sie Verteilung propr. Software die auf GPL Sourcen
basiert, verbietet, künstliche Knappheit im Gegensatz zu
OpenSource Künstliche Knappheit ist, so meine ich
verstanden zu haben, ein Herrschaftsinstrument.

Die proprietäre Form der Software ist das Mittel, um Software in
Warenform zu bringen (dennoch muss prop Software nicht Warenform haben -
aber diese Differenz ignoriere ich hier). Sie ist produzierte oder
künstlich verknappte Software. Dein neutraler Term "Verteilung" bedeutet
aber real "Verwertung" vermittels der produzierten Knappheit. Die GPL
schützt Freie Software genau davor: Dass sich die produzierte Knappheit
auf sie überträgt. Sie schafft nicht Knappheit, sondern wirkt ihr
entgegen.

Somit scheint mir GPL mehr Waffe und politisches
Statement gegen den Kapitalismus bzw GeistigesEigentum
zu sein als ein Mittel gegen künstliche Knappheit.

Die GPL ist zwar auch politisches Statement, aber nicht gegen den
Kapitalismus. Sie sagt darüber direkt nichts aus (eher im Gegenteil).
Sie entzieht "nur" der Knappheitskopplung den Boden und vererbt diese
Eigenschaft weiter.

Kann es sein, dass GPL nur wichtig ist für die Keimzeit
von OpenSource, wo mensch noch befürchten muß, das durch
einverleibung von OpenSourceProjekten in propr. Software
das OpenSourceProdukt stirbt. Wenn nun aber eine
bestimmte Menge  an Einsatzbereitschaft von
Programmierern und Genutztwerden eines
OpenSourceProjekts erreicht ist, so ist es aufgrund
dieser Menge schon geschützt, denn das propr. Produkt
wird nicht adäquat gepflegt und stirbt wieder.

"Keimzeit" von was? Wenn du nur viel tolle Software haben willst -
vielleicht, wahrscheinlich aber nicht. Wenn du die warenproduzierenden
Gesellschaft ersetzt haben willst durch eine GPL-Gesellschaft (in der es
keine GPL mehr gibt, wie Benni IMHO völlig zutreffend schrieb), dann ist
die BSD-Lizenz (was du open source nennst) nur mäßig nützlich, weil sie
die Knappheitskopplung und damit die Warenform nicht in Frage stellt.

Ist nun die Keimzeit langsam um und wir können einfach
OpenSource nehmen? Oder wird es irgendwann subversiver
OpenSource anstelle von GPL zu entwickeln, denn dann ist
der Druck auf Firmen größer, dies zu nutzen und dadurch
auch zu unterstützen ?

Was ist gewonnen, wenn Firmen BSD-Freie Software nehmen, die sie wieder
verknappen können? Nur wenig, immerhin nehmen sie dann keine prop
Software. Ökonomisch gesprochen hat eine Entwertung stattgefunden.

Was ist gewonnen, wenn Firmen GPL-Freie Software nehmen, die sie nicht
wieder verknappen können? Etwas mehr, denn die Entwertung bezieht sich
auch auf die Zukunft und die Beiträge der Firma.

Aber die GPL(lose)-Gesellschaft wird es erst geben, wenn das Prinzip der
Knappheitskopplung der Verwertung in allen Bereichen aufgehoben wurde
zugunsten einer allgemeinen Reichtumsproduktion. Diese Verallgemeinerung
ist eine etwas größere Anstrengung und hat vor allem mit der
spezifischen Produktionsweise Freier Software zu tun
(Selbstentfaltung/Selbstorganisation) und weniger mit der GPL.

Ciao,
Stefan

P.S. Noch ein Detail zu Casimir:
- Unter GPL bleibt der Programmierer von proprietärer SW von 
  der Nutzung ausgeschlossen.

Nein, das ist nicht richtig! Jede/r kann GPL-Software nutzen, wie er/sie
es will. Er/sie darf die so kombinierte Software nur nicht vertreiben,
sprich verknappen. Das ist ein wichtiger Unterschied!

-- 
  Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di / HBV
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
  see also: http://www.verdi.de
  private stuff: http://www.meretz.de
--
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT02890 Message: 7/17 L6 [In index]
Message 02935 [Homepage] [Navigation]