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Re: [ox] notizen zur keimform



2. Teil

Ciao tutti quanti

Die Dinge gehen mir ziemlich im Kopf herum, daher noch ein paar
Überlegungen, auch wenn die Listen-Karawane schon längst weitergezogen ist.
Ich bring dabei Annette und Stefan Mz. durcheinander (ich glaube aber, dass
sie hier eh ziemlich d'accord sind) und geh auf alles Mögliche ein, was mich
von dem hier von verschiedenen Leuten, zuletzt z.B. von Stefan Mn. und
Graham so Geschriebenen "angesprungen" ist.
Wer's bis zum End durchliest, tut's eh auf eigene Verantwortung.  ;-))

zuerst was zu Annette:
In der realen Geschichte stehen wir immer im Moment der Gegenwart. Die
Zukunft ist zwar durch das jeweils Gegebene bedingt, aber das Gegebene
(die
Bedingungen) ändern sich selbst ständig mit und deshalb ist immer nur die
Gegenwart (und Vergangenheit) bestimmt, mit Notwendigkeit realisert - aber
jede Zukunft relativ (nicht absolut) offen.
Blicke ich jedoch analytisch in die Vergangenheit, zeigt sich, daß nichts
Gewordenes "aus Nichts" oder einem Wunder heraus entstand, sondern ich
immer
in der relativen Vergangenheit gerade jene Bedingungen realiert sehe, die
das Gewordene ermöglicht und bestimmt haben. So, wie die Menschheit in
Europa sich entwickelt hat, war halt die Sklaverei eine Grundlage des
Gegenwärtigen. Das ist eine analytische Aussage, die noch gar nicht
automatisch alles Gewesene rechtfertigt!!!
Diese Unterscheidung von Analyse und Wertung geht bei Trenkle m.M. nach
verloren, wenn er aus lauter Angst, wir könnten den Kapitalismus
rechtfertigen, wenn wir irgendwas von ihm positiv nutzen wollen, die
positiven Anknüpfungsmöglichkeiten negiert.

Naja, kann ich wirklich Analyse und Wertung so trennen? Ich möchte es einmal
so anschauen: Die Analyse ergibt doch auch, welche Möglichkeiten in der
Vergangenheit abgeschnitten, nicht realisiert wurden. Gesellschaftliche
Auseinandersetzungen enden auch in Sieg und Niederlage. Wenn ich die
Bedingungen dafür analysiere, komme ich immer wieder einmal zum Schluss,
dass es auch ganz anders hätt ausgehen können. Ist es blödsinnig, lässt es
sich überhaupt vermeiden, dass ich dabei Partei ergreife, also werte?


Ich komme zu meiner Hauptsache: Produktivkraftentwicklung, Keimform, Freie
Software

Ich halt mich einmal an Stefans Darlegung (oder wie ich es eben verstanden
hab): Inhalt - Produktivkraftentwicklung  ---
Form - Vergesellschaftungsmodus.

Auf der "Inhalt-Seite" (Produktivkraftentwicklung) scheint mir die
Akkumulation der Erfahrung mit dem, des Wissens über den "Stoffwechsel mit
der Natur" der Kern zu sein. Die zunehmende "Verwissenschaftlichung" von
Produktion liegt in der "Logik" von Produktivkraftentwicklung überhaupt,
indem sie ja auf dem zunehmenden Verständnis des Menschen von Natur und
möglichen Mitteln beruht - nehm ich jedenfalls einmal so an. Ich meine, das
ist so von Anbeginn, nicht erst im
industriellen Zeitalter. Im "Meretz-Dreieck" geht die Dynamik eben vom
Menschen aus und bezieht sich auf ihn als "Speicher" und Actor der
Akkumulation von Erfahrung und Wissen zurück. Auch Stefans "gnadenlose
Vereinfachung" einer Abfolge der Schwerpunkte in der Entwicklung von "Natur"
auf "Mittel"  und schließlich "Mensch" will ich hier (noch?) gar nicht in
Frage stellen. Soweit liegt das wohl in der "Natur" des Vorgangs
Produktivkraftentwicklung, ohne dass ich die Form-Seite noch betrachtet
habe.

Für diese Form-Seite besteht ein breiter Horizont auch gegensätzlicher
Möglichkeiten [m.E. übrigens alle "bewertbar" und von mir ziemlich ungeniert
bewertet]. Das fängt schon damit an, dass die "historische" (im klassischen
Sinn: seit Erfindung der Schrift) Produktivkraftentwicklung in der Form von
gesellschaftlichen Herrschaftsbeziehungen stattgefunden hat, was ja auch
keineswegs determiniert war und von vielen Menschen aller Zeiten nicht
akzeptiert, sondern in vielfältiger Weise in Frage gestellt und bekämpft
wurde. [Und wieder: Wenn ich das zu analysieren versuche, ist mein
"erkenntnisleitendes Interesse" wieder mit einer sehr heftigen Wertung
verbunden. Auch die "verbotene Frage" des "Was wäre, wenn ..." ist in diesem
Zusammenhang so dumm nicht, auf jeden Fall aber ist die Frage "Was haben
'wir' falsch gemacht" m.E. unumgänglich. Bei den Gräueln bin ich tatsächlich
prüde, wie Stefan Mn. (für mich ein wenig halb-) lustig bemerkt hat.]

Die in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung durchgesetzten Formen der
Vergesellschaftung lenken durchaus den Inhalt Produktivkraftentwicklung,
z.B. indem Herrschaft Ressourcen kontrolliert und Bedürfnisbefriedigung
reglementiert. Umgekehrt sehe ich keinen sehr bestimmenden Einfluss der
Entwicklung der "Natur-Mittel-Mensch"-Beziehung auf die gesellschaftliche
Entwicklung bis zur "Modernisierung" ab der Renaissance. [Vielleicht weiß
ich aber auch nur zu wenig über Geschichte :-( ]

Die auf der Grundlage des "Sündenfalls" der Etablierung von Herrschafts- und
damit Eigentumsverhältnissen aufkommende Geldwirtschaft wird als "auri sacra
fames" (verfluchter Hunger nach Gold) in den "personal - konkreten"
Vergesellschaftungsformen weithin noch als destruktiv beschrieben (von den
biblischen Propheten über die griechischen und römischen Dichtung bis zur
mittelalterlichen Predigt), blieb eher marginal und hatte auf die
Produktivkraftentwicklung keinen für mich sichtbaren großen Einfluss. Doch
die von der Herrschaft blutig etablierte "Ökonomie der Feuerwaffen" schuf ab
der Renaissance ein merkwürdiges neues Verhältnis, geboren aus dem Zweck der
Finanzierung militärischer Eroberung: Kauf und Verkauf, Marktkonkurrenz als
grundlegende gesellschaftliche Verkehrsform, Vermehrung des Geldes mittels
"Verwertung" "abstrakter Arbeit" als Produktionszweck und eben:
Produktivkraftentwicklung als Vehikel zur Kapitalakkumulation, ja als ein
Kriterium ihres Gelingens - kurz die Abstraktion des "Wirtschaften" von
menschlicher Bedürfnisbefriedigung und jeglicher ökologischer
Rücksichtnahme, Wirtschaft als Selbstzweck.
Eine Bruchstelle dieses Selbstzweck-Kreislaufs der Verwertung hat Marx in
der Verwissenschaftlichung und damit Entwertung von Produktion ausgemacht,
eine andere Grenze sind die ökologischen Grundlagen menschlichen Lebens.
Aus beiden Grenzen der kap. Entwicklung ergibt sich keineswegs, dass das
danach Kommende besser, freier ist. Die Selbstentfaltung antiker
Sklavenhalter führte ev. zur besseren Behandlung der Sklaven ihrer Umgebung,
nicht zur Abschaffung der Sklaverei.




Stefan Mn.
für Open Source reichen auch rentabilitätserwägungen. wenn diese von
manchen subjektiv als befreiend empfunden werden, ändert das nichts an
ihrer
objektiven funktion unter der herrschaft des werts.

Ja, aber umgekehrt ist auch gefahren: Ihre objektive Funktion unter
der Herrschaft des Werts ändert auch nichts an der unterstellten
Keimformeigenschaft. Wenn schon Schließen, dann in beide Richtungen!


Ich mag nicht mehr von Entwicklung (sozusagen verwickelt Vorhandenes
abspulen, entknoten u.ä.) reden. In der Geschichte gibt es eine Akkumulation
von Erfahrungen, von Wissen, die Fortschritt ermöglichen. FRAGE, OB DA EINE
LOGIK DRIN
Beim Stefan'schen Konzept (das "Meretz-Dreieck", klingt recht gut, wie
Bermuda-Dreieck, was in Wien der Beisl(=Kneipen)bezirk in der City ist,
dessen Besuch tatsächlich recht stimulierend sein kann) der
Produktivkraftentwicklung


der konferenz referierten gedanken zu, dass die
produktivkraftentwicklung
als entscheidende determinante der gesellschaftlichen entwicklung nur
für
die vom wert beherrschte gesellschaft gilt, aber nicht exprapoliert
werden
darf (so jedenfalls hab ichs verstanden).

Wobei auch bei ihm nicht gesagt wird, was er unter Produktivität,
Produktivkraft und Entwicklung überhaupt versteht. Wenn ich darunter nur
technischen Fortschritt, technische Mittel etc. verstehe, hat er
klarerweise
Recht. D.h. - so klar ist es wirklich noch nicht allen, deshalb muß es
wohl
auch oft wiederholt werden.
Aber Produktivität kann auch bedeuten:
"Produktiv ist Arbeit dann, wenn sie eine nachhaltige Erhöhung der
Handlungsspielräume für den Menschen mit sich bringt. " (U.Sigor: "Utopie
der Arbeit", in Internet: http://www.thur.de/philo/arbeit9.htm).

Produktivkräfte sind nicht die Summe der in der Arbeit/Produktion
verwendeten Mittel, wie es oft vorgestellt wird, sondern das qualitative
Verhältnis zwischen Menschen, Natur und Mitteln... (auch in der Physik ist
es ein herrschendes Vorurteil, daß die Kraft etwas dem Körper von außen
Zugefügtes sei - während es in Wirklichkeit die Wirkungsfähigkeit der
Objekte selbst kennzeichnet). Das bedeutet - etwas genauer philosophiert -
daß jedes der Momente des Verhältnisses seinen Grund in den jeweils
anderen
Momenten findet ...(wers genauer lesen will: Hegel: Wissenschaft der
Logik,
in Werke Bd. 6, S. 166). Es ist eben keine Subsumtion oder Aufzählung von
irgendetwas, sondern jedes existiert in diesem Verhältnis nur durch die
anderen...
Dann kann es eigentlich gar nicht mehr mißverstanden werden, als ob
(allein)
die Mittel die menschlichen Beziehungen determinierten oder so ähnlich.

Und zur "Entwicklung" gibts auch vieles zu sagen. Wenn dieses Wort mit dem
Wort "automatischer Fortschritt" identifziert wird, ist wenig verstanden
von
der Tiefe und Fülle wissenschaftlicher Entwicklungstheorie...

freie selbstentfaltung ist kein letztlich uneingelöstes versprechen der
produktivkraftentwicklung in der wertgesellschaftlichen form (wie ich
Stefan
Mz. [miss?]verstanden habe).

Ich habe Stefan immer so verstanden, daß er es nie als "Versprechen"
interpretiert hat, gleich gar nicht als nur noch nicht eingelöstes (was ja
vielleicht noch einzulösen wäre), sondern er hat immer die
Widersprüchlichkeit der Beziehung von Selbstentfaltung und
Selbstverwertung
betont.

(Während ich solche Sachen ja vielleicht auch mal schlampig
dahinformuliere
bin ich mir bei Stefan sicher, daß er es immer sauber formuliert hat. Beim
Zuhören/Lesen geschieht es aber wohl oft, daß nicht immer auf alle
Feinheiten geachtet wird, sie überlesen werden , oder die üblichere Lesart
hineininterpretiert wird -  die sich dann gut kritisieren läßt...).

Sie [freie Selbstentfaltung] ist ein von menschen empfundenes bedürfnis,
das
(seit langem) in widerspruch zu den gesellschaftlichen verhältnissen
steht.
wenn das von diesen menschen so gesehen wird, können sie sich dazu
stellen
(bewusst anpassen, ausweichen, konfrontieren, einen mix daraus).

Ja, immer und überall!
Da wir nun aber hier und heute leben, beziehen wir dies auf die aktuellen
Bedingungen, die der Kapitalismus strukturell prägt.

die Freien Software-Bewegung kann nur dann ein beitrag zu einer Freien
Gesellschaft sein, wenn die beteiligten menschen das wollen, wenn sie
sich
bewusst dazu entscheiden.

Ja!
Erfahrungsgemäß können sie es aber erst wollen, wenn sie es als
Möglichkeit
erkennen (eben als positiven Anknüpfungspunkt).

Wir können auf wissenschaftlichen Konferenzen unbegründeten Utopismus
tausendmal kritisieren. Wenn wir die politisch aktiven Leute fragen, was
sie
zu ihrer Aktivität geführt hat, war es fast nie nur die negative
Bestimmung
des Gegebenen, sondern die Vorstellung, daß es auch anders sein könnte.

Beispielsweise war in der "Wende" der DDR wirklich ausschlaggebend, daß
die
BRD plötzlich als das Vorbild, wie man selber leben wollte, sich
herauskristallisierte aus dem vorher noch unbestimmten Protest. Das "So
nicht" bekam seine explosive Dynamik erst durch die Zündung des "So wollen
wirs!".

Negativ erlebe ich dies in meinem weiteren (durch ABM-Jobs etc.)
erzwungenen
Bekanntenkreis. Die wissen fast alle, daß der Kapitalismus letzendlich
Scheiße ist (zumindest hier in meinem Umfeld, da ist das Gefühl und das
Wissen um die Verursachung des weltweiten Elends durch die kapitalistische
Weltwirtschaft noch weit verbreitet). Aber alle hängen ab: "Naja, es
gehtöölllllll.
doch aber nicht anders... alles andere wird doch noch schlimmer...".

Vor zu hochfliegendem Utopismus hab ich viel weniger Angst als vor dieser
entmutigten Passivität...

Ahoi Annette






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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de







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