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Re: [ox] Tausch



Hi Franz und alle,

"Franz J. Nahrada" schrieb:
Sabine hat schon was geschrieben dazu. Vielleicht muß ichs wirklich
genauer sagen, ich meine auch daß wir hier eine wirklich wichtige
Entdeckung gemacht haben, auch im Zusammenhang mit Bennis
Dialektik von Kooperation und Nicht-Kooperation. Also: ich stelle meine
Kooperation unter Vorbehalt: Wenn ich das und das nicht kriege, dann
kooperiere ich nicht. Das Bestehen auf dem Tausch ist daher das
beständige Ins-Spiel-Bringen der Nichtkooperation, Tausch geht nur
mit dem prinzipiellen Vorbehalt "dann wars halt nichts".

Nee, so geht's nicht. Man kann Gesellschaft nicht nach dem Modus
individueller Interaktion verstehen. Im ganzen Tauschthread ging das
munter durcheinander. Und es ist auch nicht die Frage, ob Tauschen
verwerflich ist. Die zentrale Frage ist, wie die Vergesellschaftung
organisiert ist, wie der Vermittlungszusammenhang zwischen
Individuen und der Gesellschaft strukturiert ist. Leider ist dieses
Verhältnis Indiduum-Gesellschaft bescheuert kompliziert - aber es
führt kein Weg dran vorbei, es zu versuchen zu verstehen. Und ich
bin tendenziell unfähig, das komplizierte mal eben einfach zu
erklären. Ein Versuch war:
http://www.oekonux.de/liste/archive/msg02053.html

Die Menschen haben _interaktiv_ schon immer getauscht (so wie es
auch schon lange Geld gibt) und werden es vermutlich auch immer tun.
Von mir aus auch Diamanten gegen Kaviar. Das ist überhaupt nicht das
Problem!!!

Das Problem entstand erst, als aus dem individuellen Tun ein
gesellschaftliches Verhältnis wurde, das die Vergesellschaftung
bestimmte. Das ist erst mit dem Kapitalismus in die Welt gekommen,
erst dort wurde Tausch zu alles durchgreifenden Prinzip der
Vergesellschaftung. Je ich kann nicht anders an Gesellschaft
teilhaben als tauschförmig (warenförmig etc.). Das Bestimmende beim
Tauschen ist - auch wenn ich individuell der Aldi-Kassierin das Geld
in die Hand drücke - heute nicht mehr die Interaktion (beim
Online-Shop ist die völlig weg), sondern die Realisierung eines
gesellschaftlichen Verhältnisses, dass in die Waren durch die
voneinander isolierte Privatproduktion bereits eingeschrieben wurde:
Da steckt so-und-so-viel Arbeitszeit drin, und dieses Abstraktum
fungiert als Tauschvermittler. Dieses Abstraktum strukturiert unsere
sozialen Beziehungen (das nannte Marx "Fetischismus").

Wenn nun Stefan Mn. sagt, die GPL-Gesellschaft basiert nicht auf
Tausch, dann meint er (so verstehe ich ihn zumindest) genau diesen
Tausch als bestimmendes, die Vergesellschaftung strukturierendes
Moment. Dass das geht, zeigt die Freie Software: Sie wird nicht vom
Tausch bestimmt - auch wenn es vielleicht auch mal Leute gibt, die
Software tauschen. Obwohl ich letzteres kaum glaube, es ist nämlich
viel zu anstrengend, wo es doch die Software überall auch so gibt.

Für echt schrottig halte ich dann das hier:
Dialektik von Kooperation und Nicht-Kooperation. Also: ich stelle meine
Kooperation unter Vorbehalt: Wenn ich das und das nicht kriege, dann
kooperiere ich nicht. Das Bestehen auf dem Tausch ist daher das
beständige Ins-Spiel-Bringen der Nichtkooperation, Tausch geht nur
mit dem prinzipiellen Vorbehalt "dann wars halt nichts".

Wenn sich gesamtgesellschaftlich andere Vermittlungformen etabliert
haben, dann wird es eben auf dieser Ebene das nicht geben.
Gesamtgesellschaftliche Kooperation unter Vorbehalt ist ein
Widerspruch in sich. Wenn ich das obige Zitat jetzt bloss interaktiv
denke, dann mag's das geben (so wie irgendwelche interaktiven
Tausche) - aber der Witz doch, dass ich mir mit einer Kooperation
unter Vorbehalt selbst schade! Unter Bedingungen, wo die Entfaltung
aller die Vorausetzung für meine Entfaltung ist, wäre ich schön
doof, Kooperation unter Vorbehalte zu stellen. Das ist ein Denken in
"Knappheiten": Ich verknappe Kooperation, um sie - ja was? - besser
tauschen zu können. Das macht nur "Sinn" in einer Gesellschaft, die
grundsätzlich über Tausch und Knappheit und den ganzen Scheiss
funktioniert. Wo je ich mich auf Kosten anderer durchsetze. Das ist
die alte Logik!

Bei Karl Marx heißt es in den James Mill-Exzerpten, daß eine
Ökonomie, die auf dem Tausch aufbaut, eine verfeinerte Kraft von

wechselseitiger

Plünderung ist.

Genau das ist der Punkt, und hinter diese Erkenntnis sollten wir
nicht zurückfallen.

Jetzt müsste eine lange und notwendige Diskussion darüber beginnen,
wie denn genau diese anderen, nichttauschförmigen gesellschaftlichen
Mechanismen aussehen. Gerade auch unter der Prämisse der
Begrenztheit von Rohstoffen, Flächen etc. Auch dazu bietet das
Maintainerprinzip gute Ansatzpunkte - aber das  wäre eine andere
Debatte zu der wir vielleicht auf der Konferenz Zeit und Ort finden.
Es ist eine der zentralen Fragen der GPL-Gesellschaft.

Ciao,
Stefan

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