[ox] Natur und Kultur
- From: "Franz J. Nahrada" <f.nahrada magnet.at>
- Date: Mon, 16 Apr 2001 11:43:46 +0200
Stefan Mn schreibt am 15. April um 22.30:
Unterstreichen möchte ich:
Wenn Menschen einfach so Natur sind, dann brauchst du den Begriff
nicht mehr, weil dann alles Natur ist und der Begriff nichts mehr
unterscheidet. Insbesondere würde es keinen Sinn mehr machen, von
einer nicht-natürlichen Wirtschaftsordnung auch nur zu sprechen und
also auch nicht von einer natürlichen.
Wenn du dennoch an dem nach eigener Argumentation sinnleeren Begriff
festhälst, entlarvst du dich damit so en passant. Genau genommen setzt
du den Begriff Natur nämlich nur ein, weil dir die Argumente fehlen.
Viele Ideologien zeichnen sich dadurch aus, daß sie einen Rekurs auf
die Natur bemühen, wenn sie in Erklärungsnotstand kommen.
Hier dürfte allerdings nun wirklich common sense sein, daß es einen
maßgeblichen Unterschied zwischen Natur und Kultur gibt und das
letztere Menschenwerk ist.
Ich würde mich freuen wenn es uns einmal gelänge, eine zeitlang
absichtlich gutwillig zu bleiben.
Die Unterscheidung von Natur und Kultur ist sehr wichtig, aber
ebenso das Motiv der Ökologie, das besagt, daß die Sphäre der
stofflichen Reproduktion in sehr fundamentaler Weise Naturgesetzen
unterliegt.
Und Naturgesetze sind nicht einfach jene "abstrakten" Gesetze, daß
ein Stein zu Boden fällt, und zwar mit s = g/2 * t hoch 2,
sondern es gibt auch "systemische" Gesetze.
Leider haben in den Geistes- und Gesellschaftswissen ziemlich
viele ideologische Obskuranten den Begriff des Gesetzes und der Not-
wendigkeit in Mißkredit gebracht, also zum Beispiel in der
Mikro und Makroökonomie wo es nur so von "idealtypischen Annahmen"
und "Modellen" wimmelt. Geschenkt, bei solchen "Gesetzen", die sich
permanent dadurch auszeichnen, daß sie *nicht* gelten, kommt mir
auch das Kotzen und ich finde den abstrakten Begriff bürgerlicher
Wissenschaft - Werke menschlicher Handlung, die "subjektlos" im
Sinn von unbegriffen und daher auch letztlich ohne bewußte Gestaltung
entstehen, als naturnotwendig zu (v)erklären- aktuell wie eh und je.
Nichtsdestoweniger gibt es sowas wie "Gesetze höherer Ordnung"
und diese zu entschlüsseln ist eine spannende und schwierige Angelegenheit.
Was mir zum Beispiel ziemlich viele Anhaltspunkte gegeben hat
ist ein ziemich dicker Wälzer von einem gewissen James Greer Miller,
der sich "Living Systems" nennt. Darin entwickelt er eine
durchaus nichttriviale Begrifflichkeit komplexer lebender Systeme
und überbrückt dabei Ingenieurwissenschaften und Biologie.
Miller kommt auf spannende Resultate, die fast wie ein "synthetisches
Urteil apriori" klingen, wenn er beschreibt, welche Subsysteme
ein auf dauerhafte Funktion angelegtes lebendes System ausbilden
muß. Die Analogien zwischen Ozeandampfer, Körperzelle, Organ,
Organismus, gesellschaftlicher Organisation sind keineswegs
äußerlich herbeigeholt. Vor allem kann man auch sehr schön
studieren, wie sich "natur"-notwendigerweise Sub - und Supersysteme
herausbilden.
eine ganz kurz geraffte Zusammenfassung dieser Theorie findet Ihr
z.B. unter http://www.srl.gatech.edu/vprs/catalog/LSTintro.html
Wolen wir also "natürlich" in diesem Sinn verstehen, dann ist das
erste, was wir den Vertretern einer "natürlichen" Wirtschaftsweise
entgegenhalten können, daß die Natur eine unglaubliche Variabilität
aufweist.
Das nächste wäre wohl, daß es in der ganzen Natur kein Geld gibt!
Zum praktischen Umgang mit dem Gesellianismus kann ich nur sagen, daß
Marx schon an Darimon gezeigt hat, daß konsequent angewandte geld-
spielereien immer zum Erfassen der stofflichen Reproduktion und
damit zur Aufhebung und Überflüssigmachung des Geldes führen (müßten).
Ich würde also hier zu Geduld und Großmut raten. Immerhin
war der einzig wirklich erfolgreiche Tauschkreis in Deutschland
auf der Münchner Tauschkreistagung 1998 auch ziemlich undogmatisch:
Tausch als Mittel der Restitution von Gemeinschaften, als Weg aus der
monadischen Existenz heraus wurde da zumindest als wichtiger erachtet
als die Konstruktion eines neuen Geldsystems. Spannend an Linux und
Konsorten scheint mir allerdings, daß es die Perspektive des Tausches
endgültig transzendiert, das haben StefanMn und auch FranzTa richtiger-
weise betont, wenngleich hier ganz andere Fußangeln lauern und es noch
nicht um die Keimform einer neuen Gesellschaft handelt.
Das ist übrigens das, was ich zu der Debatte die Sabine wieder aktualisiert
hat sagen möchte. Vielleicht hilft uns der alte Spruch vom "An sich" und
vom "Für sich" weiter. Ich finde die 2 Pole in der Liste (Die, die
realistischer-
weise die Funktion von Freier Software in der bestehenden Gesellschaft
ins Zentrum stellen und die die auf die Utopie einer auf freier
gemeinschaftlicher
Arbeit basierenden Gesellschaft schauen) einfach Klasse. Ohne diese
Spannung
würden wir nämlich ein ziemlich langweiliger Haufen sein! Sie drückt
für mich, der ich mich sicher dem 2. Pol zuordnen möchte, die "objektiven
Widersprüche der Sache" aus. Und ohne ein "Für sich", das die Sache "an
sich"
transzendiert (wohin sich die Arbeiterbewegung transzendiert hat und wo
ihre historischen Schranken lagen tut nichts zur Sache) wird sich aus
der Tatsache von Open Source eben nichts anderes ergeben als ein Moment
in der Reproduktionsbewegung des Kapitals. Vielleicht erschöpft sich das
ganze
auch in einer anderen Form von GEMA oder AKM wie es bei uns in Österreich
heißt, diese "realistische" historische Perspektive ist sicher nicht
apriori
falsch. Aber eben: vielleicht auch nicht.
FranzNah.
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