Re: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Mon, 22 Jan 2001 09:21:02 EST
Hallo Stefan und alle,
Entscheidend wäre mir die Unterscheidung - und da kommt die
Entfremdung dann sehr konkret doch wieder hinein -, daß wir einerseits
zwischen Arbeit/Tätigkeit unterscheiden, die um ihrer selbst willen
getan wird - mithin also Selbstentfaltung (hier jetzt incl.
(individueller?) Notwendigkeit, wie Annette ganz gut ausgeführt hat) -
und solcher, die aus äußeren Gründen geleistet wird - i.d.R.
Gelderwerb. Als Definition nehme ich für diese Mail mal konkrete bzw.
abstrakte Arbeit als Abkürzungen.
Find ich nicht sinnvoll. Warenproduzierende Arbeit hat Doppelcharakter, also
abstrakte ist immer zugleich auch konkrete, Gebrauchswert produzierende,
sonst würde sie auch als abstrakte, Wert schaffende, nicht anerkannt.
Andererseits wollte ich ja keineswegs alle Tätigkeit unter Arbeit fassen,
sondern nur solche, bei der die Zweckbestimmtheit, also die Orientierung auf
ein Produkt bzw. Arbeitsresultat, die Tätigkeit wesentlich bestimmt. Viele
Tätigkeiten würde ich nicht unbedingt als Arbeit bezeichnen: Spiel, Hobby,
Konsumieren/Aneignen, Kommunizieren, Muße, Schlafen, Sport, Lernen. Es gibt
dabei Übergänge und muss konkret geguckt werden, was bei der konkreten
Tätigkeit dominiert, also Freie Software produzieren ähnlich wie Hobby
zwischen Arbeit und Spiel, Sport zwischen Spiel und Arbeit am eigenen Körper,
Lernen zwischen eher spielerischer Tk. oder andere Tk. begleitend oder
gezielt als Arbeit an der Entwicklung der eigenen insb. psychischen
Fähigkeiten. Wobei fast jede dieser Tätigkeiten unter bestimmten Umständen
auch zu Erwerbsarbeit gemacht werden kann.
> Und diese gesellschaftliche Organisation über Tausch bzw. Geld zu
vermitteln,
Zunächst mal leistet eine solche gesellschaftliche Organisation genau
das, was du willst, eben nur als Seiteneffekt und zumindest in
Teilbereichen mehr oder weniger zufällig und in vielen Fällen mehr
schlecht als recht. Ich muß jetzt nicht die vielen Defizite des
Kapitalismus aufzählen, wo er eben nicht allgemein gesellschaftliche
Bedürfnisse befriedigt, sondern nur die, die mit einer kaufkräftigen
Nachfrage ausgestattet sind.
Stattdessen muß eine solche gesellschaftliche Organisation immer
wieder in eine Situation führen, die wir heute haben.
Ich wollte keineswegs Kapitalismuskritik suspendieren, die liegt mir sehr am
Herzen. Aber Warenproduktion und -tausch ist nicht nur als Nebeneffekt,
sondern notwendig und wesentlich (profitgesteuerte, aber dennoch)
Organisation des gesellschaftichen Produktionsprozesses.
> finde ich in vielen Bereich weniger problematisch als viele andere
Formen,
Ich denke, daß wir da noch viele Formen kennenlernen werden. Wie
würdest du z.B. die gesellschaftliche Organisation Freier Software
dagegen einschätzen? Funktioniert jedenfalls besser als die
kapitalgetriebene á la M$. In diese Richtung würde ich gerne
weiterdenken.
Funktioniert bisher nur in - relativ zur gesellschaftlich notwendigen
Gesamtarbeit - ziemlich kleinem Randbereich.
> und monetäre Anreize weniger
> Zwangscharakter haben als vieles andere.
Und nochmal Widerspruch. Das wirkt für dich so, weil du die monetären
Anreize mit der Muttermilch aufgesogen hast. Die Feudalherrn haben das
z.B. ganz anders gesehen.
Und ganz ehrlich: Ich strenge mich tausendmal lieber an, wenn ich
(möglichst konkret) weiß welchem Nutzen meine Anstrengung dient, als
wenn ich es wegen des Geldes tue, das ich dafür bekomme. Umgedreht:
Für mich einsehbare Notwendigkeiten haben für mich viel höhere
Dringlichkeit (Zwangscharakter?) als monetäre Anreize.
Konkret tust du das v.a. in einem Bereich, der dir zugleich Spaß macht,
nämlich Programmieren usw. Wenn dir aber als notwendig vermittelt würde,
größe Teile deiner Lebenszeit mit Tätigkeiten zu verbringen, die dir keinen
spaß machen? Wenn du Notwendigkeiten nicht einsehen willst, die aber die
anderen sehr wohl so sehen? Freie Kooperation ist ja schön und gut (auch als
kritische Randbemerkung zu Spehr), wo immer es funktioniert, aber aus der
Gesellschaft kann man nicht so einfach "zu gleichem und vertretbarem Preis"
aussteigen.
> Das wäre unter sozialistischen
> Bedingungen etwa durchaus mit relativ großzügiger Grundsicherung
> kombinierbar, so dass Leute wirklich wählen könnten, ob sie das machen
wollen
> und im Gegenzug immaterielle und materielle Anerkennung dafür bekomen
oder
ob
> sie darauf verzichten.
Wie eine großzügige Grundsicherung sich mit monetären Anreizen
verträgt mußt du mir mal erklären. Egal.
Kein Problem. Großzügig bedeutet, dass auf man auf gesellschaftlichem Niveau
gut davon leben kann, aber der gesellschaftliche Reichtum gibt
selbstverständlich mehr her an zusätzlichen Annehmlichkeiten, die man sich
nur wird leisten können, wenn man nicht von Grundsicherung lebt, sondern als
Gegenleistung für gesellschaftlich anerkannte Beiträge zur
Reichtumsproduktion einen darüber hinaus gehenden höheren Anspruch auf
Aneignung von Teilen dieses gesellschaftlich produzierten Reichtums erlangt.
Platt und für heutige Verhältnisse monetär ausgedrückt: wenn man nicht nur
2000 DM im Monat, sondern 4000 ausgeben will, muss man dafür arbeiten (und
zwar für die Gesellschaft, also die Bedürfnisse anderer, nicht unbedingt, was
man selber für nötig hält oder einem Spaß macht).
> Da Selbstentfaltung durch
> Arbeit/produktive Tätigkeit und auch die allgemeine Einsicht in die
> Notwendigkeit von Arbeiten und eigenen Anteils daran etwas anderes sind
als
> das Bedürfnis oder die Einsicht in die Notwendigkeit und die Akzepztanz
der
> entsprechenden gesellschaftlichen Vereinbarung (die wohl nie in
100%-igem
> Konsens ausfallen dürfte), eine bestimmte Arbeit in bestimmter Weise und
> Quantität und Zeitraum zu erledigen, dürfte es auf absehbare Zeit nötig
sein,
> der Freiwilligkeit etwas nachzuhelfen.
Das könnte sein - wobei die "absehbare Zeit" m.E. wahrscheinlich
kürzer ist ;-) .
Ich nehme eher an, es wird recht lange sein, aber das werden wir sehen (bzw.
ich nehme eher an, spätere Generationen).
> Dies könnte durch moralischen oder
> sonstigen Druck oder durch immaterielle oder materielle Anreize
geschenen,
> ich präferiere dabei entschieden für die Anreizvariante.
Da bin ich anderer Ansicht. Sowohl in früheren Gesellschaften als auch
in unseren heutigen gab und gibt es ideologische Konstrukte, die den
Menschen das Einfügen in gesellschaftliche Notwendigkeiten
erleichtern. Ich fasse das dann gewöhnlich als Kultur auf, die es in
unserem Fall zu entwickeln gilt, und die sich ja sogar schon
entwickelt.
Ich fände es jedenfalls gerade aus aufklärerischer Sicht dem Menschen
gemäßer, wenn du ihm sagen könntest: "Es gibt folgende gute Gründe,
daß dies und jenes getan werden muß: ..." als "Wenn du das tust, dann
darfst du auch morgen noch essen." Wie oben ausgeführt, muß die
Freiheit darunter ja nicht leiden.
Wie gesagt ums Essen etc. geht es nicht. Aber ich sehe bei deiner Vorstellung
große Gefahren, dass solche ideologischen Konstrukte bzw. moralischer Druck
etc. auf wesentlich stärkeren Zwang herauslaufen könnte als der Weg mit
Anreizen, schon weil letzterer nur bedeutet: es gibt diverse Möglichkeiten,
deinen Beitrag zu leisten, für die du diese oder jene unterschiedlich hohe
Gegenleistung bekommst, wogegen ersterer häufig bedeuten wird: du musst jetzt
dies und jenes tun, weil es notwendig ist.
> Und auch der gesellschaftliche Kommunkations- und Planungsprozess ist
nicht
> so einfach, wie es sich anhören könnte, auch nicht mit Internet und
anderen
> modernen I+K-Techniken.
Na, die großen Konzerne machen uns jedenfalls schon ganz gut vor, wie
das auf einem globalen Level geht. Den gesellschaftlich notwendigen
Teil - also ohne Konkurrenz, Marketing, Wertbeziehungen; mithin den
stofflichen Teil der Arbeit der Konzerne - können wir ja (zunächst
mal) ähnlich machen - oder?
Unternehmen sind hierarchisch strukturierte Herrschaftszusammenhänge,
vermittelt über Anordungen oder über intern konstruierte
Wettbewerbsmechanismen im Sinne monetärer Zielvorgaben. Die als Vorbild für
eine freie Gesellschat anzuführen, finde ich doch gelinde gesagt erstaunlich.
> Auch zur Umsetzung der Planung
> dürften monetäre Mechanismen zentral und wesentlich effizienter als nur
> stoffliche Vorgaben sein.
Warum? Weil du dann das strukturelle Zwangsmittel gleich zur Hand
hast? Eine großzügige Grundsicherung macht das m.E. alles obsolet...
Keineswegs, s.o. Stoffliche Vorgaben als zentraler Mechanismus haben sich im
Realsozialismus als wenig effizient erwiesen, produzieren Umgehungsversuche,
Verantwortungslosigkeiten im ökonomischen Handeln etc.
Herzliche Grüße
Ralf Krämer
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