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Re: [ox] Spaeter Spehr



Hi Benni, Annette und alle!

Last month (38 days ago) Benni Baermann wrote:
Auf zweifache Bitte jetzt hier also doch mal meine Zusammenfassung
der minimalistischen ökonomischen Theorie von Christoph Spehr aus
seinem Buch "Die Aliens sind unter uns".

Wie du siehst, kann ich dein "spät" durchaus noch toppen ;-) .

Er stellt fünf Gesetze der Ökonomie auf. Die da verkürzt lauten:

Da auch Annette, die Spehr ja auch kennt, nicht widersprochen hat,
nehme ich die mal als richtig wiedergegeben an.

Interessant auf jeden Fall. Kannte ich noch nicht. Hmm... Mal sehen...

Ich setze mal die Spehr'schen Zitate als Doppelzitat und deine
Bemerkungen baue ich kreativ an die passende Stelle.

1. Ökonomie hat keine innere Logik der Fortentwicklung. Nur das
soziale hat eine Geschichte. Ökonomische Gesetze sind keine
Naturgesetze.

Na ja. Zumindest ein bestimmtes ökonomisches System kann durchaus eine
innere Logik haben - auch der Fortentwicklung. Der Kapitalismus macht
uns das ja doch wohl vor - oder etwa nicht? Der Witz am Kapitalismus
ist ja gerade, daß er keine Steuerleute braucht - solche sogar eher
auffrißt.

Und warum Ökonomie keine Geschichte haben soll verstehe ich auch
nicht. Schließlich ist Ökonomie ja auch eine soziale Beziehung - auch
wenn das im Kapitalismus gerade unter die Oberfläche gedrückt wird und
deswegen auch von entbetteter Ökonomie gesprochen werden kann.

Nee, zumindest in dieser Allgemeinheit würde ich Spehr da nicht
zustimmen. Das riecht mir auch sehr nach Idealismus :-( .

Das sie keine Naturgesetze sind ist aber natürlich richtig - sonst
müßten sie nicht mit Herrschaftsmitteln durchgesetzt werden.

Das einzige, was unveraenderlich bleibt, ist, dass man
Entscheidungen treffen muss darueber wie fremde Arbeit und Natur in
Anspruch genommen wird.

Marx'sch: Den Stoffwechselprozeß mit der Natur zu organisieren. Ok.

Und eine bestimmte Art und Weise der Organisation nenne ich dann mal
ein ökonomisches System - Feudalwirtschaft, staatliche Planwirtschaft,
Kapitalismus, oder GPL-Ökonomie. Ein solches System muß lebensfähig
sein, sonst wird es bald wieder von einem anderen abgelöst. Immer
scheint mir ein solches System auch mit einer je spezifischen
Ideologie verbunden zu sein. Daran basteln wir BTW ja auch schon:
"Information wants to be free" ist ja z.B. ein solches Ideologem. Aber
ich schweife ab.

2. Das Gesetz der Diffusion: Unter den Bedingungen halbwegs freier
Kooperation verteilt sich Reichtum und verallgemeinert sich Macht.
Akkumulierter Reichtum kann ohne Herrschaftsmittel nicht daran
gehindert werden zu diffundieren.

Wenn ich Spehr richtig interpretiere, dann würde die Diffusion z.B.
bei materiellen Gütern in Form von Diebstahl geschehen können. Na ja,
Eigentum als institutionalisiertes Herrschaftsmittel würde es ja nach
seiner Voraussetzung nicht mehr geben und damit auch keinen Diebstahl.
Und Macht ohne Herrschaftsmittel gibt es wohl auch nur in
vernachlässigbarer Dosis. Aber ob Herrschaftsmittel ganz ab zu
schaffen sind, wage ich zu bezweifeln. Jede Differenz zwischen
menschlichen Entotäten ist m.E. in der Lage ein Herrschaftsmittel
quasi zu evozieren.

Mir ist aber nicht klar, warum ausgerechnet "halbwegs freie
Kooperation" zu diesen Bedingungen führen soll. Ich meine die Multis
kooperieren doch sehr frei miteinander - oder wer zwingt sie? Eine
innere Logik der Ökonomie kann's ja laut Spehr nicht sein.

Mein Eindruck ist vielmehr, daß die oben erwähnte Ideologie wesentlich
entscheidender dafür ist, wie und zu was Kooperation eingesetzt wird.
Im Kapitalismus wird Kooperation innerhalb der Betriebe groß
geschrieben, aber außerhalb ist Konkurrenz angesagt. Freie

Benni weiter unten:
Zunaechst sind wohl einige Begriffe zu
klaeren. Was genau ist "Reichtum" unter diesen Bedingungen.

Na, ich würde schon den landläufigeren Reichtum nehmen. Am besten
vielleicht umschrieben mit der Menge der Lebenschancen, deren Größe
durch materielle und ideelle Dinge mitbestimmt wird. In der
GPL-Ökonomie ist Konkurrenz eher die Ausnahme.

Eine
moegliche These waere, dass es die Anwender sind, insbesondere die
Aktiven unter ihnen. Aber sicherlich ist auch der Code und das
Wissen ueber ihn Reichtum.

Ja, bei der Freien Software würde ich vor allem die Code-Basis als
(materiellen) Reichtum betrachten. Eine funktionierende Community ist
aber natürlich auch ein infrastruktureller Reichtum.

Das 2. Gesetz koennte fuer FS gleichbedeutend mit der Freigabe des
Sourcecodes sein, aber auch z.B. Dokumentation umfassen. Dadurch
wird gewaerleistet, dass auch andere Projekte davon profitieren
koennen.

Ja genau.

3. Quasi das Gegenteil ist die ungleiche Akkumulation: Unter den
Bedingungen erzwungener Kooperation wachsen Unterschiede in Macht
und Reichtum.

Erzwungene Kooperation? Sehe ich nicht was da das Entscheidende an
"erzwungen" oder "halbwegs frei" sein soll. Ok, etwas Erzwungenes wird
nie so gut werden können, wie etwas Freies - aber das ist wohl nicht
sein Punkt.

Beispiele fuer das 3. Gesetz koennte sein, das sich Projekte, die
sich durchgesetzt haben, quasi zum Standard werden und andere
Projekte in den Hintergrund gedraengt werden und es dadurch schwerer
haben.

Ich weiß gar nicht, ob das in der Freien Software wirklich so ist. Der
entscheidende Lackmus-Test scheint mir doch in aller Regel die
Qualität eines Produkts zu sein. Als z.B. KDE aufkam und als
Gegenbewegung Gnome, da dachte ich, daß Gnome keine Chance haben wird.
Weit gefehlt. Nee, nee, was gut ist wird zum Standard - mit ein paar
Haken und Ösen natürlich - scheint mir eher die Regel zu sein.

Die erzwungene Kooperation gibt es im scharfen Sinne
vielleicht nicht, aber man wird natuerlich schon lieber Linux
einsetzen, wenn es der Freund auch tut und nicht BSD.

Auch das ist dann ja freiwillig und nicht erzwungen.

4. Wenn ein reiches und ein armes Kollektiv in oekonomischen
Austausch treten, muss das aermere Kollektiv die Autoritaet ueber
seine Mitglieder besitzen, die oekonomischen Aussenbeziehungen zu
begrenzen, oder es bricht zusammen, da es fuer die Mitglieder
ansonsten lukrativer ist eigenstaendige oekonomische Beziehungen mit
dem reicheren Kollektiv aufzunehmen.

??? Das verstehe ich überhaupt nicht! Wenn das reichere Kollektiv das
ärmere unablässig beschenkt, warum sollte das dann zusammenbrechen.
Nee, nee, hier meint er wohl *sehr* konkrete Situationen in einem
*sehr* konkreten ökonomischen System.

"Austausch" ist hier wohl der Knackpunkt: Was ist das Äquivalente, das
den Austausch ermöglicht? Wenn es etwas Geldartiges ist, dann hat er
sicher recht - aber sonst?

Beispiele fuer das 4. Gesetzt wird man in der FS-Welt wohl nicht
finden, oder?

Eine Form von Reichtumsbegrenzung könnte der fehlende
Internet-Anschluß sein.

Aber die Frage des Äquivalententauschs stellt sich in der Freien
Software ja gar nicht. So gesehen kann da gar niemensch in Austausch
treten.

5. Wirtschaftliche Macht beruht wesentlich auf dem
"Scheidungsgewinn". Das ist der Gewinn, den einer der beiden Teile
einer Kooperation mitnimmt, wenn die Kooperation aufgekuendigt wird.

Sorry, lieber Mr. Spehr, aber das halte ich schlicht für Kappes.
Dieser Gewinn ist ja im Normalbetrieb nur ein potentieller und eine
Realisierung des Gewinns - die Scheidung - zerstört gleichzeitig seine
Grundlage. Das würde bedeuten, daß die Macht sich aus einer reinen,
noch dazu nur einmal realisierbaren Drohung speist. Das halte ich aber
für sehr an den Haaren herbeigezogen.

Der Scheidungsgewinn schliesslich kann moeglicherweise bei
Projekt-forks beobachtet werden.

Wo ist denn da ein Gewinn?

Naja, soweit erstmal meine Gedanken dazu, ist wie gesagt alles sehr
unfertig und ich weiss auch nicht ob man das wirklich produktiv
einsetzen kann.

Geht mir ähnlich. Vielleicht fällt ja auch anderen dazu was ein?

Irgendwie habe ich auch den Verdacht, daß Spehr ein sehr konkretes
ökonomisches System - die Selbstverwaltungsszene? - im Auge hat, wenn
er von Ökonomie schlechthin spricht. Das täte seinen Thesen natürlich
erheblichen Abbruch.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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