Re: [ox] Wert, Mehrwert, produktive Arbeit und mehr
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Mon, 27 Nov 2000 20:21:36 +0100
UlrichLeicht t-online.de
RalfKrae aol.com schrieb:
Hallo Uli,
...
ich hab auch nicht die Zeit, auf diese Debatten weiter so viel Zeit drauf zu
verwenden. Zumal hier in hohem Maße Glaubensbekenntnisse verbreitet werden,
über die schwer zu diskutieren ist. Und eigentlich hab ich auch keine Lust
mehr dazu, aber trotzdem:
...
Lieber Ralf, nun hast Du Dich durch deine vielen Wortmeldungen selber ein wenig
in diesen mail-stress gebracht. Ich sage auch ganz offen, daß ich anfangs den
Ton - "Unsinn", "Unfug", und ähnliche Äußerungen - für ziemlich provokant und
auch verächtlich machend fand. Jetzt würde ich dich bitten, nicht wieder, nur
weil Du offenbar gefrustet bist, in einen ähnlichen Ton zu verfallen, zumal Du
selber von Glaubensbekenntnissen nicht frei bist. Dein letztes gestern:
In deiner Antwort auf Stefan am 26.11. schriebst Du:
"Die Krisis-Spezialdefinition von "Arbeit", deren Bedeutung nüchtern
betrachtet in etwa Erwerbsarbeit ist, teile ich nicht. Arbeit ist
zweckbestimmte Tätigkeit auf menschlichem Niveau, Erwerbsarbeit ein Teil
davon, aber z.B. unbezahlte Hausarbeit ist auch Arbeit, und der Anteil der
Arbeit an der Lebenszeit der Individuen
es folgt das Glaubensbekenntnis:
dürfte in den meisten früheren Gesellschaften höher gelegen haben als
heute."
Der Freizeitforscher Horst W. Opaschowski hat in seiner "Einführung in die
Freizeitwissenschaft" (1997, S. 27 ff.) unter anderem darauf verwiesen, daß
erst in der Moderne mit dem Aufkommen und der rasanten Ausdehnung der Arbeit
auch die "Arbeitszeit" explosiv zunahm: "Unter den primitiven Agrarvölkern und
in der Antike machten die Ruhetage oft die Hälfte des Jahres aus ... (Auch)
die Lohnarbeit leistenden Sklaven und Banausen waren nicht so intensiv in das
Arbeitsleben eingespannt, wie man dies aus neuzeitlicher Sicht annehmen könnte.
... In der Mitte des vierten Jahrhunderts zählte man in der römischen Republik
nich weniger als 175 Ruhetage ..."
Wenn mensch in den agrarischen Gesellschaften vorwiegend im freier Natur tätig
war, dann haben allein der Jahreszeitenwechsel und die dadurch bedingten
Unterschiede in der Intensität der notwendigen und erzwungenen Tätigkeiten
einen angenehmeren Wechsel von Muße und Arbeit gebracht. Künstlich beleuchtete
und beheizte Arbeitshallen und -räumlichkeiten haben diese natürlichen
Begrenzungen fundamental aufgehoben. Im Mittelalter war auch der
anstrengendste Arbeitstag durch das gekennzeichnet, was ich als Kind noch in
meinem Geburtsdorf erlebte, und was Urlauber aus den warmen südlichen
Ländern kennen. Neben wiederholten Pausen über den ganzen Tag, die lange,
ausgedehnte Mittagspause mit geselligem Essen und Schläfchen im Schatten des
Baumes, eine entspannende Siesta.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, die du dann nicht wieder ohne Grund
formulieren mußt (wie bei dem Vorwurf der vermeintlichen Moralisierung
bezüglich Tausch- und Gebrauchswert, der ich auch im Blick auf deine Argumente
eigentlich für jeden lesbar genau entgegengetreten bin): Ich will diese Zeiten
der niedriger entwickelten Produktivkräfte und ihre Probleme und
Beschränktheiten nicht verherrlichen, aber bei ihnen war die Freizeit nicht
auch noch Stress und Arbeit und Produktivitätsfortschritte wurden anders als
heute meist für mehr Muße und nicht Ausdehnung der Arbeitszeit verwendet.
Wie sagte der nicht ganz ausgereifte Marx in den GR:
"Die entwickelste Maschinerie zwingt den Arbeiter daher jetzt länger zu
arbeiten als der Wilde tut oder als er selbst mit den einfachsten, rohsten
Werkzeugen tat." (Seite 596)
Und woher habe ich diese Weisheit, natürlich "Hosianna, lobet den Meister.
M.E. schreibt der ziemlich oft ziemlichen Unsinn."
Daß Du bei dem ganzen mail-Stress auch noch deinen Humor verloren hast und
nicht verstehen konntest, daß Hans Gert schon mit einem wohltuenden ironischen
Unterton auf ein Interview des "Meisters selbst" verwiesen hatte und ich diesen
mit einem zwingernden Auge übernommen habe, das tut mir dann doch leid.
So wenig wie Kurz ein Marxist bin ich ein Kurzianer, allerdings gespannt, ihn
am kommenden Wochenende in Dortmund kennenzulernen.
Ein kritisches Urteil über etwas, wenn man sich wirklich auseinandersetzt hat,
oder: die Einschätzung, lohnt sich nicht, setzt ich mich erst gar nicht
auseinander, d'accord. Ein vorurteiliges "Unsinn" würde ich mir ersparen.
wertlose Grüße
Uli
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