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Re: [ox] Wert, Mehrwert, produktive Arbeit und mehr



Ulrich Leicht t-online.de

Hi Listige, Ralf et al. 

Am Ende einer Woche "Zwangsarbeit" mache ich meine Drohung wahr und wage es, 
Euch mit meiner angekündigten zweiten mail zu belästigen. Ich versuche, von 
den Erfahrungen meiner beschränkten Arbeits-Fetisch-Welt aus zu argumentieren 
und auf Dinge in mehreren mails einzugehen. Denn day by day und immer direkt, 
das schafft nur ein schon "freier" oder "teilzeitfreier" Mensch. Dabei möchte 
ich unbedingt einmal ein Lob für Stefan Mn. loswerden, der sich als maintainer 
die Aufgabe eines Herkules gestellt hat, nämlich, offensichtlich vorwiegend am 
Wochenende, jede mail nicht nur zu lesen, sondern auch noch zu beantworten, zu 
kommentieren. Norbert Szepan, unser Bezirkssekretär, der bei der Dortmunder 
Besprechung dabei war und sich bei oekonux eingeloggt hatte, ist nach 
dreitätiger Abwesenheit von 120 emails in einer Minute auf seinem Rechner 
erschlagen worden. Voller Respekt für das, was da abgeht, aber total 
überwältigt, hat er SOS gefunkt: "unsubscribe, bitte helft mir". Obwohl schon 
routinierter, geht's mir natürlich nicht selten ähnlich.

Ich arbeite als Industriebuchbinder, als Weiterverarbeiter von 
Druckerzeugnissen in einem Graphischen Betrieb. Ein privatkapitalistisches 
Unternehmen mit knapp einhundert MitarbeiterInnen. Ein klassischer 
industrieller Betrieb. Aufgekauft vor zwei Jahren. Obwohl es immer prekärer 
wird, - z.B. Austritt der neuen Jungunternehmerin ab 1.1.2001 aus dem
Arbeitgeberverband mit allen absehbaren Absichten und Folgen - 
geht es noch anders als in den meisten Betrieben eben noch in den Bahnen
von Gesetz, Tarifvertrag usw. zu. Mit dem Rücken an der Wand halten 
wir trutzig-trotzig die mühsam erstrittene 35-Stunden-Woche. 

Noch haben wir das "Glück" im Unglück (arbeiten zu müssen, um zu leben), unsere 
Arbeitskraft zur Vernutzung erfolgreich auf dem Markt verkaufen zu können, und 
nach den Kriterien der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie scheint die 
Sache eindeutig: 
(abstrakte) Arbeit (das "konkrete" Arbeitsvermögen im Verwertungsprozeß ist 
eine zu vernachlässigende, gerne auch vernächlässigte, weil kostenträchtige 
Größe) setzt die "Agentien, ... deren powerful effectiveness ... vom 
allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie (geprägt 
sind) ..." in Gang, schafft Wert, ja mehr Wert als für die Reproduktionskosten 
unserer Arbeitskraft aufzubringen ist. Obwohl das Unternehmen im ruinösen 
Konkurrenzkampf das dritte Jahr hintereinander rote Zahlen schreibt, die 
Eigenkapitaldecke sehr schmal, die Kredite bei den Banken umso höher sind, die 
Kapitalrendite unter den Sparzinsen der Banken liegen, (verständlich, daß, wenn 
in der Realakkumulation die Renditen nicht stimmen, das Heil immer mehr auf den 
Finanzmärkten gesucht wird) scheint kein Zweifel:
ein klassischer Fall von produktiver Arbeit, von Wert- und Mehrwertschöpfung. 
Im Produktionsprozeß wird der Mehrwert geschaffen, [obwohl das bei manchen 
Aussagen von Ralf auch anders klingt: "Der kapitalistische Produktionsprozess 
mündet in der Realisierung des Werts (und Mehrwerts) der produzierten Waren 
(oder Dienstleistungen) durch ihren Verkauf, also im Geld. (13.11)]  

Auf den ersten Blick also alles klar. Wenn es nach Ralf geht, sowieso. Der 
sagt: Wird in einem privatkapitalistischen Unternehmen gearbeitet, dann ist das 
produktive Arbeit und überhaupt keine Frage. Bei den Dienstleistungen teilt er 
eigentlich Marxens "unproduktive Sicht" auch nicht, gesteht aber 
Interpretationsvarianten zu. 
Christian Fuchs weiß, daß das alles nicht so einfach zu fassen ist, 
und hält nicht alles für wertschöpfend, was da arbeitet, die Wissenschaft 
ohnehin nicht. Er verkompliziert dann noch mit dem Marx-Zitat, von wegen 
Revenue, die Sache. Da wird's für mich ganz schwierig. Ich ahne nur, wenn Ralf 
auch nicht immer Recht hat, hier könnte es sein, und bei Christian ist es 
genau umgekehrt.
Und bei Marx, wie immer: alles unvollendet, Fragment, Torso, Werkstatt, 
Manuskripte, widersprüchlich, von wegen ausgereifte Theorie, aber spannend: 
Ralf hat ihn doch zitiert - da heißt es dann "super-eindeutig": die Sängerin 
sei "annähernd produktiv" - und dachte, dieses Zitat spreche für ihn. Für mich 
spricht das nur dafür, daß mensch mit Marx über Marx hinaus und nicht 
marxistisch denken sollte. Und überhaupt. 
Immer der doppelte Marx, egal wo Du hinguckst. Ich glaube ja, eigentlich immer 
nur zwei Seiten einer abstrakten Medaille: 
die "schlechte" abstrakte und die gute "konkrete" Arbeit und damit 
zusammenhängend der "wertvolle aber nutzlose" Tausch- aber der nützliche 
"Gebrauchswert". Man nehme doch nur den Begriff: Gebrauchs-w e r t. Spielt der 
Gebrauch wirklich irgendeine Rolle in Hinblick auf wirklichen Nutzen oder 
Bedürfnisse oder nur auf Ver w e r t ung, Tausch w e r t igkeit hin. Der 
Gebrauchswert auch so ein Fetisch wie der Wert und die Arbeit.

Arbeit um jeden Preis?

Auf den Vorhalt meines Dortmunder Mitstreiters Helmut:
    "...genügt es eben nicht, den traditionalistischen 
    (sozialdemokratischen wie kommunistischen) Ansatz zu  verfolgen: 		
    Die Interessen am Arbeitsplatz zu verteidigen. Spätestens bei AKW wird 	
    da sogar der Realpolitiker auf die Realität stoßen." 
antwortet Ralf am 17.11.:
    "Behauptet wohl niemand hier, dass das reicht. Aber in den meisten 		
    Fällen ist es keineswegs überflüssig, sondern auch nötig. Und 			
    Medienprodukte sind keine AKW, das wird auch der Anti- oder 			
    Nichtrealpolitiker zugeben müssen."

Zweifellos keine AKWS, können aber auch gemeingefährlich sein. Big Brother gab 
es bei "Bild" schon, bevor es "Big Brother" im Fernsehen gab. Die Vorhut der 
IG Medien, die Drucker, arbeiten in den Zeitungs- und Verlagshäusern von 
"Bertelsmann", "Burda", "Gruner und Jahr", wo der yellow-press-Schrott 
fabriziert wird, und natürlich bei "Springer". Dort werden jeden Abend in 
vermeintlich auch "konkreter" Arbeit an 5 Standorten mit Hilfe der neuesten 
Technologien in mehrfacher Transrapid-Geschwindigkeit in 3 Stunden 5 bis 6 
Millionen Bildausgaben produziert. Der Gebrauchswert hat etwas von einem 
Super-Gau.
Bei uns ist es nicht ganz so schlimm. Wir produzieren zu 80 % nur den Müll von 
Prospekten und anderen Akzidenzien, die nach einmaligen Lesen oder direkt im 
Papierkorb landen und deren Nutzen wesentlich darin besteht, die rapide 
wachsende Müllentsorgungs- und verwertungsindustrie am Laufen zu halten. 
Allerdings wird dadurch keine Kapitalakkumalation angeschoben, obwohl der 
einzelene Arbeitsprozeß eines Müllwerkers auch ein mehrwertschöpfender zu sein 
scheint, sondern ein immer größerer Teil der gesamtgesellschaftlichen 
Mehrwertschöpfung für den wachsende Anteil der unproduktiven Gemeinkosten für 
die gefährlichen und Leben bedrohenden Folgen, Schäden und Abfälle der 
kapitalistischen Verwertungsmaschienerie aufgebracht.
Und ich glaube, auch in unseren fraglos industriellen Druckbetrieben findet 
vorwiegend keine substantiell produktive Arbeit, gesamtgesellschaftliche 
Mehrwertschöpfung statt. Ich komme darauf am Ende zu sprechen.

Und wenn Ralf auf Helmuts Argument:	
    "Wer die Sache mit den Arbeitsplätzen, mit dem Sinn von Arbeit und der
    ganzen Ideologie drumherum zumindest etwas durchdenkt, wird die       	 
    Differenzen zu "freier" Betätigung kaum noch als Schützengraben 
    benutzen können.(Also um es klar zu sagen, einen Sozialismus a la "wir 	
    sind die bessere Leistungsgesellschaft" kann mensch sich sonstwohin 		
    stecken, das ist nun wahrlich kein Fortschritt im Leben). Will heißen: 		
    Der "Arbeit" ein wenig ihren Fetischcharakter nehmen, öffnet der 
    Debatte - vielleicht - neue Wege."
antwortet:
    "Debatten um den Sinn von Arbeit sind in der Tat wichtig, können aber 		
    nicht darin bestehen, Leuten zu erzählen, dass ihre Arbeit sowieso 
    sinnlos sei und sie nur Schrott produzieren,
sage ich: doch genau das ist bitter notwendig.
    wenn sowohl die Arbeitenden als auch die ganz überwiegende Mehrzahl der 	
    Gesellschaft das anders sehen. 
sage ich: eben "subjektlose Charaktermasken" wie die Vertreter des fungierenden 
Kapitals auch.
    Das Problem, dass Arbeit (konkret i.d.R.: Erwerbsarbeit) überhöht und 		
    fetischisiert wird und auch dass sie erheblich verkürzt werden könnte, 
sage ich: nein das Problem liegt tiefer.	
    ändert nichts daran, dass sie überwiegend für die Reproduktion der 		
    Gesellschaft wie der Einzelnen notwendig ist und auch in 			
    nichtkapitalistischen Verhältnissen notwendig wäre." 
sage ich: Dann sind es leider keine, hatten wir realsozialistisch zur Genüge. 
Ich halte es auch für einen "linken" Mythos, wie Markus Lauber zu glauben, die 
Existenz der DDR, des vermeintlich sozialistischen Lagers, wäre eine Bedingung 
für sozialen Fortschritt im Westen gewesen. Die Perversion von Sozialismus war 
eher ein Hindernis über den realexistierenden Kapitalismus hinauszudenken, der 
abstrakte Reichtum und bürgerliche Wohlstand sicher auch konkreten 
Verteilungskämpfen, aber diese letztlich nur erfolgreich, weil noch mehr der 
sich ausweitenden Kapitalakkumulastion, dem fordistischen Boom, der 
Weltmarktgewinnerposition geschuldet, die monetäre und soziale Gratifikationen 
zuließ und auch ökonomisch notwendig machte. Seit dem Kriseneinbruch vor 30 
Jahren wurde es eng und kam die Wende, der Untergang der "attraktiven" DDR lag 
etwas später. Weiter Ralf:
    "Ich halte es weiterhin für ganz unrealistisch, zu meinen, das ließe 
    sich alles durch freie Tätigkeit erledigen. Also stellt sich auch 	
    weiterhin das Problem der gesellschaftlichen Organsiation und 	
    Regulierung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses und der Verteilung 	
    der Produkte. Dabei sollte es soweit möglich nach Bedürfnissen gehen,		
    aber es wird m.E. auf unabsehbar lange Zeit nötig und sinnvoll bleiben, 	
    auch eine Art Leistungsprinzip anzuwenden. ... Außerdem gibt es m.E. 	
    wesentlich größere globale, soziale und ökologische Probleme als 		
    die Fetischisierung der Arbeit, die man auf dieser Basis lösen oder 
    massiv reduzieren könnte, und das fände ich wahrlich einen gewaltigen 		
    Fortschritt im Leben und für das Leben von Millionen."
Dann liegt genau in dieser Sicht der Dinge der Kern der Differenzen. 

Arbeit und Kapital - ein unzertrennliches Duo

Da glaube ich unterscheidet sich auch der historische 
Arbeiterbewegungs-Marximsus von Marx, so widersprüchlich dieser auch sein mag. 
Für ihn sind die kapitalistischen Verhältnisse und die sie prägenden 
Basiskategorien - Ware, Arbeit, Wert, Kapital, aber auch die anderen Sphären 
gesellschaftlichen Lebens wie Staat, Politik, Kultur usw. schlechthin 
Fetischverhältnisse, eine ver-kehrte Welt, deren wirkliche 
Zusammenhänge der warenproduzierende Mensch auf den ersten Blick nicht erkennt 
und auch verinnerlicht. 
Es ist doch völlig per-vers und auch nur im Kapitalismus der Fall, daß die 
Produktion und Reproduktion des Menschen wie der Gesellschaft in Form von 
abstrakter Arbeit, Maßstäben der selbstzweckhaften Verwertung und 
Geldvermehrung von statten geht. 
Das Problem ist nicht: ".., Es gibt wesentlich größere ... Probleme als die 
Fetischisierung der Arbeit", nein das Fetischverhältnis abstrakter 
kapitalistischer Arbeit  i s t  das Problem, die Ursache der "großen globalen, 
sozialen und ökologischen Probleme." Die Überhöhung der Arbeit gerade in der 
Arbeiter(Arbeits)bewegung ist nur ein Ausdruck desselben. Und bei dem Gedanken 
an die Subotniks der Rabotniki, der Superakkordarbeiter Stachanow oder 
Hennecke ("eine Art Leistungsprinzip"), da wird mir ganz schlecht, weil mensch 
dann auch noch die Nähe zum national-sozialistischen "schaffenden Kapital" und 
zu "Arbeit macht frei" spürt.

Nicht das Becksche oder Rifkinsche Gerede vom Ende der Arbeitsgesellschaft ist 
der Grund für die Attacken gegen die Arbeit. Die Kritik und Überwindung der 
Arbeit ist der Schlüssel zur Kritik und Überwindung des Kapitalismus. Die Krise 
der Arbeitsgesellschaft und die Krise des Kapitalismus sind eigentlich ein 
identisches Ding. Und in der Freien Gesellschaft, die für mich richtig 
bezeichnet am liebsten nicht GPL sondern kommunistisch im 
wahrsten Sinne des Wortes (ohne Arbeit, Markt, Geld, Staat, Parteien) 
heißen müßte, darf es keine "produktive Arbeit" mehr geben. Die 
wirkliche Produktivität entfaltet sich erst in der Gesellschaft der völligen 
Arbeits-losigkeit, im arbeits-freien Raum. Wahrscheinlich reicht da auch nicht 
Hans Gerts Erweiterung des Arbeitsbegriffs aus. Es darf die Entfaltung jeder 
menschlichen Tätigkeit und Kreativität sein, aber bitte Arbeit sollte es 
nicht sein, was wir in einer "freien Gesellschaft" tun. 200 Jahre Arbeit hat 
uns ziemlich zugerichtet. Ein Leben ohne Arbeit und Geld scheint uns 
Arbeitsfetischisten, die wir doch alle in Wirklichkeit noch sind,
schon nicht mehr denkbar. Da leitet auch ein gut gemeinter linker politischer 
Realismus ziemlich fehl, und brauchst's schon die reale Utopoie, und darin 
liegt der Nutzen (nicht Gebrauchswert) von Oekonux.

Marx lockt uns und besonders Ralf und die Marxisten in jede Falle, in die man 
hineintreten kann. Auf ein und derselben Seite in den GR schreibt er in 
Zusammenhang mit der Wissenschaft: "...Schöpfung des  w i r k l i c h e n  
Reichtums". Da schimmert vielleicht durch, was Ralf im nächsten Zitat 
herausliest: nützliche, den Bedürfnissen von Mensch, Gesellschaft und Natur 
entsprechende Dinge, die potentiell möglich sind, und die Fülle von Waren und 
Wert vielleicht eher in der Formulierung "... einziges Maß und Quelle des 
Reichtums" zwei Sätze weiter. 
Und ob Ralf mit dem reifen älteren Marx, dessen Zitate er gerne für bare Münze 
nimmt, die des gar nicht viel jüngeren der "Grundrisse" aber nicht, ist ohnehin 
sehr fraglich. Wenn ich so am Rande die Diskussion um die Marx-Egels-Forschung, 
so manche mir bekannten Beiträge dazu, auch in dem für mich nützlichen 
"Kapital.doc"-Buch (mit CD) von Altvater und dort Heinrichs und Heckers 
Aufsätze richtig verstehe, herrscht unter den Forschern ziemliche Eingkeit, daß 
der wahre Marx vielleicht nicht der schließlich von Engels redigierte und für 
die Arbeiterbewegung marxistisch präparierte, sondern oft der der ersten, das 
gesamte Vorhaben noch im Auge habende Entwürfe, der vielfältigen Manusskripte 
und Exzerpte, der jüngere und der philosophische mit seiner erfrischenden 
Distanz zur Realpolitik der aufkeimenden Arbeiter- und kommunistischen 
Bewegung ist. "Das Kommunistische Manifest" ist für mich heute teilweise 
ungenießbar. Und ob es glücklich war, daß Engels bei aller Größe und 
historischen Würdigung viel Marxismus und nicht immer den ganzen Marx in der 
Arbeiterbewegung populär gemacht hat und uns mit seiner Charakterisierung der 
Entwicklung des Menschen als "arbeitendem Affen" auch zu einer verhängnisvollen 
und noch heute in der "Linken" und abschmelzenden Arbeiterbewegung 
nachwirkenden Überhöhung und Orientierung auf die ewige Arbeit und die 
Befreiung derselben und nicht  v o n  ihr mit ins Werk gesetzt hat, ist sicher 
mehr als schade.

Lieber reale Utopien als linke realpolitische Illusionen

Ich hoffe und denke, ich trete zum Beispiel Markus Lauber und Ralf Krämer nicht 
zu nahe, sondern sie verstehen es in ihrem ja auch offensichtlich gewordenen 
Selbstbewußtsein als eine respektvolle Anerkennung, sie zur Mainstream-, 
zur realpolitischen Linken zu zählen. Von Ralf zumindest weiß ich ja, daß er 
durchaus an führender Stelle im sogenannten "Crossover - New Deal"-Projekt die 
klassische Linke von "SPW", "Sozialismus" über "Utopie kreativ" bis 
"Andere Zeiten" - pateimäßig zuzuordnnen etwa von linken/marxistischen 
Sozialdemokraten über P-demokratische Sozialisten, Sozialisten in den Grünen 
und Unabhängigen - auch erfolgreich zu gemeinamer Debatte und mehr zusammen zu 
bringen versucht hat. Und die Rosa-Luxemburg-Stiftung und ihr Umkreis führt 
solche Aktivitäten, die ich bei aller kritischen Intervention auch eine 
Bereicherung finde, in gewissem Sinne fort. 

Da es bei der Debatte um Basiskategorien der marxschen Kritik der politischen 
Ökonomie - Ware, Arbeit, Wert, Mehrwert, Kapital und davon 
ausgehend der Beurteilung von produktiver und unproduktiver Arbeit, Wert- und 
Mehrwertschöpfung - letztlich um die Analyse und Kritik der realen 
kapitalistischen Verhältnisse heute und mögliche Auswege geht, geht es 
bei allem Streit um mehr als Begriffsklärung und Interpretationen.
Wenn ich mich nicht täusche, hängen von diesen Einschätzungen sehr konkret die 
Analyse und Beurteilung der Krsienhaftigkeit und - entwicklung des 
postfordistischen Kapitalismus heute zusammen; ist davon abhängig, ob ich 
überhaupt einen Blick für die innere strukturelle Widersprüchlichkeit und die 
inneren Schranken kapitalistischer Verhältnisse habe und in den heutigen 
Entwicklungen eine neue Qualität, wie ich meine, der Krise 
kapitalistsicher Verwertungsbedingungen zu erkennen in der Lage bin. 
Wenn das Marxsche Instrumentarium helfen kann, sozusagen die Tiefenstruktur 
der kapitalistischen Verhältnisse unter der "schein"realen Oberfläche 
volkswirtschaftlicher Kennziffern, (die wohl alles was sich in Umsatz und 
Preisen ausdrücken läßt, für Wertschöpfung hält und das BIP schlicht mit 
gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung gleichsetzt), freizulegen, die für mich 
überraschend Ralf, der es ohne Frage besser weiß, öfter ausbreitet, dann sollte 
mensch es nutzen.
Es kommt sicher auch darauf an, Scheinakkumulation von Realakkumulation 
zu unterscheiden, die rasante Entkopplung der Finnazmärkte von ihrer 
mehrtwertschöpfenden letztlich auch industriellen Basis zu beobachten, die 
damit einhergehende rapide Verschuldung der Unternehmen aber auch des 
Steuerstaates, das Wachsen eines Pumpkapitalismus, die Verlagerung des 
Anteils der Aufteilung nicht Schöpfung des Mehrwerts vom industriellen zum 
Bank- und Handelskapital (Dienstleistungsbereiche, in denen im wesentlcihen 
kein Mehrwert geschöpft, sondern um einen wachsenden Anteil und den größten 
Happen am gesamtgesellschaftlichen oder sogar weltweiten Mehrwertkuchen 
gerungen wird). 

Wie blendend ist die Lage - oder lassen wir uns nicht blenden?!

Zum Schluß wieder zurück zur reale Lage, die Ralf in einer Antwort an Stefan 
Merten in Bezug auf die mehr oder weniger positiven Erwerbstätigenzahlen für 
die nächsten 30 "Wette"-Jahre prognostiziert und die Explosion der 
Kapitalgewinne in einer Antwort auf meine letzte Wortmeldung skizziert. Dort 
heißt es:	
    "M.E zeigen die empirischen Daten, dass es in der BRD bis 75 einen Fall 	
    der Profitraten gegeben hat, der in der Tat ein Hintergrund der 
    neoliberalen  Offensive ist, im folgenden Zyklus bis Anfang der 90er 	
    Jahre die Profitrate aber trendmäßig sich stabilisierte und im laufenden 
    Zyklus, also seit 93, trendmäßig steigt. Dem Kapital ging es schon lange 
    nicht mehr so gut wie in  den letzten Jahren."
Da laß uns doch mal genauer hinschauen. Die Zahlen entsprechen ja der bekannten 
DGB-Rechnung vom April 1999. "Die Kapitalrentabiltät der Unternehmen ... ist 
ausgezeichnet und so hoch wie in den früheren Vollbeschäftigungszeiten Anfang 
der siebziger Jahre". Ich könnte natürlich zu Ralfs pauschalem letzten Satz 
auch fragen: welches Kapital meinst du denn, das konstante oder das variable, 
oder beide? Oder das Industriekapital, das Bankkapital, das beide übergreifende 
Finanzkapital oder das Handelskapital?
Liege ich richtig, daß Du die gesamtwirtschaftliche Nettokapitalrendite aber 
nicht die Profitrate meinen kannst? Du hattest an anderer Stelle glaube 
ich betont, daß sogar die Netto-Profithöhe gestiegen sei. Das stimmt, sagt aber 
nichts über die Profitrate aus, denn die fällt, insbesondere im industriellen, 
dem hauptmehrwertschöpfenden Bereich, absolut und relativ immer mehr zu Lasten 
der Banken des Handels und Transportgewerbes. Für die Analyse der Profitrate, 
des eigentlichen Mehrwerts ist die Bruttorechnung vor Abzug der Steuern
entscheidend, für die "Unternehmen und die Rechnung des DGB zählt aber nur, was 
nach Abzug der Steuern netto rauskommt." Das ist zwar nicht höher als vor 30 
Jahren, aber immerhin es ist Fakt. Der volkswirtschaftliche Preis allerdings 
ist hoch. Durch massive Vernichtung von Arbeitsplätzen wurde versucht, die 
Relation von konstantem zu variablem Kapital zugunsten des ersteren zu 
korrigieren, um dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken. Aber das hätte's 
allein auch noch nicht gebracht. Die Gewinnsteigerung ist in diesem Fall gar 
kein Zeichen von Stärke des Kapitals, sie basiert nämlich nicht auf einer 
gestiegen Wert- oder Mehrwertschöpfung, sondern wesentlich schlicht aus einer 
staatlichen Profitraten-Subvention per drastischer Steuerentlastungen nie 
dagewesenen Ausmaßes. Der Preis ist volkswirtschaftlich wiederum hoch, eine 
Staatsverschuldung nie gekannter Höhe. Die Wachstumsraten des Volkseinkommens 
(Unternehmergewinne und Lohneinkommen), aus denen der Staat seine Steuern 
bezieht, haben sich seit 1970 bis 1997 von 8,3 auf 4,1 % halbiert.
Um dem langfristigen Fall der Profitraten entgegenzusteuern ist die Steuerlast 
für Unternehmen von gleichbleibend ca 21 % für die Jahre von 1960 bis 1980 auf 
heute nahezu nur noch 8 % heruntergeschraubt worden. Selbst die Gewinne sind in 
Zeiten, da der Kapitalismus an seine endlichen Schranken stößt, nicht mehr das, 
was sie einmal waren, Resultat galoppierender Wertschöpfung und 
Kapitalakkumulation, sondern galopperender Verschuldung. Ob das noch 30 Jahre 
gutgeht? Wir sollten und darauf einrichten, das dem nicht so ist.

Denn auch Ralfs andere Zahlen zur Erwerbsarbeit am 19.11. zu Stefan Merten
    "...ich halte die gängigen Prognosen, dass die Erwerbstätigenzahl in 		
    Deutschland trendmäßig stabil bleiben wird im Bereich 30 Mio. für weit 
    realistischer als irgendwelche Szenarien vom "Ende der 
    Arbeitsgesellschaft"
sind, selbst, wenn wir unterstellen, sie stimmen, wenig aussagekräftig, bzw. da 
wo von zunehmeden Dienstleitungsarbeitsplätzen die Rede ist, eher Beleg für das 
genaue Gegenteil von dem, was uns Ralf zugunsten der objektiven 
Überlebensfähigkeit des Kapitalismus sagen will.
Die Zahlen sagen nichts über die Qualität der Arbeitsplätze aus. Es liegt nahe, 
daß neben einer geringeren Zahl von hochqualifizierten das gros, wie heute auch 
schon oder auch in anderen Jobwunder-Ländern wie den USA aus prekären Jobs, 
billigen Diensleitungen bis Diensbotentätigkeiten bestehen werden. Ganz 
abgesehen davon, ob und in welchen Umfang diese Beschäftigungsverhältnisse zu 
der für das Kapital überlebensnotwendigen aber immer schwerer zu realisierenden 
produktiven Arbeiten gehören werden. Die Zahlen, die ich kenne, sprechen 
dagegen.
Nach Untersuchungen des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik der Uni Würzburg
gleicht die Hoffnung auf die Dienstleitungsgesellschaft eher einer fata 
morgana. Von 1998 bis 2008 werden im Dienstleitungsbereich 6,7 Mio 
Arbeitsplätze verloren gehen, Folge der modernen Informationsverarbeitung. 
Im Handel fällt jeder 2 von 3,4 Arbeitsplätzen weg, in der Verwaltung 2,6 Mio, 
im Bankgewerbe von 770.000 61 %. Die Volks- und Raiffeisenbanken wollen danach 
ihre filialen von 17.000 auf 7.000 reduzieren. In diesem Bereich, so kann 
mensch sich vorstellen, muß ein riesiges Rationalisierungspotential gegeben 
sein. Alles Sektoren, die von industrieller Massenkaufkraft abhängen und 
alimentiert werden. Die outgesourcten industrienahen Dienstleistungen fallen 
ohnehin wegen der angestrebten Verbilligung der Geschäftskosten an und sind 
mehr Abbau als Ausbau von Beschäftigung. 
Reguläre, lanfristige, tarifvertraglich gesicherte Beschäftigungsverhältnisse 
sind nur noch für ca. ein Fünftel der Beschäftigten gegeben. Working poor, 
750000 Scheinselbständige, Tendenzen steigend, sind Kennzeichen des 
Beschäftigungswunders, das es nicht gibt und nicht geben wird. Mag sein, daß 
vorübergehend mehr Billigjobs die Zahlen nach oben treiben, weil heute mehrere 
Personen einen prekären oder eine Person mehrere prekäre Jobs ausüben 
müssen, um zu überleben. Egal wie, mit Sicherheit schmilzt die abstrakte, 
pruduktive, wertschöpfende Arbeit weiter ab. 

Produktiv oder unproduktiv - das ist hier die Frage

Und die findet vielleicht noch nicht einmal dort statt, wo wir sie alle 
vermuten, beispielsweise in meinem industriellen Druck-Betrieb.
Wir wissen ja, das die genaue Erfassung und Bestimmung nicht so einfach ist. 
Ich versuche einmal mich dem Problem zu nähern. Ich denke, das meine 
KollegInnen und ich zu ca. 80 % nur formell mehrwertschöpfende aber 
gesamtgesellschaftlich gesehen unproduktive Arbeit verichten, und nur zu 20 % 
sozusagen als produktiver Gesamtarbeiter durch unsere Diensleistung für einen 
produktiven Bereich auch zur Mehrwertschöpfung zumindest beitragen. Wie komme 
ich dazu. So wie Ralf einmal gesagt hat, aber andere Schlußfolgerungen ziehend, 
muß das Probelem vom gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet werden. 
Der Blick auf den einzelen Arbeitsprozeß und das einzelkapitalistische 
Unternehmen hilft nicht weiter.

Wir produzieren zu 80 % für Unternehmen aus dem kommerziellen 
Dienstleistungsbereich - Banken aller Art von der Allbank über die Citibank 
bis zur Postbank, für alle möglichen Versicherungen und Bausparkassen und immer 
häufiger mit Millionnenauflagen auch für Fondsmanagement-Unternehmen, Werbe- 
und Designstudios und andere Klientel dieser Art. Ich denke es ist 
unbestritten, daß die Arbeit dieser Dienstleistungsunternehmen 
gesamtgesellschaftlich unter der Rubrik unproduktive Arbeiten einzureihen ist, 
die einen zugegebnermaßen wachsenden Teil des erwirtschafteten Gesamt-Mehrwerts 
der Gesellschaft einstreichen.
Und aus diesem Anteil wird auch unsere Produktion weitgehnd am Laufen gehalten.
Natürlich erwirtschaften auch wir einen betriebswirtschaftlichen Gewinn, gibt 
es eine einzelkapitalistische Mehrwertschöpfung, bei der es aber nur um die 
Teilhabe bzw. Umverteilung an dem bereits geschöpften Gesamt-Mehrwert diverser 
Bank- bzw. Handelskapitalisten im Konkurrenzkampf mit anderen Einzelkapitalien 
geht. Die Situation solcher Unternehmen ist faktisch in mehrerer Hinsicht 
prekär. Nicht nur, daß sie ohnhin immer mehr von den Krediten der Banken 
abhängig sind, die ihrerseits nur Teilhaber des zu verteilenden Kuchens sind, 
sondern sie sind auch als Diensleistungsbetriebe solcher Unternehmen, sozusagen 
deren Subunternehmer, zugleich direkt vom Gedeih und Verderb derselben 
abhängig. Sie können zwar eine betriebliche aber keine substantielle eigene 
produktive gesamtgesellschaftlich relevante Mehrwertschöpfung entfalten.

Tatsächlich ist die Problematik noch komplizierter und vielschichtiger. Man 
denke nur an Christian Fuchs' Einlassungen und die ihr folgende Diskussion.
Ich selber habe einerseits durch meine täglichen Erfahrungen, aber auch durch 
die Beschäftigung mit dem Krisis-Text von Robert Kurz, 
"Himmelfahrt des Geldes", Anstoß bekommen, in diese Richtung weiterzudenken. 
Ich empfehle, in Anlehnung an die Worte von Hans Gert - "Schaut doch mal beim 
Meister selbst" nach - sich den Text auf der webseite "krisis.org", Heft 16/17
der "krisis" anzusehen oder runterzuladen. Ich finde, es lohnt sich.

mit unproduktiven Grüßen
Uli







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