Re: [ox] Wert, Mehrwert, produktive Arbeit und mehr
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Sat, 25 Nov 2000 20:15:41 +0100
Ulrich Leicht t-online.de
Hi Listige, Ralf et al.
Am Ende einer Woche "Zwangsarbeit" mache ich meine Drohung wahr und wage es,
Euch mit meiner angekündigten zweiten mail zu belästigen. Ich versuche, von
den Erfahrungen meiner beschränkten Arbeits-Fetisch-Welt aus zu argumentieren
und auf Dinge in mehreren mails einzugehen. Denn day by day und immer direkt,
das schafft nur ein schon "freier" oder "teilzeitfreier" Mensch. Dabei möchte
ich unbedingt einmal ein Lob für Stefan Mn. loswerden, der sich als maintainer
die Aufgabe eines Herkules gestellt hat, nämlich, offensichtlich vorwiegend am
Wochenende, jede mail nicht nur zu lesen, sondern auch noch zu beantworten, zu
kommentieren. Norbert Szepan, unser Bezirkssekretär, der bei der Dortmunder
Besprechung dabei war und sich bei oekonux eingeloggt hatte, ist nach
dreitätiger Abwesenheit von 120 emails in einer Minute auf seinem Rechner
erschlagen worden. Voller Respekt für das, was da abgeht, aber total
überwältigt, hat er SOS gefunkt: "unsubscribe, bitte helft mir". Obwohl schon
routinierter, geht's mir natürlich nicht selten ähnlich.
Ich arbeite als Industriebuchbinder, als Weiterverarbeiter von
Druckerzeugnissen in einem Graphischen Betrieb. Ein privatkapitalistisches
Unternehmen mit knapp einhundert MitarbeiterInnen. Ein klassischer
industrieller Betrieb. Aufgekauft vor zwei Jahren. Obwohl es immer prekärer
wird, - z.B. Austritt der neuen Jungunternehmerin ab 1.1.2001 aus dem
Arbeitgeberverband mit allen absehbaren Absichten und Folgen -
geht es noch anders als in den meisten Betrieben eben noch in den Bahnen
von Gesetz, Tarifvertrag usw. zu. Mit dem Rücken an der Wand halten
wir trutzig-trotzig die mühsam erstrittene 35-Stunden-Woche.
Noch haben wir das "Glück" im Unglück (arbeiten zu müssen, um zu leben), unsere
Arbeitskraft zur Vernutzung erfolgreich auf dem Markt verkaufen zu können, und
nach den Kriterien der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie scheint die
Sache eindeutig:
(abstrakte) Arbeit (das "konkrete" Arbeitsvermögen im Verwertungsprozeß ist
eine zu vernachlässigende, gerne auch vernächlässigte, weil kostenträchtige
Größe) setzt die "Agentien, ... deren powerful effectiveness ... vom
allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie (geprägt
sind) ..." in Gang, schafft Wert, ja mehr Wert als für die Reproduktionskosten
unserer Arbeitskraft aufzubringen ist. Obwohl das Unternehmen im ruinösen
Konkurrenzkampf das dritte Jahr hintereinander rote Zahlen schreibt, die
Eigenkapitaldecke sehr schmal, die Kredite bei den Banken umso höher sind, die
Kapitalrendite unter den Sparzinsen der Banken liegen, (verständlich, daß, wenn
in der Realakkumulation die Renditen nicht stimmen, das Heil immer mehr auf den
Finanzmärkten gesucht wird) scheint kein Zweifel:
ein klassischer Fall von produktiver Arbeit, von Wert- und Mehrwertschöpfung.
Im Produktionsprozeß wird der Mehrwert geschaffen, [obwohl das bei manchen
Aussagen von Ralf auch anders klingt: "Der kapitalistische Produktionsprozess
mündet in der Realisierung des Werts (und Mehrwerts) der produzierten Waren
(oder Dienstleistungen) durch ihren Verkauf, also im Geld. (13.11)]
Auf den ersten Blick also alles klar. Wenn es nach Ralf geht, sowieso. Der
sagt: Wird in einem privatkapitalistischen Unternehmen gearbeitet, dann ist das
produktive Arbeit und überhaupt keine Frage. Bei den Dienstleistungen teilt er
eigentlich Marxens "unproduktive Sicht" auch nicht, gesteht aber
Interpretationsvarianten zu.
Christian Fuchs weiß, daß das alles nicht so einfach zu fassen ist,
und hält nicht alles für wertschöpfend, was da arbeitet, die Wissenschaft
ohnehin nicht. Er verkompliziert dann noch mit dem Marx-Zitat, von wegen
Revenue, die Sache. Da wird's für mich ganz schwierig. Ich ahne nur, wenn Ralf
auch nicht immer Recht hat, hier könnte es sein, und bei Christian ist es
genau umgekehrt.
Und bei Marx, wie immer: alles unvollendet, Fragment, Torso, Werkstatt,
Manuskripte, widersprüchlich, von wegen ausgereifte Theorie, aber spannend:
Ralf hat ihn doch zitiert - da heißt es dann "super-eindeutig": die Sängerin
sei "annähernd produktiv" - und dachte, dieses Zitat spreche für ihn. Für mich
spricht das nur dafür, daß mensch mit Marx über Marx hinaus und nicht
marxistisch denken sollte. Und überhaupt.
Immer der doppelte Marx, egal wo Du hinguckst. Ich glaube ja, eigentlich immer
nur zwei Seiten einer abstrakten Medaille:
die "schlechte" abstrakte und die gute "konkrete" Arbeit und damit
zusammenhängend der "wertvolle aber nutzlose" Tausch- aber der nützliche
"Gebrauchswert". Man nehme doch nur den Begriff: Gebrauchs-w e r t. Spielt der
Gebrauch wirklich irgendeine Rolle in Hinblick auf wirklichen Nutzen oder
Bedürfnisse oder nur auf Ver w e r t ung, Tausch w e r t igkeit hin. Der
Gebrauchswert auch so ein Fetisch wie der Wert und die Arbeit.
Arbeit um jeden Preis?
Auf den Vorhalt meines Dortmunder Mitstreiters Helmut:
"...genügt es eben nicht, den traditionalistischen
(sozialdemokratischen wie kommunistischen) Ansatz zu verfolgen:
Die Interessen am Arbeitsplatz zu verteidigen. Spätestens bei AKW wird
da sogar der Realpolitiker auf die Realität stoßen."
antwortet Ralf am 17.11.:
"Behauptet wohl niemand hier, dass das reicht. Aber in den meisten
Fällen ist es keineswegs überflüssig, sondern auch nötig. Und
Medienprodukte sind keine AKW, das wird auch der Anti- oder
Nichtrealpolitiker zugeben müssen."
Zweifellos keine AKWS, können aber auch gemeingefährlich sein. Big Brother gab
es bei "Bild" schon, bevor es "Big Brother" im Fernsehen gab. Die Vorhut der
IG Medien, die Drucker, arbeiten in den Zeitungs- und Verlagshäusern von
"Bertelsmann", "Burda", "Gruner und Jahr", wo der yellow-press-Schrott
fabriziert wird, und natürlich bei "Springer". Dort werden jeden Abend in
vermeintlich auch "konkreter" Arbeit an 5 Standorten mit Hilfe der neuesten
Technologien in mehrfacher Transrapid-Geschwindigkeit in 3 Stunden 5 bis 6
Millionen Bildausgaben produziert. Der Gebrauchswert hat etwas von einem
Super-Gau.
Bei uns ist es nicht ganz so schlimm. Wir produzieren zu 80 % nur den Müll von
Prospekten und anderen Akzidenzien, die nach einmaligen Lesen oder direkt im
Papierkorb landen und deren Nutzen wesentlich darin besteht, die rapide
wachsende Müllentsorgungs- und verwertungsindustrie am Laufen zu halten.
Allerdings wird dadurch keine Kapitalakkumalation angeschoben, obwohl der
einzelene Arbeitsprozeß eines Müllwerkers auch ein mehrwertschöpfender zu sein
scheint, sondern ein immer größerer Teil der gesamtgesellschaftlichen
Mehrwertschöpfung für den wachsende Anteil der unproduktiven Gemeinkosten für
die gefährlichen und Leben bedrohenden Folgen, Schäden und Abfälle der
kapitalistischen Verwertungsmaschienerie aufgebracht.
Und ich glaube, auch in unseren fraglos industriellen Druckbetrieben findet
vorwiegend keine substantiell produktive Arbeit, gesamtgesellschaftliche
Mehrwertschöpfung statt. Ich komme darauf am Ende zu sprechen.
Und wenn Ralf auf Helmuts Argument:
"Wer die Sache mit den Arbeitsplätzen, mit dem Sinn von Arbeit und der
ganzen Ideologie drumherum zumindest etwas durchdenkt, wird die
Differenzen zu "freier" Betätigung kaum noch als Schützengraben
benutzen können.(Also um es klar zu sagen, einen Sozialismus a la "wir
sind die bessere Leistungsgesellschaft" kann mensch sich sonstwohin
stecken, das ist nun wahrlich kein Fortschritt im Leben). Will heißen:
Der "Arbeit" ein wenig ihren Fetischcharakter nehmen, öffnet der
Debatte - vielleicht - neue Wege."
antwortet:
"Debatten um den Sinn von Arbeit sind in der Tat wichtig, können aber
nicht darin bestehen, Leuten zu erzählen, dass ihre Arbeit sowieso
sinnlos sei und sie nur Schrott produzieren,
sage ich: doch genau das ist bitter notwendig.
wenn sowohl die Arbeitenden als auch die ganz überwiegende Mehrzahl der
Gesellschaft das anders sehen.
sage ich: eben "subjektlose Charaktermasken" wie die Vertreter des fungierenden
Kapitals auch.
Das Problem, dass Arbeit (konkret i.d.R.: Erwerbsarbeit) überhöht und
fetischisiert wird und auch dass sie erheblich verkürzt werden könnte,
sage ich: nein das Problem liegt tiefer.
ändert nichts daran, dass sie überwiegend für die Reproduktion der
Gesellschaft wie der Einzelnen notwendig ist und auch in
nichtkapitalistischen Verhältnissen notwendig wäre."
sage ich: Dann sind es leider keine, hatten wir realsozialistisch zur Genüge.
Ich halte es auch für einen "linken" Mythos, wie Markus Lauber zu glauben, die
Existenz der DDR, des vermeintlich sozialistischen Lagers, wäre eine Bedingung
für sozialen Fortschritt im Westen gewesen. Die Perversion von Sozialismus war
eher ein Hindernis über den realexistierenden Kapitalismus hinauszudenken, der
abstrakte Reichtum und bürgerliche Wohlstand sicher auch konkreten
Verteilungskämpfen, aber diese letztlich nur erfolgreich, weil noch mehr der
sich ausweitenden Kapitalakkumulastion, dem fordistischen Boom, der
Weltmarktgewinnerposition geschuldet, die monetäre und soziale Gratifikationen
zuließ und auch ökonomisch notwendig machte. Seit dem Kriseneinbruch vor 30
Jahren wurde es eng und kam die Wende, der Untergang der "attraktiven" DDR lag
etwas später. Weiter Ralf:
"Ich halte es weiterhin für ganz unrealistisch, zu meinen, das ließe
sich alles durch freie Tätigkeit erledigen. Also stellt sich auch
weiterhin das Problem der gesellschaftlichen Organsiation und
Regulierung des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses und der Verteilung
der Produkte. Dabei sollte es soweit möglich nach Bedürfnissen gehen,
aber es wird m.E. auf unabsehbar lange Zeit nötig und sinnvoll bleiben,
auch eine Art Leistungsprinzip anzuwenden. ... Außerdem gibt es m.E.
wesentlich größere globale, soziale und ökologische Probleme als
die Fetischisierung der Arbeit, die man auf dieser Basis lösen oder
massiv reduzieren könnte, und das fände ich wahrlich einen gewaltigen
Fortschritt im Leben und für das Leben von Millionen."
Dann liegt genau in dieser Sicht der Dinge der Kern der Differenzen.
Arbeit und Kapital - ein unzertrennliches Duo
Da glaube ich unterscheidet sich auch der historische
Arbeiterbewegungs-Marximsus von Marx, so widersprüchlich dieser auch sein mag.
Für ihn sind die kapitalistischen Verhältnisse und die sie prägenden
Basiskategorien - Ware, Arbeit, Wert, Kapital, aber auch die anderen Sphären
gesellschaftlichen Lebens wie Staat, Politik, Kultur usw. schlechthin
Fetischverhältnisse, eine ver-kehrte Welt, deren wirkliche
Zusammenhänge der warenproduzierende Mensch auf den ersten Blick nicht erkennt
und auch verinnerlicht.
Es ist doch völlig per-vers und auch nur im Kapitalismus der Fall, daß die
Produktion und Reproduktion des Menschen wie der Gesellschaft in Form von
abstrakter Arbeit, Maßstäben der selbstzweckhaften Verwertung und
Geldvermehrung von statten geht.
Das Problem ist nicht: ".., Es gibt wesentlich größere ... Probleme als die
Fetischisierung der Arbeit", nein das Fetischverhältnis abstrakter
kapitalistischer Arbeit i s t das Problem, die Ursache der "großen globalen,
sozialen und ökologischen Probleme." Die Überhöhung der Arbeit gerade in der
Arbeiter(Arbeits)bewegung ist nur ein Ausdruck desselben. Und bei dem Gedanken
an die Subotniks der Rabotniki, der Superakkordarbeiter Stachanow oder
Hennecke ("eine Art Leistungsprinzip"), da wird mir ganz schlecht, weil mensch
dann auch noch die Nähe zum national-sozialistischen "schaffenden Kapital" und
zu "Arbeit macht frei" spürt.
Nicht das Becksche oder Rifkinsche Gerede vom Ende der Arbeitsgesellschaft ist
der Grund für die Attacken gegen die Arbeit. Die Kritik und Überwindung der
Arbeit ist der Schlüssel zur Kritik und Überwindung des Kapitalismus. Die Krise
der Arbeitsgesellschaft und die Krise des Kapitalismus sind eigentlich ein
identisches Ding. Und in der Freien Gesellschaft, die für mich richtig
bezeichnet am liebsten nicht GPL sondern kommunistisch im
wahrsten Sinne des Wortes (ohne Arbeit, Markt, Geld, Staat, Parteien)
heißen müßte, darf es keine "produktive Arbeit" mehr geben. Die
wirkliche Produktivität entfaltet sich erst in der Gesellschaft der völligen
Arbeits-losigkeit, im arbeits-freien Raum. Wahrscheinlich reicht da auch nicht
Hans Gerts Erweiterung des Arbeitsbegriffs aus. Es darf die Entfaltung jeder
menschlichen Tätigkeit und Kreativität sein, aber bitte Arbeit sollte es
nicht sein, was wir in einer "freien Gesellschaft" tun. 200 Jahre Arbeit hat
uns ziemlich zugerichtet. Ein Leben ohne Arbeit und Geld scheint uns
Arbeitsfetischisten, die wir doch alle in Wirklichkeit noch sind,
schon nicht mehr denkbar. Da leitet auch ein gut gemeinter linker politischer
Realismus ziemlich fehl, und brauchst's schon die reale Utopoie, und darin
liegt der Nutzen (nicht Gebrauchswert) von Oekonux.
Marx lockt uns und besonders Ralf und die Marxisten in jede Falle, in die man
hineintreten kann. Auf ein und derselben Seite in den GR schreibt er in
Zusammenhang mit der Wissenschaft: "...Schöpfung des w i r k l i c h e n
Reichtums". Da schimmert vielleicht durch, was Ralf im nächsten Zitat
herausliest: nützliche, den Bedürfnissen von Mensch, Gesellschaft und Natur
entsprechende Dinge, die potentiell möglich sind, und die Fülle von Waren und
Wert vielleicht eher in der Formulierung "... einziges Maß und Quelle des
Reichtums" zwei Sätze weiter.
Und ob Ralf mit dem reifen älteren Marx, dessen Zitate er gerne für bare Münze
nimmt, die des gar nicht viel jüngeren der "Grundrisse" aber nicht, ist ohnehin
sehr fraglich. Wenn ich so am Rande die Diskussion um die Marx-Egels-Forschung,
so manche mir bekannten Beiträge dazu, auch in dem für mich nützlichen
"Kapital.doc"-Buch (mit CD) von Altvater und dort Heinrichs und Heckers
Aufsätze richtig verstehe, herrscht unter den Forschern ziemliche Eingkeit, daß
der wahre Marx vielleicht nicht der schließlich von Engels redigierte und für
die Arbeiterbewegung marxistisch präparierte, sondern oft der der ersten, das
gesamte Vorhaben noch im Auge habende Entwürfe, der vielfältigen Manusskripte
und Exzerpte, der jüngere und der philosophische mit seiner erfrischenden
Distanz zur Realpolitik der aufkeimenden Arbeiter- und kommunistischen
Bewegung ist. "Das Kommunistische Manifest" ist für mich heute teilweise
ungenießbar. Und ob es glücklich war, daß Engels bei aller Größe und
historischen Würdigung viel Marxismus und nicht immer den ganzen Marx in der
Arbeiterbewegung populär gemacht hat und uns mit seiner Charakterisierung der
Entwicklung des Menschen als "arbeitendem Affen" auch zu einer verhängnisvollen
und noch heute in der "Linken" und abschmelzenden Arbeiterbewegung
nachwirkenden Überhöhung und Orientierung auf die ewige Arbeit und die
Befreiung derselben und nicht v o n ihr mit ins Werk gesetzt hat, ist sicher
mehr als schade.
Lieber reale Utopien als linke realpolitische Illusionen
Ich hoffe und denke, ich trete zum Beispiel Markus Lauber und Ralf Krämer nicht
zu nahe, sondern sie verstehen es in ihrem ja auch offensichtlich gewordenen
Selbstbewußtsein als eine respektvolle Anerkennung, sie zur Mainstream-,
zur realpolitischen Linken zu zählen. Von Ralf zumindest weiß ich ja, daß er
durchaus an führender Stelle im sogenannten "Crossover - New Deal"-Projekt die
klassische Linke von "SPW", "Sozialismus" über "Utopie kreativ" bis
"Andere Zeiten" - pateimäßig zuzuordnnen etwa von linken/marxistischen
Sozialdemokraten über P-demokratische Sozialisten, Sozialisten in den Grünen
und Unabhängigen - auch erfolgreich zu gemeinamer Debatte und mehr zusammen zu
bringen versucht hat. Und die Rosa-Luxemburg-Stiftung und ihr Umkreis führt
solche Aktivitäten, die ich bei aller kritischen Intervention auch eine
Bereicherung finde, in gewissem Sinne fort.
Da es bei der Debatte um Basiskategorien der marxschen Kritik der politischen
Ökonomie - Ware, Arbeit, Wert, Mehrwert, Kapital und davon
ausgehend der Beurteilung von produktiver und unproduktiver Arbeit, Wert- und
Mehrwertschöpfung - letztlich um die Analyse und Kritik der realen
kapitalistischen Verhältnisse heute und mögliche Auswege geht, geht es
bei allem Streit um mehr als Begriffsklärung und Interpretationen.
Wenn ich mich nicht täusche, hängen von diesen Einschätzungen sehr konkret die
Analyse und Beurteilung der Krsienhaftigkeit und - entwicklung des
postfordistischen Kapitalismus heute zusammen; ist davon abhängig, ob ich
überhaupt einen Blick für die innere strukturelle Widersprüchlichkeit und die
inneren Schranken kapitalistischer Verhältnisse habe und in den heutigen
Entwicklungen eine neue Qualität, wie ich meine, der Krise
kapitalistsicher Verwertungsbedingungen zu erkennen in der Lage bin.
Wenn das Marxsche Instrumentarium helfen kann, sozusagen die Tiefenstruktur
der kapitalistischen Verhältnisse unter der "schein"realen Oberfläche
volkswirtschaftlicher Kennziffern, (die wohl alles was sich in Umsatz und
Preisen ausdrücken läßt, für Wertschöpfung hält und das BIP schlicht mit
gesamtgesellschaftliche Wertschöpfung gleichsetzt), freizulegen, die für mich
überraschend Ralf, der es ohne Frage besser weiß, öfter ausbreitet, dann sollte
mensch es nutzen.
Es kommt sicher auch darauf an, Scheinakkumulation von Realakkumulation
zu unterscheiden, die rasante Entkopplung der Finnazmärkte von ihrer
mehrtwertschöpfenden letztlich auch industriellen Basis zu beobachten, die
damit einhergehende rapide Verschuldung der Unternehmen aber auch des
Steuerstaates, das Wachsen eines Pumpkapitalismus, die Verlagerung des
Anteils der Aufteilung nicht Schöpfung des Mehrwerts vom industriellen zum
Bank- und Handelskapital (Dienstleistungsbereiche, in denen im wesentlcihen
kein Mehrwert geschöpft, sondern um einen wachsenden Anteil und den größten
Happen am gesamtgesellschaftlichen oder sogar weltweiten Mehrwertkuchen
gerungen wird).
Wie blendend ist die Lage - oder lassen wir uns nicht blenden?!
Zum Schluß wieder zurück zur reale Lage, die Ralf in einer Antwort an Stefan
Merten in Bezug auf die mehr oder weniger positiven Erwerbstätigenzahlen für
die nächsten 30 "Wette"-Jahre prognostiziert und die Explosion der
Kapitalgewinne in einer Antwort auf meine letzte Wortmeldung skizziert. Dort
heißt es:
"M.E zeigen die empirischen Daten, dass es in der BRD bis 75 einen Fall
der Profitraten gegeben hat, der in der Tat ein Hintergrund der
neoliberalen Offensive ist, im folgenden Zyklus bis Anfang der 90er
Jahre die Profitrate aber trendmäßig sich stabilisierte und im laufenden
Zyklus, also seit 93, trendmäßig steigt. Dem Kapital ging es schon lange
nicht mehr so gut wie in den letzten Jahren."
Da laß uns doch mal genauer hinschauen. Die Zahlen entsprechen ja der bekannten
DGB-Rechnung vom April 1999. "Die Kapitalrentabiltät der Unternehmen ... ist
ausgezeichnet und so hoch wie in den früheren Vollbeschäftigungszeiten Anfang
der siebziger Jahre". Ich könnte natürlich zu Ralfs pauschalem letzten Satz
auch fragen: welches Kapital meinst du denn, das konstante oder das variable,
oder beide? Oder das Industriekapital, das Bankkapital, das beide übergreifende
Finanzkapital oder das Handelskapital?
Liege ich richtig, daß Du die gesamtwirtschaftliche Nettokapitalrendite aber
nicht die Profitrate meinen kannst? Du hattest an anderer Stelle glaube
ich betont, daß sogar die Netto-Profithöhe gestiegen sei. Das stimmt, sagt aber
nichts über die Profitrate aus, denn die fällt, insbesondere im industriellen,
dem hauptmehrwertschöpfenden Bereich, absolut und relativ immer mehr zu Lasten
der Banken des Handels und Transportgewerbes. Für die Analyse der Profitrate,
des eigentlichen Mehrwerts ist die Bruttorechnung vor Abzug der Steuern
entscheidend, für die "Unternehmen und die Rechnung des DGB zählt aber nur, was
nach Abzug der Steuern netto rauskommt." Das ist zwar nicht höher als vor 30
Jahren, aber immerhin es ist Fakt. Der volkswirtschaftliche Preis allerdings
ist hoch. Durch massive Vernichtung von Arbeitsplätzen wurde versucht, die
Relation von konstantem zu variablem Kapital zugunsten des ersteren zu
korrigieren, um dem Fall der Profitrate entgegenzuwirken. Aber das hätte's
allein auch noch nicht gebracht. Die Gewinnsteigerung ist in diesem Fall gar
kein Zeichen von Stärke des Kapitals, sie basiert nämlich nicht auf einer
gestiegen Wert- oder Mehrwertschöpfung, sondern wesentlich schlicht aus einer
staatlichen Profitraten-Subvention per drastischer Steuerentlastungen nie
dagewesenen Ausmaßes. Der Preis ist volkswirtschaftlich wiederum hoch, eine
Staatsverschuldung nie gekannter Höhe. Die Wachstumsraten des Volkseinkommens
(Unternehmergewinne und Lohneinkommen), aus denen der Staat seine Steuern
bezieht, haben sich seit 1970 bis 1997 von 8,3 auf 4,1 % halbiert.
Um dem langfristigen Fall der Profitraten entgegenzusteuern ist die Steuerlast
für Unternehmen von gleichbleibend ca 21 % für die Jahre von 1960 bis 1980 auf
heute nahezu nur noch 8 % heruntergeschraubt worden. Selbst die Gewinne sind in
Zeiten, da der Kapitalismus an seine endlichen Schranken stößt, nicht mehr das,
was sie einmal waren, Resultat galoppierender Wertschöpfung und
Kapitalakkumulation, sondern galopperender Verschuldung. Ob das noch 30 Jahre
gutgeht? Wir sollten und darauf einrichten, das dem nicht so ist.
Denn auch Ralfs andere Zahlen zur Erwerbsarbeit am 19.11. zu Stefan Merten
"...ich halte die gängigen Prognosen, dass die Erwerbstätigenzahl in
Deutschland trendmäßig stabil bleiben wird im Bereich 30 Mio. für weit
realistischer als irgendwelche Szenarien vom "Ende der
Arbeitsgesellschaft"
sind, selbst, wenn wir unterstellen, sie stimmen, wenig aussagekräftig, bzw. da
wo von zunehmeden Dienstleitungsarbeitsplätzen die Rede ist, eher Beleg für das
genaue Gegenteil von dem, was uns Ralf zugunsten der objektiven
Überlebensfähigkeit des Kapitalismus sagen will.
Die Zahlen sagen nichts über die Qualität der Arbeitsplätze aus. Es liegt nahe,
daß neben einer geringeren Zahl von hochqualifizierten das gros, wie heute auch
schon oder auch in anderen Jobwunder-Ländern wie den USA aus prekären Jobs,
billigen Diensleitungen bis Diensbotentätigkeiten bestehen werden. Ganz
abgesehen davon, ob und in welchen Umfang diese Beschäftigungsverhältnisse zu
der für das Kapital überlebensnotwendigen aber immer schwerer zu realisierenden
produktiven Arbeiten gehören werden. Die Zahlen, die ich kenne, sprechen
dagegen.
Nach Untersuchungen des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik der Uni Würzburg
gleicht die Hoffnung auf die Dienstleitungsgesellschaft eher einer fata
morgana. Von 1998 bis 2008 werden im Dienstleitungsbereich 6,7 Mio
Arbeitsplätze verloren gehen, Folge der modernen Informationsverarbeitung.
Im Handel fällt jeder 2 von 3,4 Arbeitsplätzen weg, in der Verwaltung 2,6 Mio,
im Bankgewerbe von 770.000 61 %. Die Volks- und Raiffeisenbanken wollen danach
ihre filialen von 17.000 auf 7.000 reduzieren. In diesem Bereich, so kann
mensch sich vorstellen, muß ein riesiges Rationalisierungspotential gegeben
sein. Alles Sektoren, die von industrieller Massenkaufkraft abhängen und
alimentiert werden. Die outgesourcten industrienahen Dienstleistungen fallen
ohnehin wegen der angestrebten Verbilligung der Geschäftskosten an und sind
mehr Abbau als Ausbau von Beschäftigung.
Reguläre, lanfristige, tarifvertraglich gesicherte Beschäftigungsverhältnisse
sind nur noch für ca. ein Fünftel der Beschäftigten gegeben. Working poor,
750000 Scheinselbständige, Tendenzen steigend, sind Kennzeichen des
Beschäftigungswunders, das es nicht gibt und nicht geben wird. Mag sein, daß
vorübergehend mehr Billigjobs die Zahlen nach oben treiben, weil heute mehrere
Personen einen prekären oder eine Person mehrere prekäre Jobs ausüben
müssen, um zu überleben. Egal wie, mit Sicherheit schmilzt die abstrakte,
pruduktive, wertschöpfende Arbeit weiter ab.
Produktiv oder unproduktiv - das ist hier die Frage
Und die findet vielleicht noch nicht einmal dort statt, wo wir sie alle
vermuten, beispielsweise in meinem industriellen Druck-Betrieb.
Wir wissen ja, das die genaue Erfassung und Bestimmung nicht so einfach ist.
Ich versuche einmal mich dem Problem zu nähern. Ich denke, das meine
KollegInnen und ich zu ca. 80 % nur formell mehrwertschöpfende aber
gesamtgesellschaftlich gesehen unproduktive Arbeit verichten, und nur zu 20 %
sozusagen als produktiver Gesamtarbeiter durch unsere Diensleistung für einen
produktiven Bereich auch zur Mehrwertschöpfung zumindest beitragen. Wie komme
ich dazu. So wie Ralf einmal gesagt hat, aber andere Schlußfolgerungen ziehend,
muß das Probelem vom gesamtgesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet werden.
Der Blick auf den einzelen Arbeitsprozeß und das einzelkapitalistische
Unternehmen hilft nicht weiter.
Wir produzieren zu 80 % für Unternehmen aus dem kommerziellen
Dienstleistungsbereich - Banken aller Art von der Allbank über die Citibank
bis zur Postbank, für alle möglichen Versicherungen und Bausparkassen und immer
häufiger mit Millionnenauflagen auch für Fondsmanagement-Unternehmen, Werbe-
und Designstudios und andere Klientel dieser Art. Ich denke es ist
unbestritten, daß die Arbeit dieser Dienstleistungsunternehmen
gesamtgesellschaftlich unter der Rubrik unproduktive Arbeiten einzureihen ist,
die einen zugegebnermaßen wachsenden Teil des erwirtschafteten Gesamt-Mehrwerts
der Gesellschaft einstreichen.
Und aus diesem Anteil wird auch unsere Produktion weitgehnd am Laufen gehalten.
Natürlich erwirtschaften auch wir einen betriebswirtschaftlichen Gewinn, gibt
es eine einzelkapitalistische Mehrwertschöpfung, bei der es aber nur um die
Teilhabe bzw. Umverteilung an dem bereits geschöpften Gesamt-Mehrwert diverser
Bank- bzw. Handelskapitalisten im Konkurrenzkampf mit anderen Einzelkapitalien
geht. Die Situation solcher Unternehmen ist faktisch in mehrerer Hinsicht
prekär. Nicht nur, daß sie ohnhin immer mehr von den Krediten der Banken
abhängig sind, die ihrerseits nur Teilhaber des zu verteilenden Kuchens sind,
sondern sie sind auch als Diensleistungsbetriebe solcher Unternehmen, sozusagen
deren Subunternehmer, zugleich direkt vom Gedeih und Verderb derselben
abhängig. Sie können zwar eine betriebliche aber keine substantielle eigene
produktive gesamtgesellschaftlich relevante Mehrwertschöpfung entfalten.
Tatsächlich ist die Problematik noch komplizierter und vielschichtiger. Man
denke nur an Christian Fuchs' Einlassungen und die ihr folgende Diskussion.
Ich selber habe einerseits durch meine täglichen Erfahrungen, aber auch durch
die Beschäftigung mit dem Krisis-Text von Robert Kurz,
"Himmelfahrt des Geldes", Anstoß bekommen, in diese Richtung weiterzudenken.
Ich empfehle, in Anlehnung an die Worte von Hans Gert - "Schaut doch mal beim
Meister selbst" nach - sich den Text auf der webseite "krisis.org", Heft 16/17
der "krisis" anzusehen oder runterzuladen. Ich finde, es lohnt sich.
mit unproduktiven Grüßen
Uli
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