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Re: [ox] Robert Owen der utopische Sozialismus und die Produktivität



Hi Markus!

5 days ago Markus Lauber wrote:
Da es hier ja um lange Entwicklungen geht, um historische Prognosen usw.
moechte ich kurz auf ein historisches Beispiel für eine Euphorie bzgl.
gesellschaftlicher Veränderung der Welt mittels technischer Entwicklung und
Produktivitätssteigerung hinweisen.

Danke. Genau so etwas wünsche ich mir hier. Allerdings richtet sich
m.E. dein Beispiel gegen deine Position oder was ich davon bisher
verstanden habe.

Es geht um den englischen
Frühsozialisten, Unternehmer und Gewerkschafter Robert Owen (1771-1858).

Dieser war eine Art Entrepreneur des frühen 19. Jahrhunderts und verband in
seiner berühmten Wollspinnereifabrik New Lanark die neuen Techniken der
Industrialisierung mit Sozialreformen (Gesundheitsvorsorge, Hygiene, bessere
Wohnungen), was in einer enormen Steigerung der Produktivität resultierte;

Das also, was in späteren Zeiten von sozialdemokratischen (bis hin
übrigens zu faschistischen) Regimen als Modernisierung des
Kapitalismus durchgesetzt wurde.

die Abkehr von trad. Repressionsmethoden (bis hin zu physischer Gewalt) in
der Arbeitswelt hin zu 'humanen' Mitteln wie eines speziellen
Monitor-Systems nahm spätere Entwicklungen wie Kontrolle durch Gruppendruck
vorweg. Ein farbiges Drehelement über einem Arbeitsplatz zeigte die
'Leistung' des oder derjenigen an.

Ja genau, er hat da etwas vorweggenommen, was auf späterer
historischer Stufenleiter breit eingeführt wurde.

Die Erfolge Owens waren enorm und er wurde reich. Dazu setzte er sich für
Dinge wie Verbot von Kinderarbeit ein. Sein frühes Denken ist davon geprägt,
daß es unerläßlich sei alle Welt von den Segnungen der neuen Technik und der
humanen fortschrittlichen Arbeitsmethoden zu überzeugen um eine allgemeine
Verbesserung zu erreichen - die gestiegene Produktivität (!) sollte alle in
die Lage versetzen ein angenehmes Leben zu führen [New View of Society
(1813)].

Fakt ist, daß sich seine Vision durchgesetzt hat - oder wie würdest du
deinen Zustand heute vergleichsweise beschreiben. Natürlich in den
kapitalistischen Grenzen.

Um seine Überzeugungen zu belegen gründete er 1825 mit einigem Startkapital
eine Art Kommune in New Harmony (Indiana/USA) um seine Thesen zu beweisen.

Und da hat er sich geirrt. Alleine das "New Harmony" verweist schon
auf den idealistischen Charakter der Veranstaltung. Das muß schief
gehen - genauso wie seine sonstigen Gedanken gelungen sind.

Um es kurz zu machen, die Kommune scheiterte nach 2 Jahren und einem raschen
Wechsel von insg. 5 'Verfassungen', nur die Bildungseinrichtungen konnten
überleben. Unter anderem nach dieser Erfahrung hat sich Owen später der
Bekämpfung gesellschaftlicher Mißstände zugewandt und wurde auch zu einem
der Begründer der englischen Gewerkschaftsbewegung.

Ja genau: Er hat sich den Formen zugewandt, die dem Stand der
historischen Entwicklung angemessen waren. Für nichts anderes plädiere
ich heute auch. Er hat sich aber nicht irgendwelchen Formen zugewandt,
die den Feudalismus verewigen wollten und die es sicher auch gegeben
hat.

Wie man schon an dem Beispiel New Lanark sehen konnte, war es sicher
angenehmer dort in sauberer Umgebung zu arbeiten und die Kinder in die
werkseigene Schule zu schicken, die kapitalistische Ausbeutung ist deswegen
nicht verschwunden.

Das war ja auch nicht sein Ziel. Wieso sollte sie also?

Warum ich das erzähle? Weil ich gerade auf Seiten der eher linken,
fortschrittlichen Kräfte, die sich heute mit neuen Techniken und steigender
Produktivität befassen ich eine Art Früh-Owenitische Begeisterung meine zu
sehen,

Mag sein, daß manche vielleicht ein bißchen zu euphorisch sind.
Andererseits stellt die Euphorie, die Begeisterung eben auch eine
Kraftquelle dar, die ich nicht gerne verstopft sehen würde. Ich würde
sogar behaupten, daß ohne diese Kraftquelle, ohne diese Begeisterung
überhaupt gar keine Bewegung entstehen kann.

die beeindruckt vom enormen Fortschritt durch Computer, Internet,
Biotechnologie etc. (vielleicht unbewusst) auf eine quasi naturwuechsige
Verbesserung der Umstaende durch diese und die Verbreitung von 'Einsicht'
hofft, und dabei die gesellschaftlichen Kraefteverhaeltnisse eher ausblendet
oder utopisch umdeutet.

Nun, ich denke, daß wir schon ziemlich versuchen, zumindest eine rohe
Analyse zu machen. Dazu gehört auch z.B. realexistierende
Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen und mit unseren Denkmustern zu
analysieren. Geschieht ja aber auch - oft kontrovers.

Z.B. finde ich deine und anderer Leute Einwände zur teilweise
kapitalistischen Verfaßtheit der Infrastruktur des Internets einen
wichtigen Hinweis. Der gärt bei mir schon seit einigen Wochen -
allerdings noch ohne Ergebnis.

Zum Unterschied zwischen utopischem und wissenschaftlichem Sozialismus kurz
noch Karl Marx:

Das folgende setzt voraus, daß wir möglicherweise an einem
historischen Epochenbruch stehen. Wer glaubt, daß einfach alles so
weitergehen muß wie bisher, kann mit dem folgenden wohl nichts
anfangen.

"Die ersten Sozialisten (Fourier, Owen, Saint-Simon etc.) mußten sich - da
die sozialen Verhältnisse noch nicht genug entwickelt waren, um der
Arbeiterklasse die Konstituierung als politische Partei zu ermöglichen - auf
Träume von der Mustergesellschaft der Zukunft beschränken und alle Versuche
wie Streiks, Koalitionen, politische Aktionen, verurteilen, die von
Arbeitern unternommen worden waren, um ihre Lage etwas zu
verbessern.

Jetzt müssen wir aber doch genau werden. Was diese Patriarchen nach
dem Zitat nicht wollten, war gerade die entstehende Arbeiterbewegung
bzw. früher Aktionsformen dieser welcher. Sie haben sich damit gegen
die Formen ausgesprochen, die sich in der Arbeitsgesellschaft, an
deren Anfang sie ja erst standen, erst noch entwickeln sollten.

Hier ist aber nicht die Rede von irgendwelchen Bewegungen der noch
vorherrschenden feudalen Welt. Und rückübertragen sind das diese
damals fortschrittlichen Arbeiterbewegungsformen ja heute.

Wenn
wir aber kein Recht haben, diese Patriarchen des Sozialismus zu verleugnen,
ebensowenig wie die modernen Chemiker das Recht haben, ihre Väter die
Alchimisten zu verleugnen, müssen wir uns doch hüten, in ihre Fehler
zurückzufallen, die, würden sie von uns begangen, unverzeihlich wären."

Nach der historischen Entwicklung würde ich sagen, daß wir heute in
der Rolle der genannten Patriarchen sind - wir können auch gar nicht
anders, weil wir eben heute leben und nicht in zwanzig, fünfzig,
hundert Jahren. Wenn die Entwicklung noch deutlicher herangereift ist
und irgendein neuer KM die "Kritik der politischen Kopie" schreibt,
dann werden diese Sätze wieder wichtiger.

Der politische Indifferentismus MEW 18, 301. Zit. nach LOTTER, Konrad (ed.):
Marx-Engels Begriffslexikon; München 1984, S.379

Ich denke Oekonux sollte versuchen ueber den Status solcher Alchimisten
hinauszukommen.

Zurück auf unsere Debatten übertragen kann das ja nur heißen, daß wir
eben in den Formen des Neuen denken müssen und uns auch schon mal
Gedanken über die dem Neuen angemessene Ausformung dessen machen
sollten. Aber das versuchen wir ja gerade - oder?


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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