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Re: [ox] Proprietarismus und Sozialismus



Hallo Hartmut und Liste,

On Mon, Oct 16, 2000 at 02:07:57AM [PHONE NUMBER REMOVED], PILCH Hartmut wrote:
Ich halte es auch für inhuman, jemanden, der nachweislich
mit seiner Freiheit nicht umgehen konnte, wie einen freien Erwachsenen
zu behandeln.  Hier ist Sühne und wohlmeinende Bestrafung (eine Art
harte Pädagogik) notwendig, nicht bloßes Wegsperren und Gammelnlassen.
Aber ich weiß, dass das ziemlich schwer durchzuführen ist, ganz davon
abgesehen, dass es einen Aufschrei von allerlei vermeintlichen
Humanisten verursachen würde.
[...]
Es war die Rede davon gewesen, dass z.B. Raumfahrt in der angestrebten
Gesellschaft unmöglich werden könnte, weil sie nur auf freiwilliger Basis
von Individuen jenseits aller "Verwertungszwänge" betrieben werden könte.  
Wenn nützliche gesellschaftliche Projekte um der Freiheit willen unmöglich
werden, hat die Gesellschaft weniger Freiheit.

Ich glaube nicht, dass wir den selben Begriff von Freiheit haben.
Insbesondere würde mich interessieren, was Du eigentlich genau unter
"gesellschaftlicher" Freiheit verstehst. Meinst Du, dass jedes Projekt,
das man vielleicht auch als "nützlich" definieren kann, das aber vom
Einzelnen aus welchen Gründen auch immer nicht vollbracht werden kann,
an sich schon diese Freheit erhöht? Ich hätte also als Einzelner die
"Freiheit", auf meine persönliche Freiheit und die meiner Mitmenschen zu
verzichten, um z.B. Raumfahrt zu beteriben, auf alle Fälle aber die
"gesellschaftliche" Freiheit zu fördern? Ich sehe nicht ganz, von
welcher Art solche Projekte sein könnten, und vor allem, welchen Sinn
sie für die allgemeine je individuelle Freiheit haben könnten.

Ausdauer, Disziplin, Zurechenbarkeit, Verantwortung, Gründlichkeit,
Pünktlichkeit etc Ohne Sekundärtugenden kommt man m.E. gar nicht zu den
Primärtugenden.  Diese setzen vielfach darauf auf.

Komisch, ich dachte immer, die Sekudärtugenden kommen als zweites, daher
der Name?!

Wo Schlendrian herrscht, ist es meist auch mit den Primärtugenden nicht
weit her, sagt mir meine Erfahrungen.

Jaja, die böse "Faulheit", die "Gammler". Warum ist mir Dein Modell
eigentlich nur so unsympathisch? ;-)

Von der Meisterung äußerlich aufgedrängter Herausforderungen bis zur
selbstgewählten verallgemeinerbaren Richtschnur des Handelns im Sinne der
Kantschen Ethik ist die Entfernung nicht unbedingt weit.  Jedenfalls näher
als vom Herumlungern dort hin.

Nur, dass die Kantsche Maxime eben keine durch äußeren Zwang
hervorgerufenen, sondern eine aus der Betrachtung der rein logischen
Notwendigkeiten einer Moral entstehende Formel. Nicht die Reaktion auf
welche Umstände auch immer, sondern die Selbstbetrachtung des
Individuums und seiner moralischen Disposition steht bei Kant im
Mittelpunkt.

Daher: Wer sich immer nur der Bewältigung des Zwangs hingibt, ist von
solch innerer Betrachtung weiter entfernt, als der eventuell
kontemplativ "Herumlungernder". Jener ist bereits mit der kleinsten
Befriedigung abspeisbar, dieser kann nach mehr verlangen.

Auch Kindern tut ein gewisser wohlmeinender Drill ganz gut, wie ich immer
wieder an meiner Tochter beobachte, die gelegentlich in China einige Zeit
verbringt und dabei sehr gute Fortschritte macht.  Im dortigen
Kindergarten werden Kinder autoritärer (aber dennoch liebevoll) gefordert
als bei uns oder in Amerika.

Was der Linken von der Rechten mangels Ostblock nicht mehr vorgeworfen
werden kann, kann nun umgekehrt Dir und allen anderen Autoritätsuchenden
als Rat mit gegeben werden: Geh' doch nach drüben!

Du meinst wohl eher: er kriegt eine in die Fresse.

Manchmal wäre vielleicht auch das heilsam.  Nur schwer systematisch
umzusetzen.

Oh, das System ist sehr wohl in der Lage, auszuteilen und
Marginalisierte noch weiter an den Rand zu drängen. Die Klintel für
Zwangsarbeit ist relativ eng umrissen. :-/

Übrigens habe ich nicht den Eindruck, dass aktuell die Politiker in der
von Dir beschriebenen Weise dem Souverän schmeicheln. Ganz im Gegenteil:
Dein Prinzip trifft dort auf offene Ohren und umsetzungsbereite Hände.

Allenfalls "klammheimlich".  Lippenbekenntnisse werden eher in Richtung
des von euch hier mehrheitlich propagierten Prinzips geleistet.

Hier nur ein Beispiel unter vielen: das Jugendausbildungsprogramm JUMP
der Rot-Grünen Bundesregierung:

"Wenn Jugendliche eine Lehr- oder ABM-Stelle ablehnten, zum Beispiel,
weil dies nicht ihren Interessen oder Fähigkeiten entspricht oder weil
es sich nicht einmal um eine Ausbildung handelt, erhalten keine
Leistungen mehr. Schon im Vorfeld wurde den möglichen Verweigerern von
Kanzler Schröder unterstellt, dass sie lieber 'gammeln' wollen"
(Sonnenfeld, Christa, "Der Zwang zur gering bezahlten Arbeit ist
Programm.", In: "Frankfurter Rundschau", 12.02.1999; zitiert nach
Ronneberger, Lanz, Jahn "Die Stadt als Beute", Bonn 1999, p.194.

Soviel erst mal, ich muss jetzt leider weg :-)

Gruß
Lutz

-- 
Gruppe Krisis http://www.krisis.org/
Open Theory   http://www.opentheory.org/

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