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Re: [ox] Wesen et al.



Sabines erkenntnistheoretische Ueberlegungen sind gerade jetzt hilfreich
und mir tut es leid, dass ich das erst mal ueberspringe.

"Die Natur des Menschen ist seine Gesellschaftlichkeit."

Ich interpretiere den aristotelesschen Satz anders:  

	"Im Menschen ist das Potential zur Gesellschaftlichkeit angelegt".

Dieses Potential hat viel mit "Ueber-Ich" oder "Gottesebenbild-Natur" zu
tun.
 
Vor dem Hintergrund des bislang Gesagten ist das ein 
Widerspruch. "Die Natur des Menschen" impliziert, dass es jeder 
einzelne Mensch in sich trägt, also das von den konkreten 
Menschen abstrahiert wird und ein einzelner ideeller 
Gesamtmensch dann da steht, der da eine Natur hat, nämlich die 
Gesellschaftlichkeit.
 Die Gesellschaftlichkeit aber, wenn man sie 
ernst nimmt, schließt die Existenz dieses einzelnen Menschen, 
auch als Analysekategorie, aus. Ich würde es wenn überhaupt so 
formulieren wollen:

Die Natur *der Menschen* ist ihre Gesellschaftlichkeit. 

Man muss in die grammatische Unterscheidung Singular vs Plural keinen so
tiefen Sinn hineininterpretieren.
 
Das aber ist eine Tautologie.

Eher ein anregendes Wortspiel.

Wenn es erst einmal ein Kollektivwesen namens "die Menschen" gibt, ueber
dessen Natur man Aussagen treffen koennte, dann haben die einzelnen
Menschen schon entweder ein hoeheres in ihnen angelegtes Potential
verwirklicht, oder sie handeln als dumpfe Masse unter einer Art Hypnose.
Dabei ist dennoch die Neigung zum Egoismus nicht ueberwunden.
Diese Neigung steht sogar im menschlichen Leben ganz am Anfang.   Ein
Saeugling ist kein gesellschaftliches Wesen.  Er kennt weder ein Ich noch
ein Du oder ein Kollektiv sondern nur den Unterschied zwischen Schmerz und
Befriedigung.
Das Ich bildet sich allmaehlich durch den Umgang mit dem Du heraus.
Dieses Ich ist aber noch ziemlich egoistisch.
Meine 3jaehrige Tochter hat Angst vor Kreuzspinnen, aber moechte schon
gerne mal ausprobieren, wie die Kreuzspinne wohl beissen koennte.
Dazu nimmt sie dann meine Hand, um sie ins Spinnennetz zu halten.
Das ist fuer diesen Lebensabschnitt ganz normal und ich empfinde es
sogar als liebenswuerdig.
Bei einem aelteren Menschen faende ich es allerdings ziemlich schlimm.
Das Selbst entfaltet sich eben sozusagen mit der Zeit und wird dabei
gesellschaftlicher als es vorher war.
Uneinig sind wir uns nur darueber, ob es sich besser mit oder ohne
Leistungsdruck entfaltet.

-phm
 




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