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[ox] Killerappikation: Kriterien und Fantasie (was: Re: Thesen zum TAK-AOe)



Hi Ulli und alle,

Ulli Wetzig schrieb:
7. Mit diesen Erkenntnissen wäre neu zu erforschen und zu erfinden,
ob "Kooperativen" eine Ökonomieform des Übergangs darstellen können.
Sie müßten folgende Kriterien genügen:
· wertfreie (nichtgeldliche) Beziehungen im "Innern"
· verwertungsorientierte (geldliche) Beziehungen nach "Außen"
· rigide, klare, dauerhafte Trennung von äußerer Verwertungslogik
  und innerer Nutzungslogik
· Orientierung auf Expansion des wertfreien "Innenbereichs" und
  Minimierung der "Außenbeziehungen"
· rechtliche Absicherung durch subversive Nutzung bürgerlichen
  Eigentums- und Urheberrechts zur Absicherung angeeigneter
  materieller Ressourcen (Analogie: freie Softwarelizenz GPL)

könnte dies evtl. eine weitere (_die_) Killerapplikationsdefinition
sein?

Es definiert nicht die Applikation selbst, sondern die Kriterien,
die eine solche Applikation erfüllen muss, um - schnipp - uns ein
grossen Schritt in Richtung GPL-Gesellschaft zu bringen.

Ich frage mich, wie man das Subversionsprinzip der GPL (basiert auf
Copyright, hebelt dasselbe aber aus und wird zu Copyleft) auch auf
andere Bereiche übertragen kann - etwa um wertfreie materielle
Produktionen abzusichern. Es Fall für Juristen vermutlich. Aber so
eine ähnliche Idee fand ich beim "Mietshäuser-Syndikat Freiburg" und
bei "Aller Wohnen" aus Verden. Das will ich als Beispiele mal
darstellen. Wir können dann überlegen, ob das als Modell was taugt,
ob die "Killerkriterien" erfüllt werden.

Beispiel 1: Mietshäuser-Syndikat Freiburg

Die Grundidee ist, Wohn- und Nutzraum aus dem Verwertungskreislauf
_dauerhaft_ zu entfernen. Dazu werden Häuser gekauft und wieder
vermietet. Der Witz ist nun, nach welchen Regeln Kauf und Vermietung
erfolgen. Besitzer eines Hauses ist eine Hausbesitz GmbH. Diese hat
zwei Gesellschafter, einmal den Hausverein (das sind die
MieterInnen) zu 10% und zum anderen das Mietshäuser-Syndikat zu 90%.
Die Idee dabei: Es gibt immer eine "zweite" Gruppe, die eine
Reprivatisierung durch Veto verhindern kann. Das ist vor allem die
Rolle des Syndikats: Es verhindert, dass sich der Verein das Haus
profitabel verscherbelt. Durch den 10%-Anteil des Hausvereins ist
das Interesse sowieso gering. Andererseits hat das Syndikat nichts
zu sagen bei Vermietung und Verwaltung des Hauses, das ist alleinige
Sache des Hausvereins: DIe MieterInnen regeln ihre Angelegenheiten
in Selbstorganisation. All dies (und noch mehr: sozial gebundene
Vermietung, ökologisches Bauen etc.) ist im Gesellschaftsvertrag der
Hausbesitz GmbH geregelt. Das Haus ist Gemeinbesitz und der
Reprivatisierung entzogen. Ziel des Syndikats ist, immer mehr Häuser
dem Immobilienmarkt zu entziehen. Die Finanzierung läuft über
niedrigzinsige Privatkredite und einen Solidarfond, in den alle
Häuser einzahlen. Früher mussten sich die Sklaven freikaufen, heute
werden Häuser aus der Immobilienverwertung "rausgekauft".

Beispiel 2: Aller Wohnen Verden

Die Idee ist hier ähnlich, die gewählte Form hingegen eine andere:
eine Genossenschaft. In der Satzung sind die Ziele ähnlich wie beim
Freiburger-Modell festgeschrieben. Die Hausgemeinschaften sind auch
hier völlig autonom, es gibt also keine anonyme "Hausverwaltung" -
das machen die MieterInnen selbst. Durch Querfinanzierungen
unterstützen entschuldete Häuser verschuldete, die Finanzen regelt
die Genossenschaft. Die Hausgemeinschaften haben "praktisch
unkündbares Wohnungsrecht" (Zitat). Durch Förder-Mitgliedschaften
kommt zusätzliches Geld in die Genossenschaft.

So.
Nun mal die Kriterien abgeklappert:
(1) wertfreie (nichtgeldliche) Beziehungen im "Innern": Nein, leider
nicht. Auch hier wird Miete bezahlt, wenngleich eine geringe Miete,
die auch nicht zur Profiterzielung dient. Innerhalb der
Selbstverwaltung durch die BewohnerInnen geht sicher einiges ohne
Geld.
(2) verwertungsorientierte (geldliche) Beziehungen nach "Außen":
Auch nicht! Es gibt zwar Geldflüsse nach draußen (folglich
individuell auch nach drinnen), aber die dienen nur zur
Ausrechterhaltung und Ausweitung des gemeinsamen Besitzes und nicht
zur Verwertung.
(3) rigide, klare, dauerhafte Trennung von äußerer Verwertungslogik
und innerer Nutzungslogik: Leider auch nicht, siehe (1) und (2).
(4) Orientierung auf Expansion des wertfreien "Innenbereichs" und
Minimierung der "Außenbeziehungen": Das fehlt auch. Was expandiert,
ist der häuserweise Entzug aus dem (profitorientierten)
Immobilienmarkt.
(5) rechtliche Absicherung durch subversive Nutzung bürgerlichen
Eigentums- und Urheberrechts zur Absicherung angeeigneter
materieller Ressourcen (Analogie: freie Softwarelizenz GPL): Das
gibt es, wobei ich die Stabilität des Reprivatisierungsschutzes
nicht einschätzen kann (Mir scheint das Freiburger Modell sicherer
zu sein).

Fazit: Die geldlichen Aussenbeziehungen wirken massiv nach innen, es
geht immer noch um schnöden Kauf. Immerhin ist die Verwertung
ausgeschaltet. Und vermutlich gibt es zahlreiche Miniinseln ohne
Geldlogik (vor allem in der Selbstorganisation der BewohnerInnen),
das aber nicht modellspezifisch ist. Also negative Bilanz trotz
"GPL-Ähnlichkeit". Wichtig bei dem Ganzen: Es geht um Grund und
Boden und Häuser - also nicht um Arbeit mit Produktionsmitteln zur
Produktion neuen Werts.

Bestimmt habe ich einiges übersehen, vielleicht seht ihr es. Man
Ziel ist, unsere gemeinsame Fantasie anzuregen, um die gesuchte
Killerapplikation zu finden. Kann man das irgendwie und möglichst
unter Erfüllung der Kriterien auf die Herstellung materieller Dinge
übertragen? Nach dem Schema "die Produktionsalgorithmen unter die
GPL, die Produktionsmittel in Gemeinbesitz und: Produktion zum
Verkauf ausgeschlossen"? Kann man nicht Geld sinnvoll durch den
finalen Akt des "Freikaufens" vernichten (anstatt an der Börse im
Crash;-))?

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
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