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[ox] Open Space



[x-posting auch an Oekonux]

Hi,

da die Frage kam, habe ich mich mal umgeguckt, was hinter Open Space
steckt. Hier meine erste Einschätzung, die euch vielleicht
interessiert. Ein paar Infos gabs ja schon (auf englisch) auf
[emz_oeko].

Was ist open space? Wo kann ich Infos dazu kriegen?

Es ist eine "Konferenzmethode". Die Methode kommt aus den USA. Sie
versucht, die informelle Pausensituation zum Konferenzprinzip zu
wenden (so ist sie der Kolportage nach entstanden). Dabei stammt die
Idee des "offenen Himmels" aus Afrika, die der "Erfinder" Harrison
Owen von dort "mitgebracht" (geklaut könnt mal böswillig sagen...)
und auf die Konferenzsituation übertragen hat. In D wird die Methode
von zig Unternehmensberatungen vermarktet. Siehe (willkürlich
rausgegriffen) z.B. Isis Herzog, Marktplatz für Ideen: Open
Space-Konferenz. In: managerSeminare, März 1999,S. 93-100, Internet:
http://www.zurbonsen.de/lit/ost/ost03.htm. Es gibt aber viel mehr,
spare ich hier mal aus.

Meine Bewertung: Es ist eine der am weitesten entwickelten
"anti-methodischen" Methoden, bei denen das Prinzip der minimalen
Vorgaben gilt. Sie setzt auf Selbstorganisation und Mobilisierung
der individuellen Kreativität. Zitat: "Es gibt einen einzigen
Versuch, der den Mißerfolg einer Open-Space-Konferenz garantiert,
und das ist der Versuch, die Kontrolle zu behalten" (Harrison Owen).

Die OS-Methode bewegt sich höchst effektiv im Widerspruch zwischen
Selbstverwertung und Selbstentfaltung (siehe das Gegenbilderbuch
http://www.opentheory.org/proj/gegenbilder, wo wir das
herausgearbeitet haben). Da die Verinnerlichung der
Verwertungsprinzipien und der Marktlogik bis zum TINA-Punkt
(There-Is-No-Alternative) fortgeschritten ist, trauen sich auch
skeptische Manager, sich auf diese offene Methode einzulassen. Die
Beschäftigten werden mit der Methode aufgefordert, sich über "das
Ganze" einen Kopf zu machen. Dennoch: Der Widerspruch zwischen
Selbstverwertung und Selbstentfaltung ist ein antagonistischer, ein
unter Verwertungsbedingungen nicht aufhebbarer - schreiben wir im
Buch. Wenn das stimmt, dann muss sich die Widersprüchlichkeit auch
in der Praxis zeigen. Davon liesst man aber bei den
Unternehmensberatungen logischerweise nichts. Während die
Unternehmensberatungen "peer-review" als Mittel zur Übernahme
individuellen Verantwortung in den Himmel, loben sprechen z.b.
Gewerkschafter vom "peer-to-peer-pressure"-Mechanismus, der das
Leben im Betrieb zur Hölle macht.

Wie damit umgehen? Verdammen? Nein, das hielte ich für falsch. Es
geht darum, sich die praktischen Erfahrungen (weil methodisch
wirklich nicht viel dahintersteckt, im Prinzip besteht sie aus einer
Sammlung von Selbstverständlichkeiten, die in hierarchischen
Strukturen jedoch geradezu revolutionär anmuten) genau anzugucken
mit dem Blick darauf, wo die Widersprüche unter
Verwertungsbedingungen aufbrechen. Unter freien Bedingungen unter
Abwesenheit der Verwertungslogik, sind viele der Ideen nichts
revolutionäres - nur: wo haben wir schon solch freie Bedingungen.
Ein selbstorganisierter Raum, in dem man im Prinzip genau diese
"Methode" in Praxi beobachten kann, ist die freie
Softwareentwicklung.

Nochmal ein Zitat aus dem o.g. Aufsatz:
---begin

"Die Freiheit steht an erster Stelle

Doch bevor es losgeht, werden die Teilnehmer mit den vier Prinzipien
von Open Space vertraut gemacht:

- Wer auch immer kommt, es sind die richtigen Leute
soll besagen, daß - egal ob sich nur einer oder 25 für ein Thema
interessieren - es genau die Menschen sein werden, deren 
Motivation für genau dieses Thema offensichtlich groß ist.
- Was auch immer geschieht, es ist okay
ist ein Prinzip, das daran erinnert, daß die ungeplanten und
unerwarteten Dinge oft die kreativsten sind.
- Es beginnt, wenn es beginnt
klingt wie die Antithese zur vielzitierten Pünktlichkeit. Im Open
Space ist sie erlaubt, denn die menschliche Energie richtet sich
nicht dem Minutenzeiger der Uhr. Und das vierte Prinzip lautet
- Vorbei ist vorbei
Was soviel bedeutet, daß manchmal ein Thema nur zerredet würde,
hielte man die anderthalb Stunden zwanghaft ein, obwohl längst alles
gesagt ist.

Diese Prinzipien anzuwenden - so erfahren die Teilnehmer, ist kein
Muß. Davon gibt es Open Space nur eines: "Das Gesetz der zwei Füße".
Was soviel bedeutet, daß jeder permanent mit seinen zwei Füßen
abstimmt. "Gehen Sie nur in die Gruppen, die Sie interessieren",
wird moderiert. Aber wenn jemand feststellen sollte, daß er dort
nichts lernen oder beitragen kann, soll er sich doch als Hummel oder
Schmetterling tummeln."
(zur Erklärung: Hummeln schwirren von Gruppe zu Gruppe,
Schmetterlinge gehen in keine Gruppe, sondern sonnen sich am Pool
und inspirieren die Vorübergehenden)

---end

Trifft so ziemlich alles auf die freie Softwareentwicklung zu (mehr
oder weniger, sicher unterschiedlich), wobei das Internet viele
Probleme von (synchroner) Kommunikation aufhebt.

Deswegen kann Open Space auch für uns, unsere Konferenzen, Treffen
etc. ein Ideengeber sein, wie wir das aufziehen. Vielleicht eben
nicht das Schema Referat, Diskussion, Plenum oder so.

Mehr Infos sind willkommen, vielleicht lohnt es sich, die als
OpenTheory-Projekt zu sammeln.

Gibt's vielleicht gar irgendwo schon kritische Bewertungen?

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
  private stuff: http://www.meretz.de
--

----------------------
http://www.oekonux.de/



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