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[ox] Re: ProsumentInnengenossenschaften



Hi Stefan,

ich will mal Franz' Gedankenexperiment und Deine Einwände vor
folgenden Hintergrund durchdenken:

Mit dem Zerfall der realen Sozialismen (alias: Staatskapitalismus)
hat sich die Wertverwertung (aus Geld mehr Geld machen) totalisiert,
d.h. es gibt nahezu keine Ecke der Gesellschaft, die nicht davon
erfasst wäre - mit einer(?) kleinen, aber bedeutenden Ausnahme: die
freie Software, teilweise. Doch auch diese Indseln der Wertfreiheit
werden langsam eingeschnürt - das müssen wir realistisch sehen.
Anyway, es sind geldlose Inseln im Meer des Geldes (alias:
Geldfetisch). Diese Inseln haben nun "nach innen" wertfreie
Beziehungen, da wird verschenkt, was der Speicherplatz hergibt, und
das bei viel Spaß. "Nach draußen" gibt's aber Geldbeziehungen über
Sponsoring, Bezahlung von Firmen für Entwicklung wertloser Software,
Jobs im Meer des Geldes etc.

Können Genossenschaften so etwas nicht auch darstellen - so ist doch
Franz' (und meine) Frage? Nach außen dem Geldfetisch huldigen, ihn
nach innen aber sein lassen und stattdessen soziale Kooperation
praktizieren? Nach draußen Tausch (gegen Geld), nach innen genau das
nicht, sondern individuelle Selbstentfaltung auf der Basis "jede/r
nimmt, was gebraucht wird"?

Stefan Merten schrieb:
Ich denke, daß der Ansatz der Freien Software ein grundlegend anderer
ist, als der den du mit ProsumentInnengenossenschaften bezeichnest.

Die Begriffe "ProsumentIn" (ein Kunstwort aus Produzent und
Konsument) und "Genossenschaft" sollten wir erstmal trennen. Das
eine - die Tendenz, dass KonsumentInnen (auch unter Bedingungen der
Wertverwertung teilweise) Funktionen von Produktion übernehmen - hat
mit dem anderen - Genossenschaften als ökonomisches Konstrukt -
erstmal nichts tun.

Dein Modell scheint mir sehr der Tauschgesellschaft verhaftet zu sein
während Freie Software völlig ohne Tausch auskommt.

Das "völlig ohne Tausch" ist ein logisches Argument, kein
empirisches. Georg Greve hat Dir ja in
http://www.linux-magazin.de/ausgabe/2000/09/GnuWorld/bgnuworld19.html
vorgehalten, dass Du mit "kommerzieller Freier Software" einen
"wesentlichen Aspekt" vernachlässigst. Er hat insofern Recht, als
dass sich die Wertverwerter eben bemühen, diesen Widerspruch-in-sich
"kommerzielle Freie Software" in Richtung "Kommerz" aufzulösen.
Feuer und Wasser, nur eins kann sich durchsetzen
(http://www.opentheory.org/proj/linux-wertlos).

1.
Die politischen Rahmenbedingungen vorausgesetzt, werden
lokale Eigen-arbeitsgemeinschaften (wie die SSM) gefördert.
Sie kriegen via Baurechtsaktionen sogar
geförderten Zugang zu Grund und Boden.

Genau "Eigenarbeit" für "Eigenversorgung". Die machen nämlich nur für
sich. Subsistenz ist wohl die richtige Bezeichnung. Das ist
fundamental anders als Freie Software, bei der die eigene Versorgung
in einigen Fällen nur ein Motiv ist.

...aber auch nur wg. der digitalen Kopierbarkeit. Wäre das mit den
materiellen Gütern ("universelle Materialisatoren") machbar, dann
würde aus "Eigenversorgung" schnell "Versorgung für alle". Hier
spielt uns die abnehmende Bedeutung des materiellen gegen über dem
algorithmisch-informationellen Aspekt in der Produktion in die
Hände.

2.
Sie erhalten Startmittel oder verlorene Zusschüsse für
die Investitionen zur Nutzung lokaler oder freier Ressourcen
(Biomasse, Sonne), die sowas wie zweckgebundene
Arbeitslosengelder darstellen.

Na ja, Freie Software ist auch von Unis etc. gesponsort.

3.
Sie müssen einen Subsistenzplan vorlegen, das heißt die
Investitionen in ihre Infrastruktur führt tatsächlich zur
Senkung der Lebenshaltungskosten - ohne Einbusse an
Lebensqualität.

Ich habe genauso was gegen sinnlosen Konsum wie gegen die Predigt der
Bedürfnislosigkeit.

Noch dazu ist das vollständig in Geldkategorien gedacht: Es geht
darum, weniger offizielle Zahlungsmittel zu benötigen. Das wirkt auf
mich eher wie der Versuch, die real-existierenden Existenzprobleme zu
kitten.

Es ist der Versuch, die Abhängigkeit von der Geldsphäre zu
verringern, oder Systemtheoretisch: die Schnittstelle zum Weltmeer
des Geldes zu verkleinern. Hier sollten wir uns nicht jeden neuen
Gedanken dadurch selbst zensieren, dass das Gedachte als Reales
politisch neoliberal vereinnahmbar ist. Das versuchen die Neolibs
nämlich mit der Freien Software auch, siehe Eric S. Raymond. Wir
müssen schlauer sein und langfristiger denken.

4.
Sie dürfen auch im "häuslichen" Bereich ein entgeltliches
Tauschgeschäft aufziehen, das heißt solche Menschen, die
im Erwerbsleben stehen, in ihre Subsistenzgemeinschaft
miteinbeziehen. Diese Menschen sind dann quasi "Devisen-
verdiener" und zahlen "Miete", was die Anschaffung von
pM (Prosumtionsmitteln) erlaubt.

Genau. Wieder Tausch. Das Modell kommt einfach davon nicht weg.

Hier sind wir genau an der Schnittstelle zwischen
Geld/Tausch/Verwertung und
Freiheit/Selbstentfaltung/good-living-for-all. Wie bei Freier
Software auch: Es gibt Leute, die arbeiten "draußen" für Geld,
während sie "drinnen" sich entfalten. Oder eine "Firma", die nach
draußen Geschäfte macht und die Erträge nach drinnen verteilt (wie
bei SSM Köln). Das MUSS hochwidersprüchlich sein, weil die
(beschissene und verkehrte aber nun mal gestellte) Frage immer
naheliegt: Warum soll ich nach drinnen verschenken, was ich nach
draußen verkaufen kann.

5.
Ein Markt für pM könnte entstehen, der wiederum die
Attraktivität von Prosumentengenossenschaften steigert.

Die nichts anderes sind, als Genossenschaften: Den Genossen
verpflichtet und nach außen abgeschottet. Vielleicht demokratischer
als ein kapitalistischer Standardbetrieb aber das geht eben überhaupt
nicht über das Bestehende hinaus.

Das Problem ist empirisch, dass die ganzen gehabten oder noch immer
daseienden Genossenschaften kein kritisches Verhältnis zu Geld,
Verwertung und der ganzen Hölle haben. Die wollten immer nur ein
bißchen anders, gerechter, sozialer tauschen, aber eben tauschen
wollten alle, Kohle machen wollten und mussten sie alle.

Freie Software zeigt da m.E. ganz andere, viel spannendere Potentiale.

Kann man diese Potentiale genossenschaftlich reformulieren und damit
vielleicht übertragbar machen? Das ist meine Frage, die Antwort kann
schlicht "nein" lauten, aber das weiss ich nicht.

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
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  stefan.meretz hbv.org
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