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Re: Wortwahl (was: [ox] Re: [ot:Linux-wertlos] Kommentar zu Abs. 47)



On Don, 04 Mai 2000 Stefan Merten wrote:
8 days ago LutzH wrote:
Wieso zu schade? Ich glaube nicht, dass man den wahren Gehalt dieses
Aufsatzes, der für mich eindeutig antikapitalistisch ist, durch
Umschreibungen verwässern sollte.

Ich weiß nicht, ob eine Umschreibung eine Verwässerung sein muß. Ich
sage immer, daß es mir auf die Inhalte ankommt und nicht so sehr auf
die Labels, die auf den Inhalten draufbappen. Deswegen rede ich i.d.R.
z.B. nicht so gerne von "Sozialismus" sondern von "neuer
Gesellschaft".

1. Antikapitalismus

1.1. Ist Wissenshorterei wirklich noch "Kapitalismus"? 

Dieser Begriff bezieht sich afaik auf materielle Produktion von
Massenartikeln. Die materielle Produktion gerät aber mit zunehmender
Rationalisierung immer weiter in die Bedeutungslosigkeit. Bedeutung
hingegen gewinnen die Produktionsabläufe. Und die sind in jeder Firma
geheim. Dies behindert die Konkurrenz unter den Firmen. Konkurrenz
ist aber eine wesentliche Eigenschaft des Kapitalismus. Hinzu kommt,
daß inzwischen ein neuer Industriezweig (Informationssektor)
entstanden ist, der gar kein enstzunehmendes materielles Produkt mehr
herstellt, sondern davon lebt, Informationen zu verleihen(!). Dieser
neue Sektor dominiert heute so wie im Kapitalismus der verarbeitende
und davor der rohstoffgewinnende.

1.2. Ist die GPL nicht geradezu "prokapitalistisch"?

Freie Software steht jeder Firma gleichermassen zur Verfügung. Sie
müssen keine Lizenzgebühren abdrücken. Sogar dem restlichen
Mittelstand stehen plötzlich die besten Algorithmen zur Verfügung. So
kann echte Konkurrenz erfolgen, die eine hemmungslose
Rationalisierung erforderlich macht. Der größte Kostenfaktor
"Mensch" (in einer sozialen Marktwirtschaft hat er das gefällist zu
sein) fliegt dabei, falls irgendwie möglich, aus dem
Produktionsprozess. Dadurch wird er frei, nicht länger sklavisch die
Arbeit einer Maschine tun zu müssen und erhält Zeit für kulturelle
Betätigung und die Produktion Freier Software. Was ist daran
"antikapitalistisch"?

2. "Sozialismus"

Sozialismus ist afaik (verbessere mich bitte, du hast sicher mehr
Marx gelesen als ich) eine Vorstufe des Kommunismus. In dieser ist
der Privatbesitz an Produktionsmitteln und Boden bereits abgeschafft,
noch nicht aber der am (Produktions-)Wissen (seltsame Reihenfolge!).
Lohnarbeit und Kapital gibt es weiterhin, solange bis die ganze Welt
diesen Stand erreicht hat. Dann kann der Übergang zum Kommunismus
vollzogen werden. Vollautomatisierung ist kein Thema, es gibt
schließlich wichtigere Aufgaben (nicht verkehrt, aber wie soll man
denen nachkommen, wenn man seine Zeit damit vertut, die Arbeit einer
Maschine zu tun?).

Ich persönlich halte den Weg, das von Natur aus freie Gut Wissen so
weit es geht und vor allem auf legalem Wege der Allgemeinheit
verfügbar zu machen, um so durch Konkurrenz (im zu rekonstruierenden
Kapitalismus in Form einer sich stets vergrössernden sozialen
Marktwirtschaft) die Automatisierung voranzutreiben. Ich gehe davon
aus, daß man, genauso wie es derzeit möglich ist, daß das Volk durch
Fernsehen und Zeitung verblödet wird, es nach dem bevorstehenden
Wegfall der Unterhaltungsindustrie, die ja genau diesen Zweck
verfolgt, möglich sein wird, das Volk durch diese Medien für eine
Aktive Mitgestaltung von Wissenschaft und Technik, Kunst und Kultur zu
begeistern, woraufhin die Probleme der Welt von der Abenteuerlust der
Menschen erschlagen werden.

Worin genau besteht eigentlich deiner Meinung nach der Unterschied
zwischen dem Endergebnis der "GPL- Gesellschaft" und dem Kommunismus?
Außer natürlich in der Beizeichnung.

Tschüß,
Thomas

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